Faschismus und Zweiter Weltkrieg im Spiegel ausgewählter Kinofilme, Teil XI

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. Oktober 2005
Abgelegt unter:
Special

Faschismus und Zweiter Weltkrieg im Spiegel ausgewählter Kinofilme, Teil XI:
Napola — Elite für den Führer und „Das Erbe der Napola“

„Ich kann euch vielleicht nicht bekommen, aber eure Kinder bekomme ich in jedem Fall.“ Diese von Adolf Hitler stammende Aussage bezieht sich auf die detailliert geplante Verführung der Jugend im NS-System. „Napola“ steht in diesem Zusammenhang für „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ und damit für ein lange Zeit in der Öffentlichkeit wenig bekanntes Thema der jüngeren deutschen Vergangenheit.

Der Regisseur Dennis Gansel zählt mit seinen 32 Lenzen zu den Enkeln der Tätergeneration. Er hat nun als erster im Rahmen eines Spielfilms versucht, dem Publikum einen Eindruck von der Wirkungsweise der paramilitärischen Eliteschulen des NS-Regimes zu vermitteln. Viele der ehemaligen „Jungmannen“ — so bezeichnete man die Napola-Schüler — gelangten im Nachkriegsdeutschland in führende Positionen und haben das Bild nicht nur der Ära Adenauer entscheidend mitgeprägt.

Am Beispiel des aus dem Berliner Arbeiterbezirk Wedding stammenden Arbeitersohnes Friedrich Weimer (Max Riemelt), auf dessen Boxertalent ein Ausbilder der Napola Allenstein aufmerksam wird, erzählt der Film seine im Spätsommer 1942 beginnende Geschichte. Friedrich sieht in der Zulassung zur Ausbildung in der NS-Ordensburg die Chance, der heimischen Enge und den eher primitiven häuslichen Verhältnissen zu entkommen. Davon hält ihn letztlich auch nicht der Widerstand seines Vaters ab, der mit „diesen Leuten“ nichts zu schaffen haben will. Friedrich fälscht dessen Unterschrift und begibt sich nach Allenstein. Vom äußeren Glanz der Anstaltsrituale, Privilegien wie Segelfliegen und auch der gepredigten Gleichstellung aller Zöglinge, unabhängig von der Herkunft, wird er anfänglich geblendet und fasziniert. Friedrich freundet sich mit dem Gauleitersohn Albrecht Stein (Tom Schilling) an. Albrecht ist ein sensibler Charakter, dessen Stärken eher auf geistigem, denn sportlichem Gebiet liegen. Er, der sich zum Dichter berufen fühlt, wird deswegen von seinem rücksichtslosen Vater als Schöngeist bemitleidet, ja unterschwellig als Schwächling verachtet. Aus der zwischenmenschlichen Beziehung von Friedrich und Albert, dieser beiden sehr unterschiedlichen Charaktere, entwickelt sich und kulminiert die Filmhandlung. Friedrich ist erheblich weniger kritisch als Albert und deshalb leicht begeisterungsfähig. Erst spät, durch drastische Erfahrungen, bei denen es auch Tote gibt, erkennt Friedrich letztlich, wie hohl und verlogen die Napola-Erziehung ist und wie verachtenswert das ist, was diese aus ihm bis dahin schon gemacht hat.

Napola — Elite für den Führer beschreibt die Grausamkeit und Härte eines unmenschlichen Regimes und zeigt dabei auch Charaktere, die dem enormen psychischen Druck nicht standhalten, wie den zum Bettnässer gewordenen Kameraden. Da der Zuschauer aus der überzeugenden Mimik der insgesamt guten Darsteller Markantes herauslesen kann, werden nicht allein die Verführung, sondern neben der Rohheit des Drills auch das Entsetzen und das Begreifen eindrucksvoll nachvollziehbar. Neben der totalen Demütigung des Bettnässers vor versammelter Mannschaft (!) und die nächtliche Menschenjagd auf entflohene russische Kriegsgefangene sind die Boxkampfszenen, auch dank der grandiosen Kameraarbeit von Torsten Breuer — inspiriert von Martin Scorseses Raging Bull — besonders eindringlich und beklemmend zugleich gelungen. So, wenn Neujungmann Friedrich zeigt, was er vom rücksichtslos menschenverachtenden Geist seiner Lehrer auf der Napola Allenstein bereits angenommen hat. Er tut das von ihm erwartete: nämlich einen bereits halb zu Boden gegangenen Gegner zu vernichten, indem er ihn gnadenlos k.o. schlägt. Max Riemelt macht dabei die Befriedigung ob der ausgeübten Gewalt, den Moment des „totalen“ Sieges, abseits jeden sportlichen Ethos’ und menschlich empfundenen Mitleids sicht- und fühlbar. Dies ist sicherlich eine der stärksten Szenen des Films. Wie hier der bereits eingetretene Grad der Verrohung des an sich warmherzigen Friedrichs gezeigt wird, dürfte kaum einen Beobachter unbeeindruckt, vielmehr frösteln lassen. Hat doch der Zuschauer noch die frühe Szene in Erinnerung, in welcher Friedrich nächtens seinen kleinen Bruder liebevoll in den Arm nimmt und tröstet, der sich vor der anstehenden Landverschickung fürchtet.

Jungen Leuten erscheinen die älteren Filme zum Thema „Faschismus und 2. Weltkrieg“ auf den ersten Blick oftmals nicht allein wenig zeitgemäß, sondern antiquiert. Nicht zuletzt durch seine (übrigens sehr glaubhaft agierende) jugendliche Darstellerriege, die durch „Teenager-Filme“ wie Mädchen Mädchen! geläufig ist, dürfte Napola — Elite für den Führer beim Nachwuchs besonderes Potenzial besitzen und zum Ansehen einladen. Ein breiteres Publikum zur Auseinandersetzung mit einem weiteren wichtigen Aspekt zum Thema Faschismus und 2. Weltkrieg zu bewegen, belebt und fördert die Diskussion. Daraus entsteht möglicherweise auch das Interesse, sich mit der Thematik eingehender zu beschäftigen. Damit taugt Gansels Film auch als Wegbereiter für weitere zeitlose filmische Beiträge, wie Bernhard Wickis Die Brücke, der (in gewissem Sinne) als die desaströse finale Konsequenz und damit als „Fortsetzung“ von Gansels Film angesehen werden kann.

Von einer Bewertung von Napola — Elite für den Führer möchte ich aus denselben Gründen wie bei Der Untergang derzeit Abstand nehmen. Über die Art und Weise, wie hier eine Geschichte über die Terrorschulen des Dritten Reiches filmisch aufbereitet wird, darüber kann und soll man ruhig streiten. Gansel ist das Thema auf der emotionalen Ebene angegangen. Er versucht, dem Zuschauer dabei sowohl die Verführung wie auch die wachsende Erkenntnis des Verbrecherischen zu zeigen. Ebenso geht es darum, den Punkt zu verdeutlichen, wo keiner der (an der nächtlichen Menschenjagd) Beteiligten mehr behaupten kann, er habe vom Verbrecherischen des Systems dem er dient nichts gewusst. Dass dabei gewisse Einstellungen in den Montagen auch an das (verführerische) Kino Leni Riefenstahls — siehe auch „Die Scheinwerferin“ — erinnern und die Nazis nicht per se unsympathisch sind, liegt auf der Hand.

Sind dabei Institution, Handlung und Charaktere in allem überzeugend oder aber in Teilen doch überzogen klischeehaft konstruiert und/oder liegen sie schlichtweg im Trend — im Sinne einer „Mittendrin-statt-nur-dabei-Ästhetik“; oder ist der Regisseur an das Thema gar allzu naiv herangegangen und hat sogar verharmlost? Dass sind einige der Fragen, über die man hier anregend debattieren kann. Die Botschaft des Films ist m. E. in jedem Fall beklemmend genug und bietet ausreichend Anregungen für eine kritische Nachbereitung und analysierende Betrachtung, auch wenn der Film das Spezifische des Systems der Napolas vielleicht nicht in allen entscheidenden Punkten befriedigend vermittelt — siehe dazu Christian Schneiders Artikel „Napola: Geschichte vom Opa, erzählt vom Enkel“ — in der „taz“ vom 8.1.05. (Schneider ist Mitautor des nachfolgend vorgestellten Buches.) Und das macht einen Spielfilm zumindest sehenswert. Die in Teilen ähnliche Kontroverse wie bei Der Untergang sollte den neugierig gewordenen Leser also nicht abschrecken, im Gegenteil: er sollte sich Napola — Elite für den Führer vielmehr unbedingt anschauen!

Die DVD-Edition

Die DVD präsentiert den Film im Scope-Format (1 : 2,35) und sehr überzeugendem Bild: Schärfe, Kontrast, Farbe und Detailliertheit können sich sehen lassen. Zum Film kann man einen Kommentar von Regisseur Dennis Gansel wählen, in dem dieser mit aufschlussreichen Infos zur Produktion aufwartet und dabei originellerweise auch auf ein paar Regiefehler hinweist. Ebenso tadellos ist das subtil atmosphärisch ausgeführte Ton-Design, das gekonnt auf unnötige spektakuläre Effekte verzichtet. Das rund 40-minütige „Videotagebuch von Regisseur Dennis Gansel“ ist das Making Of zur Produktion. In „Die Hintergründe“ gibt’s auf Texttafeln Grundlegendes zu den Eliteschulen des Dritten Reichs zu lesen. Die Darsteller-Infos sind zwar in visuell gefälligem Rahmen präsentiert, aber ohne Adleraugen schwierig zu entziffern.

Interessant sind die rund 17 Minuten an geschnittenen und alternativen Szenen: Besonders die merklich anders angelegte Alternative zur Demütigung des Bettnässers ist sehenswert. Hier wird der Unglückliche vom Ausbilder Preiner (Michael Schenk) in klassisch autoritärer Anbrüller-Manier zur Sau gemacht. In der endgültigen Schnittfassung hingegen erfolgt die Demütigung ruhiger, fast schon subtil — was zwar durchaus überzeugend wirkt, mir allerdings für die Zeit der Filmhandlung doch etwas zu modern erscheint.

„Das Erbe der Napola. Versuch einer Generationengeschichte des Nationalsozialismus“

Gansels Napola-Film vermag vielleicht auch zum Lesen der wissenschaftlichen Publikation aus dem Verlag Hamburger Edition zu bewegen. Was das Autorentripel unter der Führung von Christian Schneider präsentiert, ist, wie der bedeutungsvolle Untertitel verrät, der Versuch die Auswirkungen der Napola-Erziehung nicht allein auf die Betroffenen, sondern auch auf ihre Kinder und Kindeskinder zu analysieren. In der mehrgenerationellen Perspektive begibt sich die Studie zugleich auf Neuland. Die Ergebnisse der jahrelangen biografischen Forschungen finden sich in Form einer Vielzahl ausgewerteter Interviews.

Die Autoren wollten dabei herausfinden, wie die zum Teil erst zehn- und zwölfjährigen Zöglinge die zum Teil rohen und drillhaften Erziehungsmethoden der jeweiligen Anstalt empfanden; und zugleich, ob und wie es den auf der einen Seite gezielt Erniedrigten auf der anderen Seite gelang, zu verinnerlichen, sie seien die absolute Elite der rassisch reinen Herrenmenschen überhaupt — was eine der entfernten Szenen in Gansels Film ebenfalls anreißt. Wie sind die durch den Zusammenbruch aus der vorbestimmten Bahn Geworfenen, Verratenen und Entwurzelten mit dieser Situation letztlich fertig geworden und was ist dabei aus der Napola-Erziehung hängengeblieben? Und schließlich ist man der Frage nachgegangen: ob und wie sich die ideologischen Beeinflussungsmechanismen in Hitlers Eliteschulen auf die Nachkommen der Napola-Zöglinge ausgewirkt hat, ob es so etwas wie eine „psychische Vererbung“ der NS-elitären Prägung über die Generationengrenze gibt.

Inwieweit die Saat der Napola-Erziehung unterschwellig und unbewusst aufgegangen ist, darüber wollten die Autoren zur Zeit der Veröffentlichung (1997) noch nicht resümieren, da sie das Projekt noch nicht als abgeschlossen betrachten. Sie hoffen vielmehr, dass die vorliegende Publikation anhand von Reaktionen der Leser zur Keimzelle des noch ausstehenden letzten Kapitels der Studie werden möge: dieses „kann nur aus den Reaktionen derer entstehen, die es angeht.“

Das Autoren-Trio hat mit „Das Erbe der Napola“ eine hochinteressante, wissenschaftlich fundierte Untersuchung vorgelegt. Für den interessierten Laien bedeutet die zweifellos aufschlussreiche Lektüre in den psychologischen Betrachtungen und Schlussfolgerungen allerdings doch recht schwierige Kost — hier wäre ein ausführliches Glossar hilfreich gewesen. Insofern handelt es sich um ein Buch, für das man sich einige (allerdings lohnende) Zeit nehmen muss.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum 3. Oktober 2005.

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