Kleine Klassikwanderung 41: Musikalische Sträuße

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
22. März 2008
Abgelegt unter:
Special

Kleine Klassikwanderung 41: Musikalische Sträuße, nicht allein aus Wien

Am Ostersonntag 2008 findet in Wien wieder das traditionelle Konzert „Frühling in Wien“ im Rahmen des OsterKlang(s) statt. Die Wiener Symphoniker unter Fabio Luisi zelebrieren im Goldenen Musikvereinssaal unter dem Titel „Im Namen der Rose“ ein Programm edler Unterhaltung, das nicht zuletzt auch Musik des Wiener Walzerkönigs Johann Strauß Sohn beinhaltet. Auch wenn der Frühling sich wohl noch etwas Zeit lassen wird, ist dies ein guter Anlass, an dieser Stelle eine Reihe CDs vorzustellen, deren leicht zugängliche Programme in eine vergleichbare Richtung zielen.

Neujahrskonzert 2008

Das traditionelle Neujahrskonzert wurde dieses Mal vom aus dem nordfranzösischen Douai stammenden rüstigen 83-jährigen Georges Prêtre geleitet. Auf dem Programm standen dabei eine Reihe von Werken der Walzer-Dynastie mit französischem Touch. Das durch den Goldenen Saal des Wiener Musikvereins wehende französische Lüftchen hatte Raritäten im Gepäck, wie den „Napoleon-Marsch“ (gewidmet Napoleon III.), komponiert von Johann Strauß Sohn, den „Pariser Walzer“ sowie den „Versailler Gallop“ von Johann Strauß Vater. Wobei diese Stücke zugleich für die seinerzeit noch ungewöhnliche Reiselust der Strauß-Familie stehen. Das gilt ebenso für Piècen wie „Russischer Marsch“ aber wohl eher im übertragenen Sinne für den „Chineser-Galopp“.

Neben der munter machenden „Sport Polka“ von Josef Strauß bildete die „Orpheus Quadrille“ einen schmissig vorgetragenen, besonders zündenden Auftakt zum „Bonne Annee“ der Wiener Philharmoniker. Lebendig, frisch und letztlich mitreißend wurde so auch dieses Mal das Neue Jahr musikalisch eingeläutet. Georges Prêtre dirigierte die insgesamt 21 Stücke ohne zu dick aufzutragen, betonte elegant und wirkungsvoll das Tänzerische dieser edlen Unterhaltungsmusik. Und wie gewohnt gab’s das vollständige Konzert in vorzüglicher Tonqualität auf Doppel-CD schon eine knappe Woche später zu kaufen — die DVD brauchte noch eine Woche länger.

Strauss Family: Waltzes, Polkas & Marches

Tief in die Archive ist die Decca gegangen und hat eine 6er-CD-Box prall mit Strauß-Musik gefüllt, dirigiert von einem der legendären Väter des Wiener Neujahrskonzerts: Willi Boskovsky. Im Gegensatz zur 2004 erschienenen EMI-Box gleichen Namens (siehe Klassikwanderung 21) bietet die inhaltlich ähnliche 1997er Zusammenstellung der Decca die älteren, noch analogen Aufnahmen des berühmten Wiener Dirigenten. Insgesamt 86 Stücke der Strauß-Familie finden sich in der Box: aufgenommen zwischen 1958 und 1976. Nun, analoge Aufnahmetechnik ist (nicht nur an dieser Stelle) dem so genannten „Digital-Klang“ gewiss nicht hoffnungslos unterlegen. Der Sound darf vielmehr durchweg als gut bis sehr gut bezeichnet werden. Für Freunde des jüngeren Boskovsky ist der Zugriff wohl unverzichtbar und dürfte dank des günstigen Preises auch nicht allzu schwer fallen. Lässt man diese durchweg charmant interpretierten Stücke Revue passieren, drängt sich einmal mehr die Frage auf, wieso erst Ende der 1980er Jahre ein in Hongkong ansässiger Deutscher (Begründer der Labels Marco-Polo/Naxos) auf die Idee kommen konnte, Strauß-Gesamtausgaben zu produzieren — siehe Kleine Klassikwanderung 2.

An der schönen blauen Donau — Strauß-Gala mit der Staatskapelle Dresden

Und auch Otmar Suitner zeigt in der Strauss-Gala, dass er’s kann, macht seinem Landsmann alle Ehre. Auch wenn Dresden eben keine Donau- sondern vielmehr eine Elbe-Stadt ist, für entsprechenden Wiener Charme sorgen die Musiker der Staatskapelle Dresden allemal. Ein feines CD-Album in tadelloser Klangqualität auf edel-classics, das eine weitere Facette dieses in erster Linie durch seine 30-jährige DDR-Karriere geläufigen großen österreichischen Dirigenten beleuchtet — siehe auch Kleine Klassikwanderung 35.

Aschenbrödel-Ballett (Johann Strauß Sohn)

Was liegt näher, als vom unbestrittenen Meister der Wiener Tanzmusik des 19. Jahrhunderts auch ein abendfüllendes Ballet zu erwarten? Johann Strauß Sohn nahm ein solches, allerdings erst sehr spät gegen Ende seines Lebens, im Jahr 1898, in Angriff. Als er überraschend im Juni 1899 verstarb, erhielt letztlich Joseph Bayer (1852-1913), Komponist des Balletts „Die Puppenfee“, den Auftrag die nur skizzierten Teile des Werkes (in erster Linie die Akte 2 und 3) zu vollenden. Kurioserweise erlebte das Stück seine Uraufführung 1902 in Gegenwart von seiner Majestät Wilhelm II. an der Berliner Oper. Erst fast sieben Jahre danach kehrte das Ballett dann in seine Wiener Geburtsstätte zurück und wurde unter Felix Weingartner an der Hofoper gegeben.

Anschließend fiel das Aschenbrödel jedoch in eine Art Dornröschenschlaf, aus dem es erst 1980 von dem australischen Dirigenten Richard Bonynge mit dem National Philharmonic Orchestra (damals noch für die Schallplatte) wiedererweckt worden ist. Bonynge war seinerzeit geradezu ein Spezialist für Ausgrabungen von Ballettmusiken des 19. Jahrhunderts, was verschiedene Decca-CDs belegen.

Elegantes und vitales Orchesterspiel, unterstützt von ebenso dynamischer und plastischer Aufnahmetechnik sind in der vorliegenden Einspielung vereint. Trotz allen spürbaren Engagements und Elans der Aufführenden gerät das Wiener-Madl Aschenbrödel allerdings nicht ganz zu einer Sternstunde des Wiener-Walzer-Ballets. Dafür fehlt den hier anzutreffenden thematischen Einfällen letztlich doch eine Portion Durchschlagskraft. In jedem Fall handelt es sich aber um eine hübsche Rarität, die sich der Freund Strauß’scher Musik immer wieder einmal gern anhören mag. Die rund 20-minütige Ballettmusik aus der einzigen Johann-Strauß-Oper „Ritter Pasman“ sowie das halbstündige 1924 uraufgeführte Strauß-Pasticcio „Le Beau Danube“, eingerichtet von Roger Désormière, sind dabei ebenfalls charmante, die Gesamtspielzeit willkommen auffüllende Zugaben.

Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker 2007

Auch im vergangenen Jahr 2007 luden Sir Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker wieder zu einem Konzert am Silvesterabend. Steht in Berlin bei dieser Gelegenheit ansonsten gern „Die Neunte“ von Beethoven auf dem Programm, hat sich Simon Rattle dieses Mal für eine Auswahl aus der russischen Romantik entschieden. Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ in der klangprächtigen Orchesterfassung Ravels bildeten den Auftakt, in einer sehr differenziert und klangschön ausmusizierten Interpretation. Vom Bekanntheitsgrad beim Publikum vergleichbar mit Beethovens 9. Sinfonie begab man sich anschließend bei Musik des Chemikers und Arztes Alexander Borodin partiell auf weniger geläufiges Terrain. Diese Aussage gilt für die bei uns selten gegebene Sinfonie Nr. 2 Borodins, ein dank einprägsamer Melodik und orchestraler Farbigkeit sowohl eingängiges wie auch ansprechendes, ja sogar packendes Werk. Einen wieder geläufigeren Repertoire-Boden betraten die Berliner Philharmoniker mit den Polowetzer Tänzen aus der Oper „Fürst Igor“ (hier in der Fassung ohne Chor) und brachten so den letzten Abend des alten Jahres effektvoll zum Abschluss.

Der jetzt vorliegende Mitschnitt zeichnet sich durch exzellenten Klang und durchweg elegant ausmusizierte, leuchtkräftige Interpretationen aus. (Unter www.silvester-konzert.de gibt’s übrigens Einblicke hinter die Kulissen der Produktion.)

Sträuße aus Wien

Obwohl diese musikalischen Sträuße Wiener Musik nicht aus Wien, sondern vielmehr aus dem schwedischen Stockholm auf die Reise gehen. Das schwedische Radiosinfonieorchester unter der Leitung des Finnen Okko Kamu, die Vokalsolisten Elisabeth Berg und Stefan Dahlberg geben ein Konzert mit Raritäten der Strauß-Familie. Auf der rund 80-minütigen Zusammenstellung wird selten zu Hörendes, wie die Ouvertüre zur Operette „Die Göttin der Vernunft“ von Johann Strauß Sohn, die Polka francaise „Mit der Strömung“ von Bruder Eduard oder der Walzer „Deutsche Grüße“ vom Bruder Josef, geboten. Je ein Duett aus den Johann-Strauß-Operetten „Simplicius“ und „Cagliostro in Wien“ sowie eines aus der einzigen Oper des Walzerkönigs, „Ritter Pasman“, stehen ebenfalls auf dem Programm.

Berth Vestergård, Gründer der Strauß-Gesellschaft Schwedens, verfasste dazu einen informativen, keineswegs kühl-nordisch anmutenden Text. Und ebensowenig unterkühlt agieren die schwedischen Musiker, die diese Stücke ihrem tänzerischen Charakter entsprechend beschwingt zum Erklingen bringen. Die BIS-typisch vorzügliche Tontechnik vermittelt mit dem vollen und dabei sehr transparent verräumlichten Klangbild zugleich einen Eindruck der offenbar edlen Akustik des Ortes der Einspielungen: der Stockholmer Berwaldhallen.

„Härlig är jorden“ und „Suomalainen Virsi 3 — Finnish Hymns 3“

Zwei weitere Alben aus dem Hause BIS, die direkt an die bereits in der Kleinen Klassikwanderung 16 vorgestellten „Finnish Hymns“ Vol. 1 & 2 anknüpfen und auch in Folge produziert worden sind. Suomalainen Virsi 3, das dritte Album der Reihe „Finnish Hymns“ enthält 14 weitere Kirchenlieder in wiederum geschliffenen Orchesterarrangements, die vom Lahti Sinfonieorchester inspiriert und in den Stimmungen angenehm differenziert dargeboten werden. Wer sichergehen möchte, möglichst ausschließlich auf hierzulande praktisch Unbekanntes zu treffen: bei dem vorliegenden Volume 3 der Finnish Hymns liegt er exakt richtig.

Überschneidungen zwischen dem sakralen Liedgut Finnlands und dem des benachbarten Schwedens sind zwangsläufig. Und so schlug man gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe, produzierte das Album „Härlig är jorden“ quasi nebenbei mit. Auf dieser auf schwedische Choräle zugeschnittenen Kompilation finden sich so auch zwei Lieder, die bereits für die „Finnish Hymns“, Vol. 1 & 2 eingespielt worden sind: der bekannte Luther-Choral „Ein feste Burg“ sowie das auch im Film Titanic zuletzt von der Bordkapelle intonierte „Nearer My God to Thee“.

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