The Fastest Gun Alive/House of Numbers
André Previn ist Klassikfreunden seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in erster Linie als renommierter Dirigent und Pianist ein Begriff. Als Komponist steht Previn aber auch nicht allein für Filmmusiken, die nahezu sämtlich in der Zeit von 1949 bis 1966 entstanden. Zu seinen bekanntesten und bislang auf Tonträger veröffentlichten Leinwandvertonungen zählen Elmer Gantry (1960), The Four Horsemen of the Apocalypse (1962) und Irma la Douce (1963). Seine in späteren Jahren für Konzertsaal und Oper entstandenen Werke sind besonders hierzulande weniger geläufig. Als guter Einstieg beim “seriösen“ Komponisten eignet sich das 2002 uraufgeführte und seiner Frau, der Geigerin Anne-Sophie Mutter, gewidmete romantisch gehaltene Violinkonzert – siehe hier.
Ebenfalls weniger bekannt dürfte vielen sein, dass André Previn in Deutschland, in Berlin, am 6. April 1929, geboren wurde. Im Jahr 1938 emigrierte der schon früh als musikalisch sehr begabt erkannte Junge mit seinen Eltern in die USA. Dort war bereits ein Cousin des Vaters, Charles Previn, im Music Department von Universal beschäftigt. Schon der junge André war ein begabter Pianist und spielte bereits als 15-Jähriger bei MGM vor und nicht nur der berühmte Produzent Arthur Freed war von seinen pianistischen Fähigkeiten angetan. Es war aber Johnny Green (Leiter des Music Departments), der seine wahren Fähigkeiten am besten erkannte, ihn nicht ausschließlich als für kleine Filmauftritte geeignet hielt. Und so wurde aus kleinen Bewährungsproben ein Job als „musikalisches Mädchen für alles“. Der Junge half mit beim Arrangieren und Orchestrieren und komponierte bei Bedarf ebenfalls für einzelne Filmszenen. Die erste ihm komplett anvertraute Filmvertonung war für einen kleinen Film um die berühmte Colliehündin Lassie in The Sun Comes Up (1949), dem eine Reihe von Low-Budget Krimis folgten.
Während seiner Jahre in Hollywood nutzte André Previn jede Gelegenheit seinen musikalischen Horizont zu erweitern. Dies gilt sowohl für Studien beim legendären Dirigenten Pierre Monteux als auch für sein Können im Jazz. Neben weiteren insgesamt knapp 30 Filmvertonungen bis 1966 sind auch seine Arbeiten als Arrangeur, Komponist und Songschreiber für Musicals erwähnenswert, beispielsweise Kiss Me Kate (1953), Silk Stockings (1957), Gigi (1957) und My Fair Lady (1964). Anschließend zog er sich aus dem Filmbusiness eher enttäuscht zurück, wirkte nur noch sporadisch und in kleinem Umfang bei einzelnen Filmprojekten mit.
Das FSM-Album lenkt den Blick auf bislang unveröffentlichte Filmmusiken des Komponisten und vereint die Musiken zu zwei Filmproduktionen der B-Kategorie: des soliden Westerns mit Glenn Ford The Fastest Gun Alive • Die erste Kugel trifft (1956) und des eher unglaubwürdigen Krimis House of Numbers • Ein Henker nimmt Maß (1957), in dem Jack Palance immerhin mit einer ansehnlich verkörperten Doppelrolle aufwartet.
Als Previn diese beiden Filme vertonte, war er noch keine 30 Jahre alt und bereits seit rund 10 Jahren bei MGM aktiv im Geschäft. Die Filmmusiken zeigen einen nicht nur sehr solide, sondern ebenso versiert arbeitenden Handwerker, der auch kleinere Filme mit beträchtlicher Sorgfalt mit seiner Musik auszustatten wusste. Der Score zu The Fastest Gun Alive ist monothematisch gearbeitet, wobei Previn hier sehr geschickt alle Register zieht und außerdem die üblichen Westernmusik-Klischees weitgehend meidet. Primär prägt das den Main Title eröffnende, fanfarenartige Thema das Feeling vom „Old West“. Des Weiteren ist nur gelegentlich ein Hauch von Copland-Americana spürbar – etwas, das seinerzeit noch eher neuartig, nicht wie heute durch übermäßigen Gebrauch abgenutzt war (siehe auch Broken Arrowund Broken Lance).
Im Umgang mit seinem Thema zeigt sich Previn als geschickter und vielseitiger Variationskünstler. Durch geeignete Arbeitsweise gelingt es ihm, dieses Thema stimmungsmäßig ausreichend vielschichtig den jeweiligen Erfordernissen der Filmhandlung anzupassen. Dabei bringt er sowohl das Heldenhafte als auch die Zerrissenheit seiner Hauptfigur zum Ausdruck und versteht es ebenso angemessen, die lyrischen Momente der Story zu charakterisieren. Hier spiegeln sich mancherlei Einflüsse wider: zweifellos vom damaligen MGM-Zugpferd Miklós Rózsa, aber auch von Franz Waxman und möglicherweise Hugo Friedhofer. Wobei dies zugleich auch Anregungen von Seiten der Vertreter der musikalischen Moderne, Komponisten wie Bartók, Hindemith und Schostakowitsch, beinhaltet.
Die Musik zu House of Numbers zeigt besondere Nähe zu Rózsas Noire-Scores und (nicht allein wegen der hin und wieder aufscheinenden jazzigen Momente) zu ähnlichen Arbeiten Waxmans, wobei m. E. auch an dieser Stelle wieder Friedhofer mit genannt sein darf – The Lodger (1944). Auch wenn die Ausdruckspalette dieser Krimimusik ein Stück begrenzter erscheint als bei der zum Western – was am Film liegen dürfte , so ist doch unüberhörbar, wie fantasievoll der junge Tonsetzer versucht, einer gewissen Statik im Ausdruck durch fantasievoll-abwechslungsreiche und dabei moderne Gestaltung der orchestralen Klangfarben entgegenzuwirken.
Wertungsmäßig liegen die hier vertretenen beiden Previn-Filmmusiken bei etwa viereinhalb Sternen. The Fastest Gun Alive dürfte zwar die meisten zum häufigeren Hören einladen, der ebenfalls sehr beachtlich gearbeitete Score zu House of Numbers entfaltet mit etwas Geduld aber durchaus vergleichbare Reize, er taugt m. E. – nicht ausschließlich zu Studienzwecken.
Da die reinen Musikmaster zu House of Numbers nicht mehr ganz vollständig sind, haben sich die Albumproduzenten ausnahmsweise entschlossen, die fehlenden Teile von der im Archiv befindlichen Musik- und Geräuschabmischung abzunehmen und als Bonustrack anzuhängen. Der Booklettext vermerkt dazu, dass in Zuschriften immer wieder angeregt wird, auf derartige, für Synchronisationszwecke angefertigte und (im Gegensatz zu reinen Musikaufzeichnungen) mit größerer Wahrscheinlichkeit in Archiven auffindbare „Music- and Effect-Tracks“ zurückzugreifen. Das Resultat ist eindrucksvoll und aufschlussreich zugleich: Es zeigt sich eindeutig wie sinnlos und damit störend Geräusche abseits der Filmbilder wirken und damit das Erlebnis Filmmusik (zu) stark beeinträchtigen.
Beide Scores sind schon damals, da „nur“ für Lower-Budget-Productions bestimmt, nicht stereophon aufgenommen worden. Die Mono-Magnettonfilmmaster haben die Zeiten in sehr guter Qualität überdauert. Der Sound ist entsprechend klar und instrumentale Feinheiten können sauber herausgehört werden. Und auch das dieses Mal „nur“ mit schwarzweißen Fotos aufwartende Begleitheft enttäuscht keineswegs. Die sorgfältig recherchierten Texte von Jeff Eldridge warten mit vielen wissenswerten Informationen auf. Wer allein wegen des fehlenden Stereo-Klanges auf diese wertvolle Repertoireergänzung zu verzichten gedenkt, der begeht klar einen Fehler!
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2004.