Vor einigen Wochen überraschte das Intrada-Label die Filmmusikinteressierten mit der Nachricht, ein weiteres der Hollywood-Studios „geknackt“ zu haben, die sich bislang einer kommerziellen Auswertung ihres Musikarchivs verweigerten. Dass es sich dabei um die Disney-Studios handelt, ist mittlerweile eindeutig. Und prompt hat Intrada jetzt eine ganz besonders reizende Perle zutage gefördert: Die Jerry-Goldsmith-Komposition zu One Little Indian • Ein Kamel im wilden Westen (1973).
Regisseur Bernard McEveety verfilmte einen Westernplot, den man wohl am besten als eine Art versöhnliche Antwort auf Arthur Penns schonungslos sarkastischen wie auch ironischen Blick auf den Wilden Westen in Little Big Man (1970) beschreiben kann. Insgesamt handelt es sich bei diesem wenig geläufigen Streifen um einen Disney-typischen (Real-)Familienfilm, versehen mit einer Prise Humor und natürlich auch Gefühl.
Die Ära des Kinowesterns war damals allerdings längst zu Ende und daher ist das Wüstenschiff, welches sich in den Wilden Westen verirrte, selbst in den USA fix im Präriesand versunken und mit ihm auch die Filmmusik. Entsprechend fiel seinerzeit eine LP-Veröffentlichung direkt unter den Tisch. Das Licht der hiesigen Kinoleinwände hat One Little Indian anschließend überhaupt nicht mehr erblickt. Vielmehr ist der Film erst im August 1988 in der ARD uraufgeführt worden. Der deutsche TV-Titel (über-)betont dabei allerdings die eher begrenzten komödiantischen Aspekte der Filmhandlung.
Wie der letztlich wenig treffsichere deutsche TV-Titel verrät, sind nicht nur die westerntypischen Pferde, sondern auch ein Kamel vertreten. Es geht allerdings nicht nur um eines, sondern vielmehr um zwei Exemplare der Gattung Wüstenschiff, nämlich um Rosie und ihr Fohlen Thirsty. Die beiden entstammen einem wenig bekannten Experiment der US-Armee, dem Mitte der 1850er ins Leben gerufenen „U.S. Camel Corps“. Das Drehbuch geht damit besonders frei um. Es verlegt diese bereits zu Beginn des US-Bürgerkriegs praktisch in Vergessenheit geratene Episode der U.S.-Militärgeschichte locker in die Zukunft, platziert sie etwa in die Mitte der 1870er Jahre.
Welch eine reizende Ausgrabung präsentiert uns Intrada nun mit dem kompletten Score in Top-Tonqualität. Sicher bewegt sich der Komponist in bekanntem Fahrwasser, hat hier im vertrauten Goldsmith-Western-Idiom vertont. Aber die erkennbaren Ähnlichkeiten zu Vorläufern wie Rio Conchos (1964) Hour of the Gun (1967), 100 Rifles (1968), Bandolero! (1968) oder Wild Rovers (1971) fallen keineswegs im Sinne von Selbstplagiat oder sonst wie störend auf. Nein, vielmehr ist auch One Little Indian musikalisch ähnlich pfiffig und zugleich inspiriert gestaltet. Neben dem sehr eingängigen Hauptthema, mit dem Goldsmith wie gewohnt virtuos arbeitet, zeigt er erneut, wie effektvoll er mit dem Orchester umzugehen versteht. Man achte dabei z. B. auf die originellen Einsätze von Akkordeon und Bassakkordeon. Im Tonfall ist der Score übrigens ein Bindeglied zum wenig später entstandenen Take a Hard Ride (1975).
Kamele riechen nicht nur mitunter streng, sie spucken auch gern mal, wenn ihnen etwas nicht passt. Auch sonst sind sie erheblich eigenwilliger und aggressiver als Pferde, mit denen sie sich darüber hinaus nicht besonders gut vertragen. Diese Eigenschaften machten die exotischen Tiere bei den Soldaten wenig beliebt. Und so scheiterte dieses Experiment der U.S.-Army letztlich, obwohl die Wüstenschiffe bei drastisch eingeschränkter Versorgung mit Futter und Trinkwasser erheblich größeres Durchhaltevermögen bewiesen als ihre Konkurrenten ohne Höcker.
In One Little Indian sorgen die Eskapaden der Kamele für verschiedene humorige Situationen, was auch die Komposition sehr drollig widerspiegelt. Goldsmith ordnet den höckrigen Gästen der Filmhandlung witzigerweise die indische Sitar zu — denkt die Masse der Kinofreunde bei Kamel doch wohl zuerst an Lawrence von Arabien oder Khartoum. In „Camel Trouble“ erhält die Musik auch arabisierendes Flair und geht im tonmalerischen Effekt sogar bis zur augenzwinkernden, überaus originellen Hommage an den Vater der Tonfilmmusik: Max Steiner. Entsprechend folgen die Klänge im klassischen, aber auch im modernen Sinne exakt dem Bild: Sie machen das Wiegende der Wüstenschiffe spürbar und lassen Rosies Fohlen noch dazu spöttisch aufschreien. Spätestens hier dürfte so manchem Hörer exakt das Lächeln übers Gesicht huschen, auf das Autor Bruce Botnick im informativen Begleithefttext anspielt.
Disney hat die im Original auf 35-mm-Magnettonfilm analog aufgenommenen Musikeinspielungen auf konventionelles Bandmaterial unter Einsatz des damals „state of the art“ darstellenden Rauschverminderungsverfahrens Dolby-A überspielt. Diese Kopie „nur“ zweiter Generation diente als Ausgangsmaterial für die Intrada-Edition. Der klare und räumliche, aber sehr trockene Klang der Vorlage ist einem „Remastering“ unterzogen und durch eine wohldosierte Portion Hall behutsam aufgepeppt worden. Das vorzügliche Gesamtergebnis belegt zugleich den hohen Standard der Anfang der 1970er in ihrem Zenit stehenden High-Tech-Analogtechnik.
Fazit: One Little Indian ist als Film wenig geläufig. Das macht die jetzt erstmalig zugängliche Goldsmith-Filmmusik zur echten Entdeckung. Der Käufer erhält ein tadelloses, auch heutzutage noch sehr frisch erscheinendes Filmmusikalbum ohne Durchhänger. Wertungstechnisch reiht sich der Score ohne wirklich signifikante Unterschiede in die Reihe der oben genannten vorzüglichen Goldsmith-Westernkompositionen ein. Einmal mehr belegt also diese Ausgrabung, dass in den Archiven der Studios noch so manch feine musikalische Überraschung schlummert. Der einzige Wermutstropfen ist, dass sich auch dieser Intrada-Titel als äußerst kurzlebig erwiesen hat und — zumindest bei den US-Hauptanbietern — bereits knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung ausverkauft war.
Dieser Artikel ist Teil unseres kleinen Spezialprogramms zu Pfingsten 2009.
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