Kommentar zu Film und Filmmusik
Bei Regisseur J.J. Abrams’ aktuellem Beitrag zum Star-Trek-Franchise geht es mit jungen Gesichtern ab in die Vergangenheit des bisher zu Sehenden, nämlich in die jugendliche Phase der Protagonisten der Plots der 1966er Ur-TV-Serie. Diese bekamen die deutschen Fernsehzuschauer erstmalig ab 1972 im Vorabendprogramm des ZDF als Raumschiff Enterprise zu sehen. Dabei ist entsprechend den starren Zeitschemata im deutschen Fernsehen ein wenig die Schere angesetzt sowie synchrontechnisch auf „jugendfrei“ geachtet worden.
Der anfänglich zögerliche, dann aber zunehmende internationale Erfolg (Wiederholungen in den 70er Jahren; Zeichentrickserie Star Trek — The Animated Series 1973-1974) führte 1979 mit Star Trek — The Motion Picture zum Sprung auf die große Kinoleinwand. Und spätestens das begründete ein Serienfranchise, das bis heute zu mehr als 700 TV-Folgen und nach Star Trek: Nemesis (2002) jetzt zum 11. Kinofilm führte. Damit ist der ja schon lange liebevoll und detailliert ausgestaltete Serienkosmos — wer mag, kann sogar Klingonisch erlernen — nun fest im 21. Jahrhundert verankert. Inklusive einiger Krisen blickt „Star Trek“ damit auf eine vergleichbar lange Erfolgsstory zurück wie der berühmte Geheimagent 007 ihrer britischen Majestät: James Bond.
Für den Neustart von Captain Kirk und seiner Mannschaft hat man sich auf den ersten Blick auf ein übliches Prequel verlegt, wie man es derzeit z. B. auch in X-Men Origins: Wolverine bekommt. Doch der Sprung zurück in die Vorgeschichte führt nur bedingt zu den Anfängen der 1966er Ur-Serienplots. Der aus der Zukunft kommende Romulaner Nero (Eric Bana aus Hulk und Munich) ist nicht nur eine übliche Bedrohung, er verändert zugleich die Gegenwart. Dank des somit auf einer neuen Zeitebene geschaffenen Star-Trek-Paralleluniversums müssen eventuelle Fortsetzungen nun nicht mehr nahtlos in die bestehenden Konstellationen eingefügt werden. Das ist zwar grundsätzlich nicht ungeschickt, es bricht allerdings mit dem im Star-Trek-Universum bislang konsequent durchgehaltenen Prinzip, dass eins mit dem anderen exakt zusammenpasst. Entsprechend dürfte die Lösung des neuen Filmdrehbuches längst nicht von allen Fans gleichermaßen begrüßt werden, da viele sicher eher eine stimmige Vorgeschichte von Kirk, Spock und allen Nachfolgenden erwartet haben.
Die präsentierte Filmhandlung ist in Teilen ähnlich bizarr geraten wie die Optik des Romulanerraumschiffs. Dessen Kommandant Nero treibt sein Unwesen in einem reichlich verwirrenden und sprunghaften Handlungsgefüge. Gerade bei Zeitsprüngen kommt es schnell zu an sämtlichen Haaren herbeigezogenen abstrusen Konstruktionen. Und da liegt m. E. eine der entscheidenden Schwächen des Drehbuches: Besonderen Wert auf eine — im Sinne technischer Science-Fiction — ausgeklügelte Stringenz und damit innerhalb des Sujets große Überzeugungskraft hat man beim Drehbuch offenbar nicht gelegt. Aber an so etwas scheiden sich bekanntlich die Geister, frei nach dem Grundsatz: je abstruser das Konstrukt, desto genialer muss/kann es nur sein.
So ist Neros Auftauchen nicht nur für den Tod von Kirks Vater verantwortlich. Er hat auch die etwas lächerlich (fast schon pathetisch wie im Durchhaltepropaganda-Schinken alter Schule) wirkende Geburt des Sohnes in einem Rettungsraumboot zu verantworten: Papa Kirk erfährt von der gelungenen Entbindung per Funk, während er sich heroisch opfert, um den Rettungsraumbooten mit der evakuierten Mannschaft zur Flucht zu verhelfen. Und etwa zweieinhalb Dekaden später taucht Nero dann plötzlich wieder auf, um den jugendlichen Vorgängern der 1966er Enterprise-Mannschaft das Süppchen zu versalzen. Am Schluss stehen dann sogar der alte und der junge Spock zusammen und plaudern völlig unbeeindruckt vom Kausalitätsparadoxon miteinander wie zwei alte Bekannte.
Die Schwächen des Plots werden jedoch von der rasanten, effektvollen Inszenierung zumindest zuerst teilweise überdeckt. Eine schiere Flut von annähernd im Fünf-Minuten-Takt erfolgenden Actioneinlagen in Kombination mit überwiegend ansehnlichen Spezial-Effekten reißt den Kinobesucher erst einmal mit, lässt ihn erst im Anschluss an den Film zum eingehenderen Nachdenken kommen. Dann allerdings wird man sich über den Mangel an Tiefe in der allzu temporeichen, mitunter geradezu rein effektheischerisch angelegten Handlung, die keine längeren Ruhepunkte duldet, erst richtig bewusst.
Nun, unterm Strich halte ich Star Trek trotz der genannten Vorbehalte schon für recht unterhaltsam. Es ist allerdings nicht ein wirklich großer Science-Fiction-Film geworden. Überwiegend gelungen in die Jugendzeit gespiegelt sind z. B. die Charaktere der Star-Trek-Crew. Dabei vermag Zachary Quinto als Spock ganz besonders zu überzeugen. Diese Figur erhält überhaupt am meisten Raum, sich einzuführen und Profil zu gewinnen. Vergleichbares für die Übrigen fällt dagegen eher dünn aus. Auch wäre ein Blick auf den zeitlichen Hintergrund sinnvoll gewesen. Die Chance Kirk (Chris Pine) und seine späteren Getreuen durch gemeinsame Erlebnisse während der Kadettenausbildung miteinander bekannt zu machen, so die Charaktere sorgfältiger zu zeichnen, bleibt leider ebenso praktisch ungenutzt.
Dafür gemahnt die erste Begegnung Kirks mit der Enterprise immerhin ein wenig an den 1979er Kinoerstling. Das gilt, auch wenn die in Star Trek: The Motion Picture zu sehende ausladende, minutenlang mit Musik von Jerry Goldsmith unterlegte Visualisierung des eindrucksvollen Raumschiffs im jetzigen elften Film nur einen etwas erhabeneren, längeren Moment beanspruchen darf.
Es lag auf der Hand, dass Regisseur Abrams den bewährten Komponisten seiner TV-Serien Alias und Lost sowie seines Spielfilmdebüts Mission Impossible 3 (2006), Michael Giacchino, mit an Bord der Enterprise geholt hat. Giacchino, der sich seit Mitte der 90er zuerst mit Kompositionen zu populären Videospielen profilierte, hat sich zwischenzeitlich auch im Kinobereich erfolgreich etabliert: mit The Family Stone (2005) und besonders durch seine Arbeiten für Disney-Pixar, The Incredibles (2004) und Ratatouille (2008). Letztere Filmmusik brachte ihm 2008 den Grammy sowie eine Oscarnominierung ein.
Was den Score zu Star Trek betrifft, ist der Eindruck umgekehrt wie beim Film. Werden einem besonders im Nachhinein des Kinoerlebnisses die Schwächen bewusst, vermag das anfänglich eher wenig aufregend erscheinende CD-Album erst im Verlauf mehrerer Hördurchgänge respektabel zuzulegen. Giacchinos Komposition ist nun gewiss nicht schlecht gemacht, aber gerade in den die Musik dominierenden Actionpassagen eher grobschlächtig gearbeitet. Das Hauptthema erscheint dabei zwar anfänglich recht unscheinbar, aber es prägt sich nicht nur rasch ein, sondern entwickelt dabei sogar einigen Charme. Nero ist ein düsteres fanfarenartiges Motiv zugeordnet. Im Wesentlichen mit diesem thematischen Material gestaltet Giacchino seinen Score. Dabei wird rasch deutlich, dass besonders das Hauptthema, da meist „nur“ wortgetreu zitiert, eher den Charakter eines Erinnerungs- denn den eines Leitmotivs besitzt. Die eher einfach gehaltenen Ostinatostrukturen der Actionteile gehören ebenfalls nicht in die Kategorie überlegen ausgeführten Komponistenhandwerks. Der Mangel an Subtilität und eben auch die mangelnde Raffinesse in der Gestaltung spiegeln sich im insgesamt etwas lärmenden Eindruck, den gerade die blechlastigen Musikteile hinterlassen. Was unterm Strich bleibt, ist ein auch mit Hilfe der stattlichen Zahl von acht Orchestratoren solide ausgeführter Routine-Score, der geschickt kompiliert mit einer Reihe ansprechender Momente aufwartet. Die groß besetzte Hollywood Studio Symphony, unterstützt von dezent eingesetzter Klangsynthetik und Chor, bieten dem Käufer etwas für sein Geld.
Dabei klingt es verschiedentlich nach den mitunter ebenfalls etwas rabaukig anmutenden James-Horner-Arbeiten der frühen Jahre und dabei auch nach Star Trek II: The Wrath of Khan (1982). In „Hella Bar Talk“ lugt sogar ein wenig die bei den Produzenten von Film und Fernsehen hörbar beliebte Klangästhetik aus dem Hause Hans Zimmer hervor. Eine gewisse Tendenz zum blechlastigen, breiigen Zimmersound findet sich auch in der Abmischung. Und in „Nero Death Experience“ erinnern die Chorpassagen an die ebenfalls vertrauten Musiken Howard Shores zu Lord of the Rings.
Als ansprechender Einfall schimmern als Synonym für Spock vereinzelt die melancholisch-aparten Klänge der zweisaitigen chinesischen Kniegeige Erhu auf. Dieses exotische Instrument erhält einen längeren, charmanten, geradezu singenden Auftritt in „That New Car Smell“.
Das klassische Star-Trek-Thema von Alexander Courage wird recht pfiffig punktuell ebenfalls angedeutet. Seinen richtigen Auftritt erhält es aber erst im ersten Drittel der knapp 10-minütigen End-Credits-Suite. (Beim rund halbminütigen „To Boldly Go“ handelt es sich um den zugehörigen Quasi-Prolog zum Finalstück der CD.) Dazu bekommt der Kinogänger dann auch den wohl am stärksten mit der vom Begründer Gene Roddenberry begründeten Tradition verbundenen Moment des Films geboten: nämlich eine Reihe bildlicher Impressionen gemäß dem einstimmenden Prolog der Ur-TV-Folgen: „ Lichtjahre von der Erde entfernt, dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“
Der mit „nur“ rund 45 Minuten gegenüber etwa 100 Minuten Musik im Film eher kurze CD-Schnitt trägt den konzeptionellen Schwächen der Musik Rechnung. Infolge gelungen verknappter Zusammenstellung liefert dieser im Resultat ein durchaus ansprechendes Höralbum. Freilich eines, das im Wesentlichen als nette Unterhaltung durchgehen mag, aber nicht als wirklich grandiose Filmmusik eingestuft werden kann.
Ob nun „Trekkie“, „Trekker“ oder auch nur Science-Fiction-Filmfreund: Nach dem besonders in den USA großen Erfolg des Streifens erscheint die Fortführung der Saga praktisch unausweichlich. So möge der erneute Star-Trek-Frühling vom alten Vulkanier-Gruß bestimmt sein: „Lebe lang und in Frieden.“
Für die Freunde von Michael Giacchino steht übrigens bereits Neues vor der Tür: Die Musik zum in Cannes vielbeachtet premierten neuen Disney-Pixar-Abenteuer Oben. Damit soll anscheinend ebenfalls eine klassische Kinotradition, dieses Mal der 1950er, wiederbelebt werden: Das mit Spezialbrillen zu betrachtende Filmerlebnis in drei Dimensionen „3-D“.
Dieser Artikel ist Teil unseres kleinen Spezialprogramms zu Pfingsten 2009.
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