Kleine Klassikwanderung 46

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
20. Oktober 2009
Abgelegt unter:
Special

Dmitri Schostakowitsch: „Die Nase“

Das renommierte St. Petersburger Mariinski-Theater firmiert nun auch auf eigenem CD-Label. Den Einstieg bereitet eine echte Rarität: die Oper „Die Nase“, welche Dmitri Schostakowitsch 1928, mit nur 22 Lenzen, aufs Notenpapier gebracht hatte. Wie der damals noch jugendliche Komponist Gogols fantastische und absurde Erzählung in Töne gefasst hat, darf als Geniestreich bezeichnet werden. Auch heute, über 80 Jahre nach der Uraufführung, hat das Werk kaum an Frische, Schärfe und Spritzigkeit verloren. Damals war die Musik nicht nur am Puls der Zeit, sondern in Teilen dieser sogar voraus. Schostakowitsch experimentierte, ließ teilweise förmlich durch die Nase singen und verarbeitete in seiner Tonsprache auch Einflüsse der Moderne sowie der Neuen Musik, von Strawinsky, Schönberg und besonders aus Alban Bergs „Wozzeck“. Im Intermezzo für „nur“ (neun) Schlagzeuger zwischen der 2. und 3. Szene ist er sogar Edgard Varèse voraus: Dessen ebenfalls ausschließlich für Schlagwerk konzipierte „Ionisation“ entstand erst 1931.

Seit fast 35 Jahren ist es das erste Mal, dass „Die Nase“ erneut eingespielt worden ist. Zwar ist die derzeit vergriffene Ersteinspielung, die Moskauer Melodiya-Produktion unter Gennadi Roschdestwenski, unter anderem weil dabei noch der Komponist beteiligt war, eine wertvolle Referenz. Vor allem tontechnisch ist diese Aufnahme heutzutage allerdings eher unbefriedigend.

Nun hat sich der langjährige Mariinski- Chef, Valery Gergiev, der Partitur angenommen und diese auf einer Neuinszenierung beruhende Neueinspielung vorgelegt. Die Freunde des Raumklanges kommen dank des Hybrid-SACD-Formats voll auf ihre Kosten. Das Ergebnis ist allerdings bereits im üblichen CD-Stereo klangtechnisch spitze — man achte nur auf die faszinierende Räumlichkeit der Klanglandschaft in der Szene in der Kasaner Kathedrale.

Beim Solistenensemble, besetzt mit bewährten, hörbar hochkarätigen Kräften des Hauses, gibt es ebenso wenig zu bemängeln, wie bei der Interpretation. Analytische Schärfe in der Darstellung und Präzision im Zusammenspiel bestimmen sowohl die markant ausgespielten rhythmischen Finessen des Werkes, wie auch den gewollt zum Ausdruck kommenden bissigen Sarkasmus. Neben der bestechenden technischen Präzision im hochglanzlackierten Klangbild, arbeitet Maestro Gergiev die Kontraste der Partitur detailliert heraus und lässt dabei mit viel Drive musizieren.

Somit verfügt der Markt endlich über eine neue Version von „Die Nase“, eine Einspielung, die in sämtlichen Punkten auf sehr hohem Niveau rangiert. Ausgestattet ist die im Midprice-Segment angesiedelte Box im Pappschuber außerdem noch mit einem knapp 100 Seiten umfassenden, informativen Begleitheft, das neben aufschlussreichen Texten zum Werk (auch in Deutsch) mit vollständigem Libretto (in Russisch und Englisch) aufwartet. Ich hätte mir diese Veröffentlichung bereits zum Schostakowitsch-Jubiläum 2006 gewünscht. Nun denn: So besteht eben jetzt nochmals Grund zum Feiern.

Schostakowitsch: Sinfonien 1 & 15

Die Oper „Die Nase“ markiert zugleich den Einstieg in einen neuen CD-Zyklus sämtlicher Schostakowitsch-Sinfonien unter Valery Gergiev — zuvor hatte dieser bereits die Sinfonien 4 bis 9 (zum Teil mit dem Rotterdam Philharmonic aufgenommen) auf Philips vorgelegt.

Den Auftakt bilden Anfang und Schlusspunkt von Schostakowitschs Sinfonien-Schaffen. Und das ist bereits eine interessante, kontrastreiche Kopplung: steht doch der so witzig und stürmisch zugleich Tradition und Moderne verknüpfende Erstling des aufstrebenden Newcomers neben dem abgeklärt und grüblerischen, rätselhaft mit verschiedenen klassischen Zitaten durchsetzten Spätwerk, das schließlich geradezu geheimnisvoll verlischt.

Auch hier gehen Valery Gergiev und die Musiker des früheren Kirow-Orchesters mit vergleichbar hoher Präzision zu Werke. Im Resultat liefern sie zugleich vitale und expressive Interpretationen in erstklassiger Klangqualität, wiederum im Hybrid-SACD-Format. In der Brillanz der Darstellung gehen auch die lyrischen Passagen nicht unter, sondern werden vielmehr angemessen betont.

Schostakowitsch: Allein (Odna)

Nach der Musik zum Stummfilm Das neue Babylon (Nowyi wawilon, 1929, Regie: Grigory Kosinzew und Leonid Trauberg) verpflichtete das Regisseur-Duo den jungen Schostakowitsch gleich für ihr nächstes Filmprojekt, Allein (Odna, 1930). Wichtige Pionierarbeit hat hier das Capriccio-Label geleistet. Im Rahmen des mittlerweile in einer Box zusammengefassten Zyklus mit Schostakowitsch-Filmmusik entstand bereits Mitte der 90er Jahre eine annähernd vollständige Einspielung der Filmmusik zu Allein. Jetzt hat sich der Dirigent Mark Fitz-Gerald — analog zu Frank Strobels Bemühungen um Das neue Babylon — nochmals der Musik angenommen. Mit der Unterstützung von Irina Schostakowitsch, Nic Raine, Theodore van Houten und Krystof Meyer ist die Filmmusik einer kompletten Rekonstruktion unterzogen worden. Eingefügt wurden dabei weitere Musikpartikel, die zum Teil nur noch auf der mangelhaften Tonspur existierten, wie die schmissige knapp einminütige Ouvertüre. Die auf der Naxos-CD vorliegende Musikfassung hat übrigens 2003 im niederländischen Den Bosch erstmalig zusammen mit dem Film eine Aufführung erlebt.

Dem nur Hörenden bietet die Filmmusik zu Allein ein abwechslungsreiches Programm, das stilistisch von mit der Großstadt (Leningrad) assoziierten Teilen, z. B. der fanfarenartigen Ouvertüre und den opern- wie operettenhaften Vokaleinlagen, bis zum sehr exotisch wirkenden Obertongesang der Republik Altai an der mongolischen Grenze reicht.

Gegenüber der Capriccio-Version bietet die vom Radio-Sinfonieorchester Frankfurt unter Mark Fitz-Gerald vergleichbar ambitioniert ausgeführte, erstmals vollständige Einspielung rein spielzeitmäßig zwar „nur“ rund fünfeinhalb Minuten mehr an Musik. Trotzdem ist dieses Naxos-Album auch für den interessant, der die Capriccio-Version bereits besitzt. Schon der informative Hintergrundinformationen liefernde Begleithefttext von John Riley sowie die ebenfalls vertretenen detaillierten editorischen Hinweise rechtfertigen dies. Außerdem dürfte der absolut günstige Naxos-Standardpreis eine positive Kaufentscheidung erleichtern.

D. Schostakowitsch: Freundinnen (The Girlfriends)

Im Zentrum des aktuellen Naxos-Schostakowitsch-Albums Fitz-Geralds steht eine absolute Rarität, die Rekonstruktion der nahezu vergessenen, bislang nur in wenigen Fragmenten überhaupt existenten Filmmusik zum 1936er Revolutionsdrama Freundinnen. Die im selben Jahr, im Zusammenhang mit der Oper „Lady Macbeth von Minsk“, infolge des von Stalin lancierten Prawda-Artikels „Chaos statt Musik“ in Gang gekommene Kampagne gegen Schostakowitsch markiert eine tiefe traumatische Zäsur im Schaffen des Komponisten.

Dies spiegelt sich indirekt wohl auch in der jetzt erstmals zugänglichen, rund 47-minütigen kompletten Filmmusik zu den Freundinnen. Im Vergleich mit den späterhin zum Teil aus nackter existenzieller Not entstandenen, in ganz besonderem Maße auf Linie gebrachten Vertonungen ähnlicher Sujets — z. B. Soja (1944) — fällt nämlich unmittelbar die den Freundinnen praktisch völlige fehlende Sentimentalität und das nur äußerst zurückhaltend (allein im Finale kurz aufscheinende) zum Zuge kommende Heroenpathos auf. Überhaupt zeichnet sich diese in Anbetracht des Stoffes so nüchterne Filmkomposition durch eine auffällige Sparsamkeit in den eingesetzten Mitteln aus: Von den insgesamt 23 kurzen einzelnen Stücken beanspruchen nur ganze drei ein größer besetztes Orchester, die restlichen sind äußerst sparsam, fast schon spartanisch, für kleine und kleinste kammermusikalische Ensembles gesetzt. Dabei begegnen nicht nur Piano- oder Vokalsoli oder zwei eher einsame, eine kleine Fanfare intonierende Trompeten. Auch eher ungewöhnliche Kombinationen wie drei Trompeten plus Orgel (in „The Year 1919, Russian Civil War“ — Track 10) oder ein elegisches Adagio für Pauken, Harfe und Orgel (in „The girls attend to the wounded soldiers on the battlefield“ — Track 12) sind vertreten. Nicht zu vergessen die vom Solo-Theremin intonierte desolat wirkende Version der Internationalen (in „The girls and the wounded soldiers retreat by train“ — Track 14). Schostakowitsch verwendete übrigens auch das Revolutionslied, das Alex North in The Shoes of the Fisherman • In den Schuhen des Fischers (1968) zu einem zentralen Thema machte.

Unterm Strich ist die Komposition zu Freundinnen also keine klangsüffige, von breiter angelegten, eingängigen Themen bestimmte Filmmusik. Vielmehr handelt es sich um eine primär atmosphärische, unmittelbar sicher etwas spröde wirkende Vertonung. In jedem Fall erhält der Käufer ein hochinteressantes Studienobjekt zum gewohnten Naxos-Schnäppchenpreis.

Doch damit nicht genug. Des Weiteren enthält das Album an hörenswerten Raritäten: Auszüge aus den Bühnenmusiken zu „Rule Britannia!“ und „Salute to Spain“. Ganz besonders bemerkenswert ist das den Abschluss bildende Fragment eines im Januar 1945 komponierten Entwurfs des Kopfsatzes der 9. Sinfonie, das erstmalig überhaupt im Schostakowitsch-Jubiläumsjahr 2006 öffentlich aufgeführt worden ist. Außerdem erwähnens- und lobenswert ist das auch hier wiederum mit vielen wertvollen Informationen zu den vertretenen Musiken (in Englisch) aufwartende Begleitheft.

Tschaikowsky: Vier Orchestersuiten

Peter Tschaikowsky komponierte seine vier Orchestersuiten quasi als Pausenfüller in der rund zehnjährigen Phase zwischen seiner vierten und fünften Sinfonie. Dass sich in diesen Ausflügen abseits der großsinfonischen Form, pendelnd zwischen den Sinfonien und den Ballettkompositionen, trotz reduzierter Dramatik keineswegs Oberflächliches verbirgt, hat sich immer noch nicht recht herumgesprochen: Immer noch werden diese Perlen wenig aufgeführt. Als Tipp zum Einstieg sei die vierte Suite mit dem Beinamen „Mozartiana“ nahe gelegt. Die reizenden Adaptionen damals wenig bekannter Werke Mozarts sprechen unmittelbar an und zeigen zugleich, wie geschickt sie instrumentiert worden sind.

Wenn Antal Dorati am Pult stand, konnte man sich über Mangel an Energie in der Darstellung gewiss nicht beklagen. Das edel aufspielende New Philharmonia Orchestra und die Decca-typische, vorzügliche Aufnahmetechnik sorgen für die übrigen Pluspunkte einer, trotz ihrer rund 40 Lenze auf dem Buckel, so ungemein lebendigen, zur Referenz taugenden, superben Einspielung.

Smetana: Orchesterwerke Vol. 1 & Vol. 2

Das renommierte BBC-Philharmonic begibt sich auf Endeckungsreise in hierzulande weitgehend unerschlossenes Terrain mit einer CD-Reihe gewidmet den Orchesterwerken Bedřich Smetanas. Abseits von „Die Moldau“ aus dem Zyklus sinfonischer Dichtungen „Mein Vaterland“ ist Smetana primär durch die Ouvertüre zu seiner Oper „Die verkaufte Braut“ geläufig. Die mitreißenden Orchesterstücke daraus gibt es auf Vol. 2 der bisher erschienenen beiden CD-Alben zu hören. Diese feurig und mitreißend interpretierten Zugstücke erweisen sich als ein Gradmesser für die des Weiteren vertretenen Orchesterkompositionen.

Der aus Mailand stammende Gianandrea Noseda besitzt hörbar ein Händchen für diese feinen tschechischen Raritäten. Einfühlsam führt er durch eine reizvolles und abwechslungsreiche Auswahl mit fast durchweg äußerst selten zu hörenden Werken. Da sind die in Teilen recht plastisch, ja teilweise schon filmmusikalisch anmutenden Tondichtungen, wie „Wallensteins Lager“, „Hakon Jarl“ oder auch die, obwohl zu den frühesten Orchesterkompositionen zählende, keineswegs hausbackene „Jubel-Ouvertüre“ und ebenso der aus dem späten Schaffen stammende, mitreißende „Prager Karneval“. Darüber hinaus finden sich orchestrale Auszüge aus bestenfalls dem Titel nach geläufigen Opern Smetanas, wie das „Vorspiel zur Oper Libusa“, dessen prächtige Eröffnungsfanfaren ein Vorbild für Leoš Janáčeks „Sinfonietta“ bilden. Ebenso reizvoll ist das zu einer Rezitation der Goethe-Ballade „Der Fischer“ komponierte Musikstück, in dem Smetana eine Hommage an Wagners Vorspiel zu „Das Rheingold“ einarbeitete.

Abwechslungsreiche Begegnungen mit äußerst reizvollen Raritäten slawischer Musik, in spiel- wie aufnahmetechnisch hochkarätiger Darstellung, bilden das Programm der ersten beiden bislang von Chandos veröffentlichten Alben der Smetana-Reihe „Orchestral Works“. Abgesehen von den im Umfang bescheideneren bereits mehr als rund vier Jahrzehnte zurückliegenden Bemühungen Rafael Kubeliks auf Deutsche Grammophon ist im Lager der nicht-tschechischen Labels die hier vorgelegte Werkauswahl praktisch ohne Konkurrenz.

Freunde von opulenter Monumentalfilmsinfonik dürften übrigens an den häufiger anzutreffenden prachtvollen Fanfaren ihre helle Freude finden. Es bleibt zu hoffen, dass diese wertvolle Reihe bald fortgesetzt wird.

Verdi: Complete Preludes, Overtures and Ballet Music

Am 10. Juli 2009 verstarb der angesehene britische Dirigent Sir Edward Downes. In memoriam sei die umfassende Kollektion des edlen BBC Philharmonic Orchestras unter Downes mit Orchesterstücken aus Verdi-Opern vorgestellt. Die zwischen 1996 und 2000 entstandenen, auf vier CDs veröffentlichten Einspielungen haben es mittlerweile in ein ansehnliches Mid-Price-Box-Set geschafft. Die damit verbundene zusätzliche Attraktivität beim Preis geht erfreulicherweise nicht mit einem Informationsverlust einher. Die kompetenten Texte zu den vier Einzelveröffentlichungen sind komplett in einem soliden Begleitheft (auch in Deutsch) zusammengefasst.

Das Vier-CD-Set zeichnet den Weg des Komponisten von den Anfängen und damit den (von ihm selbst so bezeichneten) „Galeerenjahren“ bis zum erfolgreichen Opernmaestro reizvoll und kurzweilig nach. In den frühen Kompositionen schimmert dabei häufiger noch eine kräftige Prise Rossini durch. Sicher ist nicht alles hier zu Findende meisterwerkverdächtig. Doch zeigt sich Verdi stets als begabter Melodiker und Schritt für Schritt einfallsreicher und gewandter in der Orchesterbehandlung.

Mit den hier umfassend studierbaren Ballettmusiken – die bei heutigen Aufführungen oftmals entfallen — bediente Verdi souverän die Konventionen seiner Zeit. Dem verdanken wir so manche leichtfüßig daherkommenden Perlen gehobener Unterhaltung, die leider immer noch viel zu selten zu hören sind, z. B. die überaus klangschöne, mit „La Peregrina“ betitelte Ballettkomposition für den 3. Akt des „Don Carlos“.

Das BBC Philharmonic musiziert unter der Leitung von Sir Edward Downes tadellos und durchweg klangschön. Gelegentlich könnte ich mir zwar noch ein Quäntchen mehr an Tempo und eine zusätzliche Prise an Leidenschaft vorstellen, aber das bleiben eher marginale Feststellungen und ist damit in erster Linie eine Sache des individuellen Empfindens.

Absolut vollständig ist die Kollektion übrigens nicht: Zwar finden sich erfreulicherweise absolute Raritäten wie die für die italienische Uraufführung von „Aida“ 1872 vorgesehene, rund 12-minütige Ouvertüre. Dafür fehlt allerdings merkwürdigerweise das geläufige Vorspiel zum 3. Akt der Oper. Erfreulicherweise spielt Downes das Prelude zur 1857er Erstfassung von „Simon Boccanegra“, unterschlägt aber dafür die revidierte Fassung. Das ebenfalls nicht vertretene Preludio zu Verdis letzter Oper „Otello“ ist möglicherweise erst nach Abschluss des Zyklus’ aus den Archiven zutage gefördert worden.

Nicht nur da wird der Entdeckungsfreudige fündig beim nachfolgenden Album:

Verdi Discoveries

Vergleichbar mit dem entsprechenden Album zu Giacomo Puccini nehmen Riccardo Chailly und das Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi den Hörer mit auf eine interessante, vielfältige Entdeckungsreise. So zeigen die mozartisch angehauchten „Variazioni per pianoforte ed orchestra“ über ein Thema aus einer heute vergessenen Oper Francesco Morlacchis uns Verdi von völlig ungewohnter, überraschender Seite: Wollte der junge Komponist doch ursprünglich Klaviervirtuose werden. Der schwierige Klavierpart dieses Bravourstücks spricht für das pianistische Können des jungen Verdi, den einer seiner Prüfer als „Paganini des Klaviers“ bezeichnete. Die „Sinfonia in C“ komponierte der 25-jährige anlässlich der Geburt seines zweiten Kindes. Das Stück enthält zwei Themen die Verdi späteren in der Ouvertüre zu seiner zweiten Oper „König für einen Tag“ wieder verwendete. Ebenso reizend ist die Begegnung mit den Variationen für Oboe und Orchester „Canto di Virginia“, die offenbar zur Geburt der ersten Tochter Virginia komponiert wurden. Neben der „Sinfonia in C“ ist es eine weitere, einen Spalt breit das sehr Private reflektierende Kostprobe im frühen Schaffen des späteren Großmeisters der italienischen Oper. Und da ist ebenfalls noch das „Adagio per tromba ed orchestra“, wo der Komponist geschickt mit den Möglichkeiten der damals noch eine rare Novität darstellenden Ventiltrompete spielt. Des Weiteren finden sich alternative Versionen von Opernouvertüren und Vorspielen, wie das späterhin nicht verwendete Preludio zum „Otello“, die bereits o. g. 1872er Sinfonia zu „Aida“ oder die Ouvertüre zu „Die Macht des Schicksals“ in der gegenüber der geläufigen Fassung deutlich kürzeren, 1862 in St. Petersburg uraufgeführten Erstfassung des Werkes. Dass bei den im Rahmen wissenschaftlicher Forschungen zutage geförderten Manuskripten so manches unvollständig ist und helfender Hand Dritter bedurfte, um aufführbar zu werden, tut dem Reiz des Ganzen keinen Abbruch.

Somit bietet die vorliegende CD einen wertvollen musikalischen Blick zurück. Einen, der eben auch zeigt, dass so manches, was nachträglich auf den ersten Blick als scheinbar geradliniger innovativer Wurf erscheint, eben doch das Ergebnis eines oftmals eher mühsamen Entwicklungsprozesses gewesen ist.

Riccardo Chailly leitet das bestens disponierte Mailänder Ensemble und wird dabei von Top-Solisten unterstützt, wie dem Pianisten Jean-Yves Thibaudet oder Allessandro Potenza an der Oboe. Dazu findet sich Lesenswertes im sorgfältig erstellten Begleitheft (auch in Deutsch), und eine tadellose Aufnahmetechnik setzt das Tüpfelchen auf das i.

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