Tartüff

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
27. Dezember 2005
Abgelegt unter:
DVD

Film

(4.5/6)

Bild

(4/6)

Ton

(4/6)

Extras

(5/6)

Tartüff

Friedrich Wilhelm Murnaus Tartüff (1925) basiert auf der Molière-Komödie „Le Tartuffe ou l’imposteur“ und handelt von den zeitlos modernen Themen: Heuchelei und Habgier. Murnaus filmische Umsetzung fokussiert dabei vordergründig auf die kirchlich institutionalisierte Form dieser unschönen menschlichen Verhaltensweisen. Indirekt spielt er aber zugleich auf die in seinen eigenen Kreisen gesellschaftlich erzwungene Scheinheiligkeit an — der Regisseur sah sich nämlich gezwungen, seine Homosexualität abseits der in den „Roaring Twenties“ recht liberalen Metropole Berlin eher zu verheimlichen.

Tartüff zählt zwar zu den weniger bekannten Filmen Murnaus, ist aber nichtsdestoweniger eine elegant umgesetzte Perle des deutschen Stummfilms. Der in jenen Tagen berühmte Mime Emil Jannings (Der letzte Mann) brilliert in der Rolle Tartüffs, eines schmierigen religiösen Heuchlers. Die seinerzeit ebenfalls berühmte Lil Dagover verkörpert vergleichbar überzeugend des scheinheiligen Heuchlers Widerpart: Elmire, die listige und heldenhafte Gattin des dem Tartüff hörigen Orgon, ebenfalls angemessen verkörpert von Werner Krauss. Gegenüber der Vorlage Molières aus dem Jahr 1669 ist im Film einiges verändert und vereinfacht und das Geschehen zudem mit einer aktuellen Rahmenhandlung versehen, womit der zeitlose Bezug verdeutlicht wird. Eine heimtückische Haushälterin versucht ihren Herren derart zu beeinflussen, dass er seinen Enkel enterbt und stattdessen ihr sein Vermögen vermacht. Langsam wirkendes Gift soll den Rest besorgen.

Murnaus elegante Bildsprache zitiert den Stil von Malern wie Adolf von Menzel, der das höfische Leben in Sanssouci porträtierte, und auch von französischen Malern des Rokoko. Die Ufa ließ stimmig dazu bei der Premiere, am 25. Januar 1926, im neueröffneten Gloria Palast am Kurfürstendamm im Rokoko-Stil angefertigte Porzellanfiguren der Protagonisten unter den Zuschauern verlosen. Zu den Nachmittagsvorstellungen wurde sogar gratis Tee serviert, was zeigt, wie sehr man bemüht war, diese Art von Kino als Filmkunst zu präsentieren und sich damit vom Jahrmarkts-Image noch nicht allzu lang zurückliegender Tage abzusetzen.

Für Regisseur Murnau war dies das 17te Kinoprojekt überhaupt. Er realisierte es mit einem bereits perfekt aufeinander eingespielten Team, das mit ihm bereits zuvor bei Der letzte Mann zusammengearbeitet hatte.

Leider ist von den zu Tartüff angefertigten drei Original-Negativen (jeweils für Deutschland, die USA sowie den übrigen Export) keines mehr erhalten — siehe dazu auch Der letzte Mann. Als Vorlage für eine Restauration kam einzig die (mit Abstand) am besten aller noch vorhandenen Materialien erhalten gebliebene US-Kopie in Frage. Allerdings beinhaltet gerade diese (zwangsläufig) eine Reihe von Kürzungen, da der Film infolge Murnaus bissiger Kirchenkritik, wie bereits die Zeitschrift Variety ironisch-sarkastisch anmerkte, für die Zensoren eine ausgesprochene Freude war. Zudem ist bekannt, wie deutlich sich die Einstellungen der verschiedenen Negative mitunter unterscheiden — siehe hierzu auch Der letzte Mann. So sahen sich die Restauratoren ganz besonders in der Zwickmühle. Sie mussten sich damit zufrieden geben, sich dem „verschollenen Original“ eher grob annähern zu können.

Die Bildqualität besagter US-Kopie ist mit Hilfe modernster Digitaltechnik im Rahmen des Machbaren optimiert worden. Neben dezentem Bildrauschen wirken manche Szenen trotzdem leicht über- oder unterbelichtet. Der Bildeindruck darf unterm Strich aber mit dem Prädikat „Gut“ bezeichnet werden, auch wenn die superbe Qualität von z. B. Dr. Mabuse, der Spieler nicht erreicht wird. Der Vergleich mit den in der Doku zu sehenden Ausschnitten aus den übrigen erhalten gebliebenen Kopien macht die beachtliche Leistung der Restauratoren deutlich: derartig schlecht sind diese Materialien, dass das Bild mitunter hinter einem Schleier aus Verschmutzungen und Beschädigungen nur noch flau hindurch scheint, die ehedem vorhandene Brillanz kaum noch erahnbar ist. In der eklatant schlechteren Qualität des übrigen Kopienmaterials liegt wohl auch die hinreichende Erklärung dafür, warum man die wohl nur kleineren Schnitte der US-Zensoren nicht wieder eingefügt hat.

Die rund 40-minütige Dokumentation in der Bonussektion von Luciano Berriatúa „Tartüff, der verschollene Film“ informiert eingehend über die Unterschiede zwischen den einzelnen Schnittfassungen und präsentiert interessanterweise auch einen alternativen Schluss. Zum Film erklingt übrigens Giuseppe Becces schöne Originalmusik in der erhalten gebliebenen Klavierfassung, angemessen interpretiert von Javier Pérez de Azpeitia.

Trotz der oben verdeutlichten Einschränkungen hat es sich gelohnt, diesen im Œuvre des berühmten Stummfilmregisseurs zwar weniger bekannten, aber keineswegs unbedeutenden Film im Rahmen des Machbaren wiederherzustellen. Murnaus Tartüff erweist sich als reizende Perle, ist eine fantasievolle und elegante Umsetzung der Komödie Molières. Somit ist auch diese DVD-Präsentation im gewohnt eleganten Digipack nebst sorgfältig ediertem Begleitheft eine weitere wertvolle Ergänzung der Reihe Transit Classics.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2005.

Erschienen:
2005
Vertrieb:
Transit Classics
Kennung:
DVD 7239
Zusatzinformationen:
D 1925

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