Richard Brooks‘ Erstlingswestern: Die letzte Jagd (1956)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
5. März 2025
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Kommentar zum Film: The last Hunt ∗ Die letzte Jagd (1956)

Der aus Philadelphia stammende Richard Brooks (1912—1992) zählt zu den klassischen Vertretern des so genannten Autorenkinos, da er in den von ihm betreuten Filmproduktionen stets auch entscheidend am Drehbuch beteiligt war, dieses entweder selbst oder zumindest als Co-Autor mit verfasst hat. Zu seinen besonders bekannt gewordenen Filmen zählt der bestechende Kriminalthriller In Cold Blood ∗ Kaltblütig (1967), nach Truman Capotes berühmtem Roman. Darin wird ein historischer Kriminalfall aus dem Jahr 1959 im Schwarz-Weißen Dokustil sorgfältig seziert, analysiert und zusammen mit seiner Vorgeschichte eindrucksvoll in Szene gesetzt. Diese keineswegs reißerische, sondern vielmehr eher nüchtern und betont sachlich inszenierte analytische Fallstudie eines brutalen Gewaltverbrechens, lässt dank ihrer Authentizität auch heutige Zuschauer nicht kalt und ist daher immer noch sehr sehenswert. Die letzte Jagd ∗ The last Hunt (1956) ist sein ebenfalls eindrucksvoller Erstlingswestern, der sich wiederum durch recht realitätsnahe Milieuschilderung auszeichnet. Neben diesem realisierte Richard Brooks in den beiden nachfolgenden Dekaden noch zwei weitere, ebenfalls sehr beachtliche Spät-Western: The Professionals ∗ Die gefürchteten Vier (1966) und Bite The Bullet ∗ 700 Meilen westwärts (1975).

Die Geschichte von Die letzte Jagd spielt in den frühen 1880er Jahren, als die Ära des Wilden Westens selbst bereits auf ihr Ende zugeht – 1890: Massaker von Wounded Knee. MGM-Star Robert Taylor (1911–1969) verkörpert dieses Mal absolut nicht den ansonsten gewohnten smarten Beau und Gentleman. Mit dem Ex-Armeeangehörigen Charlie Gilson spielt er vielmehr einen äußerst unangenehmen Charakter, der psychopathische Züge aufweist. Gilson wirbt den des Büffelschießens eher müden Büffeljäger Sandy McKenzie (Stewart Granger) als Führer für eine Bison-Jagd an. Zusammen mit McKenzies Unterstützern, dem alten, invaliden Weggefährten mit dem Holzbein, „Woodfoot“ (Lloyd Nolan) und dem jungen Halbblut Jimmy O’Brien (Russ Tamblyn) geht es durch das südliche Dakota-Territorium, wo die Büffel seit den 1860er Jahren massenweise abgeschlachtet worden sind. Russ Tamblyn, der seine Rolle ansprechend sensibel verkörpert, dürfte vielen auch aus West Side Story (1961) in der Rolle von Riff, dem Anführer der „Jets“ geläufig sein.

Der Streifzug der kleinen Jagdgesellschaft gerät schon bald zum Psycho- und Horrortrip, denn Gilson entpuppt sich als unberechenbar jähzornig, gewaltbereit und zugleich rassistisch. „Jeder Büffel weniger bedeutet einen Indianer weniger“ markiert Gilsons zynische Einstellung gegenüber der indigenen Urbevölkerung und damit ähnelt er Ethan Edwards (John Wane) in John Fords berühmten The Searchers ∗  Der schwarze Falke aus demselben Jahr. So erschießt Gilson hocherfreut auch einen besonders wertvollen, seltenen weißen Büffel, welcher den Indianern als heilig gilt.

Er wird aber nicht bloß für die Bisons und der Gruppe begegnende Indianer, sondern schließlich auch für seine Gefährten zur tödlichen Bedrohung. Von einer kleinen indigenen Gruppe, die ein Pferd nebst Muli zu stehlen versucht, lässt Gilson nur ein Indianermädchen (Debra Paget) am Leben, das auch noch einen kleinen Jungen mit sich führt. Auch wenn es im Film nur dezent angedeutet wird, Gilson hat der jungen Frau gegenüber eindeutig sexuelle Interessen und betrachtet diese als seine Beute. Komplett entgegengesetzt aufgestellt ist dagegen Sandy McKenzie, der bei den Indianern aufgewachsen ist. Dieser bemüht sich ehrlich um die Indianerin mit dem Kind und nimmt diese, ohne Gilson zu fragen, mit als er zur Stadt aufbricht, um einen Teil der Jagdbeute zu verkaufen. Der empörte Gilson will daraufhin McKenzie verfolgen und erschießt den alten Woodfoot, der sich ihm in den Weg stellt. Er belagert schließlich McKenzie, der sich mit Jimmy und dem Indianermädchen in eine Berghöhle zurückgezogen hat. Es gelingt McKenzie, Jimmy aus der Schusslinie zu bringen, indem er Gilson überredet, diesen mit ein paar zuvor von der Armee für die hungernden Indianer übernommenen Rinder in Richtung Reservat abziehen zu lassen. Die Nacht kündigt sich an, und Gilson will sich erst am nächsten Morgen bei Tageslicht mit McKenzie duellieren. Obwohl er sich in einem frisch zur Strecke gebrachten Bisonkörper einhüllt, übersteht er die eiskalte Winternacht nicht und wird nach Tagesanbruch von McKenzie nur noch tot und steif gefroren aufgefunden.

Der völlig zu Recht als „rau und realistisch“ gelobte Spätwestern wird durch seinen äußerst nüchternen, fast schon brutal-ehrlichen Blick auf den ausgehenden „Wilden Westen“ ausgezeichnet. Es ist hier bereits der eher sachliche Look dieses nicht mit den gewohnten geschönten vielfältig bunten Bildtableaus, sondern neben einigen prächtigen Naturbildern mit eher nüchternen herbst- und winterlichen Stimmungen aufwartenden Filmdramas, etwas das hervorsticht. Abseits der das Westerngenre jener Zeit ansonsten schon noch dominierenden, eher idealisierenden und romantisierenden Stereotypen wirkt das Gezeigte weitgehend realistisch, ehrlich und überzeugend. Der Film erzählt seine insgesamt schonungslos-krasse Geschichte in prägnanten Dialogen und machtvollen CinemaScope-Bildern, die auch heutzutage noch Eindruck hinterlassen. Obwohl das im Film gezeigte Abschießen der Büffel rein dokumentarisch ist, da diese Tötungen durch staatliche Jäger im Custer-Staatspark und Badlands-Nationalpark Süd-Datos  vorgenommen worden sind, wirken diese damals wie heute noch auf so manchen Zuschauer verstörend, und sind in der Darstellung ihrer Zeit um einiges voraus.

Wobei direkt zu Beginn der nurmehr schäbige und von Schmutz und Matsch bestimmte Look der kleinen Westernstadt etwas ist, das bereits gelungen auf die nachfolgende Handlung einstimmt. Für seine Zeit ist Brooksʼ Film geradezu schonungslos ehrlich in dem, wie er hier den Westen und damit zugleich den Western entromantisiert und dabei auch die rücksichtslos erfolgte Nahezu-Ausrottung der nordamerikanischen Bisons anprangert. Die zum Teil massenhaft in der Gegend herumliegenden Knochen erlegter Bisons lassen den Zuschauer denn auch dezent frösteln. Darüber hinaus wird aber auch die weitgehend trostlos-desolate Situation der in Reservaten untergebrachten überlebenden Reste des Genozids an den indigenen Ureinwohnern angerissen. Wenn der Indianeragent auf die Stille hinweist, da man zuvor mangels Nachschub an Lebensmitteln sämtliche Hunde hat töten müssen, um nicht zu verhungern, bildet das schon einen schonungslos eindringlichen Moment.  Dazu setzt bereits eine frühe Szene den entsprechenden Tonfall, in der Jimmy im besagten schäbigen Westernnest einem von rüden Weißen gequälten alten Indianer zu trinken gibt und von denen dafür prompt verprügelt wird.

Auch wenn die Grenzen zwischen Gut und Böse hier noch eher klassisch scharf gezogen sind ragt der Film aus der Masse des Genreüblichen in besonderem Maße heraus. Das gilt obwohl McKenzies Bemühungen um die hungernden Indianer der ansonsten drastischen Handlung schließlich noch einen Hauch Trost verleiht. Dies sollte von heutigen Betrachtern nicht als der für das Kino der 50er-Jahre typische Hauch finalen Balsams über- und damit fehlinterpretiert werden.

Die zu den Bildern gehörende, ebenfalls sehr beachtliche Filmmusik von Daniele Amfitheatrof findet der Interessierte sogar komplett (rund 38 Minuten Score nebst rund 12 Minuten alternate Cues) und dazu in besonders frisch klingendem Stereosound im 3er-CD-Box-Set von FSM „The Naked Spur: Classic Western Scores From M-G-M“, erschienen im Jahr 2008.

Last but not least: Die letzte Jagd ist nicht der erste stärker realitätsbezogene Western jener Zeit. Neben der berühmten Delmer Davis Verfilmung Broken Arrow ∗ Der gebrochene Pfeil (1950) ist dazu der heutzutage immer noch in besonderem Maße vernachlässigte Devils’s Doorway ∗ Fluch des Blutes (1950) von Regisseur Anthony Mann in ganz besonderem Maße erwähnenswert. In diesem Erstlingswestern Manns muss der aus dem US-Bürgerkrieg heimgekehrte Sergeant Major Lance Poole (wiederum Robert Taylor), ein Indianer vom Stamm der Shoshonen, ausgezeichnet mit der Congressional Medal of Honor, bitter feststellen, dass ihm die Verdienste nichts nutzen, da er als Indigener vor dem Gesetz schlichtweg Mensch zweiter Klasse ist. Beim Versuch, die von korrupten Weißen betriebene Vertreibung von Grund und Boden zu verhindern, kommt er schließlich in der finalen Konfrontation mit der Kavallerie tragisch um. Wenn der Unions-Offizier vor dem sterbenden Poole salutiert, ist Fluch des Blutes mit diesem bitter ironischen Schluss sogar noch deutlich kompromissloser, düsterer und pessimistischer als Die letzte Jagd. Beide für das Publikum keinesfalls problemlose Unterhaltung liefernden unbequemen Streifen lieferten an der Kinokasse auch nur sehr bescheidene bis desaströse Einspielergebnisse. Broken Arrow bietet im Vergleich dem Zuschauer insgesamt schon eindeutig mehr an positiven Identifikationsmöglichkeiten. Beide, Die letzte Jagd  und der besonders rare, selten gezeigte Fluch des Blutes, zählen zu den Western, für die selbst heutzutage immer noch gilt, dass sie erst noch entdeckt werden müssen.

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