Battle of Britain

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
26. Dezember 2004
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Ein weiteres Reissue des Ryko-Labels auf Varèse: Dieses Mal eine besonders gelungene Kopplung. Zum trotz Staraufgebot in vielem etwas naiv und blass geratenen britischen Prestige-Filmepos über die so genannte Battle of Britain • Luftschlacht um England (1968) gibt es sowohl den geläufigen Score Ron Goodwins als auch William Waltons Entwurf zu hören. Dies gibt die seltene Gelegenheit zwei unterschiedliche Kompositionen zum gleichen Film miteinander zu vergleichen.

Interessant ist hierbei ein Blick auf die Hintergründe. Der renommierte britische Komponist William Walton (1902-1983) ergriff dabei zum ersten Mal seit Richard III. (1955) zur Feder, um Notenpapier für einen Film zu beschreiben. Er bat dazu seinen Freund Malcolm Arnold um Unterstützung. Arnold dirigierte in erster Linie die Aufnahmesitzungen, hat aber auch bei der kompositorischen Ausführung Teile der Musik mitgestaltet. Die auffallende Kürze des Gesamtresultats von gerade einmal rund 21 Minuten Musik für rund 125 Filmminuten dürfte für die Produzenten allein schon ein Schock gewesen sein. Dass man daraus keine als Werbeträger gewünschte LP-Veröffentlichung mit akzeptabler Länge hätte produzieren können, dürfte dabei vielleicht sogar mitentscheidend für die Ablehnung von Waltons Arbeit gewesen sein. So kam Ron Goodwin ins Geschäft und komponierte in rund drei Wochen eine knappe Stunde Musik. Allein dem Einsatz von Sir Laurence Olivier (der im Film die Rolle des britischen Luftmarschall Dowding verkörpert) ist es zu verdanken, dass wenigstens ein Highlight der Waltonmusik, „Battle in the Air“ beibehalten wurde.

Mitte der 1980er Jahre richtete der Komponist Colin Matthews aus Waltons Manuskript eine zweisätzige rund 12-minütige Suite für den Konzertgebrauch ein. Diese ist besonders in der Einspielung der Academy of St. Martin in the Fields unter Sir Neville Marriner packend interpretiert – erhältlich auf Chandos als Teil einer um 1990 erschienenen vorzüglichen vierteiligen Reihe mit Einspielungen Walton’scher Filmmusiken.

Als die Anvil Recording Studios aufgelöst wurden, schienen auch die Originalbänder der Musikeinspielung von Waltons Filmmusik verloren. Doch manchmal kommt auch der Zufall zu Hilfe: Im Jahr 1990 tauchte ein vollständiges Sicherheitsduplikat der Tonbänder auf, das der Toningenieur der Aufnahmen, Eric Tomlinson, in seiner Garage aufbewahrt hatte. Trotz teilweiser Lagerungsschäden hatte dieses im akzeptablen (restaurierbaren) Zustand überdauert.

Stellt man beide Musiken einander gegenüber, so ergibt sich folgendes Bild. Goodwins Musik ist thematisch sehr ansprechend, von eingängigen Märschen und Melodien geprägt. Für Melodie steht besonders das lyrische „The Lull Before the Storm“. Dank üppig ausgeführter Orchestrierung ergibt sich im Zusammenwirken der einzelnen Teile eine unmittelbar gefällige und auch vom Tonträger süffig anhörbare Filmmusik. Eine, die sich in die Reihe solide ausgeführter Arbeiten Goodwins zu vergleichbaren Filmen, wie Where Eagles Dare (1968) und Operation Crossbow (1964), einreiht.

Gegenüber Waltons Kompositionsansatz zeigt sich allerdings Goodwins Musik trotz ihres Hörcharmes als deutlich einfacher gestrickt. Im Gegensatz zum eher naiv martialischen Pathos bei Goodwin ist Waltons Musik insgesamt deutlich intellektueller geraten. Allein seine Charakterisierung der jungen Piloten der (deutschen) Luftwaffe als „junge Siegfrieds“ zeigt das Mehr an Originalität und Tiefe: Der optimistische Hornruf Siegfrieds (aus dem „Ring“) wird in umgestalteter Form verwendet und im Sinne des „V for Victory“ rhythmisiert – basierend auf dem Eröffnungsmotiv von Beethovens 5. Sinfonie. Also greift Walton an dieser Stelle zweimal auf Musik deutscher Komponisten zurück und vereint damit geschickt und originell zwei Seiten der gleichen Medaille: zum einen den Optimismus der siegessicheren blutjungen deutschen Piloten und zum anderen bereits musikalisch den Keim für die nach anfänglichen Erfolgen eintretende Niederlage.

Besonders markant ist ebenfalls die (s. o.) sogar im Film erhalten gebliebene Waltonmusik zur Entscheidungsschlacht in den Wolken, am 15. September 1940. Walton lässt in „Battle in the Air“ raffiniert und auch kontrapunktisch motivische Bruchstücke des thematischen Materials der kämpfenden Briten und Deutsche aufeinander prallen. Der Komponist integriert dabei vielfältige tonmalerische Akzente allerdings in technisch besonders ausgefeilter Form. So, wenn er die Violinen quasi im Sturzflug die eigentliche Schlacht beginnen lässt oder die Anspannung des nervös im Kontrollraum auf und ab gehenden Vizegenerals Park mit ähnlich nervösen ungewöhnlichen Tremolandi der Bratschen und Celli atmosphärisch versinnbildlicht. Ron Goodwin setzt in vergleichbaren Momenten hingegen auf solide, aber klar gröbere, stärker cartoonmäßig angelegte Mickey-Mousing-Effekte. Zum Schluss gibt es in beiden Musiken einen Marsch. Goodwins Marschfinale wirkt locker flockig und fast schon hurrapatriotisch. Walton hingegen nähert sich den Pomp and Circumstance Märschen Elgars an. Seine Verneigung vor den Siegern erfolgt im Sinne der Elgar’schen Tradition, auch wenn dies eine Verherrlichung der Umstände beeinhaltet, die letztlich zum Krieg führen können: Stolz, Ehr- und Standesgefühl. Das ist heutzutage zwar kritisierbar, es ist allerdings eine Sache der Sichtweise einer anderen Epoche, die Krieg noch im Clausewitz’schen Sinne als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln sah.

Erfreulicherweise hat sich Varèse auch bei diesem Ryko-Reissue für ein ordentliches, mehrseitiges und mit respektablem (neuem) Text versehenes Begleitheft entschieden. Klanglich sind beide Musiken sehr zufrieden stellend. Der Goodwin-Anteil erscheint frischer; er ist dafür etwas sehr auf ausgeprägtes rechts/links-Stereo gemixt – etwas, das in den 1960ern keine Seltenheit war. Die merklich trockenere Akustik der Walton-Tracks ist – wie nur das Ryko-Booklet preisgibt – bereits gegenüber dem Original durch Nachbearbeiten behutsam abgemildert worden. Abgesehen davon ist das Klangbild recht klar und ordentlich durchhörbar.

Wertungsmäßig liegt der Goodwin-Anteil bei drei bis dreieinhalb Sternen. Bei Walton wirkt die Kürze des Musikmaterials etwas hemmend, aber fünf Sterne sind hierfür trotzdem nicht zuviel. Der Repertoirewert der Edition ist zusätzlich besonders hoch. Dies soll eine „Albumwertung“ von vollen fünf Sternen zum Ausdruck bringen.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2004.

Erschienen:
2004
Gesamtspielzeit:
58:53 Minuten
Sampler:
Varèse
Kennung:
VSD-6578

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