Klassik-CD-Tipp, III-24: Scheherazade, Eine Nacht auf dem kahlen Berge

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
13. April 2024
Abgelegt unter:
CD, Hören, Klassik, Sampler

Sinnliche und rauschhafte Klänge aus Italien

Antonio Pappano ist Musikdirektor des international renommierten Orchesters der Heiligen Caecilia aus Rom, welches eine sehr lange Tradition und zugleich wechselvolle Geschichte besitzt. Wie hervorragend sich diese von Papst Sixtus V. im Jahre 1585 in Form einer Kongregation gegründete Klangformation bis heute entwickelt hat, dafür liefert die vorliegende CD besonders eindrucks- und prachtvoll klingende Belege. Es ist in jedem Falle ein hervorragender Klangkörper, der den Rang eines Spitzenorchester beanspruchen kann.

Zu Nikolai Rimski-Korsakows so ungemein klangsinnlicher wie auch klangmächtiger Vertonung des persischen „Scheherazade-Märchens“ muss an dieser Stelle wohl nicht viel erklärt werden. Dieses ist ja eines der eindrucksvollsten Paradestücke bildhafter Programmmusik. Es ist dabei ja auch geradezu ein Synonym für die filmische Vertonung von nicht nur der Märchenwelten aus 1001er Nacht, sondern auch weiterer Orientabenteuer Hollywoods geworden, vgl. z.B. der Der Dieb von Bagdad (1940, Regie: Zoltan Korda, Musik: Miklós Rózsa). Wer dazu aber doch noch ein paar mehr Worte möchte, der möge in Kleine Klassikwanderung 4: Living Stereo hineinlesen.

Von Rimsky-Korsakows Scheherazade gibt es unzählige Einspielungen, die man längst nicht alle kennen kann. Darunter findet sich wohl auch kaum eine richtig misslungene. Hierbei greift in erster Linie der individuelle Geschmack, so dass praktisch jede greifbare Interpretation ihre eigenen Qualitäten besitzt. In Antonio Pappanos Darstellung wird neben der glanzvollen Darbietung auch dank der besonders brillant eingesetzten Aufnahmetechnik das Stück zur geradezu faszinierend durchhörbaren Instrumentationslehre. Der ungemeine Farbenreichtum dieser schillernd-kraftvollen Musik reicht von der hier bereits ganz besonders ungemein machtvoll erklingenden Eröffnung des schweren Blechs, mit dem gebieterisch vorgetragenen Bass-Motivs des Sultans, bis zum Zerschellen des Schiffs am Magnetberg. Im darauf folgenden lyrisch-besinnlichen Ausklang beschließt des Sultans Motiv das überaus farbige Stück wiederum nun in nun vollkommen besänftigter Stimmung. Pappano arbeitet mit seinem Orchester eben auch die diversen kammermusikalischen Teile der Partitur ebenso angemessen subtil, mitunter geradezu betörend sinnlich klingend heraus.

Zwar hätte ich mir für das Zerschellen des Schiffs am Magnetberg schon noch den von Leopold Stokowski hinzugefügten Tam-Tam-Schlag gewünscht, der dem Geschehen einfach das entscheidende Quäntchen an bildhafter Plastizität verleiht. Aber auch das ist wiederum nur ein Punkt, bei dem der individuelle Geschmack entscheidet und den ich deswegen keinesfalls überbetonen möchte. Ansonsten fehlt es Pappanos Interpretation weder am nötigen packenden Zugriff noch am ebenso entscheidenden präzisen Orchesterspiel. Und für den mitentscheidenden Rest, den TOP- Sound dieses Albums, sorgt die absolut vorzügliche Akustik des Aufnahmeortes, des Auditoriums Parco della Musica des Architekten Renzo Piano.

Mindestens ebenso spannend sind die beiden nur auf den ersten Blick als „Zugabe“ vertretenen Versionen von Mussorgskys „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“: das einmal in der Original-Version von 1867 und im Anschluss zum Vergleich in einer weniger geläufigen Fassung mit Chor präsentiert wird, die aus der skizzenhaft gebliebenen Oper „Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ von 1880 stammt. Selten hat man den Tanz der Hexen in der Johannisnacht auf dem Lyssaja gora („kahlen Berg“), einem Ort der slawischen Mythologie, derart mitreißend rau und geprägt von atemberaubender Wildheit zu hören bekommen wie in Pappanos noch fast pressfrischen Interpretationen. Dabei ist die spätere, ebenso reizvolle Version mit Vokalensemble bislang noch nicht häufig im Katalog vertreten und daher ganz besonders willkommen. Die Gegenüberstellung gibt zudem eindrucksvoll Aufschluss darüber, wie Rimski-Korsakow seine die Konzertprogramme immer noch dominierende, zweifellos ebenfalls vorzügliche, aber eben auch stark von Mussorgskys Original abweichende Version konzipiert hat. Wäre die besagte Rimski-Korsakow-Version hier noch in entsprechend vorzüglicher Einspielung und Aufnahmetechnik hinzugefügt worden, wäre das schon wirklich das absolute Tüpfelchen auf dem i gewesen. Aber auch so gilt, dass man sich dieses in jeder Hinsicht prächtige Album keinesfalls entgehen lassen sollte. Das Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia klingt hier geradezu fantastisch transparent und machtvoll zugleich und ebenso brillant schlägt sich der Chor.

© aller Logos und Abbildungen bei Warner Music. (All pictures, trademarks and logos are protected by Warner Music.

Originaltitel:
Scheherazade, A Night On Bald Mountain

Erschienen:
03/2024
Land:
Deutschland
Gesamtspielzeit:
69:30 Minuten
Sampler:
Warner Music
Kennung:
5419793369

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