„Just listen to the bloody music!“ – Ein Filmmusik-Konzert in Köln

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
22. Oktober 2002
Abgelegt unter:
Special

Ein glanzvolles Filmmusikkonzert des Gürzenich-Orchesters in der Kölner Philharmonie

1353Im Rahmen mehrerer Veranstaltungen zu Ehren des letzten noch lebenden großen alten Herren der britischen Filmmusik, Sir Malcolm Arnold, fand ein Sonderkonzert des Gürzenich Orchesters statt.

„Just listen to the bloody music!“ So lautete das Motto am Dienstag, den 15. Oktober 2002, ab 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie. Unter der Stabführung des filmmusikerfahrenen Scott Lawton (Chefdirigent des Deutschen Filmorchesters Babelsberg) agierte das mit rund 90 Mann groß besetzte Gürzenich-Orchester und leitete den Abend mit einer fulminanten Präsentation von Malcolm Arnolds Rhapsodie aus der 1952er Filmmusik zu The Sound Barrier • Der unbekannte Feind ein. Das tonmalerische, geschickt auskomponierte und ebenso glänzend instrumentierte Stück visualisiert gekonnt den zentralen Aspekt der Filmhandlung: die Durchbrechung der Schallmauer als Teil der Geschichte der Strahlflugzeuge. Hohe Lagen der Violinen und Piccoloflöten stehen symbolisch für den hoch in der Luft angesiedelten Schauplatz, dramatische Akzente der Instrumentalisten und wuchtig eingesetztes Schlagwerk signalisieren die Dramatik des gefährlichen Geschehens über den Wolken. Und der majestätische, in bester Elgar-Tradition gehaltene finale Marsch ehrt den erfolgreichen Piloten klassisch kinotypisch auf sinnlich-melodische Art und Weise.

Erfreulicherweise wurde weder hier noch in den folgenden Musikstücken versucht, die für derartige (eben) Filmmusik (aber auch programmatische Tondichtungen) oftmals sehr reizvollen tonmalerischen Effekte zurückzunehmen – etwas, das gerade im deutschen Konzertwesen leider lange Zeit weit verbreitet gewesen ist. Vielmehr wurden diese hier sauber ausgespielt und ebenso angemessen die vielfältigen Schlagwerkeffekte betont. Die hallarme Saalakustik trug das ihre zum hervorragenden Live-Eindruck bei, verdeckte nichts und machte so jedes klangliche Detail klar hörbar.

Arnolds Filmmusik ist durch ihre Verbindlichkeit für den Hörer leicht fasslich, dabei aber keineswegs anspruchslos, sondern sehr raffiniert komponiert und orchestriert. Dass der Komponist neben sinnfälliger Melodie weder vor – keineswegs einfallslos gestalteten – Stilkopien noch vor gekonnt eingearbeiteten Klischees zurückschreckt (es also durchaus riskiert plakativ zu sein), verleiht seiner Musik in besonderem Maße das geradezu typische klassische Kinofeeling.

Es ist schon bemerkenswert, dass der nunmehr 81-jährige Malcolm Arnold, trotz stark angegriffener Gesundheit, innerhalb eines knappen Jahres bereits zum zweiten Male den Weg in die Rhein-Metropolen (Köln und Düsseldorf) gefunden hat, um an ihm gewidmeten Film- und Filmmusik-Veranstaltungen teilzunehmen. Ob die Anwesenheit des Ehrengastes – den William Walton einst als „One of the most truly original of English composers there has ever been“ bezeichnete – die Orchestermitglieder und den Dirigenten beflügelt haben mag, bleibt rein spekulativ. Generell hatte ich nicht allein beim ersten Musikstück den Eindruck, dass es den Beteiligten hörbaren Spaß bereitete, diese in deutschen Konzertsälen bislang äußerst selten aufgeführte Art von Musik zu interpretieren. Der als Schauspieler und vor allem als Synchronsprecher bekannte Christian Brückner moderierte und verlieh mit seiner markanten, rauhen Stimme und professionellen Vortragsweise dem Abend einen besonderen, des öfteren auch humorvollen Akzent.

In den Moderations- wie auch Programmhefttexten findet sich teilweise unglücklich Formuliertes: derart absolute Aussagen, wie „Herrmann sei der Beste von allen gewesen“, sind m. E. wenig hilfreich. Und im Zusammenhang mit seiner Musik von Hits zu sprechen, ist genauso problematisch, wie in den Raum zu stellen „seine Komposition zu Citizen Kane sei fast jedem bekannt“. Insbesondere Letzteres rief denn auch beim Publikum zum Teil fragende Blicke hervor. Doch sind dies letztlich kleine Schwächen, die den durchweg sehr positiven Gesamteindruck nicht nachhaltig zu trüben vermochten.

Leider musste die im Programmheft ausgewiesene Stücke-Auswahl aus Zeitgründen gekürzt werden – das „Main Theme“ aus der TV-Doku Africa von Alex North und zwei Stücke aus Arnolds The Inn of the Sixth Happiness entfielen. Das von Tobias van der Locht sehr gut konzipierte Konzert präsentierte dennoch über mehr als zwei Stunden (!) ein abwechslungs- und kontrastreiches Programm mit Kompositionen britischer und amerikanischer Filmmusik. Dies erfreulicherweise unter Betonung der sinfonisch-dramatischen Aspekte von Filmkompositionen. Im Bewusstsein vieler ist diese doch primär als Aneinanderreihung eingängiger zum Mitsummen einladender Melodien verankert. Für das Konzert wurden vielmehr fast durchweg anspruchsvolle Stücke ausgewählt, wobei neben Werken von Malcolm Arnold auch solche von William Walton, Ron Goodwin, Alex North und Bernard Herrmann erklangen.

1354Die unter der Rubrik „Ungenutzte Filmmusiken“ aufgeführte Konzertsuite aus The Battle of Britain • Luftschlacht um England (1969) knüpfte stilistisch nahe beim Eingangsstück an; besonders beeindruckend war das dramatisch-wuchtige „Battle in the Air“. Alex North’ teilweise modernistisch-herbe Musik zu Stanley Kubriks 2001: A Space Odyssey • 2001 – Odyssee im Weltraum (1969) führte Teile des Publikums wohl doch etwas sehr an die Grenzen des Gewohnten, was im merklich zurückhaltenden Applaus spürbar wurde. Neben der raffiniert der „Zarathustra-Fanfare“ von Richard Strauss nachgestalteten Eröffnung, ist „Space Station Docking“ das zweite besonders ohrenfreundliche Stück. Vielleicht hätte diese walzerhafte und zugleich impressionistisch gefärbte Piece, mit ihrem wunderschönen weichen Streicherausklang, an den Schluss gesetzt, es dem Publikum ein wenig leichter gemacht.

1355Der fein akzentuierte Vortrag der rumänischen Pianistin Sorina Aust-Ioan verlieh den grüblerisch-dunklen Solo-Konzertstücken aus Filmmusiken – Herrmanns „Concerto Macabre“ aus Hangover Square (1945) und Arnolds „Ballade für Klavier und Orchester“ aus Stolen Face (1952) – lebendigen und überzeugenden Ausdruck.

Auf die Pause folgte dann die (vielen Filmmusikfreunden geläufige) dreiteilige Suite – „Prelude“, „Nightmare“ und „Scène d’amour“ – aus Herrmanns meisterhafter Musik zu Hitchcocks Vertigo • Aus dem Reich der Toten (1958). Hier machte das äußerst präzise Spiel des Orchesters die von der Musik unterstrichene hypnotisch-traumatische, von Besessenheit geprägte Atmosphäre des zugehörigen Films – auch unabhängig davon – überzeugend nachvollziehbar.

Die überaus eingängigen, dabei orchestral und melodisch üppigen Themen für das (zumindest partiell) als Hintergrundkulisse der betreffenden Filmhandlung dienende pittoreske London: Ron Goodwins Musik zu Alfred Hitchcocks Frenzy (1971) und Malcolm Arnolds The Inn of the Sixth Happiness • Die Herberge zur 6. Glückseligkeit (1958) lieferten dazu einen stimmungsmäßig scharfen Kontrast.

Christian Brückners ausgezeichnete Vortragsweise machte insbesondere die beiden Rezitationen (zu Frenzy und Taxi Driver) eindrucksvoll – wobei allerdings die humorig-sarkastische zu Frenzy (entgegen der Programmankündigung) nicht mit Musik unterlegt war.

1356Insbesondere Brückners eindringliches Portrait des traumatisierten Taxifahrers Travis Bickle (nach Martin Scorseses bekanntem Film Taxi Driver, 1976) wurde zusammen mit der unterlegten Musik zu einem Highlight des Abends. Hierbei wurde prinzipiell das bereits von der LP bekannte „Diary of a Taxi Driver“ – in welchem Robert de Niro rezitiert – mit der in Teilen (durch Wiederholung der Eröffnungspassage) erweiterten Konzersuite von Christopher Palmer kombiniert, wobei auch der Wechsel von Musikpassagen mit und ohne Rezitation einen Teil des Reizes ausmachte. So funktionierten auch gerade die verlängerten, die Eintönigkeit des Taxi-Driver-Daseins symbolisierenden trüben und bohrenden Musikpassagen – die ohne zusätzlichen Bezugspunkt auf den Hörer schnell etwas ermüdend wirken – zusammen mit dem von Christian Brückner engagiert vorgetragenen Monolog hervorragend. Dass Brückner seit 1975 als Synchronsprecher auf Robert de Niro abonniert ist – sogar von Martin Scorsese ausgewählt worden ist – dürfte hierbei ebenfalls nicht bedeutungslos sein. Sicher nicht nur – aber auch – wegen der virtuosen jazzigen Einlagen des Saxophonisten Cornelius Borgolte reagierten einige Zuhörer über das obligatorische Klatschen hinaus hörbar begeistert.

Und mit einer der besten Arbeiten des im Zentrum des musikalischen Geschehens stehenden Sir Malcolm Arnold, der Konzert-Suite aus The Bridge on the River Kwai • Die Brücke am Kwai (1957), kam das denkwürdige Konzert zum Abschluss. Arnolds vom Umfang knapper Musikbeitrag zu David Leans berühmtem Film bietet sowohl Exotik, gekonnt Dramatisches neben Lyrischem und ebenso schmissige Marschmusik. Wobei hier (ebenso wie auf der Chandos-CD-Einspielung) allein der von Malcolm Arnold zusätzlich beigesteuerte Marsch erklang. Der ebenfalls für die Musik adaptierte Marsch „Colonel Bogy“ von Kenneth Alford erklingt im Film, raffiniert als Kontrapunkt gesetzt, zusammen mit Arnolds eigenem Marsch. (Die Cover-Version von Mitch Miller wurde seinerzeit ein Hit.)

Auch wenn wohl mancher Zuhörer besagten „Colonel Bogy“ vermisst haben mag, das Publikum zeigte sich sehr angetan und erwies sowohl dem Orchester und seinem Dirigenten als auch dem Ehrengast anhaltende Referenz, sparte nicht mit Ovationen und diversen Bravo-Rufen. Scott Lawton und das Gürzenich Orchester bedankten sich beim Publikum (der sehr gut besuchten Veranstaltung) und beschlossen mit einer eingängigen Zugabe, dem Finale aus The Inn of the Sixth Happiness – Arnold-typischen Orchestervariationen über das bekannte Kinderlied „This Old Mann“ – einen denkwürdigen Abend in der Kölner Philharmonie.

Konzertprogramm (zum Vergrößern Anklicken).

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