Der insgesamt nicht bloß nett, sondern sehr beachtlich geratene Abschluss der Indiana-Jones-Filmreihe, „Indiana Jones 5“: Indiana Jones und das Rad des Schicksals
Viele Leser dürften zu Indiana Jones die ersten drei Filme, also die der so genannten Indiana-Jones-Trilogie besonders bevorzugen. Der 4te Teil, die Saga um den Kristallschädel fällt dagegen zwar ein Stück ab. Er besitzt aber schon noch eine ganze Reihe sehr netter Einfälle, so dass ich mir den hin und wieder auch nochmal ansehen mag, auch wenn ich punktuell dann schon mal etwas vorwärts skippe. Aber selbst hier macht es schon noch Spaß mit Harrison Ford, der doch geradezu der Archetyp des Leinwandabenteurers der Nach-Errol-Flynn-Ära ist, auf Abenteuer- und Entdeckungsreisen zu gehen. Und schließlich ist es ja auch die bei sämtlichen Filmen der Reihe immer sorgfältige Machart, etwa der so detailfreudig ausgestalteten Produktionsdesigns der Höhlen und unterirdischen Geheimkammern, und damit der beachtlich betriebene Aufwand, der die Streifen immer wieder mal sehenswert macht. Und was ist nun mit Indiana Jones und das Rad des Schicksals, der hierzulande am 29. Juni 2023 seinen Kinostart erlebte? Die Kritiken waren mehrheitlich geradezu inbrünstig negativ. Dem kann ich mich keinesfalls anschließen. Mich hat der Film, den ich (eher zufällig) insgesamt sogar drei Mal im Kino gesehen habe, bereits beim ersten Mal keineswegs enttäuscht, sondern vielmehr durchaus solide unterhalten. Und dieser Eindruck hat anschließend fortlaufend zugelegt, auch nach einer vierten, nun heimischen Sichtung nochmals ein Stückchen, was ja schon mal ein gutes Zeichen ist. Der Film ist jedenfalls erheblich besser als sein wie auf Kommando schlecht geredeter Ruf!
Sicher ist die Story um den vom großen Archimedes stammenden, angeblich Zeitreisen ermöglichenden „Mechanismus von Antikythera“, unterm Strich schon ein ganz schön abgefahrenes Ding, aber das gilt doch selbst für die besten Filme der Reihe genauso. Was die Glaubwürdigkeit angeht, musste man bei Indiana Jones doch auch zuvor an diversen Stellen mal kurzzeitig den Verstand komplett ausschalten und dem Spaß an der Sache den Vorrang einräumen. Wen wundert das wirklich und was ist daran störend? Schließlich geht es hierbei doch ausschließlich um perfektes Unterhaltungs- oder auf Neudeutsch „Popcornkino“, das eben auch gewissen Märchencharakter besitzt, aber doch nicht um mehr. Was will man vom Unterhaltungskino, welches doch immer die zentrale Aufgabe des Kinos war und bleiben wird, denn immer an völlig perfekten, komplett logischen und dazu möglichst noch komplex ausgefeilten Plots erwarten? Den Zuschauer mit Hilfe einer gut erzählten Geschichte, also ohne dass sich dabei die Haare sträuben, gekonnt aus seiner Alltagswelt auf eine spannende Reise mitzunehmen und dabei möglichst perfekt zu unterhalten. Darin liegt doch wohl vielmehr das Geheimnis. Und das funktioniert immer dann besonders gut, wenn die am Filmprojekt Beteiligten ihre Jobs mit erkennbarer Liebe verrichtet haben. Und dass dies hier durchaus der Fall gewesen ist, das wird nicht nur deutlicher, wenn man sich den Film mehrfach anschaut. Ein das Bewusstsein dafür zusätzlich schärfendes Element ist das der Heimkinoversion beigefügte vorzügliche Making Of, welches den Blick auch auf Dinge und Details lenkt, die einem sonst nicht in Gänze bewusst werden.
Bereits dass die geläufigen Nazi-Stereotype der alliierten Kriegspropaganda keinesfalls platt, sondern dieses Mal sogar besonders raffiniert bemüht werden, ist ein wichtiger Teil dessen, was den Spaß bereitet! Allein das Handlungskonstrukt mit nach dem Krieg amerikanisierten Nazis, die hier doch völlig stimmig aus dem Umfeld von Werner von Braun stammen, ist sorgfältig angedacht. Natürlich kommen dabei auch diverse geläufige Klischees mit ins Spiel, aber ohne diese funktioniert das doch alles gar nicht, wenn dabei auch gelacht werden darf und soll! Der Obernazi, verkörpert von Mads Mikkelsen als Jürgen Voller, besitzt sogar besondere Klasse. Dieser darf hier endlich mal ein echt intelligenter Fiesling sein, einer, der als renommierter Physiker im US-Raumfahrtprogramm sogar Termine beim Präsidenten hat.
Noch am ehesten als gelungen angesehen wird ja der rasante, rund 20-minütige Prolog mit dem Indiana Jones 5 absolut gelungen zu den Filmen der Trilogie aufzuschließen vermag. Dazu gibt’s eine Rückblende in das Jahr 1944 mit einem entsprechend digital verjüngten Harrison Ford, was schon für sich genommen eine witzige Sache ist. Und in dieser macht nicht nur der digitalisierte Harrison Ford sondern auch Thomas Kretschmann eine überzeugende Figur als SS-Standartenführer Weber, der sich mit Indy ein ganz sicher nicht ernst zunehmendes, aber äußerst unterhaltsam anzuschauendes, geradezu klassisches Indiana-Jonas-Duell liefert um den Ausspruch „Dem Sieger gehört die Beute“. Kretschmann, der auf einem Schloss in den französischen Alpen residiert, agiert hier ähnlich energisch wie in Operation Walküre (2008), wobei er hier bemüht ist, einen Zug mit Beutekunst ins Reich zu bringen, was für einen Moment John Frankenheimers Der Zug (1964) in Erinnerung ruft. Beim besagten Duell begegnet Indy auch Jürgen Voller zum ersten Mal, den er später als Altnazi im Jahre 1969 wiedertrifft. Voller sieht im „Mechanismus von Antikythera“ seine ganz große Chance. Er will sich per Zeitreise ins Jahr 1939 zurückkatapultieren, um Hitler, der nach seiner Auffassung zu viele Fehler gemacht habe, zu ermorden und selbst zu einem noch größeren Führer zu werden. Dabei wird er für Indy zu einem besonders raffinierten wie auch gefährlichen Gegenspieler. Einen derart eindrucksvollen Nazi gab’s zuvor noch nicht in einem Indiana-Jones-Kinoabenteuer.
Damit ist auch im weiteren Verlauf der Handlung alles eben nicht derart platt und tumb auf 08/15-Weltkrieg-2-Propaganda-Niveau, wie es im US-Kinofilm zuvor mitunter noch bis in die frühen 1970er Jahre üblich war, z. B. in Where Eagles dare ∗ Agenten sterben einsam oder Guns of Navarone ∗ Die Kanonen von Navarone, wo die zur Schau gestellten Nazis strotzend vor Brutalität und Dümmlichkeit heutzutage kaum mehr zu ertragen sind. Und auch wenn die an den Prolog anschließende, im Jahr 1969 spielende Story nicht ganz den Level der besten Indiana-Jones-Abenteuer erreicht, geht es auch über die darauffolgenden satten zwei Stunden Film alles in allem äußerst solide weiter. Der Zuschauer wird mitgenommen auf ein diverse Schauplätze umfassendes, turbulentes Abenteuer, das ihn nach Marokko und Sizilien führt, und dabei wird er durch nette Gags- und Actioneinlagen gut bei der Stange gehalten. In vielem besinnt sich der insbesondere bei näherem Hinsehen keinesfalls oberflächlich oder gar lieblos gestaltete Abschluss der Indiana-Jones-Filmreihe dabei wieder auf die Wurzeln und damit auf das, was den großen Erfolg der ersten drei Kinoabenteuer in den 1980ern begründet hat.
Entsprechend sind dabei auch immer wieder Gelegenheiten zum Schmunzeln mit eingeschlossen, und das, obwohl es auch eine Reihe nachdenklicher Momente gibt, etwa dass Indys Sohn Mutt im Vietnamkrieg gefallen ist und auch dass Indys Ehe mit Marion offenbar gescheitert ist. Der alt gewordene Indy lebt im Jahr 1969 denn auch in einer eher bescheiden, etwas schäbig anmutenden Wohnung in New York und er wird, schon dezent deprimiert und desillusioniert wirkend, aus seiner Lehrtätigkeit am Hunter College in den Ruhestand verabschiedet. Dass im Laufe eines Lebens längst nicht immer alles nach Wunsch geht und Dinge mitunter auch arg schief laufen, ist sicher auch den allermeisten derjenigen Zuschauer nicht komplett unbekannt, die Harrison Ford als Indiana Jones über die vielen Jahre seit 1981 begleitet haben. Und das diese dabei ja zwangsläufig auch selbst entsprechend älter und um Erfahrungen reicher geworden sind, ist ein weiterer recht charmanter Aspekt und lässt Indy gar ein klein wenig zur Indentifikationsfigur werden. Das beschauliche Rentnerdasein wird allerdings prompt aufgemischt von der sehr ansehnlichen Phoebe Waller-Bridge als Indys Patentochter Helena.
Klar ist Harrison Ford, der seinen Part so angenehm selbstironisch gibt, nicht bloß für den im U-Bahntunnel endenden drolligen Pony-Galopp bei der New Yorker Konfettiparade für die heimgekehrten Mondfahrer an sich zu alt, aber der Spaßfaktor stimmt eben nicht nur an dieser Stelle durchaus. Wer aber tatsächlich meint, Ford als „Action-Opi“ nicht goutieren zu können, dem ist schlichtweg nicht zu helfen. Wenn dieser nach dem Prolog zum ersten Mal mit seinen mittlerweile 80 Lenzen sogar mit nacktem Oberkörper seinen Auftritt erhält, ist das doch in seiner ungeschminkten Direktheit einfach klasse. Und natürlich kann Ford nicht mehr alles selbst machen, sondern hat sich in diversen Szenen auch vertreten lassen. Das hat Mike Massa erledigt, der für Ford ein feines Double abgibt. Auch dass Indy am Schluss wieder mit Marion zusammengeführt wird, sich beide offenbar nochmal eine Chance geben wollen und er so in ein einigermaßen gesichertes Rentnerdasein entlassen wird, ist ein ansprechender, ja durchaus dezent anrührender Aspekt des Films. Auch an diesem Punkt geht es einmal mehr um Zeit im Allgemeinen und Lebenszeit im Besonderen und damit einhergehend auch um Enttäuschungen und verpasste Chancen. Auch das Uhrticken ganz zu Beginn über den Eingang-Logos ergibt damit Sinn. Aber keine Angst: Was Botschaften anbelangt soll und muss man es an dieser Stelle gewiss nicht übertreiben und sollte diese schon gar nicht allzu ernst nehmen.
Last but not least ist der letzte Indiana-Jones-Streifen ja auch visuell keineswegs billig gemacht, im Gegenteil. Die eindrucksvoll inszenierte Konfettiparade etwa wurde grandios im schottischen Glasgow inszeniert und der fulminante Prolog startet im prächtigen Bamburgh Castle in Northumberland im Norden Englands. Und die Szene im so genannten „Ohr des Dionysos“, einer künstlich geschaffenen antiken Höhle nahe der Stadt Syrakus, bildet im Film den Hintergrund für einen effektvollen, besonders eindringlichen akustischen Moment.
Ich gebe darum dem doch weitgehend gelungenen Abschluss der Indiana-Jones-Reihe in jedem Fall ganze vier Cinemusic.de-„Weihnachts“-Sterne. Mögen diese auch dem ganz eiligen Leser, dem der primär auf Bewertungen schaut und zuvor vielleicht nur mit den geradezu in Serie anzutreffenden Verrissen konfrontiert war, direkt signalisieren, dass Indiana Jones und das Rad des Schicksals in jedem Fall mindestens eine Chance verdient hat.
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