Die Solokonzerte Nino Rotas auf CD
Die meisten der Nachrufe, die nach dem Ableben des Komponisten erschienen, bezogen sich praktisch ausschließlich auf seine oftmals brillanten Filmmusiken. Bis heute ist sein wertvolles Musikschaffen abseits der Kinovertonungen erst einem sehr eng begrenzten Kreis ins Bewusstsein gedrungen.
Ein Paradoxon, wie eine eingehendere (hörende) Betrachtung beweist: Hier präsentiert sich eine meist filigrane Musik, die sich durch Wohlklang und durch Klarheit der Struktur und durch zugleich vielfältig und feinsinnig ausgeführte Instrumentierung auszeichnet und außerdem eine direkte goldene Brücke zur Klassik schlägt. Klänge, die bei aller Verbundenheit mit der Tradition keineswegs als altbacken oder als allein souverän ausgeführte Stilplagiate erscheinen. Vielmehr präsentieren (nicht nur) die Solokonzerte einen individuellen, vom persönlichen Stil eines Meisters seines Faches geprägtes weites Feld vielfältiger Stimmungen, sind farbig und voll innerer Kraft. Eine Musik, welche die hellen, typisch mediterranen Klangfarben im Verbund mit inspirierter und oftmals schwelgerischer Melodik aufweist, die sich klar abseits reiner Epigonie bewegt. Nino Rota schilderte seine Auffassung dazu einmal folgendermaßen: „Einfachheit ist mein Ausgangs- und Zielpunkt. Meine Musik scheint leicht, und es sind nicht wenige, die sagen, es schiene ihnen so, wie wenn sie diese schon immer gekannt hätten.“
Eine nur auf den ersten (Hör-)Blick leichtfüßig und völlig unbeschwert von der Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts unberührt erscheinende Angelegenheit. So packend auch manches andere stärker zur Avantgarde orientierte Werk auf den Hörer wirken kann, setzt es doch eine gründliche Auseinandersetzung durch sehr geduldiges Einhören voraus. Rotas Musik hingegen verbreitet infolge ihres klanglich vertrauten Umfeldes unmittelbar Wärme und Vertrautheit. Sie schafft so auch Raum zu unmittelbarer Entspannung, erlaubt dem Hörer ein Wohlfühlen; und bietet damit einen Hörkomfort, den die kompromisslosen Werke der Avantgarde eben nicht besitzen.
Zart, mysteriös-schwebend und auch verträumt sind die beiden Klavierkonzerte (in E-Moll und C-Dur). Wie eigentlich immer in der Musik des Italieners sind auch sie eine sehr individuell und markant klingende Synthese aus spontanem, romantisch geprägtem Gefühlsausdruck und formaler Raffinesse. Dem Hörer präsentiert sich eine sehr klangschöne, abwechslungsreiche, insgesamt sehr lyrische Musik von kristallklarer Transparenz, die „einfach“ wundervoll ist und unmittelbar erfreut.
Die aus den Jahren 1972-73 stammenden beiden Cello-Konzerte zeigen elegant die Fähigkeiten ihres Komponisten, die melodischen Möglichkeiten eines Themas zu demonstrieren, wobei auch das Soloinstrument ausreichend Gelegenheit bekommt, sich virtuos in Szene zu setzen. Das erste Konzert ist von robusterer Textur und wartet mit recht starkem Blech auf — vier Hörner, drei Posaunen und eine Basstuba —, womit reizvolle Effekte erzeugt werden. Im zweiten Konzert ist das Orchester eher klassisch besetzt. Und originell ist das im Kopfsatz unmittelbar zu Beginn zitierte Motiv aus Mozarts Violinkonzert in G-Dur, KV 216. Von Zitat kann man allerdings nur im allerersten Takt sprechen, anschließend wird es sofort mit Rota-typischer Intensität weitergeführt und verarbeitet. Der Hörer merkt sofort: Diese Musik stammt nicht aus dem Salzburgischen, sondern entstand klar viel weiter südlich.
Die jüngste der hier vorgestellten Chandos-Veröffentlichungen ist das Album „Concertos“ aus dem Jahr 2002. Hier sind sogar drei Tonträger-Premieren versammelt: Das Konzert für Harfe und Orchester, das Konzert für Fagott und Orchester sowie „Castel del Monte“ — eine Ballade für Horn und Orchester. Außerdem wird noch das Konzert für Posaune und Orchester geboten.
Das Harfenkonzert aus dem Jahr 1947 ist hier ein ganz besonderer Leckerbissen, der praktisch unmittelbar ins Ohr geht. Ein raffiniert ausgeführtes, stimmungsvolles Werk, das die Ausdrucksmöglichkeiten der filigranen Harfe feinfühlig und brillant demonstriert. Ungewöhnlich und elegant zugleich wirkt der quasi militärisch-fanfarenartig anmutende Einschub im zweiten Satz (Andante). Und nicht allein in diesem Konzert ist die überaus versiert ausgeführte Instrumentierung erwähnenswert. So verleihen vielfältig gestaltete Instrumentalsoli (von Horn, Holzbläsern und Cello), die allein und auch zusammen mit der Harfe den verschiedenen Orchestergruppen in virtuosem Wechselspiel gegenübertreten, der Musik ganz besonderen Charme — man erhält sogar quasi „mehrere“ Solokonzerte in einem.
Ebenfalls überaus effektvoll und zugleich geschmeidig ist das Konzert für Fagott und Orchester, das in den Jahren 1974-77 entstand. Ein sowohl aus heiteren und überschwänglichen als auch aus melancholischen und nachdenklichen Teilen bestehendes Werk, in dem unter anderem (ähnlich wie beim Harfenkonzert) auch ein Klavier reizvoll zur Geltung kommt. Stilistisch steht es Sergej Prokofieffs reizender Haydn-Hommage in dessen 1. Sinfonie „Symphonie Classique“ nahe. Man merkt der Musik übrigens nicht an, dass sie zu einer Zeit komponiert wurde, in der ihr Schöpfer unter den schlimmsten Verrissen seiner Werke zu leiden hatte.
Der Titel „Castel del Monte — Ballade für Horn und Orchester“ spielt auf die berühmte, von Friedrich II. in Apulien erbaute Festung an. Das Stück entstand 1974 und wurde 1975 uraufgeführt. Ein sehr romantisches, poetisches kleineres Werk, das wiederum geschickt die virtuosen Möglichkeiten des Hornes (Inbegriff der Romantik) in einem ebenso gekonnt auskalkulierten orchestralen Umfeld darbietet.
Im 1966 komponierten und 1969 im Mailänder Konservatorium uraufgeführten Posaunenkonzert tritt das Soloinstrument einem kleinen Orchester aus Streichern, sechs Holzbläsern und zwei Hörnern gegenüber. Ein aus ruhigen und spannungsvollen Abschnitten bestehendes Stück, das im finalen Allegro Moderato vor Spiel- und Lebensfreude förmlich überquillt.
Sämtliche Einspielungen sind nicht nur klanglich tadellos, sondern werden in lebendigen Interpretationen durch die Solisten Massimo Palumbo (Klavier), Dmitry Yablonsky (Cello), Luisa Prandina (Harfe), Paolo Carlini (Fagott), Guido Corti (Horn) und Andrea Conti (Posaune) zu Gehör gebracht. In allen Fällen begleiten die I Virtuosi Italiani (ein 1988 gegründetes, mittlerweile international sehr renommiertes Kammerorchester) mehr als nur angemessen unter den Dirigenten Marzio Conti, Marco Boni und Daniel Boico.
Rotas „seriöse“ Werke sind insgesamt sicherlich eher unerwartet vertraut anmutende Begegnungen mit Werken des 20. Jahrhunderts. Eine Musik, die es dem Hörer leicht macht, die ihn jedoch keineswegs durch allein hübsche Oberflächlichkeit im Ausdruck langweilt, im Gegenteil: Nicht zuletzt die melodische Intensität dieser Kompositionen dürfte bei vielen Hörern dazu führen, dass ein Wiederhören besonders gern und bald erfolgt. Und der Filmmusikfreund findet dazu des Öfteren Passagen, die einen merklich cineastischen Touch besitzen.
Lesen Sie hierzu auch „Kleine Klassikwanderung 11: Nino Rota, Teil 2“.
© aller Logos und Abbildungen bei den Rechteinhabern (All pictures, trademarks and logos are protected.)
Mehrteilige Rezension:
Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu: