Einer der Neuzugänge im noch sehr kleinen CD-Katalog des ambitionierten Bostoner Labels Denouement Records ist eine CD mit Konzertwerken zweier amerikanischer Komponisten: John Williams (geboren 1932) und Kevin Kaska (Jahrgang 1972). Der erstere bedarf auf einer Filmmusik-Website wohl keiner näheren Vorstellung; der Name Kevin Kaska auf der anderen Seite dürfte dem Filmmusik-Interessierten, wenn überhaupt, einzig im Zusammenhang mit der ausgezeichneten Varèse-Debney-Neueinspielung von John Williams’ Superman ein Begriff sein. Für dieses Varèse-Projekt hatte Kaska 1998 zusammen mit Debneys Stamm-Orchestratoren-Team die Mühe auf sich genommen, anhand der wenigen noch vorhandenen gedruckten Notenmaterialien und vor allem der handschriftlichen Original-Skizzen die volle Instrumentation der riesigen Williams-Partitur (in großen Teilen) wieder herzustellen.
Das grundlegende Handwerkszeug für das Arrangieren von Musik erarbeitete sich Kevin Kaska schon in seiner High-School-Zeit, in Privatstudien mit dem (gelegentlich auch Film-)Komponisten und Arrangeur Vic Schoen (1916-2000). Später studierte er am renommierten Bostoner Berklee College of Music „Film Scoring“ und schloss diesen Lehrgang auch erfolgreich ab. Neben Arrangements im Jazz-Bereich, dem schon lange Kaskas besondere Vorliebe gilt, und der einen oder anderen kleineren Filmarbeit kann der junge Komponist auch bereits auf mehrere, zum Teil mit erstklassigen Orchestern (z.B. Saint Louis Symphony, Boston Symphony und London Symphony Orchestras) aufgeführte orchestrale Kompositionen verweisen. Zur Zeit ist Kaska überdies künstlerischer Leiter und Chefdirigent des 1999 gegründeten Boston Metropolitan Orchestra.
Zwei Werke dieses Nachwuchstalents bilden die erste Hälfte der CD: die drei Orchesterlieder für Mezzosopran, „A Long Way“ (1999) – sie basieren auf Texten von Cliff Schorer – und das „Harp Concerto“ (1997), das im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Weltklasse-Harfenistin Ann Hobson Pilot entstand und hier auch gleich von ihr interpretiert wird. Anders als man es von einer vergleichsweisen No-Name-Produktion erwarten würde, sind für die vorliegende Aufnahme erlesenste Kräfte aufgeboten worden. Es spielt das London Symphony Orchestra unter der souveränen Stabführung von Ronald Feldman.
In den beiden Werken zeigt sich Kaska hauptsächlich der romantischen und postromantischen Schule verpflichtet. Sehr klangschön, von warmen schwelgerischen Klangfarben und fließender Melodik geprägt, stellen sie keine allzu großen Anforderungen an den Hörer. Sie stehen für ungetrübten Hörspaß von der ersten Minute an.
„A Long Way“ thematisiert in 3 Liedern die „kollektiven Leistungen und Anstrengungen“ der Frau im 20. Jahrhundert. Zuerst singt die Mezzosopranistin Kristine Jepson von Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft im Zeitalter der industriellen Revolution. Wobei die seltsamerweise beinahe heiteren, samtweichen Streicher- und Bläserstimmungen der Orchesteruntermalung nicht ganz zur trostlosen Thematik passen wollen. Nach einem Orchesteraufbegehren, das ebenso gut von Kaskas großem Vorbild John Williams stammen könnte, geht es bei melancholisch-tragisch eingedunkelter Begleitung um die (äußeren und inneren) Verwundungen durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs. Auch hier, wo eine finstere Vergangenheit heraufbeschworen wird, kommt einiges Williams-Feeling (Born on the 4th of July, The Patriot) auf. Der Kreis schließt sich vor wieder entspannter, optimistischer Klangkulisse. Der Abschluss-Song würdigt das „Kontinuum“, die Lehren und Weisheiten, die von Generation zu Generation (Mutter und Tochter) weitergegeben werden.
Die eine oder andere Verneigung vor Maestro Williams findet sich auch im 3-sätzigen, charmanten Harfenkonzert. Einer von Williams’ besten Einsätzen der Harfe, in einem seiner besten Scores, hat wie so viele sichtlich auch Kaska gerührt. Im langsamen 2. Satz glimmen gelegentlich Anklänge an die Freundschaft zwischen E.T. und Elliott auf. Schon vorher, im 1. Satz, wird die Harfe kurzzeitig zur Gitarre umfunktioniert. Geschmeidig rhythmisierende Glissandi lassen an Südsee-Strand und Palmen denken, verbreiten hawaiianisches Flair. Voll tänzerischem Esprit ist schließlich der finale 3. Satz. Die Solistin kann hier noch einmal alle Register ihrer Virtuosität ziehen. Und auch ein letzter Fingerzeig in Richtung des großen Idols bleibt nicht aus. Bevor der Schlussakkord fällt, gibt es beherztes Triolen-Geschmetter der Blechbläser: also John Williams in Reinkultur.
John Williams komponierte den „Essay for Strings“ im Jahr 1965. Die Jazz-geprägten „Johnny“-Wanderjahre neigten sich damals langsam ihrem Ende zu, und während der frühe (Pianisten-)Ruhm eher auf dem gewissen „John Towner Touch“ (so der Name des ersten Solo-Albums) beruhte, macht sich hier unmissverständlich die exzellente klassische Ausbildung, der „Juillard Touch“, wenn man so will, bemerkbar.
Mit dem „Essay“ schuf Williams ein dunkles, hochdramatisches Stück für Streicherensemble, das hier seine späte Premiere auf Tonträger feiert. Stilistisch sind darin Parallelen zu Bernard Herrmann, und da vor allem zu dessen atmosphärisch dichtem Streicher-Score für Psycho, feststellbar. Die Musik zieht den Hörer bereits nach kurzer Zeit in ihren Bann und lässt ihn bis zum Schluss nicht mehr los, ohne etwa besonders eingängig und den Ohren schmeichelnd zu sein. Im Programmheft zur Uraufführung (Houston Symphony Orchestra unter André Previn, 1965) nannte Williams den energiegeladenen Schluss des Werkes ein „musikalisches Zyklotron“ (also einen Teilchenbeschleuniger). Seine augenzwinkernde Antwort auf die Frage, was dieses Zyklotron denn eigentlich produzieren solle: „Applaus, hoffe ich.“
Mehr als 30 Jahre später entstand das hier ebenfalls erstmals vorliegende Trompetenkonzert (1996). Nicht zuletzt dadurch wird diese CD zu einer wichtigen Veröffentlichung. Denn endlich können auch all jene mit gutem Gewissen zugreifen, die sich bisher mit Grausen von den üblicherweise so gar nicht nach seinen geliebten Soundtracks klingenden „klassischen“ Werken Williams’ abgewandt haben. Das Trompetenkonzert ist ein gelungener, sehr hörenswerter Kompromiss beider musikalischen Persönlichkeiten des Komponisten und damit ein sehr guter Einstieg in sein Schaffen abseits des Films. Die auf viele (schon zu) herb wirkende gemäßigte Modernität der Solokonzerte für Violine, Cello und Tuba ist auch hier spürbar. Verschiedene kleine Zugeständnisse an die generell etwas leichter erfassbare Tonsprache, die Williams in seinen Film- und Festivitätsmusiken pflegt, sorgen hier jedoch für den „Ausgleich“.
Der Solist Arturo Sandoval meistert die Hürden der Partitur scheinbar mühelos; weder von den ausgedehnten lyrischen Passagen des Mittelsatzes, noch von den feurigen, vertrackten Parts im Stile von „Summon the Heroes“ im 3. Satz lässt er sich beeindrucken. Sandoval ist es vielmehr, der beeindruckt, mit technischer Perfektion und interpretativem Feingefühl.
Fazit: Ein sehr schönes Album, und aus mehreren Gründen eine willkommene Bereicherung für die Kollektion. Liebhaber einer sinnlich schönen und eingängigen neoromantischen Tonsprache werden merken, dass sie den jungen Kevin Kaska im Auge behalten müssen. Williams-Interessierten gewährt die CD einen weiteren Blick, mitunter sogar eine günstige „Einstiegshilfe“ in sein bemerkenswertes außerfilmisches Schaffen.
Zu Top-Leistungen von Orchester und Solisten sowie tadelloser Tontechnik kommt noch die mehr als ordentliche Edition. Das insgesamt 28-seitige Booklet bietet neben Erläuterungen zu jedem Werk und biographischen Daten zu allen Beteiligten auch mehrere gute Fotos (Vorbesprechungen der Mitwirkenden mit John Williams, Aufnahmesitzungen). Die wichtigsten Inhalte sind obendrein in vier Sprachen (Englisch/Französisch/Deutsch/Spanisch) vorhanden. Bei so viel lobenswertem Aufwand und Professionalität von einem kleinen unabhängigen Label drückt man ob der schrecklichen deutschen Einzelwort-Übersetzung gerne ein Auge zu.