The 3 Worlds of Gulliver

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
7. April 2001
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Ende der 50er und in den frühen 60er Jahren regten fünf Fantasy-Filme den Klang-Experimentator Bernard Herrmann zu besonders gelungenen, außergewöhnlich farbigen und klangprächtigen Vertonungen an: The 7th Voyage of Sinbad (1958), Journey to the Center of the Earth (1959), The 3 Worlds of Gulliver (1960), Mysterious Island (1961) und Jason and the Argonauts (1963). Vier der Filme – ohne Journey to the Center of the Earth (1959) – sind durch die beachtliche Stop-Motion-Tricktechnik von Ray Harryhausen bekannt geworden.

Im Rahmen einer Reihe mit Neueinspielungen älterer Filmmusiken hat Varèse jetzt The 3 Worlds of Gulliver • Herr der drei Welten mit dem Royal Scottish National Orchestra unter Joel McNeely vorgelegt.

Der Main Title fungiert als eine Art Ouvertüre und nimmt wichtige Elemente der Filmhandlung bereits musikalisch vorweg. Das volle Orchester gibt zuerst einen klanglich prächtigen Eindruck von Gullivers erster Welt, dem von barockem Glanz geprägten, mächtigen Großbritannien des 18ten Jahrhunderts. Aber auch die beiden anderen Welten klingen an: die der Liliputaner (kleine Instrumente wie Piccolo, Triangel, Glockenspiel, Tamburin und gestopfte Trompeten) und die der Riesen (tiefe Bläser, z. B. Posaunen, Kontrafagotte und großes Schlagwerk). Die Partitur enthält verschiedene Reminiszenzen an die Musik des Barock. Sie ist für einen „echten Herrmann“ ungewöhnlich melodiös und überwiegend unmittelbar eingängig – allein das Love Theme im Stil eines englischen Volksliedes ist ein Ohrwurm par excellence. Herrmanns äußerst charmante – mit raffinierten Einfällen geradezu gespickte – Filmmusik zu The 3 Worlds of Gulliver gehört nicht nur zu den leuchtkräftigsten Leinwand-Schöpfungen des Maestros, sondern auch zu seinen besten und reifsten Arbeiten überhaupt: eine eindeutige 6-Sterne-Musik!

Die Einspielung lässt wenig Wünsche offen. Joel McNeely und seine Mannen arbeiten sich engagiert durch die nicht anspruchlose Partitur. Da für die Aufnahme-Sitzungen nur ein einziger (!) Aufnahmetag zur Verfügung stand, ist diese Einspielung ein weiterer Beweis für die Professionalität der schottischen Musiker. Leider fehlt ein kleines äußerst hübsches Musik-Partikel: wenn die Liliputaner Pfähle in den Boden treiben, um Gulliver zu fesseln, ertönen im Original markante Klangkombinationen von Glockenspiel, Tamburinen und gestopften Posaunen. Dafür ist allerdings das reizende Menuett vollständig ausgespielt; im Film hingegen wird es nach dem b-Teil (Menuett-Form: a-b-a) beendet. Im Übrigen ist die Neueinspielung bis auf einige unwesentliche Fragmente – in denen bekanntes Musik-Material wiederholt wird – vollständig.

Eine kleine Schwäche ist der Aufnahmetechnik anzulasten: mitunter sind die tiefen Bläser – speziell in den Stücken, die der Welt der Giganten zugeordnet sind – etwas arg weit entfernt abgebildet worden. Im Übrigen ist der Orchester-Klang jedoch sauber und durchsichtig eingefangen. Die einzelnen Sektionen sind gut durchhörbar; was die vielen interessanten Klang-Farben der Ton-Schöpfung besonders markant aufleuchten lässt.

Also alles Bestens? Nicht ganz! Eine gewisse Schwäche dieser Edition liegt in ihrer etwas bescheidenen Präsentation. Blass geraten ist der Booklet-Text von Christopher Husted, der zum Film überhaupt nichts und zur Musik nur relativ knapp Stellung nimmt, dafür allzu ausführlich über Herrmanns Dirigententätigkeit berichtet. Hier hätten sich eingehendere analytische Anmerkungen zur interessanten Filmmusik und eine Reihe interessanter Infos zum Film besser gemacht. Auch das als Cover-Illustration dienende Gemälde von Matthew Joseph Peak nimmt auf den Film überhaupt keinen Bezug: Im Film ist die Welt der Liliputaner orientalisch angehaucht (die der Riesen mittelalterlich), auf dem Gemälde hingegen wirken diese wie Piraten in der Karibik…

Derartige Veröffentlichungen sind Produkte, deren nostalgischer Wert nicht unterschätzt werden sollte. Dazu gehören eben auch – neben detaillierten Angaben zur Musik – Hintergrund-Infos zum Film, möglichst einige Film-Motive und eben nicht eine derart fantasy-hafte Cover-Gestaltung wie bei The 3 Worlds of Gulliver, sondern eher ein Plakat-Motiv. Da der Markt für die klassischen Filmmusiken weitaus kleiner ist, als der für Main-Stream-Titel, wünscht man sich eben möglichst perfekt Produziertes – zudem eine Chance für ein „Remake“ erst nach recht langer Zeit (mehr als 10 Jahren) bestehen dürfte. (Marco Polo, Intrada, Rhinos Deluxe-Editionen und auch die Monstrous-Movies-CDs liefern hier leuchtende Vorbilder.)

Die genannten, allerdings nicht eklatanten Mängel kosten die – an sich hochwillkommene – CD einen halben Stern und damit den ansonsten klar zustehenden Spitzen-Platz. Trotz der gemachten (kleinen) Einschränkungen verbleibt natürlich eine ausreichend satte Empfehlung.

Komponist:
Herrmann, Bernard

Erschienen:
2001
Gesamtspielzeit:
49 Minuten
Sampler:
Varèse
Kennung:
VSD 2-62

Weitere interessante Beiträge:

Arnold Bax: Orchestral Works

Arnold Bax: Orchestral Works

Thunderball (expanded)

Thunderball (expanded)

Berlinale 2000: Scores

Berlinale 2000: Scores

Spanglish

Spanglish

Cinemusic.de