Jubiläen werden in erster Linie im Zusammenhang mit glatten größeren Zahlen, wie 100, 1000 und darüber begangen. Aber auch das berühmte „Erste Mal“ ist ja auf seine Weise etwas ebenso ganz Besonderes. Etwas entsprechendes ereignete sich (wieder einmal) bei „Film Score Monthly“. Mit der Veröffentlichung von Guns for San Sebastian • Gewehre für San Sebastian (1968) gibt nämlich Ennio Morricone sein Debüt im Zirkel des rührigen FSM-Labels.
La Bataille de San Sebastian, so lautet der französische Originaltitel des Films, des einzigen „Westerns“, den Regisseur Henri Verneuil inszenierte. Anthony Quinn verkörpert einen Banditen, der sich einem Priester anschließt, um sich der irdischen Gerechtigkeit in Form der Truppen des spanischen Gouverneurs zu entziehen. Im abgelegenen Dorf San Sebastian wird er quasi zum Vertreter der „Glorreichen Sieben“, indem er den Bauern hilft, sich gegen die von Teclo (Charles Bronson) angeführten Indianer erfolgreich zur Wehr zu setzen. Die Bezeichnung Western ist an dieser Stelle nicht ganz korrekt, spielt die Filmhandlung doch in Mexiko etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Streng genommen handelt es sich um ein Kolonialabenteuer, das jedoch merklich die Trends der Zeit bedient: und zwar neben dem o. g. Film von John Sturges im Inszenierungsstil partiell an die Karl-May-Welle anknüpft.
Einschmeichelnde lieblich melodische Orchestersounds, durchsetzt mit Holzbläsersoli und einzelnen ungewöhnlichen Instrumenten und Klangeffekten, werden durch die unverwechselbare Vocalise Edda dell’Orsos abgerundet. Gitarrensounds stehen für den Schauplatz der Handlung: Mexiko. Verstärkt sakrale Choreinlagen schaffen stimmige Atmosphäre. Sie bilden mit dem Genannten zugleich Kontrast zu atmosphärisch gehaltenen, stärker modernistisch gefärbten Spannungsmomenten und den zum Teil mit aggressiven Percussioneffekten und Schreien durchsetzten Actionpassagen. Hinzu kommen einige sowohl historisierend wie folkloristisch komponierte Setpieces. Zurzeit seiner Entstehung ist Morricones San Sebastian immer noch ungewöhnlich, wenn auch nicht mehr revolutionär. Er zählt dafür sowohl thematisch als auch variationstechnisch zu den besonders vielfältigen Arbeiten des Italieners, was die Musik zusätzlich frisch erscheinen lässt.
San Sebastian hat von vielem etwas. Die Komposition spiegelt zum einen zurückliegende und annähernd zeitgleich komponierte Genre-Scores Morricones: die zur Dollar-Western-Trilogie, die der beiden vertonten Sergio-Sollima-Westernfilme (La Resa Dei Conti, Faccia A Faccia) und Navajo Joe. Zum anderen kann man zukünftige (Western-)Vertonungen bereits ein wenig vorausahnen, wie Leichen pflastern seinen Weg, Die gefürchteten Zwei (Il Mercenario), Spiel mir das Lied vom Tod, Ein Fressen für die Geier (1970) und auch die zum politischen Kolonial-Epos Queimada — Insel des Schreckens (1969).
Gewehre für San Sebastian gab es seinerzeit auf dem hauseigenen MGM-Label als LP (siehe Bild rechts) mit rund 33 Minuten Spielzeit. Über die Jahre hat es ausschließlich verschiedene Reeditionen des LP-Schnitts, auch auf CD, gegeben. FSM hat für seine Ausgabe Zugriff auf die Original-Master aus Italien erhalten, was akustisch erfreulicherweise einen beträchtlichen Qualitätssprung bedeutet. Hauptmanko sämtlicher bisheriger Ausgaben war nämlich die recht bescheidene Tonqualität der sowohl der Erstausgabe als auch sämtlichen Reeditionen zugrunde liegenden LP-Master. Diese klingen mulmig, rau und sind nicht frei von Verzerrungen — was wohl auf fehlerhafte Überspielung zurückgeführt werden muss. Von der FSM-CD klingt die Musik jetzt nämlich erheblich transparenter, frischer und sauberer, ist in nur ein leichtes Grundrauschen eingebettet. Auch wenn die Top-Klasse von Veröffentlichungen wie The Glass Slipper und Raintree County hier nicht erreicht wird, für ein klares „gut“ (zusätzlich mit kleinem Sternchen) reicht es eindeutig. Wertungstechnisch kommen für die Musik zu Gewehre für San Sebastian viereinhalb bis volle fünf Sterne in Betracht. Letztere verdient das Album dank der erstklassigen Reedition in jedem Fall.
Neben der kompletten Filmmusik sind auf dem FSM-Album auch die speziell für die LP-Ausgabe eingespielte Handvoll zusätzlicher Stücke vertreten, wie die effektvolle, im Film nicht vorkommende Ouvertüre. Maestro Morricone hat bei der Oscarverleihung 2007 (endlich!) die lang verdiente Auszeichnung für sein Lebenswerk erhalten. Es ist zu wünschen, dass die daraus resultierende zusätzliche Aufmerksamkeit für den Altmeister auch die Verkaufszahlen dieses FSM-Albums merklich puschen mag.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2007.
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