Intrige (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
8. September 2020
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(5.5/6)

Bild

(5.5/6)

Ton

(5/6)

Extras

(4/6)

Roman Polanskis so akribische wie bedrückende filmische Studie über die Dreyfus-Affäre: Intrige

Im Original heißt das Buch „An Officer and a Spy“, aus dem der Autor Robert Harris zusammen mit Regisseur Roman Polanski das Filmdrehbuch entwickelt hat. Es geht darin um die Enthüllungsgeschichte eines tatsächlichen Justizskandals, welcher die Dritte französische Republik kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert in eine tiefe Krise stürzte, die auf ihrem Höhepunkt nicht nur im französischen Mutterland sondern selbst im kolonialen Algerien mit gewalttätigen Ausschreitungen und Todesopfern einherging. Dabei geht der französische Originaltitel des Films, J’accuse, auf den Titel des berühmten offenen Brief des Romanciers und Journalisten Émile Zola an den Präsidenten der Republik zurück, der 1898 die so genannte Dreyfus-Affäre ins Rollen brachte. Zola ist im Fall des Artillerieoffiziers Alfred Dreyfus (Louis Garrel) zugleich die prominenteste aller in das Geschehen involvierten Figuren.

Polanskis Film macht es nun deutlich anders als die vielen Vorläuferverfilmungen. Er rückt den heutzutage kaum mehr geläufigen Ermittler, Oberstleutnant Marie-Georges Picquardt (Jean Dujardin), ins Zentrum der Handlung. Von der Ahnung über den Zweifel bis zum Geheimnisverrat und damit im Interesse der Wahrheit auch ins Gefängnis führt der Weg Picquardts, welcher die eigentliche Hauptfigur dieses eindrucksvollen Justizdramas ist. Picquardt wird so letztlich zu einem frühen Whistleblower und ist damit zugleich der Held, jedoch keineswegs makellos, denn antisemitischen Scherzen und Bemerkungen ist er keinesfalls grundsätzlich abgeneigt. Ihn wegen einzelner Geschmacklosigkeiten nach heutigen Maßstäben zu verurteilen, führt jedoch in die Irre. Denn in jener Zeit war wellenweise auftretende massive antijüdische Hetze, etwa durch Teile der Presse, ein weit verbreitetes, alltägliches Phänomen, dessen Intensität allerdings in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts deutlich zunahm. Polanski unterstreicht die Aktualität, indem er eine Szene einbaut, in welcher ein aufgeputschter Mob die Fenster jüdischer Geschäfte mit Parolen wie „Tod den Juden“ beschmiert, rund 40 Jahre vor der deutschen Reichskristallnacht.

Picquardt erweist sich, obwohl erklärterweise kein Judenfreund, letztlich als integrer Charakter, als einer der wenigen im Militär, der über ein ausgeprägtes Gefühl für Recht und Unrecht verfügt und sein Urteilen und Handeln nicht an der jeweiligen Person, sondern allein an eindeutig belegbaren Fakten orientieren will. Sein Gerechtigkeitsempfinden zwingt ihm, dem nach der Verurteilung von Dreyfus zum Chef des Geheimdienstes Ernannten, nicht nur eine einsame Entscheidung auf. Auch auf dem mühsamen und langwierigen Weg, bis der Stein des Anstoßes endlich ins Rollen kommt, bleibt er lange Zeit ein absolut Einsamer, der sich niemandem anzuvertrauen wagt.

Als Picquart mit seinen Entdeckungen bei der militärischen Führung  keine Ruhe gibt, schickt man ihn auf eine Odyssee in die Bedeutungslosigkeit, zuerst in die französische Provinz und schließlich zu einem tunesischen Regiment ins Exil. Dabei geht es nicht allein darum, ihn mundtot zu machen, es wird sogar geplant, ihn bei der Erledigung eines gefährlichen Auftrages in einer äußerst unsicheren Provinz möglichst verschwinden zu lassen. Dass nicht nur die Haftbedingungen für Dreyfus, der auf der berüchtigten Teufelsinsel vor Französisch-Guayana seine lebenslange Haftstrafe absitzen sollte, zumindest zeitweilig Folter gleichkamen, ist nur ein weiterer Teil dieses hochinteressanten Falles, dessen Fülle an zum Teil schon grotesk anmutenden Details auch heutzutage noch erschüttert. Hier zeigt sich eindrucksvoll, zu welch enormem Ausmaß an dreister Rechtsbeugung, etwa durch gefälschte Beweise und Gutachten, eine zur Selbstherrlichkeit verkommene staatliche Institution in der Lage ist.

Roman Polanski hat aus dem hochinteressanten, vielseitigen Stoff ein faszinierendes Filmdrama im Stile eines Kostüm- und Politthrillers gemacht, der beim Zuschauer keinerlei Langeweile aufkommen lässt. Haus-Kameramann, Paweł Edelman, hat die zerklüftete Story in beeindruckende, stimmungsvolle Bilder mit Gemälde-Touch umgesetzt, gehalten im Stil impressionistischer Meister. Das ergibt zusammen mit dem erstklassigen Darsteller-Ensemble eine mitreißende Geschichtsstunde, die nicht nur aufgrund der in jüngster Zeit verstärkt auftretenden judenfeindlichen Übergriffe, sondern ebenso durch die anhaltende Verfolgung von Whistleblowern zugleich sehr aktuell ist. Beim Filmfestival Venedig 2019 erhielt Polanski den Großen Preis der Jury, und inzwischen ist Intrige auch für zwölf Césars (die französischen Oscars) nominiert. Polanskis erfolgreichster Film seit Jahren bietet sorgfältig ausgestattetes und unübersehbar gekonnt inszeniertes Erzählkino bester Machart. Der Regisseur Polanski hat jedenfalls erneut belegt, dass er zu den großen Könnern des Metiers zählt.

Der Mensch Roman Polanski steht freilich infolge der 1977 von der damals 13-jährigen Samantha Geimer erhobenen Vergewaltigungsvorwürfe zweifellos stark im Zwielicht. Auch wenn das Verhältnis zwischen ihm und seinem Opfer heutzutage eher entspannt ist, und Frau Geimer sich seit Jahren dafür einsetzt, dass der Fall zu den Akten gelegt wird, weil das auch ihr Leben erleichtern würde, wurde Polanski erneut von seiner Vergangenheit eingeholt. So wurde die Premiere des Filmdramas in Paris durch neu schwere Anschuldigungen überschattet, vorgebracht von Valentine Monnier: Polanski soll die damals 18-Jährige 1975 während eines gemeinsamen Skiurlaubs ebenfalls vergewaltigt haben. Entsprechend wurde die Vorstellung von Intrige durch massive Protesten begleitet, etwa von Anhängern (selbstverständlich sämtlicher Geschlechter) der MeToo-Bewegung, und spaltet wohl nicht allein die französische Republik ein weiteres Mal. Der Vorwurf, Polanski wolle sich mit Intrige selbst entlasten, kam dann noch hinzu. Dass er in einem Interview angemerkt haben soll, in seinem Schicksal gewisse Parallelen zur Dreyfus-Affäre zu erkennen, ist aber wohl eher unglücklich zitiert (siehe im Anhang). Dass ihm seine Vergangenheit kaum Ruhe lässt, ihn immer wieder mit Vehemenz einholt und vorführt, das ist, man mag zu seiner Person stehen wie man will, schon auch eine echte Strafe.

Die Filmmusik zu Roman Polanskis Intrige

Erwähnt sei auch noch die Musik, für die der 1961 geborene, derzeit im Business besonders gefragte französisch-griechische Komponist Alexandre Desplat verantwortlich zeichnet. Seine musikalische Untermalung besitzt entsprechend der Thematik des Films unterm Strich den Charakter eines betont atmosphärischen, passagenweise zudem bohrend wirkenden Klangdesigns, das auch infolge seiner in Teilen minimalistischen Orientierung von den Filmbildern gelöst vielen Filmmusikliebhaber nur begrenzt hörenswert erscheinen dürfte. Das von monotonen Synthesizer-Ostinati dominierte Finalstück, dem periodisch Musikfetzen des Alltags beigemischt werden, ist gar collagenhaft. Nur vereinzelt treten auch mal mehr thematisch orientierte Passagen hervor, etwa in „Réhabilitation“. Von Einprägsamkeit oder gar melodischer Sinnlichkeit ist das alles jedoch meilenweit entfernt. Insofern ist Desplats J’Accuse in erster Linie im Film funktional. Wer einen Draht zum packenden Film hat, mag eventuell Lust bekommen sich aus dem Albenschnitt ein individuell stimmiges klangliches Souvenir in Form einer Kurzsuite zu montieren. Rund 20 Minuten des knapp einstündigen CD-Albenschnitts nehmen zwei Source-Cues ein, der erste und der finale Satz aus dem Klavierquartett Nr. 2, Opus 45, von Gabriel Fauré.

Intrige in HD auf BD

Die Blu-ray-Veröffentlichung von explosive media ist als Einzel-BD in schwarzer Amaray-Box im Schuber erhältlich, versehen mit einem ansprechenden Filmplakatmotiv als Cover.

Bild und Ton

Das HD-Bild im korrekten Scope-Format (1: 2,35) sieht fast durchweg fein aus. Sehr gute Schärfe und ein bis hinunter zum satten Schwarz überzeugend abgestuft erscheinendes Kontrastverhältnis gehen Hand in Hand und sorgen für detailreiche Bilder von einiger Brillanz. Die zum Großteil eleganten Bilder im Stile der berühmten französischen Impressionisten kommen so vorzüglich zur Geltung.

Der Stereo-Ton ist sowohl in Englisch als auch in Deutsch sehr frisch und klar. Er verfügt außerdem über einige Dynamik, mit der man das Heimkino schon in eindrucksvolle akustische Schwingungen versetzten kann.

Extras

Als Boni gibt es neben einem Kino-Trailer ein solides, knapp 30-minütiges Making-Of, das interessante Einblicke hinter die Kulissen der Produktion  vermittelt.

Weiterführende LINKs:

Neben dem interessanten historischen Hintergrund lohnt Émile Zolas berühmter offener Brief, veröffentlicht am 13. Januar 1898 in der liberalen Zeitung L’Aurore, eine eingehendere kritische Betrachtung: „Émile Zolas offener Brief „J’accuse“ – die Wende in der Dreyfus-Affäre? Ein Essay zur Urszene und Gründungsurkunde des Intellektuellen“, Rolf-Bernhard Essig, Literaturkritik.de, Ausgabe Nr. 5, Mai 2003.

„Intrige-Regisseur: Neuer Vergewaltigungsvorwurf gegen Roman Polanski“, DER SPIEGEL, 09.11.2019.

„Gelungener Film, schwieriger Fall“, Kathleen Hildebrand, SZ.de, 05.02.2020.

Zur Besprechung der Buchvorlage von Rober Harris geht’s hier.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Originaltitel:
J'accuse

Regisseur:
Polanski, Roman

Erschienen:
2020/07
Vertrieb:
Weltkino (Vertrieb: LEONINE)
Zusatzinformationen:
F/I 2019

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