Ein ungewöhnliches Filmbuch erschien im März 2000 im Europa Verlag: Michael E. Birdwells „Das andere Hollywood der dreißiger Jahre. Die Kampagne der Warner Bros. gegen die Nazis“. Dieses Buch beschäftigt sich, wie viele andere des Europa Verlages, mit dem Dritten Reich und seinen Auswirkungen. Die hochinteressante, überaus flüssig geschriebene und dazu spannend zu lesende Publikation verdeutlicht einmal mehr, dass die Legenden des klassischen Hollywood nicht nur die Filme und ihre Stars verklären, sondern auch den Blick auf eine nüchterne Betrachtung der Geschichte verstellen können. Die deutsche Übersetzung der amerikanischen Vorlage mit dem originellen Titel „The Celluloid Soldiers“ beleuchtet ein Kapitel, das den meisten Film-(Musik)-Freunden, ja selbst vielen Kennern des Golden Age nur unzureichend bekannt sein dürfte.
Im Amerika der dreißiger Jahren, das lange von der Depression gelähmt und eher isolationistisch orientiert war, interessierte sich kaum jemand für die sich verdüsternde politische Situation im alten Europa. Birdwells detaillierte Studie macht deutlich, auf welchen Wegen Hollywood ethische und politische Entscheidungen zu beeinflussen suchte. Die Abhandlung zeigt aber auch, welchen Einfluss faschistische Ideen, die kleinen Hitlers entsprechender Organisationen und der in den dreißiger Jahren auch in den USA aufkeimende Antisemitismus gehabt haben.
Was über Hollywood und die nationalsozialistische Gefahr bislang publiziert worden ist, beschäftigt sich überwiegend mit der Unterstützung Roosevelts durch die Studios ab 1942, also nach dem Kriegseintritt der USA. Die Memoiren von Studiobossen, Schauspielern und Regisseuren sind zwar unterhaltsam, aber für eine historische Aufarbeitung dieses wichtigen Kapitels kaum geeignet, da sie in der Regel primär den Mythos ihrer Autoren pflegen und damit eher den Charakter von Anekdoten mit überwiegend zweifelhaftem Wahrheitsgehalt haben. Der Autor konnte das gut bestückte Warner-Archiv für sein Buch selektiv auswerten und hat dabei viel Wissenswertes zu Tage gefördert. Viel bislang nur bruchstückhaft Bekanntes erscheint in völlig neuem Licht: So z.B. die entscheidende Rolle, die Harry Warner, der wenig bekannte ältere Bruder des ungleich bekannteren Jack, in der Geschichte des Studios gespielt hat; letzterer hat es offenbar im nachhinein immer perfekt verstanden, sich ins Rampenlicht zu setzen. Warner war der einzige der großen Studiobetriebe, der die von den Nazis ausgehende Bedrohung richtig einschätzte und prompt reagierte: Bereits im September 1933 brachte das Studio ein Cartoon heraus, das Hitler lächerlich machte.
An markanten Beispielen verdeutlicht das Buch die Verschiebungen in der öffentlichen Meinung Amerikas und erlaubt dem Leser damit, den Prozess nachzuvollziehen, den viele Amerikaner vor dem Kriegseintritt durchmachten. Das Buch gestattet aus erweiterter und teilweise neuer Perspektive faszinierende Blicke hinter die Kulissen und ermöglicht damit tiefe Einblicke in die subtilen Mechanismen und politischen Hintergründe der amerikanischen Filmproduktion jener Tage. Ich würde gerne einige der zitierten Filme sehen, z.B. das von Randolph Hearsts 1933 produzierte faschistoide Machwerk Gabriel over the White House – Hursts zweifelhafte Rolle dürfte den meisten eh nur durch seine spätere Kampagne gegen den Film Citizen Kane bekannt sein. Als das FBI Anfang 1938 einen Nazi-Spionagering enttarnt hatte, wurde dies der Ausgangspunkt für einen Film mit eindeutiger Botschaft, der 1939 in die Kinos kam Confession of a Nazi Spy • Ich war ein Spion der Nazis. In dieser Zeit wähnten sich breite Bevölkerungsschichten noch für mehr als zwei Jahre in trügerischer Sicherheit. Auch vieles im Umfeld des Propaganda-Films Sergeant York und dem realen Alvin C. York erscheint nun differenzierter. York war offenbar ein aufgeschlossener eher pazifistisch orientierter Mensch, der mit Gary Coopers rührseliger Heroenverklärung im Film kaum etwas gemein hatte. Es wird auch die kuriose Tätigkeit des Senatsausschuss vom August 1941 zur „Propaganda in Spielfilmen“ eingehender untersucht, der sich mit Sergeant York beschäftigte. Eine Reihe der kürzlich im deutschen Fernsehen präsentierten Warner-Kriegspropaganda-Filme wie Edge of Darkness • Aufstand in Trollness (1943) zeigte mir noch ein zusätzliches interessantes Detail: Auch wenn die Filme infolge ihrer Überzeichnungen heute teilweise lächerlich wirken, gibt es in ihnen auch einzelne sympathische Bewohner des dritten Reiches und damit „das andere Deutschland“.
Birdwells ungewohnte Kulturgeschichte Hollywoods präsentiert somit viel bislang wenig bekanntes Material in geschickt und übersichtlich aufbereiteter Form. Eine detaillierte Bibliografie sowie ein übersichtliches Register mit Anmerkungen runden den hervorragenden Eindruck ab.
Mehrteilige Rezension:
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