Duell – Enemy at the Gates von Jean-Jaques Annaud

Geschrieben von:
Hans Helf
Veröffentlicht am:
4. April 2001
Abgelegt unter:
Special

… oder: wie ein Film geschlachtet wurde!

Mit ziemlicher Spannung sah man dem Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale entgegen. Duell – Enemy at the Gates wie er vollständig und auf gut deutsch heißt eröffnete übrigens nicht nur das Filmfestival in Berlin – auch im englischen Bradford war er der Eröffnungsfilm. Annaud hatte bis dahin eigentlich nur relativ gute Erinnerungen an Deutschland; schließlich war es hier bei uns, wo er mit seinem Der Name der Rose – ebenfalls ko-produziert vom rührigen Constantin-Boss Bernd Eichinger und teilweise in Deutschland gedreht – einen seiner größten Erfolge einfahren konnte. (Was ihn sicherlich auch dazu bewogen haben mochte, sein neuestes Opus vollständig in Brandenburg zu drehen.) Er lobte die fabelhafte Zusammenarbeit mit den ja nicht gerade als besonders flexibel bekannten ostdeutschen Behörden, die geradezu aufopferungsvollen Bemühungen seiner großenteils deutschen Filmcrew und drehte so bester Dinge mehrere Monate vor sich hin bis er alles im Kasten hatte. Die Postproduktion wurde enorm beschleunigt, um nur ja rechtzeitig fertig zu werden, denn natürlich hatte Annaud schon vorher die beachtliche Ehre eines Berlinale Eröffnungstermins einkalkuliert. Schließlich hat er ja einen recht guten Ruf in internationalen Filmkreisen und gerade den aufwändigsten jemals in Deutschland produzierten Spielfilm hergestellt. Jetzt klappte es obendrein auch noch mit der Berlinale – Annaud war schlichtweg happy.

1682Doch dann schlug das Schicksal zu – grausam und unerbittlich. Der Moment der Wahrheit war gekommen; der Film musste sich dem Berliner Premierenpublikum und somit auch seinen Kritikern stellen – und deren Urteil war in seltener Einmut nahezu einhellig vernichtend. Alles warf man ihm vor – einschließlich Verschwendung deutscher Steuergelder und noch schlimmer, dass man den angeblich betriebenen monumentalen Aufwand auf der Leinwand ja überhaupt nicht wiederfände und wahrscheinlich seien diese dubiosen 90 Mio. $ Produktionskosten erst gar nicht bei der Filmproduktion angekommen usw. usw. Irgendein Schlaumeier stellte auch fest, im Film gehe es ja nicht einmal um die eigentliche Stalingradschlacht – insofern hätte er im Grunde genommen noch nicht einmal ein richtiges Thema gehabt.

Annaud war erst mal am Boden zerstört (verkroch sich anfangs ins Mauseloch) reagierte mit einer Mischung aus völligem Unverständnis – wieso verstehen diese Burschen denn nicht, was für ein großer Film das geworden ist? – und verletztem Stolz. In Wahrheit verstand er die Welt nicht mehr und ganz besonders nicht diese rätselhafte germanische Welt. Er hatte die nationale Filmindustrie – sofern man von so etwas in Deutschland überhaupt sprechen kann – gefördert, hatte vielen Leuten im strukturschwächeren Osten eine ganze Zeit lang Arbeit und Einkommen gegeben, hatte ehrlich geglaubt, ein bedeutendes Filmepos über einen wichtigen Teil auch der deutschen Militärgeschichte abgeliefert zu haben und musste es sich nun gefallen lassen, dass ihn fast jeder deutsche Zeitungskritiker mit gnadenloser Häme abkanzelte. Das war nun wirklich zuviel des Schlechten.

Was ist also nun dran an der ganzen Sache? Annaud und sein Drehbuchschreiber Alain Godard erzählen eine sowjetische Heldengeschichte aus der Zeit der Schlacht von Stalingrad. Moment mal – Heldengeschichte? Der Film wird tatsächlich mit dem markigen Spruch beworben: „Helden bestimmen ihr Schicksal niemals selbst – es ist das Schicksal, das sie bestimmt“. Mit einer solchen „riskanten“ Werbung macht sich das ganze Projekt schon mal von vornherein jedem anständigen, aufrechten und selbstverständlich absolut linksliberalen Kritiker nachhaltig verdächtig. Wie wir ja alle wissen, kann es in einem Krieg niemals einen Helden geben, sondern bestenfalls Opfer. Krieg ist von Grund auf verbrecherisch; da werden keine Unterschiede oder gar Ausnahmen gemacht – eine nach meinem Dafürhalten schlichtweg unrealistische Einstellung.

Jedermann, der auch nur ein minimales Geschichtsverständnis aufbringen kann, sollte noch in Erinnerung haben, dass sich die Sowjetunion im September 1942 in einer absoluten Notwehrsituation befand. Seit 15 Monaten fegte scheinbar unaufhaltsam die faschistische Angriffslawine durch ihr Land, hatte Millionen getötet oder versklavt und jetzt Kurs auf den großen Umschlagplatz Stalingrad an der Wolga genommen: Die Sowjetunion drohte sogar zusammenzubrechen. In solchen Situationen reagieren Staaten mit Sicherheit nicht anders als Privatpersonen; sie nehmen das Recht für sich in Anspruch, sich mit allen verfügbaren Mitteln – auch den Äußersten – zur Wehr zu setzen. Ein solches Mittel ist die Stärkung der eigenen Kampfmoral durch geschickte Propaganda – also Ausschlachtung auch kleinerer eigener Erfolge und Schaffung von Kämpfern mit Vorbildcharakter (natürlich zur Nachahmung für jedermann empfohlen), besagten Helden. Ob diese dann anschließend dem an sie gerichteten Anspruch auch genügen können, ist eine ganz andere Frage, und genau das ist Annauds angeblich nicht vorhandenes Thema – denn davon handelt sein Film.

Wassili Saitzev war ein Schäfer aus dem Ural, der sehr gut mit dem Gewehr umgehen konnte. In jenem schicksalsträchtigen September wurde er zusammen mit tausenden anderer Rekruten in Eisenbahnwaggons gepfercht, an die Wolga gekarrt und im Bombenhagel der deutschen Stukas über den Fluß geschifft, um anschließend unbewaffnet in den Sturmangriff geschickt zu werden. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, auf sein beachtliches Talent aufmerksam zu werden. Wer es wagte, auf eigene Initiative zurückzugehen, wurde von den MG-Kompanien der im Rücken der eigenen Truppen aufgestellten NKWD Einheiten erbarmungslos niedergemäht. Saitzev überlebt um Haaresbreite, indem er sich tot stellt. Ein ebenfalls überlebender Politkommissar wird auf ihn aufmerksam, als er sie beide aus der Falle befreit, indem er fünf Deutsche mit Kopfschuss erledigt.

Kurze Zeit später übernimmt Stalins Emissär Nikita Chruschtschow – jawohl, der aus der Kubakrise – als höchster Kommissar die russische Stalingradfront. Nachdem er ohne große Umschweife den bisherigen Kommandeur zum Selbstmord genötigt hat, lässt er seine Politoffiziere antreten – ganz zweifellos eine der eindrucksvollsten Szenen des Films. Die Spannung im Raum ist geradezu physisch spürbar, als ihn unser geretteter Politkommissar Danilov als Einziger mit einer eigenen Meinung herauszufordern wagt. „Unsere Männer haben nur die Wahl zwischen unseren Kugeln und denen der Deutschen. Wir brauchen Hoffnung Genossen – wir brauchen Helden.“ Saitzev wird umgehend als Hoffnungsträger auserkoren, den Scharfschützen zugeteilt und so erfolgreich, dass auch die deutsche Seite reagieren muss. Sie schickt den Leiter ihres Scharfschützenausbildungsprogramms, um Saitzev eine Falle zu stellen und ihn zu erledigen. Das titelgebende Duell kann beginnen.

Dem Film liegt das Buch „Enemy at the Gates“ von William Craig über die Stalingradschlacht zugrunde, und zumindest hierin ist Annauds Film wirklich eine Mogelpackung. Die eigentliche Filmhandlung – das Duell der Scharfschützen – ist im Buch nicht viel mehr als eine kleine Randnotiz von 3 Seiten, aus denen Annaud seine Geschichte bezogen hat. Das Schlachtgeschehen steht bei ihm eindeutig nicht im Vordergrund; vielleicht wäre er wirklich besser beraten gewesen, auch für den Originaltitel den ausnahmsweise passenderen der deutschen Version „Duell“ zu nehmen statt des Buchtitels. Was die Besetzung anbetrifft, hat er eine wesentlich glücklichere Hand bewiesen. Der junge Engländer Jude Law, vor allem aus „Der talentierte Mr. Ripley“ (Oscar-Nominierung) bekannt, ist ein wirklich charismatischer Saitzev, „Shakespeare in Love“ Star Joseph Fiennes als unglücklich verliebter jüdischer Politkomissar Danilov kann ebenso überzeugen wie US-Star Ed Harris als deutscher Gegenspieler Major König – eiskalt und von stoischer, provozierender Ruhe. Schlicht und einfach brillant sind die relativ kurzen aber umso einprägsameren Auftritte von Bob Hoskins als Chruschtschow – seine stets präsente lauernde Gefährlichkeit soll ihm erst mal jemand nachmachen. Auch die Nebenrollen sind sehr interessant besetzt: wenigstens hier können auch ein paar Deutsche glänzen – der fabelhafte Mathias Habich als Generaloberst Paulus, Eva Mattes als russische Mutter und Sophie Rois als Scharfschützin.

Äußerst eindrucksvoll gelungen sind die Eröffnungsszenen der Wolgaüberquerung im deutschen Feuerhagel. Für diese Einstellungen wurde eigens ein ganzes Braunkohlenbergwerk geflutet, um die Wolga zu doubeln. Man sieht allerdings schon, dass sämtliche angreifenden deutschen Bomber aus den Computerwerkstätten der deutschen Spezialeffektschmiede „Das Werk“ stammen. Die Szenen der Opferung der russischen Rekruten auf der Wolga sind in ihrem drastischen Realismus (gelinde gesagt) eindeutig angeregt von Spielbergs Der Soldat James Ryan. Ansonsten wird hier Kriegshandwerk pur vorgeführt – zumindest ein reines Scharfschützenduell dieser Art hat es meines Wissens bisher im Film nicht gegeben. So wirkt er denn auch ein bisschen wie eine manchmal etwas unentschlossene Mischung aus Der Schakal, Der Soldat James Ryan und Elementen des Italo-Westerns, wobei das eigentliche Duell wirklich enorm spannend, trick- und einfallsreich inszeniert ist. Hier werden alle Register von List und Überlistung gezogen, und auch wenn natürlich von vornherein klar ist, dass Saitzev schließlich überleben muss – wie hätte er sonst „Held der Sowjetunion“ werden und ein hohes Alter erreichen können – man fiebert trotzdem bis zum Ende mit. Dieses schwächelt dann allerdings doch etwas – die Auflösung lässt ein bisschen zu wünschen übrig.

Was den angeblich gemessen am Ergebnis auf der Leinwand übertriebenen Produktionsaufwand anbetrifft, so scheinen manche Kritiker wenig Ahnung von heutigen Produktionsmethoden zu haben. Sonst wäre ihnen wahrscheinlich aufgefallen, dass ein Film wie „Duell“ im Vergleich mit den anderen großen Historienschinken des letzten Jahres noch durchaus einen Mittelfeldplatz belegt. Mit „offiziellen“ 90 Mio. $ Herstellungskosten ist er etwa genauso teuer wie Jonathan Mostows U-571 oder Luc Bessons Johanna von Orleans. Roland Emmerich lag mit seinem Der Patriot mit 80 Mio. $ etwas darunter, aber dafür waren Ridley Scotts Gladiator und auch Anna und der König noch erheblich teurer. Was die reinen Schauwerte und die bautechnische Opulenz angeht, kann Annauds Film hier ohne weiteres mithalten.

Eines allerdings kann man nicht unerwähnt lassen: angesichts der gerade wieder aufgeflammten Kämpfe auf dem Balkan in Mazedonien kommt es einem schon fragwürdig vor, die fürchterlichste Schlacht der Kriegsgeschichte eigentlich nur als mehr oder weniger dekorativen Hintergrund für ein reines Männerduell abzuhandeln und somit gewissermaßen auch abzuwerten – auch wenn es sich möglicherweise so oder so ähnlich abgespielt haben könnte. (Historisch eindeutig belegbar ist besagtes Duell jedoch nicht.) In den Schlussphasen des Duells verschwimmt der gesamte Hintergrund nahezu im Nichts. Im Allgemeinen verbindet man ja mit Stalingrad Hunderttausende von verbissen im Häuserkampf ringenden Soldaten; hier jedoch ist einfach keiner mehr zu sehen. Die Bühne ist geräumt und bereitet für die letzte alles entscheidende Konfrontation der beiden Duellisten. Das alles hinterlässt schon einen etwas zwiespältigen Eindruck.

Bleibt die Frage, wer sich in Deutschland so einen Film anschauen möchte – gewiss nicht die weibliche Hälfte der Menschheit, die auf solch exzessive Gewaltdarstellung naturgemäß äußerst zurückhaltend reagiert. Daran ändert auch die Darstellung der süßen Rachel Weisz – seinerzeit und bald wieder Mumienstar – in der eigens eingeflochtenen Liebesgeschichte nichts. Wer sich jedoch für eine wirklich spannende Handlung mit teilweise hervorragenden Schauspielern und großen äußeren Aufwand erwärmen kann, der wird hier sicherlich gut bedient. Wertung: eingeschränkt zu empfehlen.

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