The Girl in the Red Velvet Swing — St. Valentine’s Day Massacre

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
19. Dezember 2009
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Wohl kaum einer der passionierten Filmmusiksammler hätte vor zwei oder gar drei Dekaden nur entfernt mit der Flut interessanter Veröffentlichungen gerechnet, welche der Filmmusikmarkt in den letzten zwei bis drei Jahren erlebt hat. Ja, selbst vor nur etwa fünf Jahren hätte man sich nicht träumen lassen, welche Menge klingender Überraschungen aus den Archiven der Hollywoodstudios derzeit in kurzer Folge erscheinen. Da sich mittlerweile auch Disney, Paramount und Universal nicht mehr verweigern, erscheint auch die Zukunft besonders rosig. Der Schatten dieser Medaille ist freilich die mit den Mini-Auflagen von meist nur ca. 1500 Exemplaren verbundene Kurzlebigkeit der jeweiligen Veröffentlichung. Im geschickt angeheizten Hype bleibt dem Interessierten nicht viel Zeit zum Entscheiden. Derzeit beträgt die Lebensdauer der meisten Alben beim Hersteller oftmals weniger als einen Tag.

Vom aus Salt Lake City stammenden Leigh Harline (1907–1969) war lange Zeit offiziell praktisch ausschließlich der von ihm stammende berühmte Song zu Walt Disneys Pinocchio „When You Wish Upon a Star“ zugänglich. Nachdem Disney bereits in den 90ern die komplette Pinocchio-Musik auf CD herausbrachte, hat sich seit Anbruch des neuen Jahrtausends einiges getan. Sowohl Intrada als auch FSM haben Pionierarbeit geleistet und weitere Kompositionen Harlines auf den Markt gebracht. Davon sind derzeit leider allein noch die beiden FSM-Alben Broken Lance und 7 Faces of Dr. Lao regulär erhältlich. Nun hat Intrada mit den beiden Special Collections Volume 99 und Volume 105 nachgelegt und die Harline-Diskografie erneut bereichert — beide Editionen waren allerdings innerhalb von nur 24 Stunden vergriffen.

Auf dem Programm stehen drei Filmvertonungen: The Girl in the Red Velvet Swing • Das Mädchen auf der roten Samtschaukel (1955), Good Morning, Miss Dove • Guten Morgen Miss Fink (1955) und Black Widow • Die Spinne (1954). Alle drei Filme sind mittlerweile besonders hierzulande kaum noch geläufig, sind selbst im TV seit Ewigkeiten nicht mehr gezeigt worden. Zwar handelt es sich hier nicht um Produktionen, die Filmgeschichte geschrieben haben, aber trotzdem sind sie nicht einfach nur belanglose Teile der Historie des Hollywoodkinos. Von der Produktionsseite her betrachtet handelt es sich bei allen dreien auch nicht um eher schlichte B- oder gar C-Movies, sondern um mit maßvollem Aufwand in Szene gesetzte Produktionen der A-Kategorie. Dafür stehen auch das in jenen Jahren noch nicht alltägliche und somit den von den Studios besonders favorisierten Filmproduktionen vorbehaltene Breitwandverfahren CinemaScope und die damit mehrheitlich verbundene, zusätzlich aufwändige und teure 4-Kanal-Magnet-Stereotontechnik.

The Girl in the Red Velvet Swing • Das Mädchen auf der roten Samtschaukel (1955) setzt, wenn auch sehr frei, das Leben der Amerikanerin Evelyn Nesbit, Model und Varieté-Tänzerin, in Szene. Dazu liefert die Verwicklung der Nesbit in den Mord an ihrem Ex-Geliebten, dem erfolgreichen Architekten Stanford White, den Aufhänger. White umgab sich in seinem mit unzähligen Spiegeln ausgestatteten New Yorker Appartement (im von ihm selbst entworfenen Madison Square Garden) gern mit blutjungen Gespielinnen und ließ diese dort in der besagten roten Samtschaukel posieren.

Der kräftige Schuss an Verruchtheit und latentem Skandal in der Lebensgeschichte der Nesbit sind die Ingredienzien eines Streifens, der heutzutage wohl nahezu ausschließlich noch filmhistorisch bemerkenswert ist. Aber immerhin verkörpert das späterhin so berüchtigte Biest aus der TV-Serie Der Denver-Clan, Joan Collins, die Hauptfigur. Musikalisch folgt Harline klar den von Alfred Newman geprägten Vertonungsvorbildern für das Unterhaltungskino des Golden Age. Seine betont romantische Melodramkomposition ist dabei durchsetzt mit Anklängen an die Musicals der Ära. Auch hier bleibt das Vorbild eindeutig spürbar: Man vergleiche nur mit Newmans Adaption von Irving Berlins There’s No Business Like Show Business (1954).

Good Morning, Miss Dove • Guten Morgen Miss Fink (1955): Im beschaulichen Liberty Hill lässt die in die Jahre gekommene Miss Dove (in der deutschen Fassung Miss Fink) auf dem Krankenbett ihr Leben Revue passieren. In Rückblenden wird unter anderem geschildert, wie sie Lehrerin wurde, um die Schulden zu bezahlen, die ihr Vater ihr hinterließ. Generationen von Schülern wurden durch ihre zwar strengen aber doch lebensnahen Grundsätze durchweg positiv geprägt und für das Leben gewappnet. Seinerzeit durchaus erfolgreich, ist auch dies ein zwischenzeitlich wohl eher angestaubt und außerdem unzeitgemäß sentimental wirkender Film. Leigh Harlines von unmittelbar eingängigen sangbaren Themen durchsetzte Musik ist unmittelbar sehr charmant. Im ausgeprägt schwelgerischen Klang, insbesondere der Streicher, zeigt sie wiederum Newman-Nähe, ohne dabei völlig auf eigene Stimme zu verzichten. Vergleichbar romantisch im Ausdruck ist z. B. Alfred Newmans A Man Called Peter (1955). Es kommt einem aber auch Franz Waxmans fast zeitgleich entstandene, in ihrem besonders ausgeprägten romantischen Gestus vergleichbare Musik zu Peyton Place (1956) in den Sinn. Erfreulicherweise hat auch eine nicht verwendete Songversion des Hauptthemas ebenfalls den Weg auf das Album gefunden. Deren Songtext verrät das wohl Entscheidende zum Film.

In Black Widow • Die Spinne (1954) geht es um einen Mord im Künstlermilieu, entstanden nach dem Roman „Fatal Woman“ von Richard Wilson Webb und Hugh Callingham Wheeler alias Patrick Quentin. Hört man auf die Musik, steht weniger Krimi denn Melodram auf dem Programm. Abseits einiger Film-Noir-Momente handelt es sich um eine recht süffige, sich romantisch gebende Komposition. Originellerweise besitzt „Der Tanz der sieben Schleier“ aus der Oper „Salome“ von Richard Strauss die Funktion eines Leitmotivs für einen der zentralen Charaktere. Das zuerst vom Klavier intonierte Strauss-Zitat wird späterhin auch vom vollen Orchester wiedergegeben, in einer besonders verführerisch und gerade im Streichersound so Fox-typisch klingenden Interpretation des bei dieser Einspielung den Taktstock führenden Alfred Newman.

Alle drei Harline-Scores der 50er liegen erfreulicherweise in beachtlichem Stereo vor. Dabei ist der 1955er Good Morning, Miss Dove klangtechnisch zwar durchaus ordentlich, aber innerhalb des Tripels der schwächste Kandidat — siehe hierzu auch die kürzlich vorgestellte „Intrada Special Collection Volume 101“. Hier ist nicht allein der für frühe Magnettoneinspielungen der Fox so typische Schleier besonders spürbar. Auch (vermutlich durch Restauration minimierte) Reste von altersbedingten Defekten des Ausgangsmaterials, wie die leichten Gleichlaufschwankungen in Track 9, sind hin und wieder hörbar. Eindeutig den besten Eindruck hinterlässt in diesem Punkt der „älteste“ des Harline-Trios: Die Musik zu Black Widow überzeugt tontechnisch besonders dank ihres weitgehend klaren und dazu recht dynamischen Klangs.

Neben den vorstehend vorgestellten Harline-Raritäten findet sich auf dem Album mit The Girl in the Red Velvet Swing noch eine zwar etwas kuriose, aber interessante Zugabe: Die Musik zum Roger-Corman-Drama um den Bandenkrieg in Chicago im Jahr 1929, St. Valentine’s Day Massacre • Chicago Massaker (1967). Neben von Lionel Newman solide arrangierten Source-Cues im Stile der „Golden Twenties“ sind die von Fred Steiner stammenden nur rund vier Minuten (3 Tracks) Originalmusik besonders hervorzuheben. Gerade im Main- und End-Title wirkt die betont rhythmische, von mehreren Klavieren und vielfältigem Schlagwerk dominierte Komposition nämlich geradezu wie das Vorbild für die recht modernistisch anmutende Untermalung zur Episode „Time Out“ aus Twilight Zone — The Movie (1983) von Jerry Goldsmith. Der Klang dieser jüngsten Fundsache aus dem Foxarchiv ist erwartungsgemäß besonders frisch.

Die mitgelieferten Begleithefte punkten insbesondere durch ihr sehr ansprechendes Bildmaterial. Julie Kirgos Texte sind, was Infos zu den Filmen angeht, durchaus passabel. Zu den Musiken vernachlässigen sie leider wieder einige nicht unbedeutende Details. So wird nicht eindeutig herausgestellt, ob die Scores generell vollständig sind. Trotz einer gewissen Unsicherheit im letztgenannten Punkt, passen die Spielzeiten der einzelnen Musiken gut ins Bild: The Girl in the Red Velvet Swing hat rund 42 Minuten, Good Morning, Miss Dove läuft etwa 32 Minuten, bei Black Widow und St. Valentine’s Day Massacre sind es sogar nur rund 22. Diese Daten belegen ein weiteres Mal die bei vielen Filmen (nicht nur) der Fifties anzutreffende Ökonomie, ja Sparsamkeit im Umgang mit Filmmusik.

Fazit: Bereicherungen der Diskografie eines lange Zeit völlig vernachlässigten Komponisten sind immer willkommen. Diese Feststellung gilt im vorliegenden Fall in ganz besonderem Maße für die reizende Klangschöpfung Leigh Harlines zu Good Morning, Miss Dove. Black Widow ist aber keinesfalls zu verachten, bleibt deutlich oberhalb der Kategorie Pausenfüller in Erinnerung. Ebenfalls bemerkenswert ist eine durch Intradas eher Film- denn Komponisten-bezogene Kopplungen resultierende Zugabe: die so markant auf eine Goldsmith-Musik der 80er Jahre vorausweisende, wenn auch nur rund vier Minuten umfassende, Originalmusik Fred Steiners zu St. Valentine’s Day Massacre (1967).

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.

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Erschienen:
2009
Gesamtspielzeit:
57:16 Minuten
Sampler:
Intrada
Kennung:
Special Collection Volume 99

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