Sleepy Hollow

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
14. Februar 2000
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

An der Wende zum 19. Jahrhundert erschüttert eine ungewöhnliche, bizarre Mordserie die Kleinstadt Sleepy Hollow in Neu-England. Der auf Anwendung „moderner“ wissenschaftlicher Ermittlungsmethoden setzende New Yorker Jungpolizist Ichabod Crane (Johnny Depp) wird auf den Fall angesetzt und versucht, den kursierenden Gerüchten, es handle sich beim Täter um einen „kopflosen Reiter“, auf den Grund zu gehen. Natürlich darf auch eine Romanze nicht fehlen: Christina Ricci (Addams Family) spielt die etwas farblos und puppenhaft wirkende Katrina van Tassel, Tochter aus gutem Hause, in die sich der Detektiv trotzdem prompt verguckt.

Tim Burtons neuer Kostüm-Horrorfilm läuft am 24. Februar 2000 in den deutschen Kinos an. Gerade das Zeitkolorit der Story, die im Neu-England der noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika angesiedelt ist, schafft Raum für skurrile Typen, für Nebel an romantisch-altertümlichen Schauplätzen und Kulissen und damit echt „gotischen Horror“. Na, und wie man schon beim Anhören der CD feststellt, ist der „Unhold“ schwer zur Strecke zu bringen. Tim Burtons eigenwillige Bildkompositionen sind dem Kinofreund ja schon aus A Nightmare before Christmas, Batman und Edward Scissorhands bekannt und dürften zumindest eine stimmungsvolle und angenehm gruselige Unterhaltung garantieren.

Burton sieht seinen Film auch als Hommage an die Horror-Filme der fünfziger und sechziger Jahre: Kameramann Emmanuel Lubezki erzeugte durch weitgehende Beschränkung der Farbpalette – Rot-braun-Töne und Grau dominieren – zum Teil ein Schwarz-Weiß-Feeling, nähert sich aber auch der Farbgebung der Hammer-Streifen dieser Ära. Gedreht wurde überwiegend in Londoner Studios, da dem Regisseur reale Dörfer und Schauplätze einschließlich des echten Sleepy Hollow nicht fantastisch genug schienen. Also entstanden in mühsamer und aufwendiger Detailarbeit aus echten Bauten, Hintergrundmalereien und unter Verwendung einer altmodischen Technik zur Perspektivendarstellung über 50 verschiedene zum Teil surrealistische Sets (inklusive dem für die Handlung wichtigen Westwald), die neben altertümlich-märchenhafter auch eine fantastisch-bedrohliche Atmosphäre ausstrahlen. Hervorragende britische Theater-Schauspieler besetzen die Nebenrollen und garantieren die kompetente Darstellung komplexer und skurriler Typen: Auch „Hammer-Dracula-Legende“ Christopher Lee wird aufgeboten. Der Trailer wirkt da auch schon recht vielversprechend – sehr originell ist die Pre-Kino-Anspielung durch die „Laterna Magica“.

Wer zum Film ein nettes Souvenir sucht und vielleicht auch die Story noch einmal lesen möchte, sollte sich das gleichnamige, preiswerte Heyne-Filmtaschenbuch einmal anschauen. Die Filmstory basiert auf einer 1820 erschienenen Kurzgeschichte des Amerikaners Washington Irving, der neben schriftstellerischen Ambitionen auch Anwalt, Diplomat und Geschäftsmann war. Das mit einer ganzen Reihe farbiger Filmbilder ausgestattete Taschenbuch bietet neben dem Filmroman zum Vergleich erfreulicherweise auch Irvings Original-Kurzgeschichte: Diese erweist sich als kleines aber interessantes amerikanisches Pendant zu den europäischen Schauergeschichten der Romantik – bereits drei Jahre zuvor, 1817, erschien Mary Shelleys „Frankenstein“.

Mit seinem Hauskomponisten hat Tim Burton eine sehr gute Wahl getroffen: Danny Elfman hat zu Sleepy Hollow eine groß angelegte, kraftvolle und düstere, romantische Filmmusik komponiert, die wenig synthetische Klänge nutzt und hauptsächlich auf einem großen Orchesterfundament ruht. Einen besonderen Reiz erhält die Komposition durch die Verwendung einer echten Kirchen-Orgel – nicht zu gewaltig, vielleicht die der Kirche des kleinen Sleepy Hollow – und überaus raffiniert eingesetzten Chor-Arrangements. Besonders in den Chorsequenzen zeigt sich der Komponist inzwischen seinem Vorbild James Horner deutlich überlegen, dessen meist abgedroschen monotone Kinderchöre häufig einfallsarm und langweilig wirken. Elfman überrascht hier vielmehr mit der umfangreichen Klangpalette vom Kinder- über Frauen- bis zum archaisierend klingenden Männerchor, die überaus geschickt mehrschichtig eingesetzt werden.

Interessanterweise ist die gesamte Komposition monothematisch, also aus einem einzigen Thema entwickelt: Beispielsweise wird das Thema selbst verwandelt, teilweise wird die Tonart verschoben (transponiert), und das Klanggewand (Begleitung, Instrumentierung, Stimmenführung) wird fortwährend überaus raffiniert variiert. So erklingt dasselbe Thema einmal düster und archaisch für den „Kopflosen Reiter“, aber fungiert in lyrischer, aufgehellter Variante ebenso vorzüglich als schönes Love-Theme mit leichtem Horner-Touch – wobei die Atmosphäre auch hier märchenhaft und geheimnisvoll bleibt. Dass dies funktioniert und dass trotz der monothematischen Struktur keine Langeweile aufkommt, ist Beleg für die Mühe, die sich der Komponist gegeben hat und für die viele Detailarbeit, die er in diese Komposition gesteckt hat: Von „schnell hingeworfen“ kann hier keinesfalls die Rede sein.

Im Gegensatz zu Elfmans Frühwerken funktioniert hier der musikalische Spannungsaufbau: Die Crescendi und Decrescendi sind überraschend vielseitig und vermeiden trotz langer Spielzeit die schon oft gehörten „Durchhänger“. Zum Teil geht es ganz schön zur Sache, aber erfreulicherweise ohne dabei den Zuhörer mit monoton-simplen Rhythmen und überzogen brachial eingesetztem Schlagwerk förmlich zu „erschlagen“. Zu den Auftritten des „Kopflosen Reiters“ gibt’s Herrmannesque Klangfiguren der Fagotte, Kontrafagotte und Kontrabässe, tiefes Blech, dazu Chöre und natürlich die Orgel – durch letztere klingt es fast ein wenig nach „jüngstem Gericht“. Generell zeugen die vielfältig auskomponierten Mischklänge von echter Raffinesse und eben nicht vom simplem Strickmuster manch früher Elfman-Komposition.

Zwar ist die Sleepy-Hollow-Musik stilistisch nicht grundsätzlich neu: Neben Horner, Goldsmith und natürlich Herrmann sind Anklänge klassischer Vorbilder wie Gustav Holsts „Planeten“ und Anleihen bei eigenen Schöpfungen wie Batman, Edward Scissorhands und Black Beauty deutlich spürbar, aber die Kombination aus Stilmix und eigener Weiterentwicklung überzeugt nachhaltig. Ihren primären Zweck als funktionale Begleitmusik zu Sleepy Hollow erfüllt Elfmans Schöpfung zweifellos ausgezeichnet. Diese Komposition belegt aber auch (einmal mehr), wie überlegen vielfältig die klanglichen Möglichkeiten eines modernen Orchesterapparates gegenüber weitgehend elektronisch realisierten Scores sind. Synthie-Klänge sind vom Komponisten äußerst sparsam eingearbeitet und dienen nur als akzeptable Ergänzung des Klangkolorits und erfreulicherweise nicht als Klangfundament.

Fazit: Danny Elfman ist nachhaltig besser geworden und hat hier eine sehr gut gelungene, bombastisch klingende Horror-Action-Filmsinfonie vorgelegt, die auch ohne Bild gut „rüberkommt“. Da auch Darbietung und Tontechnik keine Wünsche offen lassen, steht einer musikalischen Tour de Force in Sachen „Amerikanischem Gotischem Horror“ – diese sei auch Elfman-Skeptikern durchaus empfohlen – nichts im Wege! Trotz höchst erfreulicher rund 70 Minuten Spielzeit weist die CD keine größeren Schwächen auf, sondern überzeugt durch gekonnte klangliche Vielfalt und wird daher zum „Edel-Gold-Danny“ gekürt.

Komponist:
Davis, Don

Erschienen:
2000
Gesamtspielzeit:
68:02 Minuten
Sampler:
Edel (Hollywood Rec.)
Kennung:
0122622HWR

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