Die Nibelungen

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. Oktober 2001
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Mitte der 60er Jahre schuf Rolf Wilhelm seine in Sachen Kino-Sinfonik wohl ambitionierteste Arbeit: die Musik zum germanischen Helden-Sagen-Epos Die Nibelungen: 1. Teil Siegfried, 2. Teil Kriemhilds Rache (1966). Der Film ist einer der ganz vereinzelten bundesdeutschen Versuche, es den epischen Hollywood-Großproduktionen gleichzutun. Inszeniert worden ist dieser von Harald Reinl, der zuvor durch seine Filmadaptionen von Karl-May-Stoffen bekannt geworden ist – Der Schatz im Silbersee (1962), Winnetou I (1963), Winnetou II (1964) und Winnetou III (1965). Betrachtet man die beiden Nibelungen-Filme (in technisch guter Scope-Fassung) heutzutage, erscheinen sie zwar kaum als Höhepunkte des deutschen Nachkriegskinos, sind aber trotz Klischees, stereotypen Figuren und unleugbarer Naivität als ordentliches Unterhaltungs-Kino durchaus ansehbar. Als gelungen bezeichnen kann man die gute Kameraarbeit von E. W. Kalinke – insbesondere beeindrucken die urwüchsigen Natur-Stimmungen in Brünhildes Heimat Island. Besonders gelungen ist auch die legendenhafte Atmosphäre, die der Drehbuchautor H. G. Petersson durch einen geschickten Kunstgriff beschwört: Er lässt eine Figur der Handlung, den Minnesänger und Chronisten Volker von Alzey, als Off-Erzähler fungieren, derart, dass (in vereinfachter Form) die Charakteristik des originalen Nibelungen-Vers-Epos bewahrt bleibt.

In jedem Fall zählt Rolf Wilhelms Musik zum Feinsten, was die beiden Nibelungen-Filme zu bieten haben. Für den ersten Film, Siegfried, schuf er eine von wagnerscher Leitmotivik geprägte üppige Orchesterpartitur für 75 Musiker: In ihren besten Teilen steht diese den Musiken Miklós Rózsas zu Filmen wie Ivanhoe (1952) und Die Ritter der Tafelrunde (1953) nahe. (Die erste CD beginnt übrigens sehr nostalgisch, nämlich mit Martin Böttchers Signatur-Fanfare für CCC-Film.) Die überwiegend in dunklen Klang-Farben gehaltene Ton-Schöpfung wartet mit einer Reihe einprägsamer Themen auf. Im ersten Film-Teil steht dem Kraftvoll-Düsteren für die Nibelungen das Strahlende für Siegfried gegenüber; Island und Brünhilde bilden die zweite wichtige Themengruppe. Der düstere Hagen hingegen wird nur durch ein knappes 2-Noten-Motiv charakterisiert. Die Themen werden in der geschickt instrumentierten Partitur überwiegend einfallsreich variiert und auch dramatisch überzeugend miteinander verflochten. Daneben sind auch einige dezent historisierende Tanz- und Festmusiken sowie Chor-Einlagen zu hören. In den knapp 70 Minuten Musik gibt es nur wenige Durchhänger.

Man muss allerdings berücksichtigen, dass diese Musik nicht bei einem der großen Hollywood-Studios der Ära realisiert worden ist, sondern unter den eher bescheidenen Bedingungen des bundesdeutschen Nachkriegsfilms. (Dies gilt, obwohl es sich beim Nibelungen-Film-Epos um eine der größten deutschen Nachkriegsproduktionen handelt.) Entsprechend limitiert war daher trotz allem das Budget für die Musik – eher zufällig wurde überhaupt in Stereo aufgenommen. Mit dem Ergebnis, dass die Einspielungen zum ersten Filmteil bereits den größten Teil des zur Verfügung stehenden Geldes aufzehrten. An „Nachschlag“ war nicht zu denken und so sah sich Rolf Wilhelm gezwungen, die Musik für Teil 2, Kriemhilds Rache, mit erheblich reduzierten Kräften zu verwirklichen. Er entfernte sämtliche Streichinstrumente und setzte allein auf Bläser, umfangreiches Schlagzeug, Harfe und Klavier. Entsprechend düster-archaisch geht es am Hofe von Hunnen-König Etzel zu: Kriemhilds Rache und Kampf der Nibelungen bis zum letzten Mann unterlegte der Komponist mit primitiv-stählernen und martialischen Klängen. Dem hier dominierenden Nibelungen-Thema treten zwar noch ein Attila- sowie ein Hunnen-Motiv neu hinzu, die Musik bietet damit allerdings kompositorisch (fast zwangsläufig) nicht die Entfaltungsmöglichkeiten, wie die zum ersten Filmteil (Siegfried).

Die farbenprächtige und dazu stimmungs- und kraftvolle Musik zu Siegfried schneidet demnach beim Hörvergleich ein gutes Stück besser ab (4 ½ Sterne), als die im Ausdruck limitierte, mitunter etwas grelle und wilde Komposition zu Kriemhilds Rache (3 bis 3 ½ Sterne). Speziell hier merkt (hört) man auch, dass das Orchester mitunter doch etwas überfordert war, die Bläsereinsätze wackeln gelegentlich deutlich – etwas, das ebenfalls auf’s Konto der sehr begrenzten Musikbudgets im deutschen Nachkriegsfilm geht.

Originellerweise begegnet der aufmerksame Hörer bereits in der 1966er Nibelungen-Musik (zum ersten Film-Teil) den immer wieder gut funktionierenden Rhythmus- und Klangschemata von „Der Mars“ aus dem Zyklus sinfonischer Dichtungen „Die Planeten“ von Gustav Holst (in Track 2 „Einleitung und Titelvorspann“ und Track 14 „Zweikampf mit Brunhild“). Hier könnte es sich gar um den ersten filmischen Einsatz des „Mars“ handeln. In den Musiken des Golden Age findet er sich nicht: Erst John Williams griff in Star Wars erneut auf dieses wirksame Musikstück zurück – und fand bis heute unzählige Nachahmer, z. B. Hans Zimmer in Gladiator (2000).

Dank der Initiative des Esseners Knut Räppold (Cobra Records) liegt die Musik zum Nibelungen-Film-Epos jetzt erstmalig (fast) vollständig auf einem gut editierten Doppel-CD-Album vor. Der Klang kommt durchweg sauber und recht frisch daher. Liebevoll bebildert ist das beiliegende Booklet und dank der guten Texte von Volker Pantel auch informativ. Auch diese schöne Edition verdient einen Liebhaber- und Nostalgie-Zuschlag bei der Bewertung eines der raren deutschen Pendants zu Hollywoods Epos-Filmmusiken.

Fazit: Zwei willkommene Repertoire-Bereicherungen in Sachen deutscher Filmkomponisten sind Rolf Wilhelm gewidmet. Der Sampler von Bear Family belegt seine Vielseitigkeit und insbesondere die Fähigkeit, Unterhaltsames auf gehobenem Niveau für zum Teil äußerst schwache Filme beisteuern zu können. Die Qualitäten des Sinfonikers und Musikdramatikers treten in der breit angelegten Klangschöpfung zum Zweiteiler von 1966, Die Nibelungen, besonders deutlich zu Tage.

Rolf Wilhelm gehört in jedem Fall zur Creme der deutschen Nachkriegs-Film-Komponisten. Ein eingehender Vergleich mit seinen komponierenden Zeitgenossen steht zwar im Moment noch aus; vermutlich dürfte aber der Ausspruch seines Kollegen Gert Wilden Gültigkeit besitzen: „Wir sind gut, aber Rolf Wilhelm ist besser!“

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Rolf-Wilhelm-Specials.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Erschienen:
2001
Gesamtspielzeit:
CD-1: 69:50 Min.; CD-2: 38:34 Minuten
Sampler:
Cobra
Kennung:
CR 006A/B

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