Kommentar zum Film: Hagen — Im Tal der Nibelungen (2024)
Mit der klassischen germanischen Nibelungensage werden wohl direkt die Begriffe „Ring“, „Drache“, „Schatz“, „Zwerg“, „Hagen“, „Siegfried“ und „Schwert“ assoziiert. Neben den vier besonders markanten Musikdramen „Der Ring des Nibelungen“ Richard Wagners denkt man sicher auch noch an diverse Kino- oder TV-Adaptionen, etwa die beiden Filme von Fritz Lang der 1920er Jahre oder Harald Reinls ebenfalls zweiteilige Kino-Saga, die Mitte der 1960er entstand.
Das Regisseuren-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert ist neben dem Kinofilm (Neues vom Wixxer, Das Haus der Krokodile) auch im TV-Serienbereich (Der Pass) geläufig. Das Duo hat sich jetzt an eine Neuinterpretation des Nibelungen-Stoffes gewagt, genauer des ersten Teiles davon, die Ereignisse bis Siegfrieds Tod umfassend. Der gesamte zweite Teil des „Nibelungenlieds“ und damit Kriemhilds Hochzeit mit Etzel, die Reise der Burgunder an den hunnischen Königshof und das große blutige Finale in der brennenden Halle der Etzelburg bleiben hier außen vor. Als Vorlage diente Wolfgang Hohlbeins Roman „Hagen von Tronje“ aus dem Jahr 1986 – als preiswerte Taschenbuchausgabe erhältlich beim Ueberreuter Verlag. Der Autor hat aus der klassischen Nibelungensaga eine auf dem Level moderner Unterhaltungsliteratur rangierende Neuinterpretation und damit zugleich einen durchaus lebendigen und flüssig lesbaren Abenteuerstoff gemacht. Dieser hätte sich allerdings im doch allzu heutigen Umgang der Figuren untereinander und auch der allzu saloppen, modernen Sprechweise ruhig einen kleinen altertümlich mittelalterlich anmutenden Hauch bewahren dürfen, was ebenso für die Verfilmung gilt. Sicher darf man es an dieser Stelle, wo es doch um ein reines Unterhaltungsopus wie auch –epos geht, mit Komplexität in der Sprechweise nicht übertreiben. Trotzdem ist es in meinen Augen echt schade, dass es in zeitlich weit zurückliegenden Epochen spielenden Filmhandlungen offenbar immer nur gesprochen wird, wie man es von der Straße gewohnt ist. Das heutzutage so etwas wie in Franz Peter Wirths faszinierendem ZDF-Vierteiler Wallenstein aus dem Jahr 1978 offenbar dem Zuschauer nicht mehr zuzumuten und damit nicht mehr realisierbar ist, zeugt meines Erachtens von zu wenig Wagemut bei den Machern.
Boss und Stennert haben aus Hohlbeins bereits mit viel Zeitgeist aufgepeppter und vereinfachter Vorlage, welche ja selbst bereits 40 Lenze auf dem Buckel hat, nun endgültig einen zeitgemäßen Vertreter der Fantasyserienwelten des frühen 21. Jahrhunderts gemacht. Man schwimmt klar im Kielwasser von Game of Thrones und House of the Dragon, wobei ein – im Gegensatz zum Nibelungendrachen Fafnir – sogar fliegender Drache direkt zu Beginn ganz kurz ins Bild tritt. Elemente des Übernatürlichen bleiben in Hohlbeins Roman praktisch komplett ausgeblendet. In der Filmversion ist Derartiges schon erheblich bedeutsamer eingewoben. Es tritt etwa bei der Schilderung von Hagens dunkler Vergangenheit in Form der darin eine Rolle spielenden „alten Wesen“ auf den Plan und auch in Siegrieds Entourage befindet sich einer deren Vertreter, der Zwerg Alberich. Der in der Eröffnung und späterhin in einer traumatischen Rückblende nochmals kurz zu sehende Flugdrache entpuppt sich als der, den späterhin Siegfried erschlug. Er wird als der letzte seiner Art und darüber hinaus als Retter von Hagen als Kind geschildert.
Mit im Vergleich zu Hollywoodblockbustern zwar bescheidenen 15 Millionen Euro Budget ist es für hiesige Verhältnisse eine der teuersten bisherigen Filmproduktionen geworden. Erfreulicherweise muss man schon feststellen, dass Hagen keinesfalls billig aussehend daher kommt, sondern sehr ansehnlich geraten ist. Dabei ist insbesondere die Atmosphäre des Wandels einer sehr frühen, sagenhaften, mystischen Epoche, in der die heidnischen Götter und auch Zauberer und Drachen dem „modernen“ Christentum weichen müssen, in sehr ansprechend mystisch gestalteten Landschaftseindrücken und aufwändig gestalteten Sets eingefangen worden. Ein markantes frühes Vorbild dazu bildet übrigens die Fantasyverfilmung Dragonslayer ∗ Der Drachentöter (1981, Musik: Alex North) aus dem Hause Disney.
Die Filmstory rankt sich um die hier interessanterweise merklich anders als gewohnt charakterisierte Figur des burgundischen Waffenmeisters und Beschützers der Königsfamilie, Hagen von Tronje (Gijs Naber). Dieser ist nämlich nicht bloß über die erste Dreiviertelstunde noch ohne die übliche charakteristische schwarze Augenklappe zu sehen, sondern er agiert hier auch insbesondere nicht als der abgefeimte Finsterling, der sich für einen Meuchelmord nicht zu schade ist. Hagen tritt vielmehr als kluger Staatsmann und treuer Diener seines noch sehr unerfahrenen jungen Königs Gunter auf den Plan. Aufgrund seiner heimlichen Liebe zur Königstochter Krimhild (Lilja van der Zwaag) steckt er allerdings in einem schweren Dilemma. Auch wenn Hagen diese Zuneigung aus Pflichtgefühl gegenüber Gunter unterdrückt, weiß er zugleich, dass diese infolge des Standesunterschieds eh unerfüllt bleiben muss. Der zuvor als Helden- und Lichtgestalt bekannte Siegfried (Jannis Niewöhner) wird im Gegenzug kräftig entzaubert. Er ist zwar ein unerschrockener und damit für die durch äußere Feinde bedrohten Burgunder wertvoller Krieger, aber zugleich auch ein ebenso machthungriger wie penetrant großmäuliger Blender und Weiberheld, einer, der nur allzu gerne seine Show abzieht. Hagen wird damit praktisch zwangsläufig nicht nur zum indirekten Rivalen von Siegfried, sondern auch zu einer tragischen Figur.
Der zweifellos recht bildgewaltige, in Teilen opulente Film ist in der Darstellung historischer Bezüge nicht gerade um Korrektheit in der Darstellung bemüht, was z.B. für die sehr frei, mit einem Hauch von Martail-Arts versehenen Schwertkämpfe gilt.
Storytechnisch sind das wie und warum, etwa um den letzten der Drachen oder auch Alberich, von dem hier nicht einmal als Hüter des Nibelungenschatzes die Rede ist — auch Siegfrieds Schwert „Balmung“ spielt keine hervorgehobene Rolle —, zwar längst nicht immer perfekt, aber auch nicht langweilig inszeniert. Dabei werden die Liebhaber moderner Fantasy-Sagen hier ein Stück weniger actionlastig unterhalten. Sie kommen aber trotzdem auf ihre Kosten, denn das machen die vom recht aufwändigen Produktionsdesign herrührenden, häufiger recht imposanten Bildeindrücke mehr als wett. Diese ziehen den Zuschauer auf der Reise durch dieses Kinoabenteuer in besonderem Maße in ihren Bann und halten ihn bei der Stange.
Die vielfältigen Schauplätze und Drehorte des Films sind in Tschechien beheimatet. Neben dem Hauptdrehort in den Prager Barrandov-Filmstudios sind diese in den Regionen Nord-, Süd- und Zentralböhmens zu finden. So etwa die prächtige mittelalterliche St. Bartholomäus Kirche in Kolín, die als einer der wenigen Originalschauplätze diente. Neben den digital exzellent getricksten Sets und den ebenfalls nachbearbeiteten, betont urwüchsigen hiesigen Landschaften sorgen dann häufig auch die edlen Kostüme, dank ihrer oftmals besonders schön gehaltenen farblichen Abstufungen sowie deren große Detailvielfalt, für so manchen Hingucker. Und auch dort, wo die sagenumwobenen Walküren auftreten, in den teilweise mit pfiffigem Fantasy-Touch versehenen Islandszenen, ist manch visuelles Highlight zu finden. Davon dürfte etwa der auf einem isländischen Gletscher (in nur drei Drehtagen) realisierte Zweikampf Gunters (Dominic Marcus Singer) mit der Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster), so manchem besonders in Erinnerung bleiben.
Schauspielerisch ragt der vom Niederländer Gijs Naber verkörperte Hagen schon ein gutes Stück heraus. Der Rest des Ensembles agiert zwar insgesamt passabel, wirkt dagegen aber schon etwas blutarm und blass. Unterlegt ist die Film-Saga mit einem von Jacob Shea und Adam Lukas stammenden musikalischen Klon, der eindeutig an die häufig etwas auftrumpfend dröhnenden und halligen Klangwelten aus dem Hause Hans Zimmers gemahnt.
Neben der 135 Minuten umfassenden von der Constantin verliehenen Kinoversion ist parallel auch zusätzliches Material für eine 6-teilige Serienauswertung bei RTL+ entstanden, das rund die doppelte Lauflänge umfasst und voraussichtlich ab Herbst diesen Jahres ausgestrahlt wird. Beide Projekte sollen sich insbesondere dadurch unterscheiden, dass die zentrale Geschichte aus zwei unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Bereits im Making of der BD wird dazu erwähnt, dass viele Szenen der Kinoversion aus mindestens zwei Perspektiven gefilmt worden sind. Dass könnte darauf hindeuten, dass auch tiefere Zusammenhänge der Handlung dargestellt und eben die Charakterisierung einzelner Figuren deutlich vertieft wird.
In einem Interview mit dem Film-Magazin „Deadline“ (Ausgabe #107 vom 11. 9.2024) hat Wolfgang Hohlbein übrigens für 2025 die Fortsetzung zu „Hagen von Tronje“ in Aussicht gestellt. Wie diese ausfällt und ob die dann mittelfristig möglicherweise auch noch einen 2ten Filmteil nach sich ziehen könnte, bleibt freilich abzuwarten.
Hier geht’s zur Rezension der BD & UHD-BD sowie zum bis So, den 6. April, verlängerten Gewinnspiel.
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