Morricone conducts Morricone
Einigen Lesern dürfte das Konzert in der Philharmonie im Gasteig in München am 20. Oktober 2004 noch in lebhafter Erinnerung sein. An jenem Abend gab Ennio Morricone zusammen mit dem Münchner Rundfunkorchester, diversen Solisten und dem Chor des Bayerischen Rundfunks ein hierzulande immer noch eher selten anzutreffendes Filmharmonisches Konzert.
Der jetzt auf DVD vorliegende Mitschnitt ermöglicht nicht ausschließlich die Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis aufzufrischen — Ennio Morricone dirigiert erstmalig in Deutschland. Ebenso können alle diejenigen Freunde der Musik des italienischen Maestros, welche keine Möglichkeit hatten daran teilzuhaben, mit Hilfe der bild- und tontechnisch vorzüglichen Aufzeichnung einen guten Eindruck vom Konzertereignis gewinnen.
Besonders der Ton besticht durch Klarheit und Transparenz und lässt da, wo geboten, ebenso wenig die nötige Dynamik vermissen. Neben dem linearen PCM-Stereo in DAT-Qualität (48 kHz, 16 Bit) überzeugen auch die beiden Mehrkanaltonformate Dolby-Digital und dts. Diese vermitteln ein die Saalakustik sehr natürlich erscheinen lassendes, differenziert wirkendes Klangerlebnis, bei dem auch die hörbare Begeisterung des Publikums besonders plastisch herüberkommt. Das zugehörige Bild zeigt vorzüglichen Kontrast, exzellent ruhig stehende satte Farben und ist ebenso detailfreudig. Allein bei der Schärfe gibt’s geringfügige Einwände, ein Quäntchen mehr hätte hier nicht geschadet.
Das zehnseitige Begleitheft ist sehr hilfreich, im Gebotenen den Überblick zu behalten. Sämtliche filmmusikalischen Auszüge sind darin übersichtlich gelistet. Es finden sich nicht allein die Filmtitel in drei Sprachen, auch Regisseur und Erscheinungsjahr sind verzeichnet. Ebenso ist das Ordnungsprinzip der auf dem Programm des Abends stehenden Filmmusiken in Form „thematischer Klammern“ auf den ersten Blick erkennbar: „Leben und Legende“, „Lose Blätter“, „Sergio Leone: Moderne Filmmythen“, „Engagierter Film“ und „Tragisch, lyrisch, episch “. Natürlich sind sämtliche Stücke nummeriert und entsprechend einzeln anwähl- oder in beliebiger Folge programmierbar. Letzteres funktioniert übrigens durchaus gut: da die Timecode-Markierungsspunkte für die zu Suiten zusammengefassten einzelnen filmmusikalischen Auszüge optimal gewählt sind. Der Artikel „Der Picasso der Filmmusik“ von Matthias Keller, einem der Organisatoren des Konzerts, liefert dazu noch ein Mini-Porträt des berühmten Komponisten.
Gegenüber dem originalen Ablauf des Konzertabends weist das Szenario von DVD ein paar Veränderungen auf. So fehlen die Stücke Richard III (komponiert zum Stummfilm 1912), die Reprise aus Die Tartarenwüste und ebenso einige Zugaben: neben 1:1-Wiederholungen aus dem Programm des Abends die Hauptthemen aus Queimada sowie Sacco und Vanzetti — möglicherweise finden sich darin Spielfehler, die der Perfektionist Morricone im Rahmen einer offiziellen Veröffentlichung schlichtweg nicht verewigt sehen wollte. Das ebenfalls als Zugabe gespielte Hauptthema aus Cinema Paradiso ist wiederum enthalten und im ersten Themenblock, „Leben und Legende“ recht stimmig untergebracht. Weniger glücklich platziert ist dafür allerdings das herrliche rund 15-minütige quasi-Violinkonzert aus Canone Inverso, nämlich bei „Sergio Leone: Moderne Filmmythen“. Wie auch von DVD erkennbar, war Canone Inverso das erste Stück nach der Pause. Bei diesem nicht nur von der Länge her beachtlichen Beitrag handelt es sich um einen eigenständigen Programmpunkt, der aus der Suiten-Konzeption der übrigen Teile des Konzertabends zwangsläufig herausfällt. Insofern sollte man den Machern der DVD die etwas ungeschickte und irreführende Platzierung nicht allzu vehement vorwerfen. Dafür sind erfreulicherweise die zwischen den einzelnen Musikblöcken vorgetragenen eher flauen Moderationstexte weggelassen worden. Anstelle werden zu Beginn jedes einzelnen Suitenabschnitts sinnvollerweise der Filmtitel und die Stückbezeichnung eingeblendet. An drei Stellen sind anstelle von Aufnahmen aus dem Konzertsaal kurze Filmausschnittmontagen in eher mäßiger (VHS-)Qualität zu sehen: bei Cinema Paradiso, Zwei glorreiche Halunken (in „Ecstasy of Gold“) und Die Tartarenwüste. Kurzkommentar dazu: Entbehrlich aber ebenfalls undramatisch.
Das im Umfeld des Konzerts aufgenommene Morricone-Interview sowie eine Morricone-Dokumentation wären als Bonusmaterial sicherlich eine besonders willkommene Zugabe gewesen. Derartiges fehlt, vermutlich aus rechtlichen wie Budgetgründen. Insofern sind bei der Ausstattung zwar nicht mehr als glatte vier Sterne drin; aber auch das ist ja klar vorzeigbar.
So kann der Interessierte nun das weitgehend vollständige Konzert in einem Rutsch oder auch in individuell aneinander gereihten Auszügen beliebig oft in den heimischen vier Wänden wiederholen, ad libitum: mit und ohne Bild. Und wer jetzt noch etwas eingehender im Programm stöbern möchte, der lese Magdi Aboul-Kheirs Artikel „Leidenschaft statt Leinwand – Maestro Morricone in München“.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Pfingsten 2006.