The Adventures of Marco Polo

Geschrieben von:
Marko Ikonić
Veröffentlicht am:
18. Juni 2003
Abgelegt unter:
CD, Hören, Sampler, Score

Score

(6/6)

CD-Besprechung: „The Adventures of Marco Polo“

Einen wunderbaren ersten Einblick in das vielseitige Œuvre Hugo Friedhofers ermöglicht die 1997 veröffentlichte Marco-Polo-Kompilaton „The Adventures of Marco Polo“. Enthalten sind großzügige Suiten aus vier grundverschiedenen Scores, die zwischen 1938 und 1955 geschrieben wurden.

Klassisches Swashbuckler-Flair à la Erich Wolfgang Korngold, mit dessen Stil der Komponist bekanntlich mehr als vertraut war, kommt beim erstem vollständigen Friedhofer-Score The Adventures of Marco Polo (1938) auf. Den mit Gary Cooper, Lana Turner und Basil Rathbone immerhin nicht übel besetzten Film muss man wohl nicht unbedingt gesehen haben. Möglich, dass er ganz kurzweilige Unterhaltung bietet, aber die Tatsache, dass der abenteuerlichen (?) Entdeckung der Spaghetti-Nudel durch Marco Polo in Peking anscheinend ernstlich ein ganzer Handlungsstrang gewidmet ist, spricht doch eher für einen vergessenswerten, unfreiwillig komischen Streifen.

Friedhofers prächtige breitorchestrale Musik hingegen ist in jedem Fall eine Empfehlung wert. Die hier vertretene knapp 13-minütige, von William Stromberg eingerichtete Suite trägt allen Aspekten der Partitur Rechnung: In raffinierter Orchestrierung begegnen dem Hörer einerseits verschiedene geschickt den jeweiligen Handlungsumständen angepasste Variationen des mitreißenden Heldenhauptthemas, das in Einwürfen vom schweren Blech in den aktionsgeladenen Passagen ebenso gute Figur macht wie in Form einer innigen Cello-Kantilene für die Liebesszenen. Reizvoll sind auch die mit asiatisch-orientalischer Harmonik und südländischem Temperament (für Marco Polos Herkunftsland Italien stehend) durchsetzten Nebenthemen sowie ein kurzes pseudo-klassisches Streichermenuett, das wohl zu Beginn des Filmes in Venedig den zeitlichen Rahmen setzen soll. Natürlich ein himmelschreiender Anachronismus, aber da die Filmstory auch mehr auf der in unzähligen Dichtungen weiterlebenden und ausstaffierten, ihrer eigentlichen Zeit längst enthobenen Sagenfigur Marco Polo zu basieren scheint, nur konsequent und einfach reizend anzuhören. Und nicht nur das; nach mehreren eingehenden Hördurchgängen stellt sich heraus, dass das Menuett — so kurz und unabhängig es wirken mag — in den Eckpunkten des Akkordverlaufs mit Teilen des Hauptthemas übereinstimmt. Friedhofer liebte es, die Variationsarbeit in seinen Scores derart auf die Spitze zu treiben und praktisch alles auf subtile, manchmal geradezu (un)heimliche Weise miteinander in Beziehung zu setzen.

Über weite Strecken steht die Musik noch dem vollmundigen Hollywood-Sound jener Tage nahe, aber bereits hier lockert der Komponist das Geschehen immer wieder durch Episoden mit kleinerer bis kleinster Zusammensetzung und Solistischem auf. In Ansätzen lassen sich auch schon seine eigenwillig klare harmonische Sprache und sogar Anklänge an seine persönliche Abart der Americana erahnen, die er später in The Best Years of Our Lives (1946) zur vollen Reife bringen sollte.

Ein völlig anderes Bild bietet sich bei The Lodger • Scotland Yard greift ein (1944). Zu der atmosphärischen britischen Horrorgeschichte — angeblich eine der besseren Verfilmungen um die Whitechapel-Morde des „Jack the Ripper“ — steuerte der Komponist einen hochdramatischen, düster-packenden Thrillerscore bei. Dissonant aufeinander getürmtes Blech in den ungeheuer dicht auskomponierten, die tiefen Register der Instrumente fordernden Spannungssequenzen wechselt mit ruhigeren, von Streichern und Holzbläsern getragenen Momenten von bisweilen kindlicher Einfachheit. Auch hier arbeitet der Komponist souverän mit dem aus mehreren tendenziell eher kurzen Themen und Motiven bestehenden Themenmaterial, wobei er insbesondere dem markanten, rasch auf- und dann verzögert absteigenden 9-Noten-Hauptmotiv und einer mottohaften Figur aus nur drei Tönen eindrucksvolle Variationsmöglichkeiten abgewinnt.

Romantische Schwelgerei sucht man in der Lodger-Musik vergeblich. Sie entspricht ganz den im Biographie-Teil angesprochenen Kriterien der schnörkellosen Linienführung und klaren, durchhörbaren Texturen, die der Komponist anstrebte. Der hier gewählte herb-moderne Tonfall zeigt überdies eine besonders deutliche Nähe zu Paul Hindemith. Eines der verbindenden Merkmale, nur punktuell, gewissermaßen in einzelnen Schüben harmonisierte Melodielinien, ist gleich nach der kraftvollen Einleitung im ersten Track „Prologue“ (und in weiterer Folge in „Murder“ und „Epilogue“) zu hören, und auch sonst gibt es Stellen (etwa in „Alarms and Excursions“), die klar zeigen, dass sich Friedhofers Hindemith-Studien bezahlt gemacht haben. Eine kleine Hommage an den von ihm sehr geschätzten Ralph Vaughan Williams und dessen „A London Symphony“ soll ebenfalls nicht verschwiegen sein: In „Murder“ ist es die bekannte Tonfolge des Big Ben, die, gemeinsam von Altflöte und Harfe vor spukhaft gedämpften hohen Violinen intoniert, dem Hörer tonmalerisch ein typisches Bild vom nebelverhüllten viktorianischen London vermittelt.

Von einer nochmals anderen Seite, nämlich von der des ausgezeichneten Melodikers, begegnet uns der Komponist in The Rains of Ranchipur • Der große Regen (1955). Für diese vor exotischer Kulisse (samt verheerendem Erdbeben und monsunartigem Dauerregen) spielende Liebesgeschichte zwischen einer Amerikanerin (Lana Turner) und einem indischen Arzt (Richard Burton) ist Friedhofer wohl eines der schönsten und glühendsten traurigen Liebesthemen gelungen, die die Filmgeschichte zu bieten hat. Nur zum Vergleich: Es liegt durchaus gleichauf mit dem berühmten Song-Hauptthema von Sammy Fain aus Alfred Newmans Love is a Many-Splendored Thing aus dem selben Jahr.

Man sollte mit derlei Interpretationen generell vorsichtig sein, doch da der 54-jährige damals gerade mit ansehen musste, wie seine erste Tochter Erica mit nur 32 Jahren an Leukämie starb, halte ich es für gut möglich, dass einiges von diesem Schmerz in die so gefühlvoll verinnerlichte Rains-Musik geflossen ist. Es ist nicht nur das fast schon erschütternd schöne Hauptthema, das diesen Eindruck erweckt. Ein prägnantes Nebenmotiv erhält, vor allem wenn es wie in „Safti and Edwina“ von tiefen Bassakkorden bedeutungsvoll harmonisch ausgeleuchtet wird, in seiner Tragik beinahe religiöse Dimension. Das genannte Nebenmotiv ist übrigens direkt aus der Film und Musik eröffnenden pseudo-indischen Fanfare abgeleitet — Friedhofer überlässt wie gesagt nichts dem Zufall.

Die Themenverarbeitung ist in dem Rahmen, in dem es der ruhig fließende Gestus der Musik zulässt, tadellos. Indisches Klangkolorit spielt in Rains of Ranchipur bis auf einige „unwestliche“ Einsatzarten des (westlichen) Schlagwerks und andere orchestratorische Kniffe keine wesentliche Rolle. Der Komponist deutet den exotischen Hintergrund eher in den arabeskenreich aufgebauten, asiatisch wirkenden Themen selbst an. Meine Beschreibung bezieht sich hierbei ausschließlich auf die 17-minütige Suite auf der Marco-Polo-CD. Es kann natürlich sein, dass bei der Einspielung komplexer zu realisierende Teile mit ethnischen Instrumenten der Einfachheit halber weggelassen wurden und dadurch auf der CD ein leicht verzerrtes Bild entsteht. Bei der Sorgfalt, die Morgan und Stromberg üblicherweise bei der Auswahl der Stücke walten lassen, ist dies aber nur schwer vorstellbar.

Im selben Jahr wie Rains of Ranchipur entstand Seven Cities of Gold • Die sieben goldenen Städte (1955). Der rührselig kitschige Abenteuerfilm mit Richard Egan und Anthony Quinn handelt von der Suche nach den 7 legendären goldenen Inkastädten und den spanischen Missionsgründungen im Kalifornien des 18. Jahrhunderts. Friedhofers Score hält eine symphonische Mischung aus martialisch kraftvoller mexikanischer Folklore und orchestertechnisch brillanten impressionistischen Stimmungsbildern bereit. Um eine möglichst authentische Wirkung zu erzielen, belässt der Komponist dem folkloristischen Material meist seine Ecken und Kanten. Der Akzent liegt dabei auf Blech- und oft schrillen Holzbläsern und Perkussion, die um landesübliche Instrumente wie Guiro (Samba-Ratsche), Gourd, Timbales und Maracas erweitert auftritt. Eine für Friedhofer charakteristische Technik kommt in diesem Zusammenhang wirkungsvoll zur Geltung: Sehr tiefe und sehr hohe Instrumentallagen werden kombiniert, wobei der „Zwischenraum“ weitgehend frei bleibt. Das Resultat wirkt insgesamt karg und archaisch. Eine durchaus interessante Art, ethnische Musik in Orchesterklänge zu kleiden.

Aufgrund der wie erwähnt kargen, mitunter etwas raubeinigen Beschaffenheit dürfte bei diesen Teilen der Partitur der Funke beim Hörer nicht sofort überspringen, aber etwas Einhörarbeit ist bei diesem Komponisten ohnehin in den meisten Fällen erforderlich und immer lohnend. Unmittelbar eingängig ist z. B. noch „The Coach“, eine Art schmissig voranpreschendes, dabei witziges Scherzo mit gehetztem Bläser-Staccato und donnernden Paukenfiguren. Beispiele für die rauere Gangart liefern insbesondere die Tracks „Encounter“ und „Jose and Serra“, in denen kurzzeitig sogar schroffe Strawinsky-„Sacre“-Rhythmen anklingen.

Einen Gegenpol hierzu stellen kostbar melodische Stücke wie das melancholische, spanisch klingende Streicherintermezzo „The Miracle“ und die besonders dem französischen Impressionismus verpflichteten „At the Mission“ und „Jose and Ula“ dar. Gerade bei diesen beiden lichtdurchfluteten, funkelnden Miniaturen zeigt sich, wozu der Komponist im Bereich der Orchestration in der Lage war. Hier hat sozusagen „Claude Maurice Friedhofère“ ganze Arbeit geleistet. Auch der in gespenstischen Glissandi und Trillern dunkel dahinhuschende „Sand Storm“ schöpft aus demselben impressionistischen Quell. Und während in der Schluss-Szene des Films der Missionar die Kirchenglocke läutet, setzen im „End Title“ von Harfenglissandi umglitzerte, bildsynchrone Stabglockenschläge einen schönen, intelligent tonmalerischen Schlusspunkt.

Wertungsmäßig rangieren die vier vertretenen Musiken zwischen 4,5 (Rains of Ranchipur) und 5,5-6 (v.a. The Lodger) Sternen. Angesichts der perfekten, mit 75 Minuten auch großzügig bemessenen Zusammenstellung ist jedoch für das Album die Höchstwertung keinesfalls zu hoch gegriffen. Man darf nicht vergessen, dass die Veröffentlichung im Jahr 1997 einen mutigen Vorstoß in das — Friedhofer betreffend — erschreckende diskographische Brachland bedeutete. Auch heute steht die Anzahl der auf CD erhältlichen Scores in keinem Verhältnis zum hohen Rang des Komponisten, aber vor Erscheinen der Marco-Polo-CD waren mit The Best Years of Our Lives auf Label X, An Affair to Remember auf Sony/Epic sowie der Varèse-Doppel-CD The Young Lions/This Earth Is Mine überhaupt nur drei Friedhofer-Titel (auf CD) greifbar.

Wie ja weithin bekannt ist, wurde dieser editorische Mut bisher leider nicht entsprechend belohnt. Was die Verkaufszahlen anbelangt, ist das Friedhofer-Album nach wie vor Schlusslicht unter den Marco-Polo-Einspielungen. Hierin dürfte auch der Grund dafür zu suchen sein, dass die im Booklet-Text vage angekündigten weiteren Friedhofer-Neueinspielungen vor sechs Jahren auf Eis gelegt (aber hoffentlich nicht gänzlich aufgegeben!) worden sind. In diesem Lichte sei allen besonders nachdrücklich zum Kauf geraten. Aber auch ohne den zusätzlichen gewichtigen Kaufgrund — die Möglichkeit, Marco Polo eventuell zu weiteren Aufnahmen anzuregen — ist die CD für jeden, der am „Golden Age“ interessiert ist und einen seiner wahren Meister kennen lernen will, ein Muss.

Die Musiker des Moskauer Symphonieorchesters unter William Stromberg sind mit energischem Eifer und beachtlicher Spielkultur bei der Sache, und das tief gestaffelte, weder zu trocken noch zu echolastig gestaltete Klangbild gibt ebenso wenig Anlass zur Klage. Das Booklet mit einem kurzen Text von Tony Thomas und einer von John Morgan verfassten Notiz zur aufwändigen Rekonstruktionsarbeit (die vollen Orchesterpartituren standen wie so oft nicht mehr zur Verfügung) ist zwar etwas schlichter als gewohnt ausgefallen, reicht aber für eine Produktion mit Überblickscharakter völlig aus.

Komponist:
Friedhofer, Hugo

Erschienen:
1997
Gesamtspielzeit:
74:09 Minuten
Sampler:
Marco Polo
Kennung:
8.223857

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