Als John Williams und das Boston Pops im Jahr 1990 zum Sony-Label wechselten endete die seit 1980 über eine gesamte Dekade währende Zusammenarbeit mit dem Philips-Label – siehe dazu John Williams: Complete Philips Recordings. Im Begleitheft zum Nachfolgeprojekt, dem hier vorgestellten Box-Set „John Mauceri – The Sound of Hollywood“ wartet der Essay von Costa Pilavachi (ehemaliger Präsident von Philips Classics) mit detaillierten Hintergrundinformationen auf. Pilavachi erzählt, wie er seinerzeit um eine kompetente Nachfolge bemüht den Klassik-Impresario Ernest Fleischmann, damals Manager des Los Angeles Philharmonic, kontaktierte. Wie sich zeigte, hatte dieser bereits erwogen, das Hollywood Bowl Orchestra als eigenständige Einheit neu zu gründen. Als musikalischer Leiter des neu gegründeten Hollywood Bowl Orchestra war der renommierte, aus New York stammende Dirigent John Mauceri (*1945) ausersehen, dessen bemerkenswertes Lebenswerk sich durch seine besondere Vielseitigkeit auszeichnet. Siehe dazu auch das eindrucksvolle Album „Music for Alfred Hitchcock“. Er blieb dem für ihn neu gegründeten Klangkörper über das Philips-CD-Projekt hinaus zuerst als Dirigent, späterhin als Chefdirigent treu. Bei der Ankündigung seiner letzten Konzertsaison im Jahr 2006 ehrte ihn das Los Angeles Philharmonic mit dem lebenslangen Titel „Founding Director“. Mauceri gehörte übrigens zeitlich annähernd parallel auch zu den Hauptinterpreten, welche die exzellente Decca-Klassik-Reihe „Entartete Musik“ – eine editorische Glanzleistung der 90er Jahre – entscheidend mitgestaltet haben.
Das Hollywood Bowl Orchestra
Das erstmalig in den 1920er Jahren gegründete Hollywood Bowl Orchestra begründete seinen Ruf mit zahllosen Aufführungen unter Dirigenten wie Eugene Ormandy oder Leopold Stokowski, aber ebenso Berühmtheiten aus Hollywoods Filmkomponistengarde: Alfred Newman, Max Steiner oder Franz Waxman. Es gehört zu den US-Klangkörpern, die immer eine Brückenfunktion aus leicht zugänglicher Sinfonik, über Film und Musical bis hin zu Jazz und Pop besetzten und damit in die Kategorie der so genannten „Pops Orchestras“ gehören. Derartige Formationen und die damit verbundenen sehr unorthodoxen Konzertevents für ein Massenpublikum sind etwas typisch angelsächsisches, das aber seit den 2000er Jahren auch hierzulande Nachahmer gefunden hat. In eine sehr ähnliche Richtung tendieren ja längst auch die alljährlichen Auftritte der Berliner Philharmoniker mit dem Saisonabschlusskonzert in der Waldbühne. Die Keimzelle und das letztlich zentrale Vorbild bildete das bereits 1885 begründete Boston Pops Orchestra, das Arthur Fiedler ab 1930 für insgesamt fast 50 Jahre leitete und damit eine ganz besondere Erfolgsgeschichte begründet hat. Pops-Formationen sind in aller Regel mit einem regionalen Klangkörper fest verbandelt. So auch das Boston Pops, das sich hauptsächlich aus Mitgliedern des Boston Symphony Orchestra (eines der US Big Five) zusammensetzt. Das Hollywood Bowl bildet hier zumindest seit seiner Neugründung im Jahr 1990 insofern einen Sonderfall, da es bei den Orchestermitgliedern keinerlei Überschneidungen mit den regulären Musikern des Los Angeles Philharmonic Orchestra gibt.
„John Mauceri – The Sound of Hollywood“
Das klingende Resultat des Philips-Projekts mit dem „New Hollywood Bowl“ unter John Mauceris Leitung erlebte in den Jahren 1991 bis 1996 seine Erstveröffentlichung und ist im vorliegenden Box-Set zusammengefasst. Von den insgesamt 16 CD-Alben umfassen 14 das Mauceri-Philips-Projekt und diese werden durch ein Überläufer-Duo aus dem Decca-Katalog auf 16 aufgefüllt: Der bereits im Jahr 1987 in London mit dem London Symphony Orchestra unter Mauceri produzierten CD 6 „My Fair Lady“ sowie die aus der Decca-Klassik-Reihe „Entartete Musik“ übernommene CD 16, „Schoenberg in Hollywood“, welche John Mauceri 1997 mit dem Radio-Sinfonieorchester Berlin sowie dem Deutsches Symphonie-Orchester Berlin realisierte.
Ein genauerer Blick auf die Rückseite des Box-Sets macht deutlich, dass die nicht chronologisch geordneten Alben sich grob in zwei große Gruppen gliedern. Die CDs 1 bis 7 sind inhaltlich dem weiten Feld der Broadway-Musicals und dabei insbesondere deren filmischen Adaptionen gewidmet, worin sich zugleich eines der Betätigungsfelder von Mauceri als renommierter Wiederentdecker praktisch vergessener Musicals spiegelt. Die CDs 9 bis 14 hingegen sind in erster Linie mit Filmmusikauszügen bestückt, wobei teilweise auch durchaus ansprechend und didaktisch wertvoll deren klassische Vorbilder mit integriert sind, etwa der Strauss’sche Rosenkavalierwalzer oder Ravels La Valse in der sehr gelungenen Kompilation „The Great Waltz“ (CD 9), die interessanterweise auch mit rund 10 Minuten aus Dimitri Tiomkins originellen Johann-Strauß-Arrangements zum Film desselben Namens aufwartet. „Hollywood Dreams“ (CD 11) eröffnete seinerzeit den Reigen und ist mit einer Laufzeit von rund 76 Minuten ein sehr gut bestücktes und darüber hinaus auch praktisch durchweg kompetent und schmissig interpretiertes Kompilationsalbum. Selten hat man etwa den Main Title zu Gone with the Wind derart dicht am Original interpretiert geboten bekommen – erst recht nicht die Ouvertüre zu How to Marry a Millionaire, die abseits der Filmtonspur bislang einzig von Charles Gerhardt auf Tonträger vorgelegt worden ist. Die grundsätzlich sehr zu begrüßende, rund 11-minütige Konzertsuite aus The Wizard of Oz bildet allerdings insofern einen dezenten Schwachpunkt als darin der weltberühmte Judy-Garland-Evergreen „Over the Rainbow“ leider nur allzu kurz aufscheint. Arnold Schönbergs für Leopold Stokowski 1945 aus seinen Gurre-Liedern entlehnte „Fanfare for a Bowl Concert“ ist wiederum eine echte Rarität. Das kleine Stück, das mit dem „Sonnenaufgang“ in C-Dur endet, blieb lange Fragment und ist erst von Leonard Stein, ehemaliger Schönberg-Schüler und erster Direktor des bis 1996 an der University of Southern California in Los Angeles beheimateten „Arnold Schoenberg Institute“, vollendet und von diesem am 13. Februar 1977 auch uraufgeführt worden.
„Hollywood Nightmares“ (CD 12) verbindet zum Einstieg drollig die Historie mit der Jetztzeit, indem ein unüberhörbar historisch klingender Auszug (Nadelton) aus dem 1929 teilweise nachträglich vertonten Stummfilm Phantom of the Opera von 1925 geschickt in eine synchrone Neueinspielung der originalen Musik überblendet wird. In besonderem Maße hörenswert sind hier neben Waxmans Sunset Boulevard (1950) und Dr. Jekyll and Mr. Hyde (1941) das Spellbound-Concerto aus der Musik zum gleichnamigen Film von Miklós Rózsa. Dass „The Sound of Hollywood“ (CD 14) mit seinen immerhin rund 76 Minuten Lauflänge jedoch ausschließlich Material aus den vorherigen Filmalben dupliziert, erregt schon verwundertes Kopfschütteln: etwa Herrmanns Vertigo-Suite, Steiners King-Kong-Ouvertüre, die beiden Korngold’schen Robin-Hood-Auszüge, die Walzer-Suite aus Gigi oder auch die Konzertsuite aus The Wizard of Oz. Beim hier fälschlich als Entr’acte ausgewiesenen Auszug aus „The Sound of Music“ (Richard Rodgers) handelt es sich übrigens um die Ouvertüre, bereits vertreten auf CD 2. Allerdings gibt’s den Main Title zu Gone with the Wind hier nun erfreulicherweise inklusive des zuvor fehlenden kurzen Selzick-Trademarks.
Die CDs 1 bis 7 sind den großen Broadway-Musicals gewidmet. Erstklassig geraten ist da bereits der Einstieg mit „The Gershwins in Hollywood“ (CD 1), auf dem besonders edle Raritäten zu hören sind. Dem steht der faszinierende Sampler mit „Rodgers & Hammerstein: Complete Overtures“ auf CD 2 qualitativ in nichts nach, der seinerzeit auch eine ganz besondere Rarität und Novität gewesen ist. Ebenfalls Auszüge und Arrangements für großes Orchester sowie einige Songeinlagen vereinen CD 4 „Heatwave – Patti Lupone sings Irving Berlin“ und CD 5 „The Hollywood Bowl on Broadway“. Auf dem letztgenanten Album sind wiederum besonders feine instrumentale Seltenheiten vertreten, etwa das 16-minütige „Carousel: A Symphonic Portrait“, das „Kurt Weill Songbook for Orchestra“ (15 min.) oder das herrliche rund 20-minütige Konzertszenario aus „Show Boat“.
Die beiden umfassenden Musical-Neueinspielungen im Set sind „The King and I“ (CD 3) und „My Fair Lady“ (CD 6). Bei „My Fair Lady“ mag dem einen oder anderen eventuell Kiri te Kanawa, die exquisite neuseeländische Sopranistin, in der Teenager-Rolle des Cockney-Blumenmädchens Liza Doolittle vielleicht doch als etwas zu reif und zu opernhaft anmuten. Mich hat allerdings der unverwechselbare Klang von Kiris Stimme auch an dieser Stelle keineswegs enttäuscht. „The King and I“ mit Julie Andrews gehört zweifellos zu den ganz besonderen Musical-Highlights. Das gilt nicht zuletzt, weil hier die von Alfred Newman, seinerzeit Chef des Musikdepartments von 20th Century Fox, für die Filmversion speziell eingerichtete, besonders farbig-exotisch und schwelgerisch gehaltene Bearbeitung der Originalkompositionen zugrunde gelegt worden ist. Newman ist dafür zu Recht mit einem Oscar ausgezeichnet worden.
Aus der Reihe tanzt das etwas zwiespältige Konzeptalbum „Songs of the Earth“ (CD 8), versehen mit dem auf den ersten Blick etwas seltsam anmutenden Untertitel „Twenty-Five Hours on our Planet“. Es vereint mehrheitlich Auszüge aus klassischen Werken, wobei der Reigen vom Sonnenaufgang aus Ravels „Daphnis et Chloe“, bis zum erneuten Sonnenaufgang in Schönbergs Gurre-Liedern reicht, der hier durchaus eindrucksvoll dargeboten erklingt. Franz Waxmans selten zu hörendes Konzertstück „Dusk“, entstanden aus seiner Filmmusik zu Night unto Night (1949) mit der obligaten elektrischen Violine, ist nicht bloß ein unbedingt hörenswerter Leckerbissen, sondern zudem die bisher einzige Einspielung dieser Musik überhaupt. Das gilt ebenfalls für die knapp halbstündige Orchester-Transkription Leopold Stokowskis aus Wagners „Tristan und Isolde“, die Mauceri für diese Einspielung offenbar in Teilen rekonstruiert hat. Auch das zweite Konzeptalbum „Journey to the Stars“ (CD 10) hinterlässt in Teilen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Da sind es zum einen die hierzulande eh verpönten Geräuscheinblendungen in einigen Stücken (z.B. Frankensteins Braut oder Things to come), die hier schon besonders aufdringlich zugemischt sind. Noch einschneidender im Sinne von gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Ausflüge in rein elektronische Klangsynthetik aus der Weltraumoper „Anira“ des Schweden Karl-Birger Blomdahls sowie aus der ersten rein elektronischen Science-Fiction-Filmkomposition für MGMs Alarm im Weltall (1956), komponiert vom amerikanischen Ehepaar Bebe und Louis Barron. Vertrautes von z.B. Herrmann, Goldsmith oder Elfman wird tadellos dargeboten. Wobei neben der langen, immerhin knapp 16-minütigen Suite aus Sir Arthur Blissʼ Things to come insbesondere die von Alex North komponierte (nicht verwendete) Eröffnungsfanfare für Stanley Kubriks 2001 – Odyssey im Weltraum (1968) mit einigem Schmiss aufwartet.
Das Album „Always and Forever“ (CD 13), knüpft lose an den Reihen-Erstling „Hollywood Dreams“ (CD 11) an und enthält eine Sammlung durchweg edel instrumental interpretierter Hollywood-Love-Themes. Wobei hier nahezu alles auch sehr elegant und typisch dem Klangidiom des jeweiligen Komponisten entspricht. Insbesondere das Thema David Raksins zu Laura vermag hier als allzu freies Song-Arrangement (im Film gibt es keinen Song), interpretiert von Phil Perry, am wenigsten zu überzeugen. Hat es mit dem Original doch kaum mehr als gerade noch das Thema gemein. Darüber hinaus überrascht und verwundert ein wenig die hier gewählte schon etwas Korngold-atypische Themen-Präsentation zu Escape Me Never (1947) in Form einer kleinen Rhapsodie für Klavier und Orchester. Dass zumindest recht originelle Konzept, hierfür einen historischen Mitschnitt zu verwenden, bei dem Korngold auf einer Party im Jahr 1951 das Thema am Klavier improvisierte und dieses Piano-Solo nun nachträglich mit einer orchestralen Begleitung versehen worden ist, gehört zu den wenigen Dingen, welche im Begleitheft zwar immerhin noch im Kleingedruckten kurz angemerkt sind, vom unbedarften Käufer aber leicht übersehen werden können. Dass die jeweiligen Liner Notes der ursprünglichen Einzelveröffentlichungen bei derartigen Box-Sets regelmäßig verloren gehen, ist hier in ganz besonderem Maße bedauerlich, da dadurch eine Vielfalt wichtiger Informationen auf der Strecke bleibt. Das gilt an dieser Stelle nicht bloß für „Schoenberg in Hollywood“, das in besonderem Maße quasi in der Luft hängt. Bestehende Informationslücken ein wenig zu verkleinern, dazu hilft immerhin der umfangreiche und zudem auch noch ansprechend bebilderte Artikel auf der HP Mauceris ein gutes Stück weiter: „The Sound of Hollywood – Three Decades Later“, der mit einer Reihe wertvoller Infos zu den damaligen Albenkonzeptionen wie auch zu den Aufnahmesitzungen aufwartet.
Mit dem Album „American Classics“ (CD 15) endet die musikalische Reise. „An American in Paris“ und die „Sinfonischen Tänze aus West Side Story“, beide in tadelloser Darbietung, sind dabei sehr vertraut. Das Pendant dazu bilden wiederum zwei besondere Raritäten, Duke Ellingtons „Harlem“ und die „Chairman Dances“ von John Adams, welche diese insgesamt sehr reizvolle musikalische Reise gelungen zu ihrem Schlusspunkt bringen. Zur Zeit ihrer Erstveröffentlichung waren die auch spielzeitmäßig jeweils sehr gut bestückten Alben nicht allzu erfolgreich. Umso angenehmer ist es nun, diese zum fairen Preis vereint im Box-Set erneut begutachten zu können. Alles in allem erhält man hier eine insgesamt edel eingespielte und auch entsprechend TOP klingende musikalische Kollektion, die sich schwerpunktmäßig aus dem großen Fundus amerikanischer Musik rekrutiert und dabei neben Vertrautem eben auch so manch wertvolle Rarität zum Entdecken bereithält. Wer es zuvor eventuell noch nicht wusste, der weiß es im Anschluss: John Mauceri kann praktisch jede Musik adäquat dirigieren und überzeugend zur Aufführung bringen.
Weiterführender LINK:
Conductor John Mauceri – A Conversation with Bruce Duffie, vermittelt detaillierte Einblicke zum Dirigenten John Mauceri, interviewt vom Radiomoderator Bruce Duffie am 30 Januar 1987 in Chicago.
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