John Williams – Eine amerikanische Legende

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Cinemusic.de - Team
Veröffentlicht am:
7. Mai 2001
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Als am 19. Mai 1999 Star Wars – Episode 1: Die dunkle Bedrohung • Star Wars – Episode One: The Phantom Menace (1999) in den USA seine Premiere feierte, saß im Publikum ein Mann, der schon zweiundzwanzig Jahre vorher dem ersten Film dieser Weltraumsaga zum Ruhm verholfen hat: John Williams. Nicht nur, dass er für seine symphonischen Soundtracks dieser Abenteuer einen Academy Award und drei Grammy Awards bekommen hat – die Doppel-LP von Krieg der Sterne • Star Wars wurde alleine 1977 über viermillionenmal verkauft!

John Williams, der die Musik für acht von fünfzehn Filmen mit den höchsten Einspielsummen geschrieben hat, wurde am 8. Februar 1932 in New York geboren. Mit acht Jahren erhielt er seinen ersten Klavierunterricht; und da sein Vater als Schlagzeuger in einer Gruppe um George Gershwin musizierte, hegte sich in ihm früh der Wunsch, selbst Musiker zu werden. 1948 zog die Familie nach Los Angeles um, und Williams begann, an der University of California in Los Angeles bei Mario Castelnuovo-Tedesco Klavier zu studieren. 1951 wurde er zur Air Force eingezogen und verließ sie drei Jahre später als Arrangeur und Dirigent der Army Big Band. Zurück in New York, setzte er seine Studien an der Juilliard School bei Madame Rosina Lhévinne fort. Abends spielte er als Johnny Williams in Jazzkneipen und verdiente sich so das Geld für eine weitere Fahrt nach Los Angeles, wo er mit seiner Arbeit als Filmmusiker begann: Nachdem er unter dem Dirigat von Bernard Herrman, Alfred Newman und Franz Waxman den Klavierpart gespielt hatte, wurde er nach und nach damit betraut zu arrangieren, zu orchestrieren oder bei Proben zu dirigieren. Inzwischen hatte sein Wunsch, Konzertpianist zu werden, nachgelassen, und als er 1956 bei Columbia Pictures unterschrieb, war sein Ziel klar: Filmkomponist. Dies bedeutet nicht, dass er überhaupt nicht als Pianist arbeitete: Bei vielen seiner Filmmusiken spielt er selbst den Klavierpart.

1958 kam Williams zur 20th Century Fox und begann, Fernsehfilme mit Musik zu unterlegen. Dazu gehörten Westernepisoden, Komödien und Fernsehspiele. 1965 verpflichtete ihn Irwin Allen für die Serie Lost in Space. Daraus ergab sich schließlich eine Teamarbeit, die später zu Allens größten Erfolgen führte: John Williams komponierte für Die Höllenfahrt der Poseidon • The Poseidon Adventure (1972), Erdbeben • Earthquake (1974) und Flammendes Inferno • The Towering Inferno (1974).

In den sechziger Jahren war Williams sehr beschäftigt (allein 1966 schrieb er die Musik für sechs Spielfilme), doch betrachtete er seine Gesellenstücke mehr als „wirklich studiokonforme Arbeit“. Seltsam mutet es dennoch an, dass der Komponist epischer Großproduktionen mit kleinen Fernseharbeiten begann.

1677Mit der Musik für Der Gauner • The Reivers (nach William Faulkner) schaffte sich John Williams 1969 einen Namen in der amerikanischen Filmmusik: Die Musik ist ganz herrlich amerikanisch, was Zeitkolorit, Örtlichkeit und Atmosphäre in Mississippi betrifft. Obwohl Williams eine gewisse Vorliebe zugab, lag ihm dann aber doch die britische Verfilmung von Charlotte Brontés Jane Eyre • Jane Eyre (1971) mehr am Herzen. Nachdem er eine gewisse Zeit in Yorkshire verbracht hatte, ergänzte er das Orchester um zwei Cembalos, zwei Harfen, eine Orgel und zwei Klaviere – Das Ergebnis war ein getragener, klassischer Stil, der dem Film eine schmerzvolle Spannung gibt.

Hätte John Williams seine Laufbahn als Filmkomponist auf diesem Höhepunkt beendet, wäre ihm eine Platz in der amerikanischen Filmmusik sicher gewesen, doch noch größerer Erfolg lag vor ihm: Allein die Zusammenarbeit mit Steven Spielberg bescherte ihm bis jetzt drei Academy Awards.

Die Musik, die er 1975 für Der weiße Hai • Jaws schuf, zeigt auf perfekte Weise, wie wirkungsvoll Musik im Film sein kann, und gewann einen Academy Award. Wenn die Kamera sich ihren Weg durch das trübe Meer und die unruhigen Seegräser sucht, ist es das stampfende Hai-Thema, welches die Spannung aufbaut und den Zuschauer mit der Ahnung des kommenden Schreckens beunruhigt. Der weiße Hai war nach Sugarland Express • The Sugarland Express, einem romantischen Roadmovie, Spielbergs zweite Zusammenarbeit mit John Williams. Spielbergs Debütfilm Duell • Duel war zuerst als Fernsehfilm geplant und deswegen von Billy Goldenberg vertont worden. Gemeinsam verbrachten Spielberg und Williams 1974 viele Stunden damit, Musik von Ralph Vaughan Williams und Igor Strawinsky zu hören. Doch als sich Williams eines Tages ans Klavier setzte und einige bedrohlich klingende, tiefe Akkorde spielte und danach erklärte, diese seien das Leitmotiv des Filmes, brach Spielberg zunächst in Gelächter aus und zeigte sich anschließend enttäuscht. Er hatte sich etwas Melodischeres vorgestellt, etwas, das die rauhe Romantik des Meeres und den Zauber der unergründlichen Tiefe besser einfing. Doch Williams beharrte auf seiner Meinung – der Erfolg sollte ihm später recht geben – und erklärte, dass Der weiße Hai ein Popcorn-Film sei („Er zergeht auf der Zunge, ist leicht zu verdauen, macht nicht satt und lässt sich gut verkaufen.“) und nicht etwa eine romantische Abenteuerschnulze. Überrascht stellte Williams bei der Aufnahme der Musik später fest, dass Spielberg die dritte Klarinette spielte. Weitere Auftritte von Spielberg unter Williams’ Dirigat sollten folgen.

Die Zusammenarbeit von Steven Spielberg und John Williams dauert nun schon fünfundzwanzig Jahre und erstreckt sich über sechzehn Filme: Sugarland Express (1974), Der weiße Hai (1975), Unheimliche Begegnung der Dritten Art • Close Encounters Of The Third Kind (1977), 1941 – Wo, bitte, geht’s nach Hollywood? • 1941 (1979), Jäger des Verlorenen Schatzes • Raiders Of The Lost Ark (1981), E.T. • E.T. The Extra-Terrestrial (1982), Indiana Jones und der Tempel des Todes • Indiana Jones And The Temple Of Doom (1984), Das Reich der Sonne • Empire Of The Sun (1988), Indiana Jones und der Letzte Kreuzzug • Indiana Jones And The Last Crusade (1989), Always (1990), Hook (1991), Jurassic Park[ (1993), Schindlers Liste • Schindler’s List (1994), Vergessene Welt • The Lost World (1997), Amistad (1998), Der Soldat James Ryan • Saving Private Ryan (1998).

1678]Auch zu der Vertonung von E.T. gibt es eine amüsante Anekdote: Die letzten fünfzehn Minuten sollten mit Musik unterlegt werden. In diesem Finale (Verfolgungsjagd, Fahrräder in der Luft, Abschiedsszene) kommen verschiedene musikalische Akzente und Stilrichtungen vor. Bei der Aufnahme war es aber nicht möglich, innerhalb dieser Viertelstunde die Musik rhythmisch richtig und synchron zum Bild einzuspielen. Verzweifelt wandte sich Williams an Spielberg und bat ihn, das musikalische Konzept am Ende noch einmal zu überdenken. Doch Spielberg stellte den Projektor ab – und plötzlich klappte die Aufnahme. Seufzend ging der Regisseur in den Schneideraum und schnitt das Ende nach der Musik neu.

Nach der Testvorführung äußerte Williams allerdings dann die Befürchtung, dass die Musik zum Höhepunkt des Film doch etwas zu dick aufgetragen sei, als wolle man dem Publikum vorschreiben, an welcher Stelle es seine Tränen zu vergießen habe. „Es ist so schamlos, Steven.“ erklärte er händeringend. „Vielleicht sollten wir die Musik abschwächen, wenigstens ein bisschen?“ Spielberg starrte seinen guten Freund und Mitarbeiter mit unergründlicher Miene an und teilte ihm dann im Ton unendlicher Weisheit mit: „John, Filme sind schamlos!“

Der Patriot • The Patriot war der 90. Kinofilm, für den John Williams komponierte. Insgesamt gewann er für seine Arbeiten fünf Academy Awards und unzählige Grammy Awards. Im nachfolgenden andere bekannte Filme: Superman[ (1979), Dracula (1979), Die Hexen von Eastwick • The Witches Of Eastwick (1987), Geboren am 4. Juli • Born On The Fourth Of July (1989), Aus Mangel an Beweisen • Presumed Innocent (1990), Kevin allein zu Haus • Home Alone (1990), JFK – Tatort Dallas • JFK (1992), In einem fernen Land • Far And Away (1992), Die Asche meiner Mutter • Angela’s Ashes (1999).

John Williams’ Schaffen ist allerdings nicht nur auf Filmmusik beschränkt. Im Januar 1980 folgte er dem legendären Arthur Fiedler am Dirigentenpult des Boston Pops Orchestra nach. (Diese Musiker spielten bei den Soundtracks von Schindlers Liste und Der Soldat James Ryan mit.) Williams ist Ehrendirigent des London Symphony Orchestra, mit dem er viele Filmmusiken (Krieg der Sterne, Superman, Dracula, …) aufnahm, des Chicago Symphony Orchestra und des Los Angeles Philharmonic Orchestra, das er oft in der Hollywood Bowl dirigiert.

Sein Ruhm begründet sich auch auf Werken zu speziell „amerikanischen“ Anlässen: Um den zweihundertsten Geburtstag der USA zu feiern, komponierte er 1983 das groß angelegte Orchester- und Chorwerk „America … The Dream Goes On!“ Für die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 komponierte er „Olympic Fanfare and Theme“, für die Spiele in Atlanta 1996 „Summon The Heroes“.

Zum hundertsten Geburtstag der Freiheitsstatue am 4. Juli 1986 führte er mit den Boston Pops die „Liberty Fanfare“ auf. Um Leonard Bernstein Tribut zu zollen (er wurde 70 Jahre alt), schrieb Williams 1988 „To Lenny! To Lenny!“.

John Williams machte sich einen Namen als Filmkomponist und Dirigent; seine 13 Konzertreisen und Aufnahmetätigkeiten sind enorm: Allein mit den Boston Pops spielte er achtundzwanzig CDs in dreizehn Jahren ein und bietet auf ihnen einen Querschnitt durch die amerikanische Musikgeschichte. Hinzu kamen die unzähligen Fernsehauftritte bei „Evening at Pops“ von PBS, bei denen das Boston Pops Orchestra verstorbenen und noch lebenden Musikern Tribut zollte.

John Williams ist ein unermüdlicher Künstler, der für seine Musik und seine Filme lebt, der manchmal komponiert, um die Größe Amerikas zu feiern – und manchmal auch für seinen eigenen Ruhm, wie es Regisseur Jean-Jaques Annaud (Sieben Jahre in Tibet) 1997 formulierte.

Ich selbst hatte im August 1998 Gelegenheit, John Williams auf einem seiner Konzerte zu erleben. Mehr durch Zufall las ich bei meinem USA-Aufenthalt das Magazin „Entertainment Weekly“ und entdeckte dort das Programm für das Ravinia Festival, dessen musikalischer Direktor Christoph Eschenbach ist. Dieses Festival findet jährlich in Highland Park, fünfzig Kilometer nördlich von Chicago, statt. „John Williams conducts the Chicago Symphony Orchestra“ hieß es in der Ankündigung, und sofort bestellte ich Karten.

1679Das Programm an jenem unvergesslichen Abend des 22. Augusts 1998 bestand im wesentlichen aus drei Teilen: Auf die „Overture to The School for Scandal“ von Samuel Barber folgten neue Gershwin-Bearbeitungen. Als Solist trat der dreißigjährige Violinist Joshua Bell auf, der zusammen mit dem Orchester eine zwanzigminütige „Porgy and Bess Fantasy“ sowie „Embraceable You“ aufführte. Der Höhepunkt des Abends waren für mich allerdings die „Film Score Selections“: Vor mehr als tausend begeisterten Zuhörern, die es sich zum größten Teil auf dem Gras bequem machten, dort aßen und in der warmen Abendluft dem brilliant spielenden Orchester lauschten, dirigierte John Williams „Adventures On Earth“ aus E.T., die „Suite from Jane Eyre“, das gewaltige „Theme from The Lost World“, das „Theme from Seven Years in Tibet“ (als Welturaufführung außerhalb der scoring stages Hollywoods) und als Sahnehäubchen „Throne Room and Finale“ aus Krieg der Sterne. Den nicht enden wollenden Beifall beruhigte er mit zwei Zugaben: Wir hörten ein „Lullaby“ als Erinnerung an die Bostoner Zeiten und schließlich den „Raiders March“ aus den Indiana Jones-Filmen.

Ich verließ gegen elf Uhr Highland Park mit Autogrammen von John Williams auf CD-Hüllen und Notenheften. (Denn obwohl der Manager den anderen Fans immer wieder sagte: „The Maestro is too much exhausted to give autographs!“, schaffte ich es als einziger, von John Williams einige Unterschriften zu erbitten!)

Doch noch viel mehr Glück hatte ich 1999. Während meines Aufenthaltes in den Neuengland-Staaten mit meinen Eltern und meinem Bruder besuchte ich nämlich Tanglewood, die „Sommerresidenz“ des Boston Symphony Orchestra und des Boston Pops Orchestra, ungefähr 100 Kilometer westlich von Boston im Hudson River Valley gelegen. (Um Missverständnisse zu klären: Beide Orchester bestehen aus den gleichen Musikern, der Unterschied liegt im musikalischen Programm.) Im Internet hatte ich erfahren, dass John Williams, der sich als „Artist in Residence“ in Tanglewood niedergelassen hatte, am 11. Juli und am 4. August eigene Werke dirigieren würde. Ein paar Mausklicks, und die Karten waren bestellt.

Das Konzert am 11. Juli fand nachmittags um 14.30 Uhr statt. Die Atmosphäre glich der in Chicago: Im warmen Sommerlicht setzten sich die Besucher entweder in den Konzertpavillon oder auf mitgebrachte Decken. Weinflaschen und weiße Tischdecken paarten sich mit Klappstühlen und Sonnenschirmen.

1680Auf dem Programm standen „for Seiji!“ (Williams komponierte dieses Stück für Seiji Ozawa, der sein 25jähriges Dirigentenjubiläum beim Boston Symphony Orchestra feierte), das „Violinenkonzert e-moll, op. 64“ (Felix Mendelssohn; Solist war Gil Shaham), die „Carmen Fantasy“ (Pablo de Sarasate) und Leonard Bernsteins „Symphonic Dances from the West Side Story“. Nach dem Konzert gab John Williams Autogramme und ließ sich geduldig fotografieren, stellte Fragen, beantwortete welche und verhielt sich überhaupt nicht so, wie ich es von einem berühmten amerikanischen Hollywood-Komponisten erwartet hätte, richtig gentleman-like.

Das Konzert am 4. August war noch eine Nummer größer. „Tanglewood on Parade“ hieß es im Programm. Dirigenten des Orchesters mit manchmal mehr als hundert Musikern waren Seiji Ozawa, Claudio Abbado, Keith Lockhart und John Williams. Die Ouvertüre von Richard Wagners „Tannhäuser“ stand neben den „Selections from South Pacific“, auf „It Don’t Mean A Thing“ folgte die „Ouvertüre 1812“ von Tschaikowsky. Und als nach der Pause fast siebzig Sänger des Tanglewood Festival Chorus zusammen mit den Musikern und John Williams die Bühne betraten, um „Duel Of The Fates“ im Rahmen einer Suite aus dem neuesten Krieg der Sterne-Epos aufzuführen, war die Menge – und auch ich – nicht mehr zu halten. Plakate mit Aufschriften wie „May the force be with you, John“ oder „Williams strikes back“ waren nicht selten zu finden.

In meinen Augen ist John Williams schon jetzt eine amerikanische Legende. Manche Menschen mögen zwar seine Werke als „künstlerisch nicht wertvoll“ bezeichnen, dennoch trifft seine Musik stets den Geschmack der Amerikaner – sei es in Jurassic Park oder in „A Hymn To New England“.

Obwohl John Williams im Dezember 1993 das Dirigat in Boston an Keith Lockhart weitergab, kehrt er regelmäßig in die Symphony Hall zurück; und vom Aufhören ist noch lange keine Rede. „Ich werde so lange Musik schreiben, wie mich die Leute darum bitten.“ sagte er unlängst in einem Interview.

Und so freuen wir uns in diesem Sommer auf John Williams’ Musik zu Steven Spielbergs Artificial Intelligence. Im November kommt Harry Potter in die Kinos. Und dann: lndiana Jones 4, zwei neue Krieg der Sterne-Episoden, …

Geben wir zum Schluß dem Maestro selbst das Wort: „Es erstaunt mich einfach immer wieder: Ich sitze mich mit einem Bleistift und einem Blatt Papier hin und versuche, mein Bestes zu tun. Bemerkenswert ist, daß später Milliarden Menschen meine Musik hören.“

An diesem Zustand ist John Williams aber wirklich nicht ganz unbeteiligt …

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