Victor Young (1900-1956) wurde in Chicago als Sohn polnischer Einwanderer geboren. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1910 übersiedelte er zu den Großeltern nach Warschau, wo er schon früh eine Ausbildung am Königlichen Konservatorium begann. Einer seiner Lehrer war Roman Statlovsky, ein Schüler Peter Tschaikowskys. 1920 kehrte Young in die USA zurück und war bereits 1923 Konzertmeister eines Kinoorchesters im Central Park Theater in Chicago, wo er Begleitmusiken für Stummfilme arrangierte und auch Musikteile komponierte. Seit 1929 war er auch beim Rundfunk tätig und machte erste Schallplattenaufnahmen für Brunswick und anschließend Decca. Um 1935 war Victor Young im Segment Unterhaltung der wohl bekannteste Begleiter, Arrangeur und Dirigent der Schallplattenindustrie.
Von 1935 bis zu seinem Tod war er zwar in erster Linie als Filmkomponist in Hollywood, aber auch weiterhin im Schallplatten-Business und beim Rundfunk aktiv. Viele Aufnahmen von „Victor Young and His Orchestra“ belegen dies. Überwiegend arbeitete er als Vertragskomponist für Paramount Pictures, wurde aber auch an andere Studios ausgeliehen, z. B. 1950 an Republic Pictures für die Vertonung von John Fords drittem Teil der so genannten Kavallerie-Trilogie Rio Grande. In diesen Zeitraum von rund zwanzig Jahren fällt das, was heutzutage als die Goldene Ära Hollywoods (The Golden Age) bezeichnet wird. In jenen Jahren produzierten allein die großen Studios jährlich etwa 500 Filme. Victor Young hat in dieser Zeit an der Vertonung von mehr als 350 Filmen mitgewirkt. Er war das, was man heutzutage Workaholic nennen würde, wobei diese Arbeitswut sicherlich auch im Privatem mitbegründet war. Young bevorzugte einen aufwändigen Lebensstil, war dem Alkohol und dem Spiel zugetan und liebte ebenso teure Zigarren.
In seinem gigantischen filmmusikalischen Output sind in erster Linie die oftmals wunderschönen, warmen melodischen Hauptthemen besonders bemerkenswert – er dürfte zu Recht als das größte melodische Talent im Hollywood jener Zeit angesehen werden. Zum großen Teil wurden diese Themen ausgekoppelt – z. B. Love Letters, The Uninvited, My Foolish Heart und Three Coins in the Fountain – und oftmals separat zu Songs verarbeitet. Vielen seiner Filmkompositionen fehlt es allerdings an Einfallsreichtum und Farbigkeit in der Gestaltung und ebenso an ausgeklügeltem und raffiniert umgesetztem musikdramatischem Konzept. Paramount Pictures war ein sehr konservatives Studio, das Experimentelles weder wollte noch duldete. Hinzu kommt, dass Young die orchestertechnische Umsetzung seiner Kompositionen ausschließlich Orchestratoren überließ. Den Glanz vieler ambitionierter Arbeiten seines engen Freundes Max Steiner erreichen Victor Youngs Arbeiten nur vereinzelt: Beispiele für gelungene Filmvertonungen sind z. B. For Whom the Bell Tolls • Wem die Stunde schlägt (1943) und The Brave One • Roter Staub (1956).
Wie schon LP-Veröffentlichungen von aufbereiteten Acetat-Tonmastern in den 80er Jahren zeigten (z. B. von Rio Grande, Johnny Guitar und The Sun Shines Bright) findet sich abseits der immer wieder schönen melodischen Themen oftmals nur ordentliches, eher biederes Handwerk. Besonders krass zeigt dies die Musik zu Johnny Guitar • Wenn Frauen hassen (1954), die ein geradezu hinreißendes Hauptthema beinhaltet. Dieses wird zwar von der Sängerin Peggy Lee sehr markant interpretiert und im Score verschiedentlich nett zitiert, aber darüber hinaus wirkt Youngs Komposition (vor allem abseits der Filmbilder) eher uninspiriert und schablonenhaft.
Scaramouche • Scaramouche, Der galante Marquis (1952) zählt wohl zu den schönsten und farbenfrohsten Produkten der Kategorie Swashbuckler in der späten Technicolor-Ära. Ein von rasant-famosen Degenduellen bestimmter Film, der seine am Vorabend der französischen Revolution spielende Handlung in üppiger Ausstattung präsentiert. Die Musik gehörte lange Zeit zu den besonders nachgefragten Young-Scores. Bereits 1995 sorgte das Marco-Polo-Label hier für „Erste Hilfe“. Eingespielt vom Brandenburger Philharmonischen Orchester unter Richard Kaufman bietet die Kompilations-CD „Captain Blood“ eine repräsentativ zusammengestellte rund 19-minütige Suite des Scores. Im Vergleich mit der nun ebenfalls vorliegenden Gesamtausgabe der Musik von FSM lassen sich recht eindrucksvoll die Stärken und Schwächen von Youngs Musiken aufzeigen.
Youngs ausgesprochen großes Talent für eingängige, herrliche Melodien belegt in besonderem Maße Scaramouche: die rund 53 Minuten des Scores sind derart themenreich, dass man fast schon von melodischer Fülle sprechen kann. Allerdings, im Sinne von sinfonischer Verarbeitung passiert mit den Themen nur wenig, vielmehr werden sie meist in nur unwesentlich verändertem Klanggewand zitiert. Die fulminante Eröffnung ist klar an Richard Strauss’ Tondichtung „Don Juan“ angelehnt, und auch andere Teile der Musik zeigen, dass besagter „Don Juan“ und ebenso „Till Eulenspiegel“ beliebte Stilvorbilder für die Vertonung von Mantel-und-Degen-Filmen sind – etwas, das allerdings ebenso für entsprechende Kompositionen anderer, wie Erich Wolfgang Korngold, Max Steiner und Alfred Newman, gilt.
Die Action-Passagen erweisen sich als wenig inspiriert, sind dazu recht einfach gestrickt, dabei eher laut, denn wirklich effektvoll und mitreißend. Die Instrumentierung ist ebenfalls nur mäßig einfallsreich oder gar vielseitig, setzt bevorzugt auf die Streichinstrumente des Orchesters. Auch in der zweifellos nicht übel gemachten Musik zu Scaramouche zeigt sich die bei Young verbreitete Tendenz zum eher uniform-standardisierten, streicherlastigen, gelegentlich zum Kitsch tendierenden Hollywood-Sound jener Zeit. Dies unterstreichen auch die im Anhang untergebrachten alternativen Versionen einiger Tracks. Youngs Scaramouche-Musik hängt daher – in voller Länge gehört – nicht unbedingt durch, aber zeigt doch klare Grenzen. Und, trotz der unleugbar schönen Passagen wirkt sie recht konventionell und damit auch etwas altmodisch; hat mitunter gar ein wenig Stummfilm-Flair.
Wie üblich hat das Produzenten-Team bei FSM auch dieser CD ein schön bebildertes und dazu sehr informatives Begleitheft beigegeben. Die Originaleinspielungen stammen aus der Umstellungsphase von (Mono-)Licht-Ton auf Magnet-Stereo-Ton. Aus dieser Zeit (vor der Einführung des CinemaScope-Films) sind anscheinend keine Stereo-Aufnahmen erhalten geblieben. Die Mono-Abmischungen sind in gutem Zustand, klingen zwar etwas eng, aber ansonsten recht klar und auch voll. Vereinzelt hörbare geringfügige Fehler im Ausgangsmaterial vermögen den positiven Gesamteindruck nicht zu trüben. Alles in allem können dem FSM-Album zu Scaramouche (inklusive Nostalgie-Bonus und eines kleinen Zuschlags für das edle Begleitheft) „noch“ vier Sterne verliehen werden.
Die von Richard Kaufman (auf Marco Polo) eingespielte Suite fasst die Highlights des Scores zu Scaramouche sehr überzeugend zusammen, fließt sehr gut und verdeckt die (dezenten) Schwächen der Musik nahezu perfekt. Zusammen mit den oben beschriebenen Erfahrungen mit Young-Musiken, legt dies die Vermutung nahe, dass wohl auch manch andere seiner besseren Kinokompositionen besonders in gut zusammengestellter Suiten-Form zu überzeugen vermögen. Diese These wird vom hervorragend zusammengestellten Marco-Polo-Album „The Classic Film Music of Victor Young“ von John W. Morgan und William T. Stromberg aus dem Jahr 1998 untermauert. Diese von den Moskauer Sinfonikern sehr gelungen eingespielte CD präsentiert Musik aus insgesamt vier Filmen: Die reizende, vor gekonntem Mickey-Mousing und schön einkomponierten tonmalerischen Effekten und selbstverständlich edlen Themen strotzende Cartoon-Musik zum 1939er Gulliver’s Travels • Gullivers Reisen; die Gespensterstory The Uninvited • Der ungebetene Gast (1944) enthält sehr solide atmosphärische Musikpassagen und eines der edelsten Love Themes aus Youngs Feder, das als Song „Stella by Starlight“ unvergesslich geworden ist; Bright Leaf • Zwischen zwei Frauen (1950) – ein Südstaaten-Gesellschaftsdrama um eine Tabak-Dynastie – ist die wohl beachtlichste und dramatischste (Max Steiner nahestehende) Musik des Albums; und zur Abrundung des gelungenen Programms gibt’s noch aus Cecil B. DeMilles The Greatest Show on Earth • Die größte Schau der Welt (1951) einen ansprechenden sinfonischen Zirkusmarsch.
Das von Morgan & Stromberg dem Komponisten Victor Young gewidmete CD-Album ist mit einem hochwertigen Begleitheft ausgestattet. In den eingehenderen Anmerkungen zur Produktion finden sich wertvolle Hinweise auf speziell für dieses Album rekonstruiertes und eingespieltes Musikmaterial, das im jeweiligen Film nicht verwendet worden ist und Indiz für die äußerst sorgfältigen Produktionsvorbereitungen ist. Eine hervorragende Produktion von besonders hohem Repertoire-Wert.
Damit kann das von Koch 1996 herausgebrachte „Shane – A Tribute to Victor Young“ nicht konkurrieren. Die Einwände gegen diese Produktion betreffen – neben einigen spieltechnischen Unsauberkeiten des von Richard Kaufman geleiteten New Zealand Symphony Orchestras – die nicht sehr überzeugende Stückeauswahl. Das Highlight ist die Suite aus dem Western Shane • Mein großer Freund Shane, dessen Musik auch ein sehr berühmtes Young-Thema enthält: „The Song from the Far Away Hills“; sehr nett und unterhaltsam ist noch der Epilog aus Around the World in 80 Days • In 80 Tagen um die Welt; eher entbehrlich sind die Kurzsuiten aus For Whom the Bell Tolls (ist einfach zu kurz!) und insbesondere The Quiet Man • Der Sieger (da bereits anderweitig in Langfassung eingespielt) und allein ein Kuriosum ist „Tribute to Vcitor Young“, ein Medley berühmter Young-Melodien: allerdings arrangiert und orchestriert von Henry Mancini und damit dem typischen Mancini-Sound der Sixties verhaftet – das erzeugt Kopfschütteln! Das Begleitheft ist recht einfach, aber ordentlich geraten; es enthält einen soliden Text von Tony Thomas und eine Filmografie des Komponisten.
Das bereits oben erwähnte Richard-Kaufman-Album „Captain Blood“ enthält neben Scaramouche noch weitere wertvolle Suiten aus Swahbuckler-Movies. Einen knapp 8-minütigen Appetithappen aus Miklós Rózsas The King’s Thief; rund 20 Minuten aus Korngolds Genre-Debut Captain Blood (1935) und knapp 19 Minuten aus einer heutzutage (wohl zu Recht) vergessenen frühen RKO-Verfilmung von The Three Musketeers (1935), wobei insbesondere der schmissige Marsch für eine Fechtdemonstration der königlichen Musketiere ein frühes Beispiel für Max Steiners oftmals elegante Abenteuerfilm-Vertonungen ist. Die Begleittexte dieser frühen Marco-Polo-CD-Produktion sind knapp, jedoch kompetent verfasst – von Tony Thomas.
Insbesondere die von mir den beiden reinen Young-Samplern zugeordneten Sterne verstehen sich mehr als „Albumbewertungen“ und weniger als wertmäßige Einordnung der vertretenen Musiken.
Mehrteilige Rezension:
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