Lausbubengeschichten (DVD-Box)
Ludwig Thomas (1867 – 1921) realistische wie satirische Schilderungen des Spießbürgerlichen, der Scheinmoral und ebenso des großmäuligen Preußentums der wilhelminischen Ära sind immer noch eine von Wortwitz und Pfiff geprägte Lektüre. Zu seinen populärsten Werken zählen die erstmals 1905 veröffentlichten „Lausbubengeschichten“, in denen Thoma auf Ereignisse seiner Schulzeit reflektiert. Jene bildeten in den 1960ern den Ausgangspunkt einer insgesamt fünfteiligen Filmreihe, produziert von Franz Seitz. Und so machten die Lausbubengeschichten (1964) den aus Gleiwitz in Oberschlesien stammenden Hans Krause (•1952), nachdem man seinen als zu preußisch empfundenen Namen in Hansi Kraus umgeändert hatte, in der Rolle des Ludwig Thoma bekannt.
Beim ersten Lausbubenstreich führte sogar Helmut Käutner Regie. Käutners Film bewahrt in der Umsetzung das Episodenhafte des Romans und besitzt besonders überzeugendes Lokalkolorit. Drolliger Gipfelpunkt der Handlung ist die Traumsequenz am Schluss, in welcher der legendäre Bayernkönig Ludwig II. dem jungen Helden einen Orden verleiht. Der große Kassenerfolg führte zu zwei immerhin respektablen Nachfolgern: Tante Frieda — Neue Lausbubengeschichten (1965), in Buchform erschienen 1907, mit Elisabeth Flickenschildt in der Titelrolle, und Onkel Filser — Allerneueste Lausbubengeschichten (1966). Der damals beim TV-Publikum aus dem Komödienstadl bekannte Michl Lang verkörpert den braven, königstreuen Landtagsabgeordneten Josef Filser, dem Thoma ab 1907 in der satirischen Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ literarisch ein Denkmal gesetzt hat. Auch wenn es sich hierbei nicht um eine direkte Fortsetzung der Lausbubengeschichten handelt, harmonieren die übernommenen Filser-Elemente recht gut mit den mitunter etwas effektheischerisch inszenierten Pennälerstreichen.
Anschließend ging’s jedoch recht steil bergab. Ohne konkrete Buchvorlage verkam das in sämtlichen Rollentiteln erwähnte „nach Motiven von Ludwig Thoma“ zunehmend zum Symbol der Einfallslosigkeit. Wenn Ludwig ins Manöver zieht (1967) ist als etwas platte, rein klamaukige Militärklamotte gerade noch erträglich und dürfte für manche Zuschauer durch die damalige Torwartlegende Sepp Maier als Gaststar vielleicht gerade jetzt ein zusätzliches Nostalgiepotenzial besitzen. Ludwig auf Freiersfüßen (1969) hingegen ist allein noch ein völlig blasser Nachzieher mit einem in die „Jahre gekommenen“ Hansi Kraus, dem man den Thoma’schen Lausbub zwangsläufig nicht mehr abnimmt, was offensichtlich auch der Produktion klar war. Und so besteht der fünfte und letzte Film der Reihe fast völlig aus Selbstzitaten in Form von Rückblenden aus besonders dem ersten Filmteil. Ludwigs erwachende Neigungen zum weiblichen Geschlecht sind dabei nur Vorwand für eine herzlich dünne Rahmenhandlung. Hansi Kraus hatte bereits im Jahr zuvor mit „Die Lümmel von der ersten Bank, I. Teil: Zur Hölle mit den Paukern“ den Umstieg in eine weitere recht erfolgreiche, dieses Mal zeitgenössische Pennälerstory geschafft, in der er es als Pepe Nietnagel bis 1972 auf sogar sieben Folgen bringen sollte. Im Jahr seines letzten Lausbubenfilms nach Thoma flimmerte übrigens der bereits dritte Lümmelfilm auf den bundesdeutschen Leinwänden. In der Rückschau schneiden die vom Geist der Thoma’schen Vorlagen immerhin teilweise inspirierten Filme besser ab, wirken frischer als die arg kalauernd und blödelhaft erscheinenden Streiche des Schülers Nietnagel.
EuroVideo hat nun die komplette Lausbubenpentalogie nach Thoma als hübsch aufgemachte DVD-Box herausgebracht. Als Tummelplatz der damals führenden deutschen Film- und auch Volksschauspieler ermöglichen die Filme ein Wiedersehen u. a. mit Beppo Brehm, Franz Muxeneder, Harald Juhnke, Ernst Fürbringer, der ganz besonders markanten Elisabeth Flickenschildt und natürlich Hansi Kraus.
Als Wegweiser wartet die Box mit einem charmant im Stil eines alten Schulheftes gestalteten Begleitheft auf, das diverse Infos aus zeitgenössischen Pressematerialien zu den einzelnen Filmen enthält. Daneben finden sich (sowohl im Heft als auch auf DVD) ein paar Rezepte zu Leckereien wie der berüchtigten „Brennsuppe“, die Ludwig und seine Mitschüler in einem mit strenger Hand geführten Internat allzu oft vorgesetzt bekommen haben. Und für die Leseratten liegt noch eine Reclam-Kombi-Ausgabe von „Lausbubengeschichten“ und „Tante Frieda — Neue Lausbubengeschichten“ bei.
Leider sah sich EuroVideo wohl aus Kostengründen nicht in der Lage, analog vergleichbaren Projekten — wie den Karl-May-Filmen von Universum —, im Zuge der DVD-Veröffentlichung neue Videotransfers anfertigen zu lassen. Entsprechend sind die Filme nur in der bisher auch im TV gezeigten, immerhin ordentlichen bis noch passablen Qualität zu sehen. Schärfe, Farben und Auflösung erreichen meist befriedigende, mitunter sogar noch gute Werte, wobei allerdings der letzte Film der Reihe, Ludwig auf Freiersfüßen, besonders farblich zu wünschen übrig lässt, recht stumpf und bräunlich wirkt. Im Vergleich zu brandneuen Videotransfers fehlt dem Bild in den besten Momenten eben eine merkliche Portion Brillanz, und besonders beim ersten Film, Lausbubengeschichten, ist das seitlich deutlich beschnittene Original FransScope-Format (1 : 2,35 gemattet auf ca. 1: 1,85) ein eindeutiger Schwachpunkt. Die anderen Filme der Reihe machen in Sachen Bildformat eine passable Figur. Bei den nicht mehr im besonders breiten Scope-Format, sondern in 1 : 1,66 bis 1: 1,85 aufgenommenen Streifen kommt der jeweils gewählte Bildausschnitt dem originalen Kinoformat deutlich näher, so dass erfreulicherweise (zumindest) keine dramatischen seitlichen Bildverluste feststellbar sind. Der originale Mono-Ton ist fast durchweg sauber, nur vereinzelt fallen kleinere Artefakte auf. Zum ersten Lausbubenfilm, Lausbubengeschichten, ist ein Audiokommentar von Hansi Kraus abrufbar.
Rolf Wilhelms komödiantisch-pfiffige Filmmusiken zum Lausbubenfilmquintett sind höchst unterhaltsam und in der nächsten Zeit als CD-Veröffentlichung bei Alhambra Records geplant (siehe auch Tarabas/Hiob und Flucht ohne Ende/Radetzkymarsch/Don Carlos).
Fazit: Zum Wiedersehen mit Kassenhits der deutschen Kinobranche der 1960er Jahre lädt die ansprechende 5er-DVD-Box von EuroVideo mit den „Lausbubengeschichten“ nach Ludwig Thoma ein. Das von den DVDs zu Sehende ist, obwohl es sich um ältere Videotransfers handelt, überwiegend durchaus akzeptabel. Das einschränkende Wermutströpfchen ist dabei allerdings der titelgebende 1964er Erstling. Die Präsentation der Lausbubengeschichten, des zweifellos stärksten Films der Reihe, leidet besonders an den deutlichen seitlichen Bildverlusten. Allein dieser in Form eines neuen High-Tech-Transfers hätte entscheidend dazu beigetragen, die letztlich akzeptablen kleineren Schwächen beim Bild der übrigen vier Filme (fast) vergessen zu machen.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2006.
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