The Film Music of Erich Wolfgang Korngold

The Film Music of Erich Wolfgang Korngold
Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Dezember 2005
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

The Film Music of Erich Wolfgang Korngold

Mit The Sea Wolf • Der Seewolf (1941) schuf E. W. Korngold die düsterste, zugleich harmonisch kühnste und wohl auch die modernste Filmpartitur seiner Karriere. Manchem Leser dürfte der gleichnamige aus dem Jahr 1971 stammende ZDF-Adventsvierteiler mit Raimund Harmstorf in der Titelrolle allerdings geläufiger sein als die 1941 von Michael Curtiz für Warner inszenierte Version des Jack-London-Stoffes — mit einem brillanten Edward G. Robinson als Kapitän Wolf Larsen. Im Gegensatz zu den „üblichen“ Korngold-Vertonungen geht es dieses Mal selbst in der Liebesszene eher kühl zu. Das im Umfeld der Brutalität des Psychopaten Larsen und seiner verruchten Mannschaft auf der „Ghost“ blühende melodische Blümlein klingt sehr elegisch. Das Liebesthema ist zweiteilig: Der A-Teil ist betont schlicht gehalten, wird zuerst allein von einer Mundharmonika intoniert und erst anschließend sehr dezent von Streichern unterstützt. Die Musik zur Liebesszene bildet nur kurzzeitig einen liedhaften Kontrast zum modern-dissonanten klanglichen Umfeld in einer hochdramatischen, äußerst expressiven und komplexen Filmmusik. Der B-Teil des Love-Themes ist schwelgerischer und tritt im Score verschiedentlich (kurz) in Erscheinung. Wobei es diesem aber trotz mehrerer Anläufe nicht gelingt, sich, wie in anderen Filmmusiken des aus Wien stammenden Komponisten üblich, frei zu entfalten und damit aufzublühen. Erst im Finale, wenn die „Ghost“ hörbar (tonmalerisch eindrucksvoll) in den Fluten versinkt, ist diesem Teil der Liebesmusik ein zwar knappes, aber optimistisches Schlusswort gestattet.

Ansonsten zeigt Korngold wie sehr er sich auch darauf versteht, mit fast ausschließlich atmosphärischen komplexen Klängen den Hörer durch farbige und effektvolle Gestaltung zu fesseln — vergleichbare Passagen finden sich in der wohl größten Opernschöpfung des Komponisten, in „Das Wunder der Heliane“. Er verwendet dazu ein großbesetztes Orchester mit massiver Bläsersektion und großem Schlagwerk, in dem Klavier, Harfe, Celesta und Vibraphon für zusätzliche markante Akzente sorgen. Hinzu tritt noch das elektrische Novachord, ein Vorfahre der Synthesizer. Dieses Instrument erzeugt Klänge, die zum einen einer großen Orgel ähneln, zum anderen aber auch zur Illustration des Unheimlichen und des Wahnsinns geeignet sind. Entsprechend ist das Novachord auch in den Monsterfilmmusiken Hans Salters und Frank Skinners für Universals Horrorfilm-Serie der 30er und 40er Jahre häufiger zu Gast. In The Seawolf kommt es sparsam und besonders subtil zum Einsatz.

Das Rückgrat der Seewolf-Musik bildet das erstmalig im Main-Title schneidend erklingende Motiv für Larsen und die Ghost, eine absteigende, aus 6 Noten (3-Notenpaaren) bestehende Tonfolge, die im Score fast durchweg, natürlich auch in variierter und/oder verknappter Form, allgegenwärtig ist. Überhaupt scheint besagtes Motiv geradezu eine Keimzelle für den Score zu sein. Bereits die eröffnende, nicht heroische, eher brutale Fanfare zeigt es als aufsteigende Spiegelung. Im Rahmen einer packenden, die Abgründe der menschlichen Seele psychologisierend in Töne fassenden spröden Musik, bewegt sich die Komposition zwischen breitorchestralem Furioso und sparsam und zart ausgeführten, mitunter statisch und tranceartigen Klängen. So im musikalisch (trotzdem) keineswegs langatmigen „The Fog“. Es ist faszinierend, wie erstklassig es Korngold gelingt, dem Hörer das Bildhafte und zugleich das Emotionale einer Fahrt durch dichten Nebel zu vermitteln, indem er in seiner Musik das Gefühl einer völligen Orientierungs- und einer Art von Schwerelosigkeit gekonnt zum Ausdruck bringt.

Ganz klar: The Seawolf ist in erster Linie etwas für den Korngold-Kenner und fortgeschrittenen Filmmusik-Hörer, für den Einsteiger hingegen ist diese Tonschöpfung eher weniger geeignet. Wer allerdings bereit ist, die Arbeit des Einhörens zu investieren, für den dürften sich diese zwar wenig melodischen, aber trotzdem ungemein packenden schroffen und dicht gearbeiteten Klangwelten bald erschließen und (auf ihre Art) auch beginnen mitreißend zu leuchten.

Mit nur rund 55 Minuten zählt The Seawolf zu den kürzesten Vertonungen, welche der Komponist für einen Film geschrieben hat. Es orchestrierten Hugo Friedhofer, Ray Heindorf und Milan Roder. Einige Seiten der Partitur sind sogar von Korngold noch während der Aufnahmesitzungen selbständig ausgeführt und hinzugefügt worden.

Charles Gerhardt war auch in diesem Fall der Pionier, hat bereits 1973 im Rahmen seines zweiten Korngold-LP-Albums „Elizabeth and Essex“ (der RCA-Reihe „Classic Film Scores“) eine knapp 8-minütige, geschickt kompilierte und brillant interpretierte Suite vorgelegt. Und bereits 2000 erschien zusammen mit Auszügen aus Juarez und Elizabeth and Essex erstmalig ein längerer 27-minütiger Auszug aus The Sea Wolf, gespielt vom New Zealand Symphony Orchestra unter James Sedares — siehe „Korngold Tribute“. Die damals (wenn auch sehr dezent) gegen die Einspielung vorgebrachten Bedenken, fallen jetzt, wo man mit der Gesamteinspielung vergleichen kann, denn doch spürbar deutlicher aus. Sedares Dirigat und das Spiel des neuseeländischen Orchesters sind zwar nach wie vor nicht einfach schlecht, dem BBC Philharmonic unter Gamba sind sie allerdings klar unterlegen. Im Vergleich mit Rumon Gamba und dem prächtig aufspielenden BBC Philharmonic Orchestra erscheint die Sedares-Einspielung nicht allein als etwas matter, als besonders schmerzlich erweisen sich die Kürzungen in der Musik.

Zur kompletten Musik zu The Seawolf gibt’s noch eine hübsche Zugabe: Die knapp 5-minütige Musik für den langen Erstaufführungstrailer. Dieser beginnt in einer Buchhandlung, wobei offenbar zuerst Mark Twains „The Prince and The Pauper“ ins Bild kommt, was Korngold die Möglichkeit eines charmanten Selbstzitats ermöglicht.

Aber das ist noch nicht alles: Das aktuelle Album der Reihe „Chandos-Movies“ bietet darüber hinaus noch die knapp 17-minütige Konzertsuite aus der Filmmusik zu Robin Hood (1938), die vom Komponisten erstmalig im Rahmen eines Werbeauftritts im Rundfunk zusammen mit Basil Rathbone als Erzähler aufgeführt worden ist. Rumon Gamba und die Mitglieder des BBC Philharmonic geben auch bei dieser so völlig anders gearteten, typischen (!) Korngold-Musik zum romantisch-üppigen Swashbuckler mit Errol Flynn ihr Bestes in Form einer dynamisch-leuchtkräftigen und schwelgerischen Interpretation. Diese bringt die Albumspielzeit auf üppig bemessene rund 77 Minuten. Hier mag der eine oder andere Leser etwas achselzuckend auf die Kompletteinspielung Morgan/Strombergs auf Marco Polo/Naxos verweisen — ein Gedanke, der auch dem Rezensenten kam. Bei eingehender Betrachtung erweist sich die Konzertsuite jedoch sowohl als großzügige als auch als durchdachte Zugabe. Die breit melodische Suite taugt als geschickt kompilierte Kurzfassung der Filmmusik für zwischendurch und ebenso als Appetitmacher für die genannte Gesamteinspielung. Dank ihrer Eingängigkeit erleichtert dieses „letzte musikalische Wort zu Korngolds Robin Hood“ somit auch dem Einsteiger das Zugreifen zu diesem die Korngold-Kollektion überaus bereichernden CD-Album. (Auf dem schnelllebigen CD-Markt ist besagte Robin-Hood-Konzertsuite derzeit übrigens fast ohne Konkurrenz. Die Einspielung unter Malcolm Nabarro mit dem East of England Orchestra — ASV WHL 2069 — dürfte die zurzeit am einfachsten zugängliche Alternative sein.)

Im gewohnt etwas schlicht gehaltenen Begleitheft findet sich ein informativer, wenn auch in Teilen etwas lobhudlerischer Artikel vom Korngold-Biografen Brendan G. Carroll. Dessen deutsche Übersetzung ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber passagenweise etwas holprig geraten. Wie auch immer: Das vermag dem hohen Rang dieser Veröffentlichung nichts Entscheidendes anzuhaben.

In Anbetracht der im Laufe des nächsten Jahres auf Naxos erscheinenden Gesamteinspielung von The Sea Hawk kann das überschaubare filmmusikalische Œuvre Korngolds als nahezu umfassend erschlossen gelten. Zumindest in repräsentativen Auszügen sind zwischenzeitlich fast sämtliche seiner rund 20 Filmpartituren auf Tonträger erschienen. (Die obige Aussage wird allerdings dadurch etwas relativiert, dass einige dieser Alben vom recht schnelllebigen Markt zwischenzeitlich wieder verschwunden sind.)

So gibt es, abgesehen von einigen wünschenswerten Wiederveröffentlichungen, kaum Anlass zum Klagen. Einige Wünsche zur Optimierung bestehender Einspielungen, analog der jetzt vorzüglich vorliegenden Seewolf-Musik, sind allerdings noch offen. In der Hörpraxis erweisen sich nämlich fast sämtliche Kompositionen des Wiener Meisters in Gänze einer (noch so guten) Suitenfassung als überlegen.

In Folge ist auch der Wunsch nach einer Komplettfassung von Juarez nur logisch, zumal ich zwischenzeitlich Gelegenheit hatte, den Film zu sehen — um festzustellen, dass bei Sedares einiges an herrlicher Musik fehlt. Last but not least wären außerdem noch The Prince and the Pauper (1937) und Kings Row (1941) meine Kandidaten für eine komplette Neueinspielung. Und das, obwohl die Suitenkompilationen von Morgan/Stromberg bzw. Gerhardt vorzüglich geraten sind (s. o.). So bleibt nun also abzuwarten, ob und wenn ja, womit uns das britische Chandos-Label vielleicht in Zukunft (auch) von Korngold noch zu überraschen vermag.

Hier gibt es eine Übersicht der bisher besprochenen Chandos-Movies-CDs.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2005.

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Erschienen:
2005
Gesamtspielzeit:
76:22 Minuten
Sampler:
CHANDOS MOVIES
Kennung:
CHAN 10336
Zusatzinformationen:
BBC Philharmonic Orchestra, Ltg.: Rumon Gamba

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