Gefilmt in CINERAMA: Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Dezember 2023
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Der 2te restaurierte Cinerama-Film auf dem deutschen Markt: The Wonderful World of the Brothers Grimm∗ Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm

Am 30. September 1952 ging am Broadway Theatre in New York This is Cinerama an den Start. Dabei wurde ein gigantisches Breitbild auf eine stark nach innen gekrümmte (146°), nicht wie üblich durchgehend aus Tuch, sondern aus einzelnen Tuch-Streifen aufgebaute Spezial-Leinwand projiziert. Dabei entstand ein Gesamtbild aus drei überlappend nebeneinander projizierten 35-mm-Einzelfilmbildern. Wobei allerdings jedes Einzelbild, da es nicht wie üblich 4 Perforationslöcher sondern deren 6 umfasste, über 50% mehr an Höhe verfügt. Der Name des neuen Kinoformats ist aus Kino und Panorama zusammengesetzt. Dass CINERAMA zugleich ein Anagramm für „American“ ist, war jedoch wohl eher nicht geplant, sondern ist vielmehr ein freilich höchst origineller Zufall.

Der zum Raumklang volltaugliche dynamische Stereosound umfasste sieben Tonspuren, welche separat auf einem vierten Magnettonfilmstreifen untergebracht waren, was einen weiteren exakt synchron laufenden 4ten Projektor und damit insgesamt bis zu fünf Mann Bedienungspersonal erforderte. Dieses außergewöhnliche, auch im Aufwand extravagante Filmereignis markierte übrigens den Beginn der Breitwandära und nicht das erst im Folgejahr von 20th Century Fox etablierte CinemaScope, wie es insbesondere in hiesigen Betrachtungen der Kinogeschichte häufiger etwas irreführend dargestellt wird – siehe dazu auch Flying Clipper – Traumreise unter weißen Segeln (1962).

Derartige High-End-Kino-Erlebnisse, sind allerdings selbst in den USA keineswegs annähernd flächendeckend, sondern auch in den besten Tagen nur an zahlenmäßig begrenzten Abspielstätten überhaupt angeboten worden. Der Erstling, der vom als Moderator auftretenden Lowell Thomas ausdrücklich als Experiment und Demonstration des neuartigen Filmprozesses vorgestellte This is Cinerama, blieb geraume Zeit auf New York beschränkt. Zum Jahresende 1954 wies die Cinerama Corporation in den USA insgesamt 14 Abspielstätten sowie noch fünf weitere in Montreal, Tokio, Osaka, London und Mailand aus. Die Uraufführung der zweiten Cineramaproduktion, Cinerama Holiday, erfolgte am 8. Februar 1955 wiederum in New York.

Es folgten weitere, ebenfalls in die Kategorie Reise- oder Kulturfilme zählende Produktionen: Seven Wonders of the World ∗  Die sieben Weltwunder (1956),  Search for Paradise ∗ Auf der Suche nach dem Paradies (1957), South Seas Adventure ∗  Südseezauber (1958) und Windjammer (1958). Mit Letztgenanntem, speziell mit norwegischer Unterstützung produziert, gelangte Cinerama erst in größerem Stil über den großen Teich, nämlich nicht bloß nach Großbritannien sondern auch auf den europäischen Kontinent. Das mit Cinerama fast identische „Cinemiracle“ ging übrigens mit Windjammer an den Start. Es steht für eine technische Innovation die dabei half das Problem bei den zuvor überdeutlich erkennbaren und infolge auftretender Bildfehler auch unschönen beiden Überlappungsbereichen (Nahtstellen) der drei Teilbilder erheblich zu reduzieren. Die deutsche Uraufführung erfolgte am 22.7.1958 im Münchner Royal-Palast. Entsprechend sind die chronologisch bereits davor entstandenen Cinerama-Produktionen auf dem europäischen Kontinent auch erst danach gezeigt worden. So erlebte z.B. der 1952er This is Cinerama ∗  Das ist Cinerama seine deutsche Erstaufführung am 29.4.1959, im für das neue Filmverfahren umgebauten Berliner Capitol-Filmtheater am Kurfürstendamm. Windjammer lief ab dem 22. Mai 1959 auch in der Essener Grugahalle und (laut Wikipedia) dabei zeitweise auf einer Leinwand mit 32 Metern Breite und 17 Metern Höhe, zu der Zeit die größte Leinwand der Welt.

The Wonderful World of the Brothers Grimm ∗ Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm bildete zusammen mit How the West was won ∗ Das war der wilde Westen (beide 1962) den von der Cinerama Corporation zusammen mit MGM unternommenen Versuch, die Spielfilmtauglichkeit des außergewöhnlichen drei-Filmstreifen-Breitwandprozesses unter Beweis zu stellen. Dabei ging in Europa zuerst Das war der wilde Westen und im Anschluss daran Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm auf Roadshow. In den USA lief es umgekehrt.

Im deutschen Fernsehen ist Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm nur vereinzelt und auch nur in minderwertiger Qualität, mit zu dunklen, matten und farblich stumpfen, eher braunstichigen Bildern (siehe Anhang) zu sehen gewesen. Erst jetzt, in dieser technisch brillanten, wie frisch gezogen ausschauenden Präsentation, versehen (auch in nur 2K) mit bis in die Tiefe knackscharfen Bildern (!) vermag der Film eben auch durch seine grandiose Optik zu überzeugen. Auch wenn die Gebrüder Grimm die Schauwerte von Das war der wilde Westen unterm Strich nicht voll erreicht, so besitzt der einfallsreich und liebevoll inszenierte Streifen nicht zuletzt durch die in Deutschland gedrehten, besonders malerischen Filmteile (aufgenommen schwerpunktmäßig in Rothenburg ob der Tauber sowie in Kaub am Rhein, bei Schloss Weikersheim oder auch bei Schloss Neuschwanstein) auch beträchtlichen nostalgischen Charme.

Es handelt sich um einen Episodenfilm, der zum einen ein hollywoodtypisch eher ungenaues Biopic der Grimm-Brüder ist und zum anderen mit Einschüben mehrerer sehr frei adaptierter Grimmscher Märchenstoffe erweitert ist. Dabei wurde die Rahmenhandlung von Henry Levin (Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, Der Richter von Colorado) inszeniert. Die Brüder Grimm, Wilhelm (Laurence Harvey) und Jakob (Karlheinz Böhm) leben zur Zeit der napoleonischen Kriege in der Residenz eines exzentrischen Herzogs (Oskar Homolka), für den sie eine Familienchronik verfassen sollen. Gedreht wurde hier übrigens auf Schloss und im Schlossgarten Weikersheim in Baden-Württemberg, wovon eine mitreißende Totale bereits in den beiden Trailern zu sehen ist. Dass die Brüder Grimm zwar auch aber eben keinesfalls nur Märchensammler gewesen sind, sie vielmehr, insbesondere Jacob auch als Mitbegründer der Germanistik gelten, wird immerhin angerissen.

Da die Brüder in ihrer Chronik offenbar eine Linie der hochherrschaftlichen Familie bisher nicht berücksichtigt haben, sendet der Herzog sie an Ort und Stelle, nämlich an den Rhein. Im südlich von Koblenz gelegenen Hafen von Oberspay entstanden so die Filmszenen des imaginären idyllischen Örtchens Rheinburg. Und so begibt sich sich Wilhelm dort, erneut besonders engagiert auf die Jagd nach den deutschen Volksmärchen. Zu Beginn der Rheinburg-Sequenz, nach der Filmpause, erhalten übrigens auch die Regensburger Domspatzen einen netten kleinen typischen Cinerama-Auftritt in der Kirche. Die kindlichen Choristen begeben sich im Anschluss in den Wald zur Hütte von Anna Richter (Martita Hunt), die diesen einmal wöchentlich exklusiv (Erwachsene dürfen nicht teilnehmen!) Märchen erzählt. Wilhelm, vom Pfarrer dazu instruiert, folgt den Kindern, lauscht von draußen heimlich den Ausführungen Annas und macht sich Notizen. Kurz vor dem Heimweg gerät er in ein heftiges Gewitter und zieht sich so eine lebensbedrohliche Lungenentzündung zu. Seine Fieberphantasien werden im Film zur reizend ausgestalteten Traumsequenz in der die Märchenfiguren charmant Leben eingehaucht bekommen und ihn förmlich anflehen, wieder gesund zu werden, um sie vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Nicht erst an dieser Stelle kommen die drolligen Puppentrickanimationen des gebürtigen Ungarn George Pal (Die Zeitmaschine) sehr schön zur Geltung.

Für die im Studio produzierten, üppig ausgestatteten Märchenepisoden wurde interessanterweise auf drei weniger geläufige Märchen zurückgegriffen: „Die tanzende Prinzessin“, „Der Schuster und die Zwerge“ sowie „Der singende Knochen“. Den Höhepunkt bildet der in „Der singende Knochen“ erfolgende Auftritt eines juwelenbesetzten, feuerspeienden Drachen, dessen Umsetzung den aufwändigsten Einsatz der Pal’schen Spezialeffekte innerhalb des Films bildet. Auch wenn man Derartiges heutzutage dank CGI zwangsläufig insgesamt noch überzeugender umsetzen kann: Der zweifellos etwas künstlich anmutende Stop-Motion-Drachen aus der Fantasy-Küche des George Pal besitzt, vielleicht gerade weil er kaum erschreckend ist, unschlagbaren nostalgischen Charme. Fast möchte man sich den eher putzigen Gesellen als Türwächter mit nach Hause nehmen. Der aus Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten als hinterhältiger Sir Percy geläufige Terry-Thomas agiert hier als ähnlich arroganter und sogar mörderischer Ritter Ludwig. Er wird heldenhaft unterstützt von Buddy Hackett (Ein toller Käfer) als gutmütiger Knappe Hans. Auch wenn Hans zuerst sein Leben lassen muss, wird er am Schluss drollig wiederbelebt und für seine Aufrichtigkeit zum Ritter geschlagen, dem nun der ehemalige Ludwig als Knappe zu dienen hat.

Für die Märchenepisoden mussten dank des in seiner Höhe und Breite überwältigenden Cinerama-Formats einige geradezu gigantisch anmutende Studiobauten errichtet werden. Und auch deren hervorragende Güte, etwa in der faszinierend ausgestalteten quasi 3-dimensional wirkenden Tiefenstaffelung der gemalten Hintergründe, wird erst jetzt, in der restaurierten Fassung, voll erfahrbar. Damit sind die Gebrüder Grimm in der vorliegenden brillanten Restauration, eine bildtechnisch perfekte, alles in allem durchaus ansprechende Unterhaltung. Darüber hinaus ist dieser Film auch für den Filmmusikfreund ein bemerkenswerter Leckerbissen, bestehend aus melodisch-eingängiger Sinfonik von Leigh Harline und witzigen Songeinlagen von Bob Merril. Im Jahr 2010 erschien die komplette Musik erstmalig auf FSM.

Schließlich werden die Brüder zu Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt und nach Berlin eingeladen. Nach einer auch cineramamäßig ansprechend in Szene gesetzten Fahrt im historisch überzeugenden Dampflokzug der Gründerzeit strömen in der Schlussszene wiederum das Format bis in die Tiefe des Bildes geschickt einsetzend, aus allen Richtungen kommend hunderte von Kindern auf den zuerst fast leeren Bahnsteig und bereiten den Grimms einen prächtigen Empfang. „Wir wünschen eine Geschichte!“ rufen diese und Wilhelm antwortet ihnen: „Vor langer, langer Zeit gab es einmal zwei Brüder …“, worauf die Kinder erneut in Jubel ausbrechen und der Film mit der charakteristischen Märchentextzeile endet: „… und sie lebten vergnügt bis an ihr seliges Ende.“

Das mit der oben erwähnten Spielfilmtauglichkeit gelang allerdings denn doch nicht völlig überzeugend. Das riesige Breitbild spielt nämlich letztlich primär in den Totalen seine Trümpfe aus, intimere Dialogszenen insbesondere in Innenräumen wirken dagegen schnell etwas aufgeblasen und besitzen ausgeprägt artifiziellen Touch. Auch muss die komplexe Dreistreifenkamera sehr bedächtig eingesetzt werden. Schnelle Schwenks oder gar entfesselte Kamerabewegungen verbieten sich, es sei denn man will riskieren, dass dabei vielen Zuschauern schwindlig oder gar schlecht wird. Vermutlich dürfte aber auch zu vielen der beteiligten Theaterbesitzer (ähnlich wie ja auch im Falle von 3D) der mit den Cinerama-Vorführungen auf allen Ebenen verbundene immense Aufwand und die in der Umsetzung immer wieder auftretenden technischen Schwierigkeiten in zunehmendem Maße lästig geworden sein. Auch blieb es wohl sehr schwierig, ausreichenden Gewinn zu erzielen. Das hochkomplexe 3-Streifen-System wurde jedenfalls bereits in den beiden Folgejahren nach der Uraufführung der beiden MGM Cinerama-Spielfilmproduktionen de facto aufgegeben, da damit keine neuen Filme mehr produziert worden sind. Letztlich liefen damit die vom Cinerama-Mitbegründer Michael Todd bereits 1956 begründeten, erheblich einfacher zu handhabenden – und, sicher nicht unwichtig: ohne (!) sichtbare Nahtstellen im Panoramabild auskommenden – einlinsigen „Todd-AO 70 mm“ dem 3-Streifensystem insgesamt recht geräuscharm den Rang ab. Die markante Bezeichnung CINERAMA blieb allerdings erhalten und ist bereits im Umfeld der beiden MGM-Cinerama-Spielfilme auch für diverse 70-mm-Produktionen verwendet worden – was natürlich schon gewisse Verwirrung schafft. Dabei von einer Mogelpackung zu sprechen, ist an dieser Stelle nicht unberechtigt.

Selbst wenn heutzutage bei 70-mm-Vorführungen gelegentlich wieder das Sichtfeld des ursprünglichen Drei-Streifen-Systems verwendet wird und das bei der Projektion erreichbare Gesamtergebnis auf seine Art qualitativ zweifellos bestechend hochwertig ausfällt (!), die Auflösung ist dennoch zwangsläufig deutlich geringer als bei echtem 3-Streifen-Cinerama. Das wird selbst für den interessierten Laien unübersehbar, wenn er auf youtube Ausschnitte der im Jahr 2012 erfolgten ersten US-Restauration von This is Cinerama, bei der aus Kostengründen eine auf 70-mm umkopierte Fassung aus den frühen Siebzigerjahren als Vorlage genutzt werden musste, mit der erheblich verbesserten 2017er Restauration vergleicht, bei der alle drei 35-mm-Filmelemente einzeln gescannt und digital zusammengefügt worden sind – siehe dazu Flying Clipper – Traumreise unter weißen Segeln. Und ebenso gilt: So perfekt präsentiert wie jetzt haben selbst die Kinobesucher im Jahr der Uraufführung Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm definitiv nicht erleben können.

 

Anhang:

Die erste auch hierzulande auf Blu-ray verfügbare Cinerama-Produktion war der geraume Zeit als Platzhalter im deutschen Silvesterfernsehprogramm fest verortete How the West was won ∗ Das war der wilde Westen. Im Fernsehen wurde uns dieser bislang allerdings – wie auch Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm – immer nur in Form qualitativ eher bescheidener Videoabtastungen von auf 35-mm-Scope angefertigten Reduktionskopien präsentiert. Die bereits seit rund anderthalb Dekaden auf dem deutschen Markt befindliche, nämlich bereits im Oktober 2008 erschienene Doppel-BD-Edition ist dagegen ein Unterschied wie Tag und Nacht. Unerklärlicherweise hat es dieser vorzügliche Neutransfer bisher immer noch nicht ins deutsche TV geschafft.

Wer diese derzeit noch problemlos und auch sehr preiswert erhältliche Doppel-BD-Ausgabe noch nicht besitzt, sollte zugreifen, selbst wenn er gegen den nicht perfekten, aber zweifellos diverse starke Momente besitzenden Film ein paar Vorbehalte hat. Derart brillant hat man diesen nämlich zuvor noch nie zu sehen bekommen. Wobei die vorzügliche Bild- und Tonqualität auch entscheidend dabei hilft einige der unleugbaren Schwachpunkte dieses Cinerama-Opus zu kaschieren. Insbesondere auf einem etwas größeren Bildschirm von 55 Zoll oder größer erhält man anhand der die Cinerama-Proportionen elegant widerspiegelnden Smile-Box-Version schon eine beachtliche Vorstellung davon, welch ein geradezu außergewöhnliches Kino-Erlebnis Cinerama seinerzeit gewesen ist. Im wertigen Bonusmaterial ist zudem die vom maßgeblichen Restaurator der Cinerama-Filme, Dave Strohmaier, bereits im Jahr 2002 fertig gestellte Dokumentation in Spielfilmlänge Cinerama Adventure (97 min.; produziert von Randy Gitsch) enthalten. Darin bekommt der Interessierte kompetent und exzellent zugleich aufbereitet alle entscheidenden Informationen zur langwierigen, komplexen Entstehungsgeschichte des Cinerama-Prozesses, angereichert mit diversen Filmausschnitten, sehr unterhaltsam frei Haus geliefert.

Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm musste sich dagegen noch bis ins Jahr 2019 gedulden. Erst da gab der (zusammen mit der Cinerama Inc.) jetzige Rechteinhaber Warner grünes Licht zum Scannen der bereits im Jahr 2003 von Strohmaier zusammen mit einem Archivar von Warner eingehender gesichteten Filmmaterialien. Zugleich wurde erstmalig die Ausführung der im Anschluss notwendigen digitalen Restaurationsarbeiten nicht von Warner selbst ausgeführt, sondern  an David Strohmaier und Tom. H. March übertragen, der mit Strohmaier seit 2014 an entsprechenden Projekten intensiv zusammengearbeitet hat.

Zum Reinschnuppern sind zu sämtlichen Cinerama-Produktionen und deren derzeit ausschließlich in US-BD-Ausgaben erhältlichen Restaurationen auf Youtube diverse Clips leicht zu finden. So auch zum auf dem europäischen Kontinent in den 1960ern anscheinend überhaupt nicht mehr gezeigten letzten echten Cinerama-Feature: Cineramaʼs Russian Adventure (1966). Bei diesem handelt es sich allerdings abgesehen vom kurzen einführenden Prolog, gestaltet von Bing Crosby, um eine  reine Kompilation, zusammengestellt aus Material, das dem Fundus des sowjetrussischen, 1958 ins Leben gerufenen, technisch sehr ähnlichen Konkurrenz-Verfahrens „Kino-Panorama“ entstammt. Dieser Film ist allerdings selbst in den USA anscheinend nur noch in einer Abspielstätte überhaupt entsprechend vorgeführt worden und war ansonsten nur noch in auf 70-mm umkopierter Fassung zu sehen. In dieselbe Kategorie gehört The Best of Cinerama ∗ Cineramas Weltparade (1962), der sich wiederum aus Szenen sämtlicher bis 1957 entstandenen Cinerama-Produktionen zusammensetzt. In den USA ist diese Cinerama-Hit-Kompilation in entsprechend ausgestatteten Abspielstätten als Appetizer im Vorfeld der Premiere von Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm eingesetzt worden. Und wie der Link im Anhang (s.u.) belegt, ist Cineramas Weltparade im Mai 1964 offenbar auch noch in Deutschland, im Bremer Cinerama-Regina kurzzeitig, gerade mal zwei Wochen und zwei Tage, in three-Strip gezeigt worden. Danach war dort dann offenbar komplett Schluss mit dem originalen Cinerama. Das betreffende Kino wurde für die Umrüstung auf das so genannte „Einlinsen-Cineramasystem“ geschlossen. Es ging dann weiter mit Stanley Kramers It’s a mad Mad World ∗ Eine total verrückte Welt in „nur“ noch 70 mm aber trotzdem bezeichnet als „Cinerama“.

Der im westfälischen Münster im Herbst 1959 eröffnete „Fürstenhof am Marienplatz“ hingegen war sogar von Anfang an spielfähig für alle damals im Gebrauch befindlichen Formate in 35 und 70 mm ausgelegt. Die festliche Eröffnung erfolgte dort dann sogar mit Windjammer in Cinemiracle, der im Anschluss über 8 Wochen mit täglich mindestens zwei Vorstellungen gelaufen ist. Der Rezensent hat dieses mit Abstand edelste der klassischen münsteraner Lichtspieltheater, das ursprünglich 900 Besucher aufnehmen konnte (!), allerdings erst in seiner späteren Phase, ab den 1980ern, eingehender kennengelernt, als dieses bereits auf 508 Sitzplätze verkleinert worden war und vom ursprünglich vorhandenen echten 3-Streifen-Cinerama längst nur noch die drei Schächte für die Cinerama-Projektionsmaschinen zeugen konnten.

Die rund eine Dekade umfassende Ära von Cinerama ist mittlerweile seit rund 60 Jahren Geschichte, und an eine Rückkehr dieses hochinteressanten Kuriosums der Kinogeschichte ist nicht ernsthaft zu denken. Aber natürlich ist für den interessierten, aufgeschlossenen Filmfreund eine Begegnung mit einer möglichst originalgetreuen Vorführung auch, aber eben nicht nur im Heimkino eine absolut feine Sache. Entsprechend sollen an dieser Stelle auch noch hiesige Bemühungen kurz erwähnt sein, derartige Teile des Filmerbes in möglichst adäquater Präsentation zugänglich zu machen, etwa des Düsseldorfer Metropol-Kinos oder der Karlsruher Schauburg im Jahr 2015. Wer hierzu und auch darüber hinaus eingehendere Infos zum facettenreichen Themenkreis Cinerama im Speziellen und Breitwandkino im Allgemeinen lesen möchte, der wird in besonderem Maße auf „in70mm.com“ fündig. Zum Einstieg kann die nachfolgende kleine Link-Zusammenstellung dienen.

Cinerama (American WideScreen Museum)

Informationen über den 3-Streifen-Film „Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm“ ­– Zum ersten Mal erzählt CINERAMA eine Geschichte! von Gerhardt Witte.

„The Best of Cinerama“ – the movie even ran in Germany in 3-strip Cinerama von Gerhardt Witte.

Cinemiracle/Cinerama in Deutschland – Zum 60. Jubiläum von Cinerama im Jahr 2012 von Gerhardt Witte.

Die Cinerama-Archäologen – Produzent Randy Gitsch & Cutter Dave Strohmaier sprechen über ihr „Cinerama Adventure“.

 

Epilog:

Früher konnte man über Cinerama nur lesen und dabei anhand einzelner rein schematischer Abbildungen des Prozesses nur eine ganz grobe Ahnung von dem bekommen, was dies dereinst gewesen ist. Heutzutage hat man dank der technischen Entwicklung der Videotechnik und des Internets – da darf man denn auch getrost mal ein Superlativ verwenden – echt tolle Möglichkeiten sich davon sogar zuhause faszinierende, unauslöschliche Eindrücke zu verschaffen. Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm und Das war der wilde Westen sind zweifellos das Hochwertigste was man derzeit in puncto Cinerama auch auf BD für’s Heimkino erwerben kann. Qualitativ nur ein kleineres Stückchen dahinter liegen die übrigen o.g. Cinerama-Reisefilme (Travelogues), die von David Strohmaier und seinem Team in wahrlich liebevoller Heimarbeit, d.h. da ausgestattet mit nur kleinen Budgets auch dank viel privaten Engagements im Gesamtergebnis überaus beachtlich wiederhergestellt worden sind. Wie mitunter schwierig sich hierbei die Materialsituation gestaltete, kann man anhand der auch auf youtube vertretenen Restaurationsdokus der betreffenden BDs erfahren. Wer sich für Letztere interessiert der wird bei Flicker-Alley fündig.

 

Hier geht’s zum Rezensionsartikel des Blu-ray-Sets Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm.

© aller Logos und Abbildungen bei PLAION PICTURES Home Entertainment – zuvor Koch Media, Warner & Cinerama Inc. (All pictures, trademarks and logos are protected by PLAION PICTURES Home Entertainment – before Koch Media, Warner & Cinerama Inc.).

 

Originaltitel
Cinerama: Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm

Erschienen
1962
Land
USA

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