Musik für einen Zeichentrickfilm muss nicht notwendigerweise Kinderkram sein. Das hat neben einem James Horner zum Beispiel auch Jerry Goldsmith 1982 mit seinem Score für den Don-Bluth-Film The Secret Of N.I.M.H. • Mrs. Brisby und das Geheimnis von N.I.M.H. bewiesen. Ihm ist zu diesem etwas düster gehaltenen Abenteuer, in dem die Feldmaus Mrs. Brisby mit der Hilfe von intelligenten Ratten ihr Heim, einen hohlen Stein in zentraler Feldlage, vor der Zerstörung durch den Pflug retten muss, eine überaus vielschichtige und ansprechende Komposition gelungen, die reich an Themen und interessanten Texturen ist. Eingespielt wurde der Score mit dem National Philharmonic Orchestra, Goldsmiths „Stammensemble“ der frühen und mittleren 80er. Durch die konsequente Unterstützung der Ambrosian Singers, die sowohl elegante als auch kraftvolle Auftritte haben, erreicht die Musik zuweilen eine schier unglaubliche dramatische Dichte. Seit der Omen-Trilogie wissen wir, dass Goldsmith ein geschicktes Händchen für chorale Passagen hat.
Zentrales Element des Scores ist das hinreißende „Flying Dreams“-Thema. So einnehmend und herzerwärmend ist es, dass sogar die beiden Vokalversionen zu einem angenehmen Hörerlebnis werden. Das von Sally Stevens liebevoll intonierte Lullaby in Track 3 ist dabei der näselnd vorgetragenen Variante von Paul Williams (Track 7) aber in jedem Fall vorzuziehen.
Jerry Goldsmith befand sich damals auf einem von mehreren Höhepunkten seines kreativen Schaffens. Seine meisterhafte Poltergeist-Musik stammt aus dem selben Jahr, und das kompositorische Gewicht dieses Horror-Klassikers, das absolute Perfektion im Filmkontext mit einer hypnotisierenden, völlig aus einem Guss scheinenden Separatwirkung vereint, ist auch in N.I.M.H. spürbar. Neben muskulösen Actioncues, die nicht erahnen lassen, dass es sich bei dem dazugehörigen Film „nur“ um ein Zeichentrickabenteuer handelt (z. B. „The Tractor“, „Moving Day“, „The House Raising“), finden sich vorzügliche Themen für die tollpatschige Krähe Jeremy (z. B. „Allergic Reaction/Athletic Type“, „End Title“), den weisen Rattenanführer Nicodemus („Main Title“, „No Thanks“) und schließlich den magischen Stein, der Mrs. Brisby am Ende die Rettung ihres Hauses ermöglicht („Escape From N.I.M.H.“, „End Title“). All diese Einzelzutaten werden in einem selbst für Jerry Goldsmith ungewöhnlich klar definierten und brillant auskomponierten Leitmotivansatz verarbeitet. Will heißen: Die Charakterthemen und -motive finden situationsbezogen Anwendung, werden mal hier, mal dort zur Gänze oder fragmentarisch zitiert, hinsichtlich Tonart und Zeitmaß variiert und transformiert. Eben alles, was traditionelle Wagnerische Leitmotivik ausmacht, wie sie auch Franz Waxman und John Williams in ihren Filmmusiken praktiziert haben.
Die 49-minütige Varèse-CD, eine überarbeitete Neuauflage aus dem Jahre 1994, lässt sich mühelos von Anfang bis Ende durchhören, ohne auch nur einen Moment uninteressant oder langweilig zu werden. Die gebotene Musikauswahl ist sehr vernünftig zu nennen, eine etwaige Neuauflage könnte aber außer mit dem hier noch ausständigen letzten Schliff im Klangbereich auch durch Beigabe der etwa 10 Minuten an schönen fehlenden Cues einen merklichen Kaufanreiz schaffen.