Radetzkymarsch (Corti)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
24. Dezember 2008
Abgelegt unter:
DVD

Film

(5/6)

Bild

(4.5/6)

Ton

(4.5/6)

Der Roman „Radetzkymarsch“ erschien 1932 und gilt als das Hauptwerk des österreichischen Journalisten und Schriftstellers (Moses) Joseph Roth. Am Schicksal der Familie Trotta, erzählt über drei Generationen, werden Agonie und Niedergang der k. u. k. Monarchie atmosphärisch eindrucksvoll illustriert. Im Mittelpunkt steht der jüngste Spross der Familie, Carl Joseph. Sein Großvater rettete dem Kaiser einst als junger Leutnant in der Schlacht von Solferino (1858) das Leben und damit begann der Aufstieg der Familie. Aus eher ärmlichen slowenischen Bauern aus Sipolje wurden so die in den Adelsstand erhobenen „von Trotta“. Die Geschichte um die Rettung des Kaisers und den „Helden von Solferino“ ist zur Verklärung geeignet und findet somit ihren Weg in die Schulbücher.

Der junge Baron von Trotta, Carl Joseph, soll auf Wunsch seines Vaters, des mährischen Bezirkshauptmanns Franz Freiherr von Trotta und Sipolje, die militärische Karriere der Familie weiterführen. Ihm selbst blieb dieses nämlich vom (Groß-)Vater, dem „Helden von Solferino“, untersagt. Das strenge väterliche Ethos aus Loyalität und unbedingter Pflichterfüllung lastet schwer auf Carl Joseph, der zum Soldatenberuf überhaupt nicht taugt. Erst spät gesteht er sich und seinem eher verständnislosen Vater diese Tatsache ein und verlässt die Armee. Bereits kurz danach bricht der 1. Weltkrieg aus. Carl Joseph wird eingezogen. Schon bald darauf kommt der Enkel des Helden von Solferino unter völlig unspektakulären Umständen ums Leben: Beim Versuch, für die ihm anvertraute Kompanie dringend benötigtes Trinkwasser zu beschaffen, wird er das Opfer eines Scharfschützen. Er fällt mit zwei Wassereimern in der Hand, also völlig ungeeignet, um dafür in den Schulbüchern gefeiert zu werden. Im Spätherbst 1916 stirbt Kaiser Franz Joseph I., der so lange seine schützende, wohlwollende Hand über die Geschicke der Familie gehalten hat. Wenig später erlischt auch das Geschlecht der von Trotta.

Was eine derartige Zusammenfassung der (Haupt-)Handlung nicht zeigt, nicht zu zeigen vermag, sind die darin eingestreuten, für die Gesamtwirkung aber letztlich so bedeutungsvollen vielen kleinen Begebenheiten der Erzählung. Aus diesen resultieren nämlich gerade die ausdrucksstarken und stimmungsvollen Momente, die in ihrer Vielschichtigkeit zu Sinnbildern und Synonymen für den Niedergang der alten Ordnung werden. Und das ist es, was den ganz speziellen Reiz dieses Joseph-Roth-Romans ausmacht.

Der 1848 von Johann Strauß Vater komponierte Radetzkymarsch besitzt besondere Bedeutung im wehmütigen, aber auch ironischen Abgesang auf den Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn vor dem 1. Weltkrieg, die Donaumonarchie Kaiser Franz Josephs I. Der berühmte Marsch fungiert in gewissem Sinne als ein musikalisches Leitmotiv im Schicksal des Carl Joseph von Trotta. Er ist zugleich aber auch eine nostalgische Metapher für die „besseren Zeiten“ des habsburgischen Reiches.

Als erster hat sich der österreichische Regisseur und Schauspieler Michael Kehlmann (1927-2005) des Stoffes angenommen und 1965 als Koproduktion zwischen ORF und BR in Form eines schwarzweißen Fernsehzweiteilers (Lauflänge 210 Minuten) aufbereitet, als DVD in der Reihe „Der österreichische Film — Edition der Standard“ erschienen.

Axel Corti (1933-1993) erblickte in Paris das Licht der Welt. Er hatte jedoch kein französisches, dafür väterlicherseits österreichisch-italienisches und mütterlicherseits deutsches Blut in den Adern. Er wirkte in Deutschland wie in Österreich als Regisseur für das Theater, späterhin arbeitete er für das Fernsehen. Bereits 1976 hatte Corti den Großen Österreichischen Staatspreis für Filmkunst erhalten. Die Dreharbeiten zu seiner 1993 in Angriff genommenen TV-Neufassung von Radetzkymarsch (einer deutsch-französisch-österreichischen Koproduktion) konnte er nicht vollenden. Er starb am 29. Dezember desselben Jahres. Sein Kameramann Gernot Roll vollendete die Produktion. Für Radetzkymarsch erhielt Axel Corti posthum den Adolf-Grimme-Preis 1995.

Cortis Radetzkymarsch existiert übrigens in zwei Fassungen: Neben der zweiteiligen Standard-Fassung mit einer Lauflänge von rund 250 Minuten gibt es noch eine Art „Director’s Cut“, in Form einer um ca. 46 Minuten längeren, auf drei Teile erweiterten Lang-Fassung mit insgesamt 296 Minuten. Erfreulicherweise hat es diese, im Fernsehen nur selten gezeigte, Lang-Fassung auf die 3er-DVD-Box der ARD (Reihe „Grosse Geschichten“) geschafft.

Michael Kehlmanns 1965er Version hat Rolf Wilhelm im besten traditionellen Sinne vertont. Sein musikalischer Beitrag ist vom Umfang her allerdings eher klein. Der titelgebende Radetzkymarsch ist hier ausgeprägtes Leitmotiv. Ebenfalls überzeugt Zbigniew Preisners besonders sparsam zum Zuge kommende, recht dezente Musikuntermalung zu den beiden Fassungen Axel Cortis.

Erst kürzlich, im November 2008, war Radetzkymarsch in kurzem zeitlichem Abstand auf 3sat sowohl in Axel Cortis 1994er (Standard-)Fassung als auch Michael Kehlmanns 1965er Version zu sehen. Beide Umsetzungen besitzen ihre Qualitäten und warten jeweils mit einer beachtlichen Besetzung auf. In den Hauptrollen stehen sich im Resultat vergleichbar hochwertig gegenüber: Leopold Rudolf (1965) und Max von Sydow (1994) als Baron von Trotta, Helmuth Lohner (1965) und Tilman Günther (1994) jeweils in der Rolle des Carl Joseph. Sehr überzeugend wirkt in beiden Verfilmungen der gutmütig-senil dargestellte, alte Kaiser Franz Joseph I.: Max Brebeck (1965) und Friedrich W. Bauschulte (1995). Helmuth Lohner ist allerdings für die Rolle des jugendlichen Enkels des Helden von Solferino bereits etwas zu alt.

Michael Kehlmanns Version ist rund 30 Jahre älter als die beiden Fassungen von Axel Corti und das ist zwangsläufig unübersehbar. In den 1960ern waren selbst größere TV-Produktionen gegenüber Kinoverfilmungen noch mit deutlich bescheideneren Budgets ausgestattet. Dabei wirkt die Kehlmann-Version insgesamt keineswegs billig. Im Vergleich mit anderen TV-Produktionen dieser Ära verfügt sie über recht viele Außenaufnahmen und ist sehr solide ausgestattet. Der zeittypische Theater-Touch in der Inszenierung wird primär in den Studioaufnahmen spürbar. Dieser gereicht der Produktion aber letztlich ebensowenig zum Nachteil, wie die anstelle von Farbe sehr kontrastreiche und detailfreudige Schwarzweiß-Fotografie von Kameramann Elio Carniel.

Die beiden Fassungen von Axel Corti sind gegenüber Kehlmanns 1965er Version nicht allein farbig, sondern deutlich üppiger und besonders im Detail erheblich sorgfältiger ausgestattet. (Letzteres ist aber auch zeitbedingt. Auf historische Korrektheit in der Ausstattung besonders zu achten, wurde selbst beim großen Bruder, im Kinofilm, erst Ende der 1980er praktisch Standard.) Aufgenommen wurde übrigens bereits nicht mehr auf Filmmaterial, sondern im qualitativ hochwertigen Sony-Betacam-SP-Standard. Corti hat mit Hilfe des Kameramannes Gernot Roll seinen Radetzkymarsch in besonders opulenten, dabei betont atmosphärischen Bildern eingefangen, die an Stanley Kubricks Barry Lyndon (1975) erinnern.

Wie kürzlich ProSieben zur Neuproduktion von Der Seewolf verlauten ließ, ist das heutige (Action-)Publikum kaum mehr in der Lage, mehr als zwei Filmteile zu verkraften. Wer sich dazu zählen mag, der dürfte es bei beiden Verfilmungen von Radetzkymarsch schwer haben. Bereits die „nur“ dreieinhalbstündige, zweiteilige Version Michael Kehlmanns kann man weder als temporeich, geschweige denn als rasant einstufen, und Axel Cortis Standard-Fassung lässt sich sogar noch deutlich mehr Zeit. Hier sind also diejenigen gefragt, die sich auf eine eher gemächliche Erzählweise einlassen mögen. Sie werden dafür mit einer gewiss nicht langweiligen Detailstudie belohnt und können gerade bei den Corti-Fassungen besonders ausgefeilte, atmosphärisch dichte Bildkompositionen genießen.

Manches findet sich sowohl in der einen wie in der anderen Verfilmung wieder. Oftmals sogar in sehr verwandt inszenierter Form, und das kann interessant einander gegenübergestellt werden. Ein sehr markantes Beispiel dafür ist das Finale des jeweils 1. Teils: Carl Joseph liegt des Nachts in der Kaserne auf seinem Bett. Von draußen hört man die gemeinen Soldaten singen, ein ruthenisches Lied vom Kaiser und der Kaiserin (Sissi). Doch die Kaiserin ist schon lange tot, eine Tatsache, die von den ruthenischen Bauern jedoch ignoriert wird. Diese Feststellung trifft bei Corti der Off-Erzähler und bei Kehlmann Carl Joseph selbst. Beide Szenen sind zwar verwandt, im Resultat sind sie jedoch von merklich unterschiedlicher Wirkung. Bei Corti überwiegt das Nostalgische, während das Kehlmann-Finale betont nüchtern und desillusionierend erscheint.

Ebenso markant sind auch weitere der eindeutigen Differenzen beider Verfilmungen. Schon aufgrund ihrer Länge bieten die Corti-Fassungen (mit 250 und 296 Minuten) natürlich zwangsläufig mehr Material, gehen erheblich stärker ins Detail. Infolge des deutlich höheren Budgets bekommt man hier z. B. ausgefeilte Wien-Szenen zu sehen. Entsprechend ist bei Kehlmann allerdings auch der (überwiegend in Wien angesiedelte) Szenenkomplex um die Affäre Carl Josephs mit der Freundin des Grafen Chojnicki, Valérie von Taussig, derart verknappt, dass Valéries finale Feststellung (in beiden Verfilmungen), sie und Carl Joseph hätten sich geliebt, nicht richtig zu überzeugen vermag. Hier schneidet Corti eindeutig besser ab. Ein Mini-Quäntchen Sex gestattet sich übrigens bereits die 1965er Verfilmung, und die 1994er geht darüber, wenn auch sehr maßvoll, noch ein Stückchen hinaus.

Corti veranschaulicht und betont in seiner Inszenierung aber auch die Errungenschaften der „modernen Technik“, wie das Automobil oder die Elektrizität. Letztere treibt nicht allein die Straßenbahn in Wien an: Strom ist (noch) ein teures Gut, das sich nur Reiche, wie der Graf Chojnicki zur Beleuchtung seines Herrensitzes, leisten können. In den Kasernen ist dieses Privileg ausschließlich den Offizieren vorbehalten. Daraus gestaltete Corti verschiedene eindrucksvolle, atmosphärisch dichte Momente.

Manches ist bei Corti freilich bewusst überzeichnet und überstilisiert. Dabei begegnet der Regisseur eben auch gelungen dem Mystifikator Roth, der laut Géza von Cziffra einmal gesagt hat: „Es kommt nicht auf die Wirklichkeit an, sondern auf die innere Wahrheit.“

Aber auch die Kehlmann-Version vermag zu punkten: Diese ist beispielsweise im 1.-Weltkrieg-Szenenkomplex überzeugender, da Carl Joseph hier über die eher desaströse Lage reflektiert, geprägt von den großen Rückzügen der österreichischen Armee inklusive Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung, in Form willkürlicher Erschießungen angeblicher Verräter. Corti ist hier zwar visuell aufwändiger, seine Umsetzung tendiert in diesem Punkt jedoch ein wenig zum unverbindlichen, austauschbaren Bilderbogen. Der Tod Carl Josephs wiederum ist in beiden Verfilmungen vergleichbar überzeugend in Szene gesetzt. Und ähnlich fällt die symbolträchtige Reaktion der Gesellschaft des Sommerballs beim Grafen Chojnicki auf die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers in Sarajewo aus: Der Chopin’sche Trauermarsch der Ballgesellschaft wird mit Wiener-Walzer-Elementen durchsetzt und geht schließlich über in einen temperamentvollen slawischen Tanz.

Einige Szenen der deutlich kürzeren Kehlmann-Version kommen dafür selbst in der Lang-Fassung Cortis überhaupt nicht vor: z. B. das Sterben des Kaisers Franz Joseph. In beiden Verfilmungen gibt es dazu eine Szene im Park des Schönbrunner Schlosses mit Schaulustigen, wobei Corti nur mittels eines erleuchteten Fensters auf den Ort des Geschehens verweist. Kehlmann hingegen gestattet zusätzlich einen Blick ins Sterbezimmer: Man sieht den Kaiser im Bett liegen und erfährt via Off-Erzähler seine letzten, den endgültigen Untergang der k. u. k. Monarchie vorwegnehmenden Gedanken. Beide Verfilmungen betrachten das Ereignis also partiell aus deutlich anderer Perspektive.

Die gegenüber der Standard-Fassung zusätzlichen rund 45 Minuten der Corti-Lang-Fassung bestehen fast durchweg aus wertvollen Zusätzen und Einschüben. Nur hier gibt’s beispielsweise den Bezirkshauptmann zu Kriegsbeginn zusammen mit einem alten Bekannten, einem jüdischen Arzt, beim Kinobesuch (moderne Technik, s. o.) zu sehen. Besonders bemerkenswert ist das anschließende Gespräch, wo der Doktor auf bestechende Art und Weise sehr nüchtern Bilanz über den maroden Zustand der Völkergemeinschaft unter österreichischer Herrschaft zieht und außerdem das jüdische Element betont, indem er feststellt, dass die Juden die drohende Gefahr als Erste spüren.

Insgesamt ist damit gerade die dreiteilige Lang-Fassung atmosphärisch noch deutlich reichhaltiger als die zweiteilige Standard-Fassung. Der jeweils erste Teil beider Fassungen Cortis ist übrigens praktisch identisch. Corti betont darin das Wehmütig-Nostalgische des Roth-Romans. Anschließend tritt nach und nach (besonders ausgeprägt im auf drei Teile erweiterten Quasi-„Director’s-Cut“) das Morbide immer deutlicher und beunruhigender hervor. Der Off-Erzähler Udo Samel sorgt zwischendurch allerdings immer wieder gelungen für ein Quäntchen aufscheinender Ironie. Für den Interessierten ist also die 3er-DVD-Ausgabe von ARD-Video eine besondere Bereicherung.

In der Präsentation sind beide Verfilmungen von Radetzkymarsch tadellos. Die Kehlmann-Version kommt abgesehen von einigen kleineren Störungen (Laufstreifen), in sehr sauberen, kontrastreichen und detailfreudigen Schwarzweiß-Bildern daher. Der Ton ist klares Mono. Standard- und Lang-Fassung Axel Cortis überzeugen fast durchweg mit detailliert durchzeichnetem, scharfem Bild und warten da, wo geboten, auch mit satten Farbkompositionen auf. Der Ton ist in einem durchaus beachtlichen Dolby-Surround-Mix vorhanden. Dabei geht’s zwangsläufig nicht um betont druckvolle Effekte, vielmehr steht stimmungsvolle (Raum-)Atmosphäre auf dem Programm.

Fazit: Ein klassischer Roman des Fin de Siècle in zwei vergleichbar hochwertigen TV-Verfilmungen: Das ist Joseph Roths „Radetzkymarsch“, inszeniert von Michael Kehlmann (1965) und Axel Corti (1994). Infolge des günstigen Preises sollte, wer auf den Geschmack kommt, sich letztlich unbedingt beide Verfilmungen gönnen.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2008.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Corti, Axel

Erschienen:
2008
Vertrieb:
ARD Video
Kennung:
GG 1 (3 DVDs)
Zusatzinformationen:
A, D 1994

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