Im Jahre 6 n. Chr. wurde es selbst den Römern zu viel: Sie setzten den Herodessohn Archelaos als König des jüdischen Teilreiches Judäa und Samaria wegen Unfähigkeit ab, verbannten ihn nach Gallien und nahmen die Verwaltung in eigene Hände. Sie unterstellten das Land der von einem übergeordneten Legaten verwalteten Provinz Syrien und setzten fortan als Verwalter einen Präfekten aus dem Ritterstand ein. Der fünfte dieser Präfekten war der, der dank des Neuen Testaments als Pontius Pilatus geläufig ist. Anno Domini 1961 entstand als italienisch-französische Koproduktion ein Film (Regie: Irving Rapper und Gian Paolo Callegari), der den Namen dieses Mannes trägt: Ponzio Pilato wurde hierzulande zuerst unter dem reißerischen Titel Der Statthalter des Grauens, also ohne Namensnennung der Titelfigur angekündigt, ging dann aber, im September 1963, doch als Pontius Pilatus — Der Statthalter des Grauens an den Start.
Freilich schippert dieser Streifen, der zur Gattung der meist zu Recht belächelten italienischen Sandalenepen zählt, im Kielwasser des großen Erfolges des 1959er Ben Hur. Und wie dieser hat er eine gewisse Portion Bibelkitsch im Gepäck. Doch an dieser Stelle ist man mit dem eher Negativen, das die allermeisten derartiger aus Italien stammender Historienstreifen umgibt, bereits praktisch am Ende angelangt. Zwar ist Pontius Pilatus kein ganz großer Film (was m. E. auch für den ungleich berühmteren Ben Hur gilt), er ist aber nicht nur durchaus ansehbar, sondern bereits dank seiner sorgfältigen Ausstattung ansehnlich und sorgt außerdem durch sein deutlich oberhalb des Durchschnitts der Massen-Billig-Produktionen angesiedeltes Drehbuch für gute Unterhaltung. Zusammen mit Barabbas (1962) zählt Pontius Pilatus zum Besten, womit das italienische Sandalenkino glänzen kann.
Allzu vieles weiß man nicht über besagten Pontius Pilatus. Nicht einmal sein korrekter, vollständiger Name ist überliefert. Die Römer hatten nämlich ein dreigliedriges Namensystem, bestehend aus Vorname, Familienname und Beiname. In diesem Fall ist Pontius der Familienname und Pilatus nur der Beiname. Der Vorname bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen, ist also unbekannt.
Zum wenigen zuverlässig Überlieferten (die eher als propagandistisch einzustufenden biblischen Texte zählen dazu nur sehr bedingt) gehört der Zeitraum seiner Tätigkeit als Präfekt der Provinz Judäa und Samaria. Pilatus wurde im Jahre 26 eingesetzt und ist im Jahre 36 wegen unangemessener Gewaltanwendung vom Legaten von Syrien (s. o.) abberufen worden, um sich in Rom vor dem Kaiser Tiberius zu verantworten. Er konnte sich demnach immerhin 10 Jahre lang als oberster römischer Verwalter in Judäa, einer der unruhigsten Provinzen des römischen Imperiums, behaupten, was eine beachtliche Leistung ist — siehe dazu auch Masada. Als Pilatus in Rom eintraf, war Tiberius bereits gestorben. Ob es überhaupt (wie im Film zu Beginn gezeigt) zu einem Verfahren vor dem Nachfolger, Kaiser Caligula, kam und was weiterhin mit ihm geschah, liegt ebenso im Dunkel der Geschichte wie sein Vorname. Was dazu allein überliefert ist, sind Legenden, die man besonders im Mittelalter bereits vermarktet hat, deren Wahrheitsgehalt heutzutage freilich kaum noch überprüft zu werden vermag. So soll Pilatus im Jahr 39 von Caligula zum Selbstmord gezwungen worden sein. Auch heißt es, er sei ins südfranzösische Vienne, im damaligen Gallien, verbannt worden, um dort Selbstmord zu begehen. Ebenso wird berichtet, er habe im schweizerischen Pilatussee seine letzte Ruhestätte gefunden
Das Drehbuch charakterisiert die Titelfigur als tüchtigen und ehrgeizigen Verwalter und ist anhand einiger markanter Vorfälle, die der Ära des Präfekten Pontius Pilatus zuzuordnen sind, bemüht, einen Eindruck von Biografie zu vermitteln. Dazu gehören die im Film recht spannend thematisierte Standartenaffäre (Pilatus reizte die Juden, indem er Standarten mit dem Bildnis des Kaisers in Jerusalem aufstellen ließ) und der im Film besonders eindrucksvoll inszenierte Bau eines Aquädukts (römische Wasserleitung), finanziert mit Hilfe eines Teils der widerrechtlich konfiszierten Tempelsteuer. Hinzu kommen Elemente, die dem Neuen Testament (dem Jesus-Prozess) und den Pilatus-Legenden entnommen sind, z. B. die vom Christentum beeinflusste Frau des Pilatus, die versucht Jesus zu retten. Zwar bleiben im zwangsläufig vereinfachten Gesamtkonstrukt einige historische Fakten unberücksichtigt. Und ebenso sind nicht zweifelsfrei gesicherte, dafür umso berühmtere Zitate, wie die vom Evangelisten Johannes überlieferte Frage des Pilatus an Jesus, „Was ist Wahrheit“, (sogar recht geschickt) eingewoben worden. Die Filmstory ist demnach (wie immer in diesen Fällen!) natürlich keine Geschichtsdoku. Aber sie ist bemerkenswert fantasievoll konstruiert und verarbeitet die aus unterschiedlichsten Quellen zusammen getragenen Details überzeugend in Form einer in sich weitgehend schlüssigen Handlung. Zwar trüben hier und da ein paar Banalitäten, wie die bereits eingangs erwähnten, allerdings erträglichen, da recht dezenten Bibelkitscheinlagen, das insgesamt sehr respektable Bild ein wenig, allerdings halten sich derartige Ausrutscher im Rahmen.
Was dabei den einen oder anderen kleineren Lapsus weitgehend wieder ausbügeln hilft, ist neben einigen Schauwerten besonders die interessante Charakterzeichnung zweier zentraler Figuren: des „Verräters“ Judas (John Drew Barrymore) sowie des jüdischen Hohepriesters Kaiphas (Basil Rathbone). Hier werden Sie nicht bloß als die üblichen biblischen Erzschurken inszeniert, sondern die Motivation für ihr Verhalten erscheint rational und wird damit nachvollziehbar. Der als etwas wirrer Phantast in Szene gesetzte Judas, träumt vom geeinten jüdischen Reich Davids. Als ihm bewusst wird, dass dies nicht mit dem von seinem Meister gepredigten himmlischen Reich gemeint ist, fühlt er sich getäuscht und wird schließlich, eher ungewollt, zum Verräter. Kaiphas ist ehrlich bemüht Jesus vor einer Verurteilung zu bewahren. Er sieht sich aber schließlich gezwungen den schweigenden Messias an Pilatus zu übergeben. Kaiphas wie auch Pilatus sind hier keine Messiasmörder, sondern vielmehr die unbewussten Erfüllungsgehilfen eines gottgewollten Planes. Auch die berühmt-berüchtigte Entscheidung „Jesus oder Barabbas?“ erscheint hier sehr rational. Sie ist letztlich von denjenigen entscheidend motiviert, die Jesus zuvor aus dem Tempel vertrieben hatte, den um ihre Geschäfte fürchtenden Händlern.
Zu den visuell besonders eindrucksvollen Momenten des Films zählen der festliche Einzug des Pilatus in Caesarea sowie der bereits erwähnte Bau des Aquädukts, und neben einer strategisch zwar etwas unsinnig, aber im Aufwand recht beachtlichen kurzen Schlachtsequenz gegen Barabbas und seine Banditen, ist da auch noch eine Bestrafungsaktion im Stile einer so genannten „Naumachie“. Dabei müssen sich die Delinquenten an Bord von Galeeren — hier origineller- ja stimmigerweise „provinziell“, da nämlich auf sehr kleinen Schiffen agierend — eine tödliche (Mini-)Seeschlacht liefern, was wiederum Ben Hur in Erinnerung ruft. Ebenfalls überzeugen die während der totalen Sonnenfinsternis im Februar 1961 — übrigens parallel zu Barabbas — entstandenen Originalaufnahmen, welche bereits dem Rollenvorspann effektvoll dramatischen Ausdruck verleihen. Nicht zu vergessen sind aber auch die durchweg sehr sorgfältig und detailfreudig ausgestatteten In- und Exterieurs und ebenso die Kostüme. Diese erscheinen durchweg keineswegs billig und sind z. B. denen von The Greatest Story Ever Told (1965) insgesamt um einiges überlegen.
Zum guten Gesamteindruck des Films trägt ebenso das überwiegend solide Darstellerensemble bei, aus dem ganz besonders Jean Marais (Pontius Pilatus) und der eher in Schurkenrollen geläufige, hier allerdings durchaus sympathisch wirkende, Basil Rathbone (Kaiphas), herausragen.
Der in den Cinecittà-Studios entstandene Pilatus-Film gewährt übrigens auch noch einen drolligen Blick in den Kulissenfundus: im in einer frühen Szene zu sehenden, aus Ben Hur stammenden Innenhof mit Treppe des Hauses Hur. Im Zusammenhang mit den Auftritten von Jesus sowie seines Jüngers Judas finden sich übrigens auch zwei, infolge ihres italienischen Originaltons leicht identifizierbare, kurze Szeneneinschübe, die zuvor offenbar in der deutschen Fassung geschnitten waren.
Pontius Pilatus — Der Statthalter des Grauens auf DVD:
Bislang gab es den Film nur hin und wieder im Fernsehen zu sehen. Dann allerdings entweder im korrekten Scope-Format, jedoch praktisch nur noch rotstichig oder aber in zumindest einigermaßen korrekten Farben, aber dafür mit an den Seiten kräftig beschnittenem Bild. Dies lässt die nun zugängliche Koch-Media-Präsentation erfreulicherweise alles vergessen: Die Ferrania-Color-Farben — ein Ableger von Agfacolor — wirken sehr frisch und auch in sich stimmig. Wo geboten, fehlt es ihnen nicht an Leuchtkraft, wobei es ebenso feine Kompositionen aus Pastelltönen zu schauen gibt. Bemerkenswert ist darüber hinaus der fast durchweg tadellose Zustand des diesem Transfer zugrunde liegenden Filmmaterials, was überraschenderweise auch für die beiden Trailer in der Boni-Sektion gilt. Abgesehen von punktuell geringfügigen Schwächen ist der Gesamteindruck vorzüglich, wirkt das Filmmaterial wie frisch aus dem Kopierwerk. Die ebenfalls fast durchweg sehr guten Werte für Kontraste, Schärfe, Details und der ebenso prima Schwarzwert sorgen für einen Gesamteindruck der, für sich genommen, darüber hinaus noch machbare Verbesserungen beim Medium DVD nur noch in ganz geringem Umfang erwarten lässt. Soweit es sich hierbei um einen HD-Master handelt, müsste auch eine hochwertige Blu-ray-Präsentation machbar sein. Das DVD-Bild verfehlt nur knapp die Höchstwertung und erhält fette vier Sterne (siehe Fußnote).
Den Ton zum Film (wahlweise in Deutsch oder Italienisch) gibts in durchweg sauberem, klaren Mono. In der Boni-Sektion findet sich außer den bereits erwähnten Trailern noch eine ansprechende Bildergalerie.
Die Filmmusik zu Ponzio Pilato auf CD:
Das italienische Label Digitmovies hat im Dezember 2008 im Rahmen seiner dem mitunter berüchtigten italienischen Sandalenkino gewidmeten „Peplum-Reihe“ die im C.A.M.-Archiv noch erhaltenen Musikteile zu Ponzio Pilato auf CD herausgebracht (Best.- Nr. CDDM123). Das bedeutet bei diesem beachtlichen Score von Angelo Francesco Lavagnino — Infos zum Komponisten in Limpero del sole — zwar leider nur noch rund 13 Minuten Material. Erfreulicherweise ist darin jedoch zumindest das Wichtigste dieser Filmmusik in ebenfalls recht frischem Mono-Sound vertreten: Der kraftvolle, archaisierende Marsch für den Einzug des Pilatus in Caesarea und ebenso die mit Jesus Christus assoziierten Passagen: in Form des hymnischen, auch mit Chor erklingenden „Osanna Pasquale“ sowie des geheimnisvollen Messias-Themas für Streicher und Harfe in „Il Suo Nome È Gesú Di Nazareth“ und „Il Messia“. Die Musik zur (kurzen) Schlacht gegen die Horde des Barabbas findet sich in „Dopo Il Massacro“.
Dagegen treten die rund 35 Minuten aus dem gegenüber Pilatus als Film entscheidend schwächeren 1959er Nel segno di Roma • Im Zeichen Roms zwar zwischendurch schon unüberhörbar auf der Stelle. In auf etwa 20 bis 25 Minuten programmierter Fassung kann sich aber auch dieser Sandalen-Lavagnino hören lassen. Im Vergleich besitzt die aus dem ebenfalls belanglosen 1964er Il colosso di Roma • Spartacus — Der Held mit der eisernen Faust allein noch gerettete viereinhalb-Minuten-Suite in erster Linie den Charakter einer netten Zugabe als Zeichen des guten Willens.
Fazit: Mit dem hierzulande unter dem wenig glücklichen, eher verzerrenden Titel gezeigten Pontius Pilatus — Der Statthalter des Grauens (1961), präsentiert Koch Media für Freunde des Sandalen-Epos eine der wenigen guten italienischen Genre-Produktionen in einer besonders fein geratenen DVD-Präsentation. Das im korrekten Scope-Format präsentierte, knackig und sehr detailfreudig wirkende Bild in zudem tadellosen Farben, dürfte die Käufer mehr als nur zufrieden stellen.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.