Große Gefühle, große Gefahren, große Geheimnisse. Schwerter, Schwüre und Schwadrone. Machtkämpfe und Magie, Ritter und Rituale. Der Stoff, aus dem publikumsträchtige Epen sind. All diese bewährten Zutaten finden sich in Marion Zimmer Bradleys Millionenbestseller „Die Nebel von Avalon“, in der die Artus-Legende aus der Perspektive der Frauen erzählt wird. Bradleys dicker Schmöker war ein Literaturphänomen der 80er Jahre – zwar nicht auf den gestrengen Seiten des Feuilletons zu finden, dafür jedoch auf den Nachttischen und Lesesofas einer ganzen Generation. Keine feingeistige Geschichtsparabel, aber ein massenwirksamer und unterhaltsamer Wallegewand- und Kettenhemd-Schmöker. Ein Mittelalter-Millionenbestseller eben.
Millionenbestseller ist ein Wort, bei dem auch Film- und Fernsehproduzenten aufhorchen und schließlich das Scheckbuch auspacken. Denn lesen Millionen Menschen ein Buch – so kalkulieren Produzenten messerscharf -, würden sich diese Millionen die Geschichte auch noch mal in bekömmlichen bewegten Bildern vorsetzen lassen. Und dazu kommen noch all die, die zu träge und lesefaul waren, sich durch Hunderte von Seiten Herz und Schmerz im Nebel zu kämpfen, aber immerhin noch in der Lage sind, den Einschaltknopf zu drücken.
Manchmal geht das mit Romanverfilmungen ziemlich fix (John Grisham und Michael Chrichton haben ihre Filmrechte gewöhnlich schon verkauft, wenn sie von ihrem neuen Buch gerade mal den Titel getippt haben), manchmal dauert der Werdegang vom Buch zum Zelluloid etwas länger (z. B. Die Bibel). Bei Bradleys Opus sind auch einige Jahre ins Land gegangen, doch nun gibt es The Mists of Avalon als Fernseh-Mehrteiler mit Julianna Margulies, Anjelica Huston und Joan Allen, von Bernd Eichinger koproduziert und vom deutschen Regisseur Uli Edel (Last Exit to Brooklyn, Body of Evidence) in Tschechien gedreht. In den USA lief das 20-Millionen-Dollar-Werk an zwei Juli-Abenden über die Bildschirme. Die Kritiken waren zwiespältig, die Zuschauerreaktionen reichten von „wunderbar“ bis „grauenhaft“. Hierzulande wird Die Nebel von Avalon wohl später in diesem Jahr auf SAT.1 ausgestrahlt, Sendetermin gibt es allerdings noch keinen.
Die Musik zur Avalon-Miniserie stammt von Hollywood-Routinier Lee Holdridge. Im Februar hatte er seinen fast zweieinhalbstündigen Score in den Bavaria-Studios mit den Münchner Sinfonikern eingespielt (siehe das Reportage-Special „Harfenglissandi in den Nebeln von Avalon“). Nun liegt mehr als eine Stunde der Musik auf einer Varèse-CD vor.
Holdridges Stärke sind melodisch-eingängige Kompositionen (Beauty and the Beast, Old Gringo) in einem gefälligen, warmen Orchestersatz. Dass er zudem ein guter Themen-Schreiber ist, hat er schon oft bewiesen. Diese Qualitäten zeigt er auch in The Mists of Avalon, doch weist die Komposition zudem ein paar (filmmusik-)modische Einflüsse auf, die nicht jedermanns Sache sind.
Den Auftakt der CD macht allerdings Loreena McKennitts 1994 geschriebener Song „The Mystic’s Dream“: eine pseudo-keltische New-Age-Nummer mit McKennitts Stimme über meditativen Synthesizerflächen und Ethno-Percussion. Immerhin stellt das Lied auf dem Album keinen großen Stilbruch dar, denn auch Holdrigde hat in seine Orchestermusik New-Age und Folk-Elemente eingewoben.
Mittelalter-Spektakel? Ritter-Romanze? Da denkt der Filmmusik-Freund an Miklós Rózsa (Ivanhoe, Knights of the Round Table), Franz Waxman (Prince Valiant), auch an Jerry Goldsmith (Lionheart, First Knight). Als grundsätzlich traditionell orientierter Sinfoniker bezieht sich Holdridge in Ansätzen durchaus auf diese Art von Hollywood-Abenteuer- und Epenmusik. Er hat etliche einfache, aber eingängige Themen für The Mists of Avalon geschrieben und arbeitet auch symphonisch mit ihnen, d.h. er variiert sie handwerklich gekonnt. Bereits im zweiten Track der CD, der Titelmusik „Morgaine’s Journey“, sind wesentliche Elemente der Partitur enthalten: bewährte romantische Orchesterkost samt griffigen Themen, dazu Ethno- und New-Age-Stilismen. Zu Beginn verbreiten zarte Harfenarpeggien, Synthesizer-Flächen und eine Frauenstimme Nebel-Stimmung. Die Sängerin, eine Dame namens Aeone, spielt in Holdridges Konzept eine wichtige Rolle und ist in 8 der 16 Score-Tracks zu hören. Es folgt ein aufsteigendes Thema in den Streichern, dann marschiert das (ordentlich spielende) Orchester erstmals richtig los: Bass- und Paukenrhythmen, kräftige Bläsereinsätze, dann tritt der Chor wuchtig in Erscheinung. Die Musik beruhigt sich, schwillt wieder an, wird erneut sanfter – das sechseinhalb-Minuten-Stück ist eine stimmungsvolle Ouvertüre. Auch die beiden folgenden Tracks sind abwechslungsreich, hörenswert. Leider ist der ganze Score nicht durchweg so unterhaltsam geraten wie die ersten Stücke vermuten lassen.
Holdridges Musik ist grundsätzlich spätromantisch ausgerichtet, mit gelegentlichen kirchenmusikalischen Anklängen. Er setzt auf bewährtes filmmusikalisches Vokabular: The Mists of Avalon erfindet das Filmgenre des Mittelalter-Spektakels wohl kaum neu, warum sollte es dann Holdridge tun? Große Teile der Musik fließen gefällig dahin, sind ohne große Höhepunkte, aber angenehm anzuhören. Der CD-Produzent Holdridge hat den Schwerpunkt eher auf die ruhigeren Passagen seiner Komposition gelegt: auf die Aeone-Vokalisen, auf getragene Holzbläser-Soli und vor allem auf Streicher-Elegien. Dazu kommen einige folkloristische Einlagen.
Diese instrumentalen Folk-Passagen sind Holdridge gut gelungen, sie klingen authentisch, sind transparent orchestriert (oft mit Flöten, Scottish Pipes und allerhand Percussion) und lockern das Gesamtbild auf. Dabei verwendet Holdridge diese schottisch-keltisch inspirierten Themen manchmal als reines Klangkolorit, als Source-Musik („Castle Dance“); zuweilen arbeitet er aber auch symphonisch mit ihnen, etwa wenn er die Folk-Melodien in „Arthur Is Born“ und „Running Up the Hill“ kontrapunktisch einsetzt. Vor allem „Arthur Is Born“ ist wunderschön, mit seinem freudigen, tänzerischen Motiv, über das ein großer Melodiebogen geschwungen wird. Reizvoll ist auch, wenn Holdrigde seine Themen in kammermusikalischem Gewand präsentiert, etwa als Streichquintett in „Lancelot and Guinevere Say Farewell“.
Einige Mal tritt der Chor lautstark in Erscheinung („Morgaine’s Journey“, „Finding Excalibur“, „Merlin’s Death“). Das klingt dann zwar recht gewaltig, ist musikalisch allerdings nicht allzu aufregend gestaltet. Doch immerhin bringen die Stimmen eine Wärme und Emotionalität ins Spiel, was einen starken (vor allem ästhetischen) Kontrast darstellt zu den Synthie-Chor-Einlagen in „Morgaine’s Despair“. Die wenigen Action-Passagen der Komposition wie in „A Night of Love“ sind routiniert, aber wenig einfallsreich, auch wenn in „Mordred Confronts Arthur“ der Hammer kräftig knallt.
Aeones Gesang – etwa in „Vivienne’s World“ und „Morgaine Grows Up“ – ist Geschmackssache. Holdridge setzt ihn zu oft ein, als dass er noch als origineller Klangtupfer wirken könnte. Im Gegenteil: Diese Art, mit Stimmen zu arbeiten, ist bereits zu einem Filmmusik-Klischee geworden. Aeones Vokalisen erinnere zuweilen stark an Lisa Gerrards Gladiator-Einlagen, wirken aber glatter, weniger ausdrucksstark. Der starke Hall lässt diese Passagen zudem in eine arg kunstgewerbliche Ecke abgleiten. Dass Holdridge ab und zu auf synthetische Stimmen zurückgreift, verstärkt diese klangliche Weichspüler-Wirkung noch. Wie gesagt, die Vokal-Passagen sind Ansichtssache: Wer seine Freude an sphärisch hallenden Frauenstimmen hat, kommt hier auf seine Kosten. Für andere Ohren klingt’s eher ermüdend und lässt Assoziationen an Damenbinden-Werbung aufkommen.
Auch James Horners ruhmvolle Taten haben ihre Spuren in Holdridges Partitur hinterlassen – überhaupt ist der Temp-Track aus einigen Stellen ziemlich deutlich herauszuhören. Da ist zum einen [url id=]Braveheart[/url] (elegische Streicher-Passagen!), was ja geographisch durchaus Sinn macht; zum anderen erinnern die Aeone-Gesangseinlagen nicht nur an [url id=]Gladiator[/url], sondern auch an die ätherische Titanic-Frauenstimme (zum Beispiel zu Beginn von „The Cave Ceremony“). Da diese Titanic-Passagen wiederum an Lieder der Sängerin Enya angelehnt waren (um es nett auszudrücken), schließt sich hier der Kreis musikalischer Inspirationen: Denn Enya gilt schließlich (früher mit der Gruppe „Clannad“, heute solo) als Königin der keltischen geprägten New-Age-Musik. Damit wären wir zudem (fast) wieder bei Loreena McKennitt. Und bei Aeone. Doch auch wenn deren Name Ewigkeit, Weltalter bedeutet, klingt ihre Sangeskunst eher nach Modeerscheinung und Zeitgeist. Zum Schluss, nach Holdridges ruhigem „Finale“, darf Aeone noch einen Song beisteuern: „I Will Remember You Still“. Da plätschern die Wasser von Avalon im Hintergrund und es hört sich an, als ob Aeone in einer Grotte mal meditiert, mal vor sich hin schmachtet. Grottenschlecht ist das zwar nicht, immerhin basiert das Lied auf Holdridges thematischem Material, wenn auch arg, äh, verwässert.
Fazit: Lee Holdridges The Mists of Avalon ist eine eingängige, spätromantisch ausgerichtete, aber nicht sonderlich komplexe Orchesterkomposition mit folkloristischen und New-Age-Elementen. Wer schöne Themen in warmem Klang samt keltischen Nebelstimmen mag, für den besitzt das Album hohe Hörqualitäten. Wer allerdings eine anspruchsvolle dramatische Mittelalter-Epenmusik erwartet, kommt etwas weniger auf seine Kosten.