Karaindrou: Elegy of the Uprooting

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
8. April 2007
Abgelegt unter:
Klassik

Zwei im Ausdruck recht eng miteinander verwandte Alben des auf zeitgenössische Künstler eingeschworenen Münchner Labels ECM (Vertrieb: Universal Classics): „Nostalghia — Song for Tarkovsky“ und „Elegy of the Uprooting“.

Die griechische Komponistin und Pianistin Eleni Karaindrou besetzt ein Feld von Pop über Ethno bis zum Jazz. Sie stattet auch Filme des renommierten griechischen Regisseurs Theodoros Angelopoulos mit Musik aus. Dessen Kino-Produkte sind im Tempo mitunter von ähnlicher hypnotischer Langsamkeit und außerdem von einem sehr eigenwilligen, vergleichbar rätselhaft und spröden, wie spirituellen Inszenierungsstil geprägt, wie die seines russischen Kollegen Andrej Tarkowskij (Iwans Kindheit, 1962).

Einsamkeit, Sehnsucht und Melancholie, Trauer und Hoffnung. Das sind Empfindungen, die sich (nicht nur) beim Hören der „Elegie für Entwurzelte“ einstellen. Das Doppel-CD-Album ist das Produkt eines Live-Mitschnitts eines Konzerts im Athener Megaron im März 2005, das Karaindrou aus ihren Film- und Theaterkompositionen zusammengestellt und montiert hat. Großes Orchester, Chor, dazu ein Ensemble besetzt mit traditionellen griechischen Instrumenten (z. B. mit der konstantinopelschen Lyra) sowie neben der Komponistin am Piano agierend verschiedene Instrumentalsolisten und die Sängerin Maria Farantouri. Überwiegend entrückt Anmutendes begegnet dem Hörer, wobei die ausgeprägten Minimal-Strukturen das Sphärisch-Meditative unterstreichen und Eleni Karaindrou mitunter in den Chorpassagen auch vor Pathos nicht zurückschreckt. Die (nicht nur) für einen Live-Mitschnitt schlichtweg ausgezeichnete Tontechnik präsentiert die Musik überaus klar, die einzelnen Gruppen vorzüglich ausbalancierend. Dies erlaubt es dem Hörer, die elegischen Klangräume Karaindrous im wahrsten Wortsinn von Live-Geräuschen (nahezu) ungestört zu erleben.

Keine Filmmusik, vielmehr eine klingende Hommage an die Bilderwelten des russischen (Kult-)Regisseurs Tarkowskij ist das Album „Nostalghia — Song for Tarkovsky“. Die mitunter auch traumatischen, bildhaft gewordenen Träume des Regisseurs werden vom Pianisten Francois Couturier, dem Akkordeonisten Jean-Louis Matinier, der Cellistin Anja Lechner und dem Saxophonisten Jean-Marc Larché reflektiert. Die Musiker gehören zur dem Jazz eng verbundenen „Improvisationsszene“, und auch wenn das vorliegende Album bewusst den Rahmen des Jazz sprengt, stehen den Musikern neben dem exakt Vorgeschriebenen mancherlei improvisatorische Freiräume zur Verfügung.

Das Resultat sind lyrische Klangräume und sich darin bewegende Klangwolken, die den Zuhörer umfangen. Wobei die zumeist filigranen, ruhigen, mitunter nur hingetupft erscheinenden Klangeindrücke Gefühle von Melancholie und Meditation erzeugen. Die Musik agiert abseits aller Illustration, sie reflektiert die Emotionen und Gedanken, die Couturier und seine Mitstreiter mit dem Œuvre Tarkowskis im weitesten Sinne verbinden. Couturier vermerkt dazu im Untertitel des Albums: „Musik inspiriert von den Filmen Andrej Tarkowskis, den von ihm bevorzugten Schauspielern und die Art und Weise, wie er mit Farbschattierungen und Klängen spielt.“ Tarkowskis verwendete in seinem letzten Film, Das Opfer, die Arie „Erbarme Dich“ aus der „Matthäus-Passion“. Darum scheint diese klagende Melodie als Zitat im den Zyklus eröffnenden „Le Sacrifice“ und entsprechendes gilt für die Zitate aus dem 3. Satz von Alfred Schnittkes „Sonate für Violoncello und Piano“ aus dem Jahr 1978 in „Nostalghia“ und „Andrei“.

Entscheidenden Anteil an der interessanten Wirkung des Albums besitzt die exquisite Aufnahmetechnik, welche die Töne der Instrumentalisten im wahren Wortsinn zu räumlichen, einander durchdringenden magischen Klanggebilden werden lässt, die aus dem Nichts entstehen und sich darin wieder verflüchtigen. Das dürfte wohl bei manchem Hörer wiederum zur Assoziation eigener Bilderwelten führen. Francois Couturiers Tarkowskij-Projekt wird übrigens auch konzertant aufgeführt und ist im Februar 2007 in der Allerheiligenhofkirche in München gegeben worden.

Fazit: Elegie und Melancholie sind das verbindende Element dieser beiden Alben des ECM Labels, auf denen nicht alltägliche musikalische Kost zu hören ist: zum einen kammermusikalisch, zum anderen orchestral und Choral, durchsetzt mit Weltmusik-Touch, ein Hauch von Klassik, ein wenig Ethno-Pop und unterschwellig Jazz, in Klang und Rhythmik geprägt von Minimalismen. Wer dem Ungewöhnlichen gegenüber aufgeschlossen ist, der ist hier richtig.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2007.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Karaindrou, Eleni

Erschienen:
2006
Gesamtspielzeit:
92:22 Minuten
Sampler:
ECM New Series
Kennung:
1952/53 (2 CDs)

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