Dieses Mal sind Rumon Gamba und das BBC Philharmonic angetreten und haben einem in Großbritannien im Bereich der populären, der „British Light Music“ besonders bekannten Künstler ein Kompilationsalbum der Reihe Chandos-Movies gewidmet. Gemeint ist der aus Plymouth stammende Ron Goodwin (1925-2003). Bereits als Fünfjähriger nahm er Klavierunterricht und war schon als 15-jähriger Schüler Chef der eigenen Band „Ron Goodwin and his Woodchoppers“. Auf Wunsch der Mutter begann der Junge eine Lehre als Versicherungskaufmann. Da er allerdings das Telefon am Arbeitsplatz allzu oft zweckentfremdete, um Termine für seine Band festzumachen, legte ihm sein Chef dringend nahe, sich professionell mit Musik zu beschäftigen. Der Anfang war bescheiden: Der junge Mann arbeitete als Kopist, lernte bei Harry Stafford das Arrangieren und nebenbei (privat) das Dirigieren. Goodwin arbeitete anschließend als Arrangeur für zahllose Künstler, u. a. Peter Sellers. Er machte sich einen Namen mit sinfonischen Bearbeitungen populärer Musik. Mit dem Studioorchester „Ron Goodwin and his Concert Orchestra“ veröffentlichte er viele erfolgreiche LPs und hatte auch einen festen Platz in den Radioprogrammen der BBC.
Außer als Vertreter der „British Light Music“ ist Goodwin besonders auf dem Kontinent als Filmkomponist sicherlich geläufiger. Für die Kinoleinwand vertonte der junge Mann übrigens zuerst einen Dokumentarfilm. Während seiner Arbeit für BBCs „Variety Playhouse“ begegnete er dem Amerikaner Larry Batman. Batman verpflichtete den jungen Komponisten für sein Filmprojekt Whirlpool • Die schwarze Lorelei (1958) mit Juliette Greco. Für Goodwin war dies der Startpunkt seiner zweiten Karriere als Komponist für mehr als 60 Spielfilme. Als Batman wenig später zum Chef der britischen Abteilung von MGM avancierte, war Goodwin mit jährlich bis zu fünf Filmvertonungen im Geschäft. Seine hierzulande wohl bekannteste Filmmusik dürfte das Hauptthema zu den vier Agatha-Christie-Verfilmungen um die Detektivin Miss Marple sein. Für die Charakterisierung der Hauptdarstellerin Margaret Rutherford schuf Goodwin ein sehr inspiriertes kongeniales Thema, das mit dem melodieführenden Cembalo im Kontrast zur zeittypischen Beat-Rhythmik ebenso elegant schrullig wie frech-witzig und zugleich pfiffig anmutet.
Die Betonung liegt an dieser Stelle bewusst auf „Thema“, denn gerade die Hauptthemen vieler Filmmusiken des Briten sind es, die Dank seines ausgeprägt melodischen Talents besonderen Charme, ja oftmals eindeutigen Ohrwurmcharakter besitzen. Nicht allein damit ist er dem John Barry der 60er nicht unähnlich, auch der Sound ist mitunter sehr ähnlich — z. B. in Deadly Strangers. Hinzu kommen effektvoll orchestrierte Setpiècen und hübsch ausgeführte Tonmalerei, die meist geschickt verpackt in einem üppigen Klanggewand daherkommen.
Darüber hinaus zeichnen sich aber auch klare Grenzen ab. Nur vereinzelt ist es Goodwin gelungen, eine über längere Strecken gleichermaßen überzeugende Filmpartitur zu schreiben. Häufiger ergeht er sich in eher schlichten und mitunter auch ermüdenden Variationen des betreffenden Hauptthemas. Ein besonders markantes Beispiel für das Nebeneinander von Glanz und Schwäche Goodwinscher Filmkomposition ist die Musik zu The Trap • Wie ein Schrei im Wind (1966). Das Hauptthema ist ein breitmelodischer Ohrwurm par excellence, der allerdings fast zu Tode geritten wird.
Insofern sind Themen- und geschickt kompilierte Suitenzusammenstellungen aus Filmmusiken Ron Goodwins etwas, das besonders gut funktioniert. So auch auf dem aktuell vorliegenden Chandos-Album, das eine durchweg wohlklingende und zudem spieltechnisch tadellos musizierte filmmusikalische Wanderung durch melodische Highlights aus insgesamt 17 Filmvertonungen des Briten bereithält. Die mitunter etwas sehr samtig und leicht hallig klingende Abmischung erscheint mir dabei nicht für jedes Stück gleichermaßen vorteilhaft. Beispielsweise wirkt das Miss-Marple-Thema hier doch etwas weniger peppig als in Goodwins Einspielung mit dem Odense Symphony Orchestra. Allerdings liegen die von mir empfundenen Einschränkungen zweifellos auf qualitativ hohem Niveau und damit auch verstärkt im Bereich des individuell subjektiven Empfindens.
Was den Repertoirewert etwas einschränkt, ist die Tatsache, dass im Wesentlichen die hinlänglich bekannten Schlachtrösser aufgefahren werden, die man hinlänglich aus Goodwins eigenen Konzert-LP-Alben gewohnt ist. Dafür stehen die bereits genannten Themen für Miss Marple und The Trap sowie das London-Thema aus Frenzy, Lancelot and Guinevere, Of Human Bondage, Beauty and the Beast, Haupt- und Liebestthema aus 633 Squadron, die Hauptthemen aus weiteren War-Movies Operation Crossbow, Force Ten from Navarone und Where Eagles Dare. Als Ersteinspielung gibt es dazu noch eine nette sechssätzige Suite aus Battle of Britain. Besonders hübsch und effektvoll sind die im Stil einer Operettenouvertüre zusammengestellten besonders spritzig wirkenden Konzertsuiten aus den Kinokomödien Monte Carlo or Bust und dem besonders köstlichen Film Those Magnificent Men in Their Flying Machines. Zum weniger Bekannten gehören dabei immerhin die Ausschnitte aus Whirlpool, Deadly Strangers, Submarine X-1 und Clash of Loyalties. Recht lustig ist bei letztgenannter Musik (entstanden 1983) die kaum überhörbare Nähe zum 1980 komponierten Imperial-March von John Williams.
Recht blass sind allerdings die schlichten Liner-Notes geraten. Sie enthalten kurioserweise praktisch keine Infos zum Komponisten und leider fast nichts zu den einzelnen Musiken; allein zu den Filmen sind passable Angaben vertreten. Hinzu kommt die relative Kühle und Strenge in Präsentation und Ausstattung der Begleithefte der Reihe Chandos-Movies, die von den meist üppig ausgestatteten Begleitheften der FSM-Alben deutlich absticht. Letztgenanntes ist allerdings in gewissem Maße ebenfalls eine Sache des individuellen Geschmacks.
Unterm Strich bleibt ein sehr solides Filmmusik-Album, das infolge der geschickten Zusammenstellung sehr gut fließt und überaus unterhaltsam daherkommt. Es dürfte daher die ihm mit ziemlicher Sicherheit angedachte Rolle, als ein mit besonders eingängigem Material bepacktes Zugpferd innerhalb der Reihe Chandos-Movies zu fungieren, gut erfüllen. Dabei ist das etwas flau geratene Booklet zwar ein Wehrmutströpfchen. Als besonders süffige filmmusikalische Kollektion ist diese CD jedoch (nicht nur) für den Einsteiger besonders geeignet.
Wertungsmäßig sind derartige Kompilationsalben schwieriger zu erfassen. Für die fast durchweg sehr solide komponierten Stücke im Verbund mit der hohen Hörqualität erscheinen mir im Sinne einer Albumwertung (noch) vier Sterne als angemessen.
Hier gibt es eine Übersicht der bisher besprochenen Chandos-Movies-CDs.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2005.
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