Adolph Deutsch (1897-1980) gehört zu den Komponisten des Golden Age, die in der einschlägigen Literatur nur in Randnotizen Erwähnung finden und die daher fast ausschließlich Insidern bekannt sind.
Deutsch, geboren in England, bekam als Fünfjähriger Klavierunterricht und zeigte rasch ausgeprägte musikalische Begabung. Bereits im Alter von 8 Jahren besuchte der Junge die Royal Academy of Music. Hier stellte er seine frühe musikalische Reife bei öffentlichen Auftritten unter Beweis und bekam verschiedene Auszeichnungen für sein Klavierspiel und einige Kompositionen. 1910 übersiedelte die Familie in die USA. In den Jahren bis 1920 hatte der junge Deutsch nicht allein die Techniken berühmter Dirigenten der Ära studiert, z. B. die von Sir Thomas Beecham und Arturo Toscanini, auch mit der populären amerikanischen Musik hatte er sich nachhaltig beschäftigt.
Insbesondere der Kontakt mit der Musik von Paul Whitemans Jazz Orchestra führte dazu, dass sich der junge Deutsch ambitioniert auf dem Sektor Tanzmusik engagierte. So arbeitete er in den 20er Jahren als Komponist und Arrangeur für Paul Whitemans Radio- und Konzertprogramme, aber auch für verschiedene andere renommierte Bands der Swing-Ära. Anfang der 30er Jahre orchestrierte und dirigierte er einige berühmte Musicals, wie George Gershwins „Pardon my English“ und Irving Berlins „Thousands Cheer“.
Durch den Produzenten Mervyn LeRoy kam Deutsch 1937 bei Warner Brothers unter Vertrag, wo er bis 1945 arbeitete. In diesen Jahren komponierte er die Musik zu insgesamt 53 Filmen (außerdem zu einem von Paramount Pictures), von denen die überwiegende Zahl von Jerome Moross orchestriert wurde. Deutsch betreute 1946-47 musikalisch Hedda Hoppers wöchentliche Radioshow „This Is Hollywood“ und war von 1948 bis zum Ende seiner Laufbahn bei MGM tätig, wo er die Nachfolge des erkrankten Herbert Stothart antrat, welcher zuvor die Musik für unzählige MGM-Filme, z. B. für das klassische Filmmusical The Wizard of Oz • Das zauberhafte Land (1939), geliefert hatte. In diesen Jahren entstanden nur noch relativ wenige Filmscores, überwiegend war Adolph Deutsch als Arrangeur in Filmmusical-Projekten beschäftigt. So betreute er unter anderem berühmte Titel wie Annie Get Your Gun (1950), Show Boat (1951), The Band Wagon (1953), Seven Brides for Seven Brothers (1954) und arbeitete (ausgeliehen) 1955 mit an der ersten 70-mm-Todd-AO-Produktion, Oklahoma!. Dreimal erhielt er den begehrten Oscar: für Annie Get Your Gun, Seven Brides for Seven Brothers sowie Oklahoma!. Hinzu kamen noch zwei Nominierungen für Show Boat und The Band Wagon.
Am Ende seiner Karriere entstanden Musiken für die Billy-Wilder-Filme Some Like It Hot • Manche mögens heiß (1959) und The Apartment • Das Appartement (1960) — deren LP-Ausgaben manchem älteren Filmmusik-Interessierten bekannt sein dürften, womit die Deutsch-Diskografie bis in die 90er Jahre auch schon das Ende erreicht hatte. Go Naked in the World (1961) wurde seine letzte Arbeit für Hollywood. Übrigens, Deutsch war langjähriger Freund von Alexander Courage, der die meisten seiner Kompositionen für MGM orchestrierte und dessen Name auch manchem der jüngeren Filmmusikfreunde geläufig sein dürfte, vor allem als Komponist des Star-Trek-TV-Themas, aber auch durch seine Orchestrationen, insbesondere für Jerry Goldsmith.
[img right]id=2364[/img]Das Team John Morgan und William Stromberg — in Sachen Ausgrabung filmmusikalischer Raritäten seit 1995 für das Marco-Polo-Label sehr erfolgreich tätig — hat Adolph Deutsch jetzt wiederentdeckt. Auf der vorliegenden CD finden sich sorgfältig kompilierte Suiten aus fünf repräsentativen Filmscores, die Deutsch während seiner „Warner Years“, 1941-44, komponiert hat. Neben den beiden berühmten Humphrey-Bogart-Filmen The Maltese Falcon • Die Spur des Falken und High Sierra • Entscheidung in der Sierra (beide 1941) finden sich das Kriegspropaganda-Drama Northern Pursuit • Blutiger Schnee (1943) mit Errol Flynn, die Film-Adaption einer Broadway-Comedy, George Washington Slept Here • Unser trautes Heim (1942), und Jean Negulescos The Mask of Dimitrios • Die Maske des Dimitrios (1944).
Diese fünf Filmmusiken belegen eindrucksvoll die Vielseitigkeit und das hervorragende handwerkliche Können ihres Komponisten. Stilistisch steht seine eher sparsame und weniger ausladende, tendenziell neoklassizistisch-moderne Schreibweise Paul Hindemith und damit auch seinen filmmusikalischen Kollegen Roy Webb (siehe auch The Cat People) und Georges Auric nahe — siehe auch La Belle et la Bête • Die Schöne und das Biest(1946).
Wie Webb und Auric verwendete Deutsch eine kräftige Prise „Neuer Sachlichkeit“, bevorzugte einen sehr transparenten Orchestersatz und arbeitete häufiger mit kurzen Motiven und seltener mit breiten Melodiebögen. Hierfür stehen in der vorliegenden Zusammenstellung insbesondere die stark atmosphärischen Tonschöpfungen für The Maltese Falcon sowie The Mask of Dimitrios. Beide Film-Noir-Musiken sind auf knappen, unmittelbar weniger einprägsamen Themen mit Motivcharakter aufgebaut.
The Maltese Falcon machte Humphrey Bogart als zynischen, aber aufrichtigen Detektiv Sam Spade zum Star und begründete ebenso den Ruhm seines Regisseurs John Huston, der zuvor als Drehbuchautor gearbeitet hatte. Der Film begründete Warners „Schwarze Serie“ und schildert die etwas verworrene, rätselhafte Story um die Jagd nach einem angeblich wertvollen Kunstobjekt, bei der die beteiligten Figuren vor Intrige und Mord nicht zurückschrecken. Deutsch beschwört in The Maltese Falcon eine ironisch-sarkastische und zugleich düstere Atmosphäre. (Im 1996 erschienenen Album „Film Noir“ der RCA-BMG Serie „100 Jahre Filmmusik“ haben Morgan & Stromberg bereits eine knapp 8-minütige Suite dieses Scores neben rund 15 Minuten aus Deutschs All Through the Night • Agenten der Nacht (1942) vorgelegt.)
In The Mask of Dimitrios geht es um die in Istanbul aufgefundene Leiche eines international gesuchten Gangsters. Ein Schriftsteller, der versucht, das Leben des Verstorbenen nachzuzeichnen, gerät in einen Strudel von Gewalt und Skrupellosigkeit. Er muss dabei feststellen, dass der „Tote“ sich nicht allein als erschreckend lebendig, sondern als überaus lebensbedrohend erweist. Infolge des größeren Musik-Budgets und vielfältigerer Schauplätze geht es in dieser Musik noch vielseitiger zu als in der zu The Maltese Falcon. Die dunkle, exotisch-geheimnisvolle, fast ausschließlich atmosphärische Untermalung belegt die ausgefeilte harmonische und orchestertechnische Raffinesse des Komponisten und bietet entsprechend faszinierende Klangfarben. Zwei Scores, die nicht zum Mitpfeifen animieren und daher etwas mehr (lohnende) Einhörarbeit erfordern als die Musik zu High Sierra. Auch in dieser — teilweise an die Story des berüchtigten John Dillinger angelehnten — Gangsterstory spielt Humphrey Bogart die Hauptrolle. Der Film entstand wenige Monate vor The Maltese Falcon und präsentiert, der Melodramatik des Stoffes entsprechend, eine stärker melodisch orientierte eingängige, insgesamt dem Klangidiom von Deutschs berühmtem Kollegen Max Steiner sehr nahe stehende Filmkomposition, die aber trotzdem Deutsch-typisch und eigenständig bleibt.
Humorvolles bietet die Musik zur slapstickreichen Komödie George Washington Slept Here. Hier geht es um eine New Yorker Familie, die sich bei der Instandsetzung eines heruntergekommenen Hauses finanziell total übernimmt. Die drohende Katastrophe wird durch die findige Ehefrau und Mutter abgewendet. Diese kommt auf die rettende Idee, ein kursierendes Gerücht bezüglich George Washington fantasievoll zu nutzen. Die spritzige, dabei melodische und teilweise auch Traditionals charmant zitierende musikalische Begleitung kommt mit gekonnten Mickey-Mousing-Effekten sehr lustig und unterhaltsam daher. Die Klangschöpfung steht Broadway-Musicals nahe und zeigt außerdem ausgeprägte Verwandtschaft zu den frechen Warner-Cartoon-Scores eines Carl Stalling oder zu den sehr ähnlich gelagerten „Tom und Jerry“-Musiken von Scott Bradley — mehr als nur einmal hat der Hörer das Gefühl, das berühmte Zeichentrick-Duo schaue augenzwinkernd um die Ecke.
1943 vertonte Adolph Deutsch seinen einzigen Errol-Flynn-Film, Northern Pursuit von Regisseur Raoul Walsh, in dem es um in Kanada operierende Nazis geht, deren Sabotage-Pläne durch einen deutschstämmigen Angehörigen der „Canadian Mounties“ — mit dem bezeichnenden Namen Wagner (Errol Flynn) — vereitelt werden. Zum actionbetonten Kriegsabenteuer für die wehrfähigen US-Teens der Kriegsjahre schuf der Komponist eine die Handlung geschickt vorantreibende Partitur, gesetzt für großes Orchester. Neben einem kraftvoll heroisch-dramatischen Hauptthema enthält die Musik sowohl die Deutsch-typischen markant-atmosphärischen Klänge als auch reizvoll Tonmalerisches zur Illustration der epischen Landschaftsaufnahmen. Außerdem gibts eine charmante, auf Korngold und Steiner verweisende idyllische Winterszene mit (Schlitten-)Glocken sowie dynamisch auskomponierte Actionmomente. Geschickt verarbeitet ist in der Partitur auch das Deutschland-Lied, und in den letzten Takten erklingt das berühmte Schicksalsmotiv aus Beethovens 5. Sinfonie als Zeichen für „Victory“. Die Suite aus Northern Pursuit setzt zugleich den kraftvollen Schlussakkord für ein überaus reizvolles CD-Album von außerordentlich hohem Repertoirewert.
Auch hier findet sich — dem Film-Stoff und Inszenierungsstil entsprechend — stellenweise eine Portion klangschwelgerische melodische Sinnlichkeit, die geradezu charakteristisch ist für die Vielzahl der Kompositionen des „Golden Age“. In noch stärkerem Maße gilt dies für High Sierra: Die partielle Annäherung an Max Steiners sinnfällig-melodieorientierten — von den Klangidiomen eines Richard Strauss und Giacomo Puccini stark gefärbten — üppig romantischen Stil ist für den stark melodramatischen Stoff adäquat und keinesfalls ein flaches, unnötiges Stil-Plagiieren. (Deutsch arbeitete im Jahr 1939 übrigens an der Orchestrierung von Max Steiners Riesenpartitur zu Gone with the Wind mit.) Und das gilt letztlich ebenso für das Aufgreifen von Slapstick- und ausgefeilten Cartoon-Standards in der Vertonung von George Washington Slept Here.
Damit zeigt sich, dass der Komponist bereit war, einem Film das zu geben, was der Stoff und der plüschige Inszenierungsstil der Epoche musikalisch „brauchten“. (Auch der oben genannte, mitunter für seine trockene Tonsprache „berüchtigte“ Paul Hindemith arbeitete entsprechend undogmatisch — siehe hierzu auch im cpo-Artikel die Anmerkungen zu Hindemith und zur Musik zum Stummfilm In Sturm und Eis (alternativer Titel Im Kampf mit dem Berg).)
Zu loben sind sowohl das präzise Zusammenwirken des Dirigenten William Stromberg mit den ambitioniert aufspielenden Moskauer Sinfonikern als auch der gute Klang der Aufnahmen: ein (mittlerweile optimierter) sehr gelungener Mix aus natürlich gestaffeltem Raumklang und On-Miking für Soloinstrumente. Auch das 28-seitige Booklet ist sorgfältig gemacht, die Texte sind — wie gewohnt — auf sehr gutem Niveau und ebenso liebevoll ist das Bildmaterial ausgewählt worden. Allerdings sind dieses Mal die analytischen Anmerkungen zur Musik gegenüber den einen sehr breiten Raum einnehmenden Infos zu den Filmen doch etwas knapp geraten. (Fairerweise muss man aber sagen, dass es sich hierbei eher um einen kleinen Mangel bei einem Booklet auf hohem Niveau handelt.)
Das Archiv der University of Wyoming beherbergt ein umfangreiches Adolph-Deutsch-Archiv. Zu einem Großteil der Filmmusiken sind erfreulicherweise die Musikmaterialien weitgehend vorhanden. Es bleibt zu hoffen, dass diese günstige Ausgangssituation ein weiteres Deutsch-Album zumindest mittelfristig wahrscheinlich macht.
Fazit: Wieder einmal eine wichtige Filmmusik-CD aus der bewährten Marco-Polo/Morgan-Stromberg-Küche mit filmmusikalischen Raritäten eines weiteren weitgehend vergessenen Komponisten des „Golden Age“: Adolph Deutsch. Fünf geschickt kompilierte Suiten sehr unterschiedlich gelagerter Filmvertonungen — vom Krimi der „Schwarzen Serie“ über die Slapstick-Comedy bis hin zum Kriegsabenteuer mit Errol Flynn — belegen die vielseitigen Ausdrucksmöglichkeiten ihres Schöpfers. Zugleich zeigen die Musiken einmal mehr, dass spätromantische Tradition und Hindemith-nahe Moderne — Neue Sachlichkeit — bereits im Hollywood der 30er Jahre dicht beieinander standen.
Die sowohl vorzüglich interpretierten als auch klangtechnisch gelungenen Einspielungen ergeben zusammen mit dem informativen Booklet eine runde Sache. Wertvoll nicht allein für Freunde des „Golden Age“, sondern auch zu Studienzwecken für Film-Nachwuchs unterschiedlicher Couleur. Ein edles Album, das einige (Hör-)Lust auf mehr Musik des Komponisten Adolph Deutsch macht.
Lesen Sie auch das Interview mit Marco-Polo/Naxos-Chef Klaus Heymann!