The Four Feathers

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
11. November 2002
Abgelegt unter:
CD, Hören, Score

Score

(1/6)

Der vom kolonialistischen Geist geprägte epische Abenteuerroman „Vier Federn“ von A. E. W. Mason diente bis heute einer ganzen Reihe von Verfilmungen als Vorlage. Es geht um die Abenteuer des jungen Offiziers Harry Faversham, der von drei Regimentskameraden und seiner Verlobten durch Überreichen jeweils einer weißen Feder als Feigling gebrandmarkt worden ist und sich rehabilitieren will. Die Handlung ist vor abenteuerlich-bewegtem historischen Hintergrund angesiedelt, Lord Kitcheners „Rückeroberung des Sudan“ (1896-99) und dessen Ausgangspunkte, der Mahdi-Aufstand und General Gordons Tod beim Fall von Khartoum im Jahr 1885. Übrigens, bei Lord Kitcheners Feldzug war ein junger Leutnant der 21. Lancers beteiligt, der in der Geschichte des darauf folgenden Jahrhunderts eine gewichtige Rolle spielen sollte: Winston S. Churchill.

Der britische Produzent Alexander Korda wendete sich dem Stoff sogar zweimal zu: Four Feathers • Vier Federn (1939, Regie: Zoltan Korda, Musik: Miklós Rózsa) und Storm Over the Nile • Sturm über dem Nil (1955, Regie: Terence Young, Musik: Benjamin Frankel). Hier ist die 1939er Verfilmung (bereits die vierte) eindeutig die bessere, verfügt klar über den großen epischen Atem und besticht durch glanzvollen Einsatz des damals noch neuartigen (mit drei Filmstreifen arbeitenden) 3-Farb-Technicolor-Prozesses. Vor atemberaubend eingefangenen sonnendurchglühten Wüstenstimmungen – die als Vorbild für David Leans 1962er Lawrence of Arabia • Lawrence von Arabien gelten dürfen – bietet er eine opulente, groß angelegte, packende Abenteuerunterhaltung. Den filmischen Höhepunkt bildet die mit rund 4000 Statisten nebst einem Batallion der britischen East Surreys aufwändig in Szene gesetzte Entscheidungsschlacht bei Omdurman – der Drehort befindet sich übrigens nur 50 Meilen entfernt vom heutigen Khartoum. Das 55er Remake (in CinemaScope) erweist sich dagegen als überaus blasser Aufguss, ja geradezu als Plagiat der 39er Version, aus der viel Material und insbesondere die Action-Szenen (auf CinemaScope umkopiert und deshalb geradezu schrecklich beschnitten und grobkörnig) einmontiert sind. Benjamin Frankels Musikbeitrag zur 55er-Version ist gewiss nicht übel geraten, wird aber klar von der 39er Fassung übertroffen: Der junge Miklós Rózsa komponierte hierfür seinen ersten exotischen Abenteuer-Score …

Nun hat sich der indische Regisseur Shekhar Kapur (Elizabeth, 1998) des Stoffes angenommen. (Seine Filmversion lehnt sich übrigens stärker an das Buch an, in dem die Handlung in der Zeit der Rettungsaktion für General Gordon angesiedelt ist.) Um es gleich zu sagen, James Horners jüngsten Streich empfinde ich nur als völlig einfallslos und uninspiriert und in der Hörwirkung ausschließlich erschreckend langweilig. Wieder einmal fehlt auch dieser Filmkomposition ein markanter thematischer Einfall. Das armselige motivische Material erklingt im Schluss-Track „A Coward No Longer“ in voller Gestalt und erinnert dabei frappant an Braveheart.

Für einen derart klassischen, ja, altmodischen Abenteuerstoff hätten doch zumindest teilweise die alten Musikstandards herangezogen werden müssen, um die Gegensätze zwischen Engländern und Arabern des ausgehenden 19. Jahrhunderst adäquat in Töne zu fassen. Im Rahmen eines modernen, zeitgemäßen musikdramatischen Konzepts hätte man gewisse musikalische Klischees ja durchaus raffiniert brechen können und damit musikalisch Raum für kritische Reflexionen zu kolonialer Herrlichkeit und Arroganz der ehemaligen Weltmacht Großbritannien erhalten. Dass weder Araber noch Engländer musikalisch überhaupt eine einigermaßen angemessene Entsprechung finden, bleibt merkwürdig. Dass Horner hier ausgerechnet den Pakistani Rahat Nusrat Fateh Ali Khan für geeignet hielt, Teilen der Musik ein überzeugendes Kolorit zu verleihen ist mir unverständlich. Die recht gewöhnungsbedürftigen, oftmals verhallten Gesangseinlagen schielen eindeutig auf den weltmusikalischen Zeitgeschmack, muten aber kaum überzeugend arabisch an. Entscheidender ist hier jedoch, dass Horner nichts Mitreißendes mit ihnen anstellt; das Ethnische bleibt blasses, aufgepfropftes Kolorit, anstatt raffiniert mit der Sinfonik zu verschmelzen. Und von einem musikalischen Crash der gegensätzlichen Kulturen kann natürlich ebenfalls keine Rede sein. Und es kommt noch schlimmer: Dem Score fehlt aber auch alles, was das Fehlen eines einprägsamen Themas auch nur einigermaßen wettmachen könnte. Das Militärische erschöpft sich in monotonen Effekten der Snare Drums plus einfallslosen, stumpfsinnigen Trompetenrufen. Diese wechseln ab mit banalen Figuren der Streicher und ähnlich schlichten Piano-Klängen; alles ist allein aus sattsam bekannten klischeehaften Versatzstücken aus der hornerschen Werkstattmottenkiste zusammengestoppelt. So dümpelt die Musik über die beachtliche Länge von 80 Minuten dahin, ohne dabei überhaupt ein einziges Mal eine einigermaßen markante Passage, geschweige denn einen wirklichen Höhepunkt zu erreichen; musikalische Entwicklung oder gar ausgefeilte Variationstechnik: Fehlanzeige.

Was Horner zu Vier Federn ablieferte, kann nur als beliebig und belanglos bezeichnet werden. Es strotzt von den mittlerweile bei ihm zum traurigen Standard gewordenen thematischen und stilistischen Selbstplagiaten, nebst einer nahezu 1:1 anderweitig geklauten Passage – wie in Duell auch hier D. Schostakowitsch: dieses Mal ein Fragment der Eröffnung des Kopfsatzes der 5. Sinfonie.

Wer klangliche Bezugspunkte im hornerschen ŒŒuvre sucht, dem kann leicht geholfen werden: die Musik ist irgendwo zwischen Duel – Enemy at the Gates und Windtalkers angesiedelt. Das Ethnische lässt dabei eher einen Schauplatz südöstlich von Stalingrad (in der Heimat des Regisseurs oder Sängers) vermuten, aber eben nicht in Nordafrika und ebenso wenig im Pazifik. Unterm Strich kommt die Musik – zumindest von CD – selbst bei sehr wohlwollender Betrachtung über völlig biederes und enttäuschend dürftiges Handwerk nicht hinaus: Eine CD zum Gähnen und Einschlafen und damit ein Ärgernis!

Dabei geht es mir nicht um Kritik an erkennbarer Handschrift (die findet sich in der Regel bei all den Komponisten, denen es gelingt, über das reine Stilkopieren hinauszukommen) und ebenso wenig moniere ich stilistische Verwandtschaft zwischen Musiken zu sehr ähnlichen Filmstoffen (dies ist völlig okay und ist anhand erprobter Standards auch begründbar); vielmehr geht es mir an dieser Stelle um die aus James Horners Filmmusikschaffen mittlerweile kaum mehr wegzudenkende, fast ausschließlich im negativen Sinne routinierte Arbeitsweise. In fantasieloser, ja, schon schamloser Art und Weise werden ganze Filmmusikpartituren aus uninspiriert gehandhabten, x-fach anderweitig bekannten und oftmals besser gehörten Einzelelementen zum nur noch abgedroschen und todlangweilig klingenden Resultat zusammengefügt.

Für große Teile der Filmmusik aus den goldenen Tagen Hollywoods ist die Bezeichnung „Fließbandarbeit“ geläufig. Allerdings, viele dieser „nur“ routiniert ausgeführten Arbeiten jener Tage zeigen trotzdem, dass ihre damals meist praktisch unbekannten Schöpfer mit erheblich mehr Liebe zu Werke gegangen sind als einer der bestdotierten und bekanntesten Filmkomponisten unserer Tage.

Komponist:
Horner, James

Erschienen:
2002
Gesamtspielzeit:
79:40 Minuten
Sampler:
Sony Classical
Kennung:
SK 89 744

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