„Hollywoods Traum von Rom — Gladiator und die Tradition des Monumentalfilms“
Der renommierte Historiker und Schriftsteller Marcus Junkelmann ist nicht allein als Autor zahlreicher Bände zur römischen Militärgeschichte geläufig, er ist ebenso dafür bekannt, dass er die Ergebnisse seiner Forschungen im archäologischen Experiment überprüft. Das 2000-jährige Jubiläum der Stadt Augsburg im Jahr 1985 nahm der Historiker zum Anlass für ein bemerkenswertes Unternehmen. Junkelmann führte als „Centurio“ eine Gruppe Gleichgesinnter im Rahmen einer übrigens selbst finanzierten „historischen“ Wanderung auf den Spuren der Legionen des Drusus (Stiefsohn des Kaisers Augustus) von Verona bis Augsburg. Dabei hatte man sich ausschließlich mit Materialien und Werkzeugen ausgerüstet, die auf originalgetreuen Nachbildungen historischer Funde beruhten und konnte so aus der Praxis dieses „Römermarsches“ wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die bei der stimmigen Interpretation von Fundstücken der antiken Vergangenheit beträchtliche Hilfestellung leisten. So manches bisher Angenommene erwies sich dabei als eher unwahrscheinlich. Entsprechendes gilt für analoge Praxis-Tests, die beispielsweise in den letzten Jahren bei Gladiatorenkämpfen erzielt wurden. Für das Handwerk der Gladiatoren gilt übrigens, dass es zwar keineswegs harmlos, aber in Wirklichkeit eben auch nicht das allein blutrünstig-sadistische Abschlachten für die Massen gewesen ist, wie es uns sowohl das klassische Kino (z. B. in Demetrius and the Gladiators und Quo Vadis?) als auch der Gladiator suggerieren möchte. Vielmehr galten für die Kämpfe in der Arena sehr strenge Regeln, die ungleiche Kämpfe wie David gegen Goliath nicht zuließen und die Todesrate dürfte bei eher moderaten etwa 20 % gelegen haben. Schließlich hatten Gladiatoren eine teure Ausbildung genossen: Sie waren damit wertvoll und nicht zum Verheizen bestimmt!
Aus seinen Erfahrungen im Gladiatorenwesen heraus hat sich Junkelmann in seinem neuesten Buch — sinnigerweise ausgehend von Ridley Scotts erfolgreicher Neuauflage des klassischen Sandalenepos, Gladiator (2000) — auf Spurensuche begeben. Im Band 94 der Reihe „Kulturgeschichte der Antiken Welt“ hat sich der Forscher eingehend damit auseinander gesetzt, was in Hollywoods Leinwandvisionen der römischen Antike richtig und was falsch dargestellt wird. Er zeigt dabei auf, wie sehr gerade das populäre Bild von der römischen Antike durch diverse Monumentalfilme — in erster Linie natürlich die aus Hollywood — mitgeprägt worden ist. Die Publikation verdeutlicht aber ebenso, wie sehr der Realitätsgehalt nicht allein von den technischen Möglichkeiten der Umsetzung, sondern sowohl durch künstlerische als auch durch Konzessionen an den jeweiligen Zeitgeschmack beeinflusst ist.
In leicht verständlichem Stil geht der Historiker Junkelmann sachkundig und niveauvoll, aber dabei keineswegs bierernst an die Sache heran. Ebenso wenig ist Herablassung oder gar kleinkarierte Kritik gegenüber derartigen Kinofilmen spürbar. Nein, der Verfasser scheint vielmehr durchaus von einer gehörigen Portion Liebe für die Niederungen des monumentalen Sadalenkinos getrieben worden zu sein. Und direkt auf der Titelseite im Innern des Buches (Seite II/III) präsentiert er uns wohl einen seiner Favoriten, nämlich Anthony Manns The Fall of the Roman Empire (1964), welcher das perfekteste und damit authentischste Film-Rom zeigt. Natürlich kann man im Buch auch Ridley Scotts computergenerierte Vision des antiken Roms bewundern, die Junkelmann (abgesehen vom Colosseum) etwas spöttisch als klassizistische Fata Morgana bezeichnet. Der Schutzumschlag zeigt origineller- und ironischerweise sogar einen „Römer“ an der Kamera: Charlton Heston bei den Dreharbeiten zu Antony and Cleopatra (1972).
Was den Charakter eines römischen Triumphzuges anbelangt, schneidet ebenfalls Anthony Manns Film am besten ab. Der Triumphzug in der 1959er Breitwandversion von Ben-Hur erhält hingegen die leicht ironische Bezeichnung „1.-Mai-Parade“, in Erinnerung an die ehedem besonders martialischen Aufmärsche im „real existierenden Sozialismus“. Die historisch korrekten Triumphzüge des alten Roms hatten mit militärischen Paraden kaum etwas gemein, sondern besaßen religiösen Charakter. Und mit einem kleineren Irrtum im Zusatzmaterial von Cleopatra (1962) wird auch aufgeräumt: Bei dem während des Einzuges von Kleopatra in Rom gezeigten Triumphbogen handelt es sich nicht um den Titus- sondern um den Konstantin-Bogen — wobei beide Bauwerke nicht in die Zeit der Filmhandlung gehören.
Kathleen M. Coleman, historische Beraterin bei Gladiator, äußert sich in einem speziell für das vorliegende Buch abgefassten, ernüchternden Essay über Ideal und Wirklichkeit des Einsatzes von Wissenschaftlern bei der Produktion von Historienfilmen, denn „Historische Authentizität scheint eine etwas periphere Überlegung zu sein“. In einem recht breit gefächerten Einleitungskapitel, „Past Imperfect“, werden dazu die bekannten Probleme bei Historienfilmen angerissen, wie Raffung und Vereinfachung komplexer Vorgänge und das Einbeziehen bestimmter „angeblicher“ Erwartungen des Publikums, wie den Einsatz von Stars und natürlich die berühmt-berüchtigte, obligate Love-Story.
Der Autor konstatiert dabei aber nicht allein mehrheitlich den Filmemachern, sondern auch einem hohen Prozentsatz der eigenen Zunft, den Fachhistorikern, beträchtliche Mängel beim ehrlichen Bemühen um eine möglichst wenig manipulierte und damit weitgehend objektive Darstellung der historischen Wahrheit. „So sehr die audiovisuelle Bearbeitung der Geschichte die Akzente verschieben mag, in mancher Hinsicht weisen die Tätigkeiten des Historikers und des Filmemachers größere Ähnlichkeit miteinander auf, als beide Seiten es oft wahrhaben wollen. Auch der Geschichtsschreiber muss aus der Fülle seines Materials auswählen, auch er muss raffen, ordnen, Schwerpunkte setzen, in gewisser Weise dramatisieren, gerade wie seine Kollegen von der Filmbranche im Schneideraum die brauchbaren Aufnahmen aussuchen und zu Szenen und Sequenzen zusammenfügen, sie dramaturgisch gestalten“, (indem er) mit Ton und Musik versieht. „Und natürlich bildet schon aus diesem Grund die absolute, unmanipulierte Objektivität der Darstellung für den einen wie für den anderen auch bei ehrlichstem Bemühen ein unerreichbares Ideal.“
Der Schreiber plädiert dafür, dass die zwangsläufige Relativität jeder historischen Erkenntnis nicht als Argument dafür dienen darf, sich beim Umgang mit der Geschichte praktisch jede beliebige Freiheit nehmen zu dürfen. Ebenso lehnt er die These vom eher naiv-ahnungslosen Zuschauer ab, setzt vielmehr auf die zunehmende Kritikfähigkeit einer wachsenden Minderheit dieser entscheidenden Gruppe: „Ich würde nach zahlreichen Gesprächen mit Laien ganz entschieden davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil des Publikums, das sich derartige Filme überhaupt ansieht, durchaus erwartet, korrekt informiert zu werden. Mangelnde Kenntnisse dürfen nicht einfach mit fehlendem Interesse gleichgesetzt werden. Gewiss sind den meisten Zuschauern der Unterhaltungswert des Streifens und seine technischen wie optischen Qualitäten letztendlich wichtiger, aber sie möchten doch auch einen Blick in die Vergangenheit werfen und sehen nicht ein, warum dieser ihnen unnötig verzerrt wird, vor allem wenn kein finanzieller Mehraufwand damit verbunden gewesen wäre. Gerade die Korrektheit der antiquarischen und praktischen Details wird erwartet, mehr noch als die der Handlung im Großen, von der man recht wohl weiß, dass sie vereinfacht und auf Effekte zugespitzt werden muss.“
Ein (kleineres) Problem der Publikation reißt Junkelmann ebenfalls in der Einleitung an: Ein Buch über Filme ist stets auch eines über deren Bilder und sollte in entsprechendem Umfang repräsentatives Standbildmaterial präsentieren. Die zum Teil horrenden Forderungen der Rechteinhaber von bis zu 1000 $ pro Bild setzten zwischen Wunsch und Realisierung zwar klare Grenzen, aber das Erreichte ist trotz Einschränkungen insgesamt eindrucksvoll. Auch wenn sicherlich manches aufschlussreiche Filmbild fehlt, das historische Vergleichsmaterial in Form von Historiengemälden und archäologischen Funden ist in ausreichendem Maße präsent. Darüber hinaus können die fehlenden Filmbilder durch ein eingehenderes Studium der betreffenden Filme (am besten von DVD) weitestgehend ausgeglichen werden.
Das insgesamt sehr facettenreiche Thema antiker Historienfilm wird in Form seiner grundlegenden Probleme abgehandelt. Ridley Scotts Gladiator macht dabei den Hauptgegenstand der Untersuchung aus. Weiterhin sind The Sign of the Cross (1932), Quo Vadis? (1951), Ben-Hur (1959) und neben Spartacus (1960) der bereits erwähnte The Fall of the Roman Empire (1964) eingehender behandelt.
Wohl kaum etwas, das den Monumentalfilmfreund bewegt, bleibt dabei unberücksichtigt. Besonders erwähnt sei noch das für den Liebhaber großer Schlachtsequenzen bedeutungsvolle Kapitel „Lasst die Hölle los“. Hier wird die zwar meist aufwändige, aber aus historischer Sicht nur als absolut frei zu bezeichnende Umsetzung antiker Militäraktionen analysiert. So entspringen die in derartigen Kampfaktionen immer wieder inszenierten Feuersbrünste allein den modernen apokalyptischen Fantasien der Filmemacher und auch taktische Logik sucht man im turbulenten Leinwandgeschehen oft vergebens. Dieses entlarvende Fazit gilt sowohl für die eröffnende Barbarenschlacht in Gladiator als auch für die Entscheidungsschlacht in Spartacus: Immerhin gehört aber im Letztgenannten der Aufmarsch der römischen Formationen zum Korrektesten, was man bislang auf der Kinoleinwand sehen kann.
Sowohl der Stil der Abhandlung als auch die umfangreichen, gewissenhaft dokumentierten Anmerkungen und ebenso das sorgfältig erstellte Register zeigen Marcus Junkelmanns Ausflug ins Genre der antiken Monumental-Epen als quicklebendige, gut fassliche und zugleich anspruchsvolle Publikation von Rang. Somit ist „Hollywoods Traum von Rom — Gladiator und die Tradition des Monumentalfilms“ weder akademisch trocken noch langweilig geraten. Es handelt sich vielmehr um ein interessantes, aufschlussreiches und dabei flüssiges Lesebuch, in dem nicht ausschließlich Studierte stöbern und sich festlesen mögen, sondern ebenso der interessierte Normalverbraucher. Ein Buch, bei dessen Studium so manch einem der gestandenen Freunde des epischen Monumentalkinos der etwas wehmütige Gedanke kommen wird: etwas Derartiges hätte man sich schon 20 bis 30 Jahre früher gewünscht; findet man hier doch eine Fülle kompetenter Informationen zum Thema, die man ansonsten erst mühsam aus vielen Quellen zusammentragen muss.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Pfingsten 2004.