The Illustrated Man

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
14. März 2002
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Dreimal Goldsmith auf einen Streich! Erstmals sind die wichtigen Musiken zu The Illustrated Man • Der Tätowierte (1969) und zu Morituri • Kennwort Morituri (1965) als legale und überzeugend klingende Veröffentlichungen erhältlich. Höreinblicke in des Maestros Musiken abseits der größeren Filmarbeiten findet der Interessierte in der Tonschöpfung zum 1973er Ace Eli and Rodger of the Skies.

The Illustrated Man

In The Illustrated Man • Der Tätowierte (1969) – nach Ray Bradburys berühmter Kurzgeschichte – werden die Tattoos eines am ganzen Körper derart „illustrierten“ alten Tramps (verkörpert von Rod Steiger) beim längeren Hinsehen in Form albtraumhafter Zukunftsvisionen lebendig.

Goldsmith steuerte eine für seine Zeit ungewöhnliche musikalische Untermalung bei. Eine naiv-schlichte Melodie im Volkston, getragen von vokalisierender Frauenstimme über Streichern und Harfe, wirkt wie der entrückte Gesang einer Nymphe. Diese Melodie kontrastiert mit modernistischen Musik-Passagen, die der Klangwelt von Planet of the Apes (1967) nahe stehen. Bereits in der 1968 entstandenen Westernmusik zu 100 Rifles stehen stärker modernistische und melodische Teile gelungen nebeneinander, ohne dass der Score droht, auseinander zu fallen. In The Illustrated Man gelang es Goldsmith, die beiden sehr differierenden musikalischen Ebenen derart raffiniert miteinander zu verbinden und einander durchdringen zu lassen, dass man fast schon von Verschmelzung sprechen kann – er bezeichnete diesen Stil als „lyrischen Serialismus“. Markant sind die durchsichtige, eher kammermusikalisch-intime Orchesterbehandlung sowie die zum Teil impressionistischen Klangfarben des Scores: in weiten Teilen agieren nur kleine Instrumentengruppen aus Holzbläsern und wenigen Streichinstrumenten, ergänzt durch delikate Klangeffekte von z. B. Harfe, Gitarre, Sitar und Celesta. In einer der (insgesamt drei) Geschichten innerhalb des Films sorgen charakteristische Synthesizer-Sounds der Ära für das klangliche Bild einer kalten, unmenschlichen Zukunft. Derart synthetische Klänge wirken heutzutage zweifellos eher altertümlich denn überzeugend futuristisch, sind aber filmmusik-historisch wichtige Vorstudien zu ähnlichen Stücken in The Reincarnation of Peter Proud (1975) und Logan’s Run • Flucht ins 23. Jahrhundert (1976).

Bislang war die Musik zu The Illustrated Man nur unvollständig, in Form eines technisch völlig unakzeptablen Bootlegs erhältlich (in Mono und stark verrauscht, unvollständiger Mix – z. B. keine Vokalelemente -, nur ein Gesamt-Track). Die FSM-Ausgrabung aus dem Warner-Archiv hingegen ist nicht allein komplett und in Stereo, sie klingt dazu auch sehr gut und macht so erstmals alle Reize dieser raffinierten Klangschöpfung hörbar, die in der Zeit ihrer Entstehung zweifellos eine Novität war. Eine entscheidende Lücke ist damit geschlossen worden. Ein Album von hohem Repertoire-Wert: nicht allein wichtig für Goldsmith-Enthusiasten, sondern eine wichtige Ergänzung der Diskografie des Komponisten. Dazu für alle, die ein bedeutendes, brillant gestaltetes, modern-markantes Beispiel einer experimentellen Musik zu einem Science-Fiction-Film der ausgehenden 60er Jahre kennenlernen möchten, ein Muss.

Morituri (Raid on Entebbe)

Morituri • Kennwort Morituri (1965) erzählt die Geschichte des deutschen Blockadebrechers Ingo und seiner Besatzung, die im zweiten Weltkrieg kriegswichtigen Kautschuk von Japan nach Deutschland bringen sollen. An Bord ist ein von den Briten erpresster Deutscher (Marlon Brando), der das – für den Notfall mit diversen Sprengladungen zur Selbstvernichtung versehene – Schiff und die Ladung den Alliierten in die Hände spielen soll. Was bis jetzt vielleicht nach einem üblichen Kriegsabenteuer Hollywoods klingt, erweist sich jedoch als ungewöhnlicher, vielschichtiger Kriegsfilm, der die Handschrift des renommierten deutschen Regisseurs Bernhard Wicki trägt – siehe auch [url id=1760]Die Brücke[/url]. Es zeigt sich rasch, dass sich an Bord des Frachters weitere Leute befinden, die kein Interesse daran haben, das „Großdeutsche Reich“ zu erreichen. Hinzu kommt der von Selbstzweifeln geplagte Kapitän (Yul Brynner), der seine Befehle eher widerwillig ausführt und seinem linientreuen ersten Offizier (Martin Benrath) zunehmend als Sicherheitsrisiko erscheint. Die Gruppe der potentiellen Meuterer wird noch verstärkt, als ein deutsches U-Boot eine Reihe Kriegsgefangener eines versenkten US-Schiffs an Bord bringt. Es entwickelt sich ein psychologisches Katz-und-Maus-Spiel, das sich bis zur Hoch-Spannung steigert. Der insgesamt aber eher leise Kriegsfilm überzeugt mit interessanten Charakteren und einer straffen Handlungsführung.

Jerry Goldsmith hat dazu eine moderne und strenge Filmmusik komponiert. Es gibt stark atmosphärisch gehaltene ruhige Teile; in Spannungsmomenten wird die Handlung von stark rhythmisierten, ostinati-geprägten, mitunter pulsierenden und dissonanten Action-Cues vorangetrieben. Diese verweisen in ihrer Modernität bereits auf die Musiken zu Planet of the Apes und The Illustrated Man. Elektrische Instrumente wie das Novachord (eine elektronische Orgel) und die E-Gitarre sowie raffinierte Einsprengsel von Cembalo, Klavier, Zither und Vibraphon, dazu markante Effekte von Blech und Percussions, geben dieser nicht alltäglichen Musik vor allem bei eingehenderem Hören klare Reize (TT.: 41:26, Bewertung: 5 Sterne).

Die noch erhältliche ältere Tsunami-Version von Morituri klingt – für sich allein gehört – durchaus ordentlich. Im Vergleich reicht sie jedoch an die Klarheit und Transparenz der FSM-Edition nicht heran, die außerdem ein deutlich breiter gefächertes Stereo-Panorama bietet.

Als Zugabe gibt es noch eine knapp 16-minütige Suite aus David Shires Musik zur TV-Produktion Raid on Entebbe • … die keine Gnade kennen (1977). Shire erweist sich als geschickter Schreiber von sowohl überzeugender Suspense- und hier besonders gelungener Action-Musik als auch von melodisch geprägten Momenten. Das verwendete kleinere Orchester (etwa 40 Spieler) enthält – neben vier Klavieren – eine ungewöhnlich starke Gruppe Schlagwerk. (Bewertung: 4 Sterne)

Ace Eli and Rodger of the Skies

Ace Eli and Rodger of the Skies (1973) schildert die Erlebnisse von Eli, einem nicht uncharmanten Bauernfänger, der – als angebliches Flieger-Ass des 1. Weltkriegs – in den 20er Jahren zusammen mit seinem Sohn Rodger und einem betagten Doppeldecker durch den Mittelwesten der USA tingelt. Der – nach dem Booklet-Text wohl wenig faszinierende – Film ist in Deutschland nicht verliehen worden. Die Musik von Jerry Goldsmith zielt auf den damaligen Erfolgs-Score von Burt Bacharach Butch Cassidy and the Sundance Kid • Zwei Banditen (1969). Speziell der Titel-Song „Who’s for Complain“ ist stark an den berühmten Song „Raindrops Keep Fallin’ on My Head“ angelehnt. Insgesamt bietet Ace Eli and Rodger of the Skies nette Americana, die klar auf den poppigen Zeitgeschmack des jungen Publikums seiner Entstehungszeit zugeschnitten ist – etwas das auf den Einfluss der Produzenten zurückzuführen ist. Dezente Pop-Rhythmen, kombiniert mit leichter, song-liker Melodik und ein klein besetzter Klangkörper, in dem Holz (insbesondere Blockflöte), Klavier und Streicher dominieren, bestimmen diesen eher leichtgewichtigen, aber nicht lieblos gefertigten Score, der auch einige kleine Highlights enthält. Ein besonders schönes Beispiel hierzu ist „Final Flight“, wo im Einsatz von Solotrompete über Streichern nebst Windmaschine gar ein Hauch von The Blue Max (1966) oder Night Crossing • Mit dem Wind nach Westen (1982) spürbar ist. Der Komponist zeigt auch bei dieser – in Art und Ausdruck zu seinen Fernsehmusiken tendierenden – Ton-Schöpfung eigenwillig charakteristisches Profil. Verwandtes findet der Hörer in den Arbeiten zu Stagecoach • San Fernando (1966) und zu The Flim Flam Man • Der tolle Mr. Flim Flam (1967). Der Score wird in einer Mischung aus sauberen Mono- und Stereo-Tracks präsentiert. Im Anhang gibt es dazu noch 9 Bonus-Tracks: den Song „Who’s for Complain“ sowie eine Reihe von alternativen Takes (Mono und Stereo) mit zum Teil leichten und mittleren Defekten.

Dem Score zu Ace Eli and Rodger of the Skies vorangestellt sind außerdem die rund 12 Minuten Musik, die Goldsmith für Room 222, einer TV-Serie der End-Sechziger komponierte. Das charmante Hauptthema ist als Teil von Goldsmith’ „Medley from TV-Themes“ recht bekannt geworden. Sicher nichts großes, aber gerade die Mini-Cues von nur wenigen Sekunden Länge zeigen, was ein Könner alles mit einem prägnanten Thema machen und erreichen kann – etwas das in ähnlicher Form auch für die Musik Ace Eli and Rodger of the Skies gilt.

Insgesamt sicher nicht zu den Assen des Maestros zählend, gehen beide Musiken recht gut ins Ohr und sind trotz gewisser Konzession an den Kommerz partiell nicht ohne dezenten Pfiff. Für stärker an Goldsmith Interessierte in jedem Fall eine hübsche Ergänzung der Kollektion und dazu ein lohnendes kleines Studienobjekt.

Voyage to the Bottom of the Sea

Voyage to the Bottom of the Sea • Unternehmen Feuergürtel (1961) ist ein bescheidener Science-Fiction-Streifen aus der Küche des Produzenten Irwin Allen und inzwischen wohl allein noch aus nostalgischen Gründen ansehbar. Musikalisch betreuten das Projekt Paul Sawtell (1906-1971) und Bert Shefter (1904-1999). Das Komponisten-Duo arbeitete lange Jahre eng zusammen und betreute primär B-Filme für RKO und Republic Pictures sowie Fernsehserien: darunter Science-Fiction-Filme wie The Fly (1958) und Return of the Fly (1959).

Im Rahmen der Arbeitsteilung fungierte Sawtell in erster Linie als begabter Melodiker und steuerte romantisch eingängige Themen bei, während Shefter die Arrangements und Strukturierung der Musik besorgte. Sicher erreichen die kompositorischen Resultate dieses Duos nicht den Glanz der gemeinsamen Arbeiten von Newman und Herrmann – siehe auch The Egyptian; das bedeutet jedoch keineswegs ein nur blasses Ergebnis. Nein, die Komposition zu Voyage to the Bottom of the Sea zeigt solides Handwerk im Umgang mit dem thematischen Material und ebenso eine routiniert-saubere musikdramatische Gestaltung der Spannungsmomente. Gewissen Charme erhält die Komposition durch ihre reizvoll auskomponierten Seestimmungen, auch wenn diese eindeutig konventioneller als Vergleichbares in Herrmanns Beneath the 12-Miles Reef • Das Höllenriff klingen.

Alles in allem ist Voyage to the Bottom of the Sea im Rahmen der FSM-CD-Kollektion sicher keine „Entdeckung“, aber zweifellos ein nettes Kuriosum, das zusätzlich eine nicht reizlose Begegnung mit zwei weiteren Vergessenen des Golden Age bietet: Paul Sawtell und Bert Shefter.

Erschienen:
2001
Gesamtspielzeit:
42:02 Minuten
Sampler:
FSM
Kennung:
Vol. 4 No. 14

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