The Sea Hawk • Deception

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
13. Juli 2007
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Eine Swashbuckler-Ouvertüre

In leicht abgewandelter Form funktionieren sie immer noch: Hollywoods klassische Abenteuer-Unterhaltungs-Rezepte. Das belegt aktuell Jerry Bruckheimers erfolgreiche Swashbuckler-Trilogie Pirates of the Caribbean • Fluch der Karibik. Die Anfänge des so genannten „Swashbucklers“ (Mantel-und-Degen-Filmabenteuers) reichen übrigens weit in die Ära des Stummfilms zurück. Im Zentrum dieses örtlich und zeitlich weit gefassten Genre- und damit Sammel-Begriffs steht mindestens ein Draufgänger und Haudegen. Meist handelt es sich um eine durchaus ehrenwerte und freigeistige Figur, die um der guten Sache Willen gezwungen wird, außerhalb des geltenden Rechts zu agieren. Die betreffende Filmhandlung ist in einer eher märchenhaft stilisierten denn historisch getreu gezeichneten Epoche der Geschichte angesiedelt, etwa vom Mittelalter bis ins frühe 19. Jahrhundert und wird stets kombiniert mit einer romantischen Love-Story.

2192Ob nun Ritter im ausgehenden Mittelalter (wie in Quentin Durward), orientalischer Dieb aus 1001er Nacht (The Thief of Baghdad), Musketier des Königs im Frankreich Kardinal Richelieus (The Three Musketeers) oder französischer Adliger kurz vor der Revolution (Scaramouche, der galante Marquis), Dieb im Sherwood Forest (The Adventures of Robin Hood), Edelmann im noch zu Mexiko gehörigen Kalifornien (The Mark of Zorro), aber ebenso Pirat im Namen der Königin (The Sea Hawk) sowie englischer Korsar in der Karibik (Der rote Korsar): Alle Helden der räumlich und zeitlich weit auseinander liegenden Filmstoffe sind letztlich Kämpfer gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Sie sind zwar Outlaws, stellen aber schließlich Recht und Ordnung wieder her und das macht sie moralisch akzeptabel.

Mit frühen Vertretern des noch stummen Swashbuckler-Genres sind die Namen Ramon Novarro (Scaramouche, 1923), John Barrymore (Don Juan, 1926) und ebenso Douglas Fairbanks Senior (Robin Hood, 1922) verknüpft. Im Bewusstsein der Freunde des üppigen klassischen Leinwandabenteuers sind allerdings die Namen der beiden berühmtesten Tonfilm-Action-Stars der 1930er und 1940er wesentlich fester verankert: Tyrone Power und ganz besonders Errol Flynn.

Der smarte Frauentyp Errol Flynn (1909-1959) zählte zu den besonders schillernden Figuren im Hollywood jener Jahre. Das zeigt sich bereits ein wenig darin, dass er in der Rubrik „wo geboren“ sowohl unter dem nordirischen Antrim als auch unter Hobart in Australien firmiert. Über sein Mitwirken bei der britischen Produktion Murder at Monte Carlo (1935) kam er letztlich nach Hollywood. Captain Blood • Unter Piratenflagge (1935) wurde seinerzeit ein sensationeller Kinoerfolg. Dies machte nicht nur Flynn, sondern auch seine ebenfalls noch weitgehend unbekannte Partnerin, Olivia de Havilland, über Nacht zu Stars. Heutzutage wirkt der Film zwar in der Machart zweifellos etwas antiquiert, er ist aber immer noch sehr unterhaltsam. Auch Flynn, schlägt sich beachtlich, ganz besonders, wenn man bedenkt, dass der junge Schauspieler hier seine erste Hauptrolle verkörpert. Dafür ist er schon erstaunlich in der Lage den Film zu tragen und liefert hier mit seiner ebenfalls sehr charmant und ungekünstelt wirkenden Partnerin eine ansehnliche Vorstudie zu Robin Hood. Unter Piratenflagge zeigt aber auch eindrucksvoll die vom europäischen Stummfilmexpressionismus mitgeprägte Handschrift seines Regisseurs Michael Curtiz. Errol Flynn und Olivia de Havilland galten zusammen geraume Zeit geradezu als das Traumpaar des Swashbucklers, ein Ruf, der nach The Charge of the Light Brigade (1936, Musik: Max Steiner), spätestens durch The Adventures of Robin Hood (1938), zementiert war.

The Sea Hawk: Der Film

2193Der große Erfolg von Captain Blood provozierte wenn auch nicht unmittelbar eine Serie, so doch eine Variante als Nachfolger des praktizierten Erfolgsrezepts. Ins Auge gefasst wurde ein Remake des 1924er The Sea Hawk, der, wie Captain Blood, auf einem Abenteuerroman Rafael Sabatinis basiert: „The Sea Dog“. Die Vorbereitungen verzögerten sich jedoch kräftig, zogen sich über mehrere Jahre hin. Ein erstes Drehbuch von Delmer Daves wurde verworfen und eine neue Story von Seton Miller, „Beggars of the Sea“, zugrunde gelegt. Howard Koch, der an Orson Welles berühmtem Radio-Hörspiel „The War of the Worlds“ beteiligt war, überarbeitete diese neue Vorlage. Das Ergebnis knüpft schließlich nur noch beim Titel von Warners Stummfilmversion an, welche bereits den Titel der ursprünglichen Sabatini-Vorlage markant abänderte: Aus den offenbar selbst für Angelsachsen (des 20. Jahrhunderts) etwas merkwürdig wirkenden „See-Hunden“ waren bereits für die Stummfilmversion majestätische „See-Falken“ gemacht worden und so der griffige Titel The Sea Hawk entstanden. Koch zählte zu den profiliertesten Drehbuchautoren im Hollywood der 1940er. Für seine Mitarbeit bei Casablanca erhielt er (zusammen mit den Epstein-Brüdern) einen Oscar.

Das, was bereits im Special zu The Adventures of Robin Hood (1938) geschrieben steht, muss ich an dieser Stelle schlichtweg wiederholen: The Sea Hawk • Der Herr der sieben Meere (1940), aufgenommen in „Glorious Black & White“, steht seinem 1938er Pendant im (auch nostalgischen) Charme und in der Brillanz praktisch nicht nach. Und das, obwohl Technicolor nicht zum Einsatz kam! Kameramann Sol Polito war einer der Besten seiner Zunft; beeinflusst von den Licht- und Schattenwirkungen des deutschen Stummfilmexpressionismus und ebenso der entfesselten Kamera. Seine superb-lebendige und zugleich kontrastreiche Schwarz-Weiß-Fotografie beim 1940er The Sea Hawk ist vielmehr ein Beleg für die Qualitäten dieses klassischen Verfahrens, zeigt welche Brillanz und überhaupt dramatisch kraftvolle Wirkungen in „nur“ Schwarz-Weiß erreichbar sind.

2194Die zentrale Figur von Millers Story, der fiktive Piratenkapitän Geoffrey Thorpe (Errol Flynn), ist in Anlehnung an die Biografie des berühmten Freibeuters Sir Francis Drake gestaltet worden. Drake und andere führten einen unerklärten Krieg gegen Spanien, indem sie als so genannte „Sea Dogs“ (s. o.) spanische Schiffe, bevorzugt mit wertvoller Ladung aus der Neuen Welt, kaperten. Drake ist aber auch als derjenige geläufig, der seiner Königin Elizabeth I. im Kampf gegen die spanische Armada 1588 zum Sieg verhalf. Letzteres wurde die Basis für eine kräftige Prise unterschwelliger Anti-Nazi-Propaganda. König Phillip II. von Spanien wird direkt zu Beginn als machtlüsterner, rücksichtslos die Weltherrschaft anstrebender Imperator eingeführt. Die gewollte Parallele zu Adolf Hitler wird in der seit 1985 zugänglichen, ursprünglich nur in Großbritannien gezeigten (etwas längeren) Fassung des Films besonders deutlich. Hier ist die abschließende Rede von Königin Elizabeth länger als in der US-Fassung, wird die bevorstehende Auseinandersetzung mit der legendären Armada eindeutig zum Fanal wider Appeasement-Politik und (Nazi-)Tyrannei stilisiert. Eine Botschaft, die in jenen Tagen aktueller war denn je, ja geradezu Gefahr lief, von den Tagesereignissen überholt zu werden. Ende Juni hatte Frankreich kapituliert, standen die deutschen Verbände an der Kanalküste. Und als der Film Mitte August in den US-Kinos an den Start ging, war die Luftschlacht um England in vollem Gange …

Nicht erst an dieser Stelle zeigt sich übrigens die eindeutige Anti-Haltung der Warner-Brothers gegenüber Hitler-Deutschland. Beispielsweise findet sich auch in Juarez[ (1939, Musik: Erich Wolfgang Korngold) eine entsprechende Anspielung auf den „Führer“: im sich geradezu fanatisch gebärdenden Napoleon III. (Claude Rains) — siehe auch „Das andere Hollywood der dreißiger Jahre“.

Für die Sea-Hawk-Produktion wurde mit beträchtlichem Aufwand das maritime Studio 21 errichtet, wo in einem flutbaren riesigen Wassertank das im ersten Viertel stattfindende große Seegefecht realisiert worden ist. In den Totalen wurde mit nicht zu kleinen, jeweils von einer Person bedienbaren detailgetreuen Miniatur-Modellschiffen operiert. Zwei hydraulisch bewegbare Schiffsrümpfe erlaubten im Seegefecht dann die packende Inszenierung des Entervorgangs sowie des turbulenten Kampfgeschehens an Deck. Für die Panama-Szenen legte man, ebenfalls auf dem Studiogelände, in einer riesigen Halle einen etwa 50.000 Quadratmeter großen künstlichen Dschungel an.

Natürlich sieht man der Tricktechnik an, dass die Entwicklung weitergegangen ist. Der Himmel ist eindeutig gemalt und der Wind bläst in aufeinander folgenden Einstellungen mitunter nicht aus derselben Richtung. Und auch die beeindruckende Dschungellandschaft ist von einem, allerdings charmanten, Hauch von Künstlichkeit bestimmt. Aber das gilt auf seine Art letztlich ebenso für die zweifellos faszinierende und natürlich überlegene High-Tech-Tricktechnik der aktuellen Blockbuster-Trilogie, Jerry Bruckheimers Fluch der Karibik.

2195Somit ist das, was man im 1940er The Sea Hawk zu sehen bekommt, obwohl es zwangsläufig nicht mehr „up-to-date“ ist, immer noch eindrucksvoll anzuschauen. Man erkennt unmittelbar, wie sorgfältig und zugleich hochwertig hier gearbeitet worden ist. Dagegen wirkt das in Captain Blood Gezeigte heutzutage doch eindeutig altbacken. Darüber hinaus wartet die Verfilmung des Jahres 1940 mit einem exzellenten Drehbuch auf, das seine Handlungsstränge wohlüberlegt, schlüssig und frei von Logiklöchern präsentiert. Das Geschick zeigt sich z. B. in der raffinierten Art und Weise, in der die Spanier Thorpes geplantes Panama-Unternehmen ausspionieren. Und auch die Charaktere wirken dank der versierten Bearbeitung von Seton Millers Manuskript durch Howard Koch markanter und merklich weniger stereotyp als in Filmen jener Jahre üblich.

Und wie heute bekam das Publikum jener Tage auch weitgehend ein ihm geläufiges und damit beliebtes Star-Aufgebot zu sehen. Allerdings als Partnerin Flynns anstelle Olivia de Havillands die ebenfalls charmante Brenda Marshall als Dona Maria. Wobei die reizend schrullige Una O’Connor hier vergleichbar mit ihrer Funktion im 1938er The Adventures of Robin Hood fungiert. Der ebenfalls (nicht nur) aus Robin Hood geläufige Claude Rains (dort als schurkischer Prinz John) spielt dieses Mal den spanischen Botschafter und Vater Dona Marias. Er verkörpert einen zwar nicht einfach unredlichen Charakter, aber schon einen klar im Interesse seines Königs Philipp II. handelnden und daher im Ränkespiel am Hofe Elizabeth I. nicht zimperlich mitmischenden raffinierten Politiker. Rains ist breiteren Publikumsschichten wohl in seiner Rolle als Polizeichef in Casablanca (1943, Musik: Max Steiner) am geläufigsten. Die Rolle der britischen Königin verkörpert die britische Schauspielerin Flora Robson, seinerzeit eine der herausragenden Theaterschauspielerinnen Großbritanniens. Robson hatte bereits einige Jahre zuvor als Queen Elizabeth I. in der britischen Produktion Fire over England • Feuer über England (1936, Musik: Richard Addinsell) mitgewirkt.

Der Hauptdarsteller Errol Flynn macht eine prima Figur. Im Gegensatz zu seiner flapsig-draufgängerischen Darstellung des Robin Hood ist sein Captain Thorpe zwar keineswegs humorlos, jedoch zurückhaltender, ein eher kühler Taktiker, der auch seine Liebste keineswegs im Sturmangriff erobert. Flynn, der sich späterhin vergeblich darum bemühte, das ihm anhängige Swashbuckler-Image abzustreifen, hatte sich bereits im Vorfeld bei Produzent und Drehbuchautor dafür ins Zeug gelegt, dass dem von ihm dargestellten Charakter mehr Tiefendimension verliehen wurde. Für Flynn markiert The Sea Hawk klar einen besonderen Höhepunkt seiner schon zwei Jahre später langsam abknickenden Hollywoodkarriere. In jeder Flynn- oder auch Hollywood-Abenteuerfilm-Retrospektive ist dieser Film praktisch unverzichtbar. Warner knüpfte in der Werbekampagne verständlicherweise an den großen Erfolg von Robin Hood an. So vermarktete man Flynn auf einem Plakatmotiv drollig als „Robin Hood der Meere“.

2197Übrigens, qualitativ annähernd vergleichbar überzeugend inszenierte maritime Aktionen und ansehnlich gestaltete Seegefechte wie in Herr der sieben Meere sind infolge der immensen Kosten in den nachfolgenden Genre-Produktionen absolute Mangelware geblieben. Der hierfür erforderliche Aufwand trieb bei The Sea Hawk die Produktionskosten derart in die Höhe, dass, obwohl „nur“ in Schwarz-Weiß gedreht wurde, die Gesamtkosten mit rund 1,8 Millionen Dollar vergleichbar hoch lagen wie bei The Adventures of Robin Hood. Geradezu entlarvend belegen die wahrhaft nur noch billig aussehenden italienischen Produktionen der 1960er das vorzügliche Niveau der Filmproduktion des Jahres 1940. In der Regel spielt sich dort, nach einer erkennbar schlicht gestalteten Eröffnungsszene an Bord, die übrige Handlung groteskerweise praktisch ausschließlich zu Lande ab.

Die Actionszenen gehen auf das Konto von Michael Curtiz, der in jenen Jahren der Action-Regisseur überhaupt war. Eine seiner spektakulärsten Inszenierungen findet sich in The Charge of the Light Brigade (1936, Musik: Max Steiner) in der fulminant inszenierten Reiterattacke von Balaclava im Krimkrieg — siehe „Schlachten der Weltgeschichte“.

Aber trotz des betriebenen finanziellen Aufwands für die Action-Szenen wurde in anderen Punkten zugleich Wert auf optimale Nutzung eigener Ressourcen gelegt. So kommen große Teile des Sets von The Private Lives of Elizabeth and Essex (1939) wieder zum Einsatz. Allerdings nicht einfach plump 1:1, sondern in geschickt abgewandelter, partiell redesignter Form. Eine kurze Szene in Panama wurde in einem Teilset von Juarez aufgenommen. Ebenso sollten die Action-Szenen mit möglichst viel eingeschnittenem Archivmaterial (u. a. aus dem 35er Captain Blood) ergänzt werden — was letztlich wohl auch der Hauptgrund für die generelle Entscheidung gewesen sein dürfte, Schwarz-Weiß-Filmmaterial anstelle von Dreifarben-Technicolor einzusetzen.

Die Filmmusik

Erich Wolfgang Korngold lebte seit 1938 im US-Exil. Im Genre des „Schwanzbuchler“, wie er die Swashbuckler bezeichnete, hatte der renommierte Österreicher bereits eine markante Spur hinterlassen: Captain Blood (1935), The Prince and the Pauper • Der Prinz und der Bettelknabe (1937, auch unter dem Titel Mit eiserner Faust gezeigt), The Adventures of Robin Hood (1938) und Elizabeth and Essex • Günstling einer Königin (1939). Als die Dreharbeiten zu The Sea Hawk am 1. Februar 1940 begannen, war schon länger klar, dass Korngold auch dieses Flynn-Vehikel vertonen sollte. Und so hatte er bereits über einige Monate Themen entworfen. Für die eigentliche Ausführung der Komposition verblieben nach Fertigstellung des Rohschnitts allerdings nur rund sieben Wochen. Für Korngold wurde es nicht nur die letzte Swashbuckler-Vertonung, sondern zugleich seine längste, farbigste und dank ihrer Vielschichtigkeit vielleicht auch eindruckvollste Genrevertonung überhaupt.

2199Infolge der Menge an benötigter Musik hat Korngold in Teilen auf bereits bekanntes Material zurückgegriffen und wiederverwendet. Allerdings, vergleichbar einfallsreich wie seine Kollegen vom Set-Design, keinesfalls simpel zitiert, sondern in sorgfältig überarbeiteter und neu angepasster Form. So findet sich Material aus: The Green Pastures • Die grünen Weiden (1936), aus The Adventures of Robin Hood, Elizabeth and Essex und Juarez.

Der Zuhörer geht im Score auf eine bunt gefächerte musikalische Reise, die ihn mit klanglich schwelgerischer Musik im Wagner-Strauss-Mahler-Puccini-Idiom umfängt. Breit ausschwingende melodische Themen, heroisch strahlende Fanfaren, prachtvolle Set-Pieces und klangliche Exotik werden aufgefahren. Captain Thorpes Thema erklingt direkt zu Beginn der Vorspannmusik. Bereits durch die ersten vier Noten der den Main Title eröffnenden Fanfare wird diese zentrale Figur prägnant und einprägsam charakterisiert. Thorpes heroisches Hauptthema erklingt im letzten Viertel des Films auch in der opernnahen jubelnden Chorversion „Strike for the Shores of Dover“, wenn die zum Galeerendienst verurteilten Piraten sich befreit haben und gen Dover die Segel setzen. Und zum Heroen darf natürlich auch eine Heroine nicht fehlen. Und so wird das Liebesthema für Thorpe und Dona Maria direkt im Anschluss, also bereits im Main Title, vorgestellt. Hier ertönt es von tonmalerisch maritimer Illustration umsäumt, die Meereswellen und Gischt suggeriert.

Mitreißend und energiegeladen präsentiert sich das im ersten Viertel des Films stattfindende Seegefecht, bei der Korngold sein Können in Kontrapunktik und Instrumentation einmal mehr unter Beweis stellt. Das den Höhepunkt bildende Degenduell zwischen Captain Thorpe und seinem spanischen Gegenspieler, Captain Lopez, wird originellerweise durch das vom spanischen Trompeter geblasene Signal zur Übergabe beendet. Thorpes Schiff, der Albatross, ist — ähnlich wie in Captain Blood — ein romantischer Hornruf zugeordnet. Der Einzug Thorpes und seiner Seefalken in den Thronsaal Elizabeths I. wird durch ein glanzvolles Set-Piece illustriert: strahlende Fanfaren garnieren einen prächtigen Marsch, der aus dem Elizabeth-Thema aus Elizabeth and Essex entstanden ist.

Während der Thronsaalzeremonie vollführt übrigens das Maskottchen von Thorpes Besatzung, ein Kapuzineräffchen mit Stoffmütze, drollige Sprünge und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Korngold hat dazu ein das Affentheater tonmalerisch witzig nachzeichnendes Thema komponiert. (Jerry Bruckheimer hat übrigens dem Äffchen in seiner Piraten-Trilogie Fluch der Karibik ein ironisierendes Denkmal gesetzt — siehe hier.) Zwar schwelgt Korngold nicht derart wie mitunter sein Landsmann Max Steiner in das Bild musikalisch verdoppelnden Assoziationen; beim eher vereinzelt anzutreffenden Korngold’schen Mickey-Mousing wird deswegen aber keineswegs vor vergleichbaren, cartoonmäßig exakt auf den Punkt gesetzten Klangeffekten zurückgeschreckt.

Da ist auch noch die mit einer Batterie exotischem Schlagwerk aufwartende Panama-Sequenz, welche dem in so fernen Gestaden angesiedelten Geschehen klanglich die passende Aura verleiht. Ein geheimnisvoll anmutendes Dschungel-Motiv sowie ein reizvoller Marsch für die Goldkarawane zählen hierbei zu den Highlights.

2200Und nicht vergessen werden darf noch das eingefügte kleine Kunstlied, das Dona Maria in einem der Gemächer Elizabeths in Gesellschaft vorträgt und das der Sehnsucht nach dem so weit entfernten Geliebten bezaubernd Ausdruck verleiht. Korngold griff hierfür auf ein unveröffentlichtes Jugendwerk (komponiert mit 14 Lenzen!) zurück, das er später in seine „Fünf Lieder“ Opus 38 integrierte. Interessanterweise bildet die Eröffnungsphrase des Liedes zugleich die Basis für Marias (Liebes-)Thema. Der aufmerksame Zuhörer hat somit zu Recht den Eindruck, das Lied sei musikalisch bereits vorbereitet.

Zwecks Arbeitsteilung durch knappe Zeitvorgaben in der Postproduktionsphase wurden vier Orchestratoren herangezogen, mit denen Korngold bereits zuvor gearbeitet hatte: Hugo Friedhofer, Milan Roder, Ray Heindorf und Simon Bucharoff. Wie auch die übrigen Korngoldvertonungen historischer Sujets ist auch The Sea Hawk nicht wirklich historisierend angelegt. So lugt auch dieses Mal verschiedentlich ein Saxophon keck durch die Instrumentierung, z. B. in der Musik der Panama-Sequenz.

Nicht nur die beteiligten Musiker waren vom ungewöhnlich hohen kompositorischen Rang von Korngolds Musik beeindruckt. Flora Robson, britische Darstellerin der Königin Elizabeth I., berichtete in einem Interview im Jahr 1975, dass Sie nie zuvor erlebt hätte, wie ein (Film-)Komponist Regisseur und Produzent beeinflusste. Bei der Oscar-Verleihung hat dies allerdings nicht geholfen. Die Academy bevorzugte Leigh Harlines Musik zu Disneys Pinocchio.

Die Einspielungen

1962 ließ George Korngold im Rahmen des allerersten Korngold-LP-Samplers der Filmmusikgeschichte auf Tonträger, „The Film Music of E. W. Korngold“, in München eine rund sechseinhalbminütige Suite aus The Sea Hawk einspielen. Zehn Jahre später folgte Charles Gerhardt, der in seiner RCA-LP-Reihe „Classic Film Score Series“ eine erste fast identische Suite vorlegte. Drei Jahre später legte er mit einer zweiten Suitenkompilation nach, hat so immerhin insgesamt rund 16 Minuten dieser schon damals viel gerühmten Filmmusik zugänglich gemacht. Und im Jahr 1987 produzierte Varèse eine auf rund 44 Minuten komprimierte Kurzfassung unter Varujan Kojian mit dem Utah Symphony Orchestra. Die Kojian-Fassung ist ein vorzüglich interpretierter, geschickt die Highlights zusammenfassender Querschnitt der gesamten Filmmusik — einer, bei der übrigens die Panama-Sequenz deutlich authentischer gelungen ist als in der ansonsten ebenfalls tadellosen (zweiten) Gerhardt-Suite. Erwähnt sei auch die Suite auf dem Korngold-Sampler André-Previns, veröffentlicht bei Deutsche Grammophon. Seit 2002 sind auch knapp 80 Minuten der Originaleinspielung auf einer ordentlich klingenden Tsunami-CD greifbar.

John Morgan hat nun die Original-Partitur von The Sea Hawk in mühevoller Detailarbeit restauriert. Sein Partner William Stromberg hat die insgesamt rund 110 Minuten Musik mit den Moskauer Sinfonikern exquisit eingespielt, wobei auch eine Reihe kleinerer Passagen erfasst sind, die seinerzeit der Schere zum Opfer fielen. Und siehe da: Vom Bild gelöst erweist sich auch die Komplettfassung dieser Filmmusik ohne entscheidende Durchhänger als hörtauglich. Darüber hinaus macht allein die nun vorliegende vollständige Musik die ganze Raffinesse von Korngolds thematisch-motivischer Feinarbeit deutlich. Wie exzellent der Komponist seine Filmmusiken organisiert und mit Hilfe geschickt gehandhabter Variationstechnik des thematischen Materials strukturiert hat, wird erst hier vollständig erleb- und damit nachvollziehbar. Auch die geläufige Bezeichnung „Opern ohne Worte“ für Korngold’sche Filmmusik erscheint nach eingehenderen Hörstudien der kompletten Musikfassung besonders schlüssig. Dass gerade The Sea Hawk zum ganz entscheidenden Anknüpfungspunkt für die moderne Swashbucklermusik eines John Williams zu Star Wars geworden ist, sei, da inzwischen eher eine Binsenweisheit, allein der Vollständigkeit halber angemerkt.

Die o. g. zum Teil zweifellos sehr lieb gewonnenen Suitenkompilationen werden durch die Naxos-Veröffentlichung gewiss nicht einfach verdrängt, sondern vielmehr optimal ergänzt, ja die Sea-Hawk-Diskografie geradezu krönend abgerundet.

2196Als großzügige, die Gesamtspielzeit des Albums auf rund 145 Minuten steigernde Zugabe wartet das Naxos-Doppel-CD-Album mit der vollständigen Filmmusik zu Korngolds letzter Vertonung für Warner auf: Deception (1946), ein Eifersuchtsdrama, angesiedelt im Musikermilieu. Aus diesem heutzutage etwas merkwürdig erscheinenden, zwischen Film Noir und Melodram pendelnden Bette-Davis-Film ist bis dato nur der kurze Main Title sowie das den Höhepunkt der Musik bildende „Cellokonzert“ geläufig — in der vom Komponisten nachträglich eingerichteten (verlängerten und etwas schlanker instrumentierten) Konzertfassung. Insgesamt wartet Deception mit nur rund 25 Minuten Musik auf, die abseits des Cellokonzertes in erster Linie atmosphärisch angelegt ist. (Darüber hinaus sind im Film Auszüge klassischer Kompositionen von Bach bis Schubert zu hören.) Trotzdem erweist sich auch in diesem Falle die aus eher knappen Einzel-Cues bestehende, in einem eher kühlen, recht modern anmutenden Noir-Klangidiom gehaltene Gesamtversion der Filmmusik als überraschend autark und damit lebensfähig. In den eher düster brodelnden Klängen erscheinen fortlaufend Fragmente des als musikalischer Höhepunkt der Filmmusik fungierenden Cellokonzerts. Wodurch letzteres wiederum geschickt vorbereitet ist. Das im Main Title vorgestellte Liebesthema belegt in seinem schwelgerisch-sinnlichen Ausdruck die Nähe zu Puccini, der Korngold einst als die große Hoffnung der deutschen Musik bezeichnete. In der Art und Weise, wie es im Score präsentiert wird, demonstriert es zugleich Verwandtschaft zum Opern- und Konzertschaffen des Komponisten. Obwohl die Intensität von The Sea Hawk nicht erreicht wird, die komplette Musik zu Deception ist deutlich mehr als nur eine eher entbehrliche Zugabe. Anfänglich vielleicht eher ein interessantes Studienobjekt, beginnt sich der Score mit der Zahl der Hördurchgänge spürbar zu mausern. Das Cellokonzert erklingt hier übrigens besonders stimmig in der im Film zu hörenden kürzeren Originalversion (Solist: Alexander Zagorinsky).

Spieltechnisch gibt es nichts zu mäkeln. Die Einspielungen verfügen über einen dem Original ähnlichen Elan und sind im Ausdruck von vergleichbar packender Intensität. Punktuell muss sich derjenige sicher ein wenig eingewöhnen, der die genannten Referenz-Aufnahmen mit ihren individuellen Charakteristika im Ohr hat — wobei nicht zuletzt die unterschiedliche Tonbalance der jeweiligen Abmischung das persönliche Empfinden von „richtig“ oder „falsch“ maßgeblich beeinflusst. Das gilt allerdings für jede Nachspielung, ist also keinesfalls ein Makel. Aufnahmetechnisch haben die russischen Toningenieure dieses Mal sogar eine ganz besondere Glanzleistung vollbracht. Auch wenn der Klang generell von hoher Qualität ist, gilt: Niemals zuvor ist es den Technikern derart überzeugend gelungen, sowohl den üppigen Orchestersound in seiner ganzen Fülle zu präsentieren als auch ebenso sämtliche Feinheiten der vorzüglichen Orchestrierung hörbar werden zu lassen. Das ist schlichtweg superb!

Nicht ganz das Niveau der instrumentalen Darstellung halten die Songeinlage „Maria’s Song“ sowie der chorale Einschub „Strike for the Shores of Dover“ (s. o.). Hier ist es vergleichbar mit den vokalen Einlagen bei Red River. Der russische Chor und die Sopranistin Irina Romishevskaya haben dieses Mal allerdings den Text sogar besser verständlich (vermutlich wiederum phonetisch) einstudiert und legen sich spürbar ins Zeug. Das Resultat kann allerdings weder voll mit den Ambrosian Singers unter Gerhardt noch mit Carol Wetzels Liedinterpretation in der Kojian-Einspielung mithalten. So werden sich manche Hörer am kräftigen (m. E. aber zugleich lustigen) russischen Akzent Irina Romishevskayas stoßen. Allerdings, die an dieser Stelle gemachten kleinen Einschränkungen sollte man nicht unnötig dramatisieren, zumal die vokalen Einschübe nur insgesamt knapp zwei Minuten der Gesamtspielzeit ausmachen.

2198Detaillierte Auskünfte hält das — nicht nur in Anbetracht des niedrigen Preises des Naxos-Doppel-CD-Albums — absolut hervorragende Begleitheft bereit. Über 24 Seiten wartet dieses mit hochinformativen Texten zur Entstehungsgeschichte der beiden Filme und ihrer Musik auf. Der Filmjournalist Rudy Behlmer (Autor von „The Films of Errol Flynn“) liefert faszinierend detailreiche Infos zu den Filmen, John Morgan schrieb zur Restauration des Notenmaterials, und Korngold-Biograf und Präsident der Korngold Society Brendan G. Carroll verfasste zum besseren Verständnis der Musiken einen überaus hilfreichen Führer („Listening Guide“). Und dieses Mal verzichtet Carroll erfreulicherweise auf die von ihm gewohnte Lobhudelei. Was hier textlich geboten wird, kann sich mit den besten Veröffentlichungen von FSM, BYU und SAE messen.

Die einzige kleine Einschränkung betrifft die optische Gestaltung. Wiederum (siehe auch The Adventures of Robin Hood) wird offensichtlich, wie peinlich man auch im vorliegenden Fall Abstand von eigentlich unerlässlichen Filmbildern und Plakatmotiven halten musste. Allerdings wirkt die auf dem Frontcover als Gemälde befindliche Seeschlacht deutlich inspirierter als das schlichtweg triste Cover zum Robin-Hood-Album. Nun, anlasten kann man dies Naxos gewiss nicht, schade ist es natürlich trotzdem.

Fazit: Alles in allem ist die jetzt endlich im Handel befindliche Gesamtausgabe der farbenprächtigen Filmmusik zu The Sea Hawk, wie auch der zugehörige Film, eine zeitlos schöne (Hör-)Angelegenheit. Eine feine Zugabe bildet die ebenfalls vollständig vertretene Musik zum nahezu unbekannten — bei uns nur im TV gezeigten — Melodram mit Noir-Elementen Deception. Zusammen mit einem an Informationsfülle kaum zu überbietenden Begleitheft macht das spieltechnisch feine sowie aufnahmetechnisch ganz vorzügliche Doppel-CD-Album ein nicht nur tadelloses, sondern hochkarätiges Gesamtbild. Nicht nur angesichts des schlichtweg optimalen Preis-Leistungsverhältnisses ist hier unbedingt die Spitzenwertung fällig.

Bleibt zu hoffen, dass gute Verkaufszahlen weitere Projekte von Naxos und Morgan/Stromberg erleichtern und besonders in der Abwicklung beschleunigen mögen. Allein in diesem Punkt gebührt Naxos bei The Sea Hawk/Deception denn doch eine dezente Ermahnung.

© aller Abbildungen bei Warner.

Erschienen:
2007
Gesamtspielzeit:
144:50 Minuten
Sampler:
Naxos
Kennung:
8.570110-11 (2 CDs)

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