Metropolis

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
11. Juni 2011
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

„Also sprach Lang: Lasset uns einen Turm der Technik bauen, dessen Spitze bis an die Sterne reiche, an die Spitze aber wollen wir setzen: Groß ist der Film und sein (Trickspezialist) Schüfftan; und groß sind die Menschen, die ihn gebaut und gedreht haben!“ So stand es zu lesen in der „Licht-Bild-Bühne“ anlässlich der Metropolis-Premiere im Januar 1927. Da scheinen der Mythos und die Legenden fast schon vorprogrammiert, welche sich im Verlauf der äußerst komplexen Geschichte dieses maßlos ehrgeizigen Filmwerks über die vergangenen 84 Jahre gebildet haben, das Teil des Konkurrenzkampfes der Ufa mit Hollywood war.

Bereits kurz nach der enttäuschenden Berliner Uraufführung wurde Metropolis nicht nur um rund ein Viertel gekürzt, sondern zusätzlich durch drastische Eingriffe bei der Montage erheblich verändert. Doch auch das half nichts. Der Film wurde auch international ein Misserfolg und verschwand rasch wieder von den Leinwänden. Weltweit existieren in Archiven eine Vielzahl von sowohl in der Länge als auch in Teilen der Bildmontage unterschiedlichen, dabei sämtlich unvollständigen Fassungen. Nach dem Krieg brachte die Murnau-Stiftung 1962 Metropolis hierzulande wieder heraus, beruhend auf einer vom MoMA (Museum of Modern Art) in den 1930er Jahren erworbenen, damit zwangsläufig ebenfalls gekürzten deutschen Verleihkopie.

Aus dem Staatlichen Filmarchiv der DDR stammte der erste Versuch einer Rekonstruktion, erarbeitet zwischen 1968 und 1972. Diese Fassung ist seinerzeit auch verschiedentlich im deutschen Fernsehen gezeigt worden. Ende der 1960er kam es zudem in Mode, Stummfilme auch auf internationalen Filmfestivals zu zeigen. Dort müssen Nachwuchsregisseure wie George Lucas (Star Wars) und Ridley Scott (Blade Runner) Metropolis gesehen haben und von seiner in Teilen extravaganten Optik begeistert und eindeutig inspiriert worden sein. Und erst damit begann der entscheidende Aufstieg dieses Filmwerkes zu dem Klassiker, als der es uns heute fortlaufend präsentiert wird. Zementiert wurde dieser in Teilen fragwürdig überhöhte Status nicht zuletzt durch die poppige und sehr freizügig neu montierte (also nicht rekonstruierte!) Version Giorgio Moroders aus dem Jahr 1984. Metropolis erreichte damit erstmalig ein auch jugendliches Massenpublikum und beeinflusste nachhaltig die Ästhetik von Videoclips.

Die nächste Restauration erfolgte dann Ende der 1990er Jahre und führte mit der 2001er Version gegenüber dem zuvor Verfügbaren in erster Linie zu eindeutigen technischen Verbesserungen. Das heißt, da überwiegend Negativmaterial eingesetzt wurde, konnte die Bildqualität fast durchweg erheblich verbessert werden. Zusätzliches neu aufgefundenes Szenenmaterial konnte jedoch nicht eingefügt werden.

Der spektakuläre Kopienfund 2008 in Buenos Aires änderte die Situation grundlegend — siehe dazu auch „Fritz Langs Metropolis (ARTE Edition)“. Die daraus hervorgegangene, aufwändig restaurierte, nun erstmals wieder annähernd der Uraufführungsversion von 1927 entsprechende Fassung (es fehlen allerdings noch rund 10 Minuten) des Stummfilmklassikers ist seit dem 12. Mai 2011 nun auch in den Kinos zu sehen.

Zwar ist Metropolis bereits 1987, dank der Arbeiten des Dirigenten Berndt Heller, erstmalig wieder mit der Originalmusik von Gottfried Huppertz aufgeführt worden. Das bereits 1996 in der RCA-Reihe „100 Jahre Filmmusik“ geplante Metropolis-Album, eingespielt unter Berndt Hellers Leitung mit den Brandenburger Philharmonikern, hat allerdings nie das Licht des Marktes erblickt.

Der Kölner Gottfried Huppertz (1887-1937), Operettensänger und Komponist, hatte bereits durch seine freundschaftliche Verbindung mit Thea von Harbou und Fritz Lang 1924 das zweiteilige Opus Die Nibelungen bemerkenswert vertont. Die Komposition zu Metropolis wurde zwar sein größter Erfolg, aber erstaunlicherweise hat Huppertz nur insgesamt neunmal für das Kino komponiert.

Interessanterweise arbeitete der Komponist unter praktisch idealen Bedingungen. Huppertz komponierte bereits während der Dreharbeiten einen Großteil seiner Musik und nicht, wie meist üblich, erst nach Beendigung des Schnitts. Das oftmalige Fehlen eines derart engen Zusammenwirkens von Regisseur und Komponist beklagten übrigens auch die Komponistenkollegen der nachfolgenden Tonfilmära. Bei Metropolis führte die optimale Situation zu einem auch späterhin (in der Tonfilmära) längst nicht selbstverständlichen, sondern eher selten erreichten Grad in der Verbindung zwischen Film und Musik. Huppertz’ handschriftliche Eintragungen im Drehbuch belegen, wie exakt auf die jeweilige Szene und die jeweilige Einstellung komponiert worden ist. Entsprechend enthält die Originalpartitur eine Fülle von (über 1000!) exakt platzierten Synchronisationsangaben, die (übrigens schon seit den 1980ern) eine wichtige, im Rahmen der aktuellen Rekonstruktion sogar die entscheidende Unterstützung für die Restauratoren bildeten. Ohne fortwährenden Vergleich der vollständigen, mit Hilfe von Samples erzeugten Musikfassung mit den Bildern wäre nämlich eine derart sorgfältige Rekonstruktion der komplexen Feinmontagen in Langs Opus unmöglich gewesen. Nur so konnten auch einige Montagefehler in der 2001er Rekonstruktion erkannt und korrigiert werden.

Um überhaupt derart ins Detail gehend mit der Musik zu arbeiten und zu experimentieren, konnten die zweifellos verdienstvollen Orchesterfassungen Berndt Hellers nicht einfach verwendet werden, da diese natürlich ebenfalls auf eine der früheren Rekonstruktionen angepasst sind. Es war daher erforderlich, nochmals auf das handschriftlich überlieferte Original-Notenmaterial zurückzugehen und eine sowohl vollständige als auch von sämtlichen Eingriffen befreite „Urtext-Ausgabe“ des Materials zu erstellen. Diese Arbeiten erfolgten von Seiten der Europäischen Filmphilharmonie unter der Leitung des Dirigenten Frank Strobel und führten so letztlich zu zwei Partitur-Ausgaben. Neben der besagten „Urtext-Ausgabe“ ist nun auch noch eine wiederum speziell auf die aktuelle Metropolis-Version eingerichtete Fassung zugänglich: die „Kritisch-Editorische Aufführungsausgabe“.

Frank Strobel hat nun für das vorliegende Capriccio-Album aus der kompletten Filmmusik einen Extrakt in Form einer sinfonischen Dichtung zusammengestellt, welche sämtliches wichtige Musikmaterial enthält und zugleich den Film nacherzählt. Wie wohl praktisch sämtliche Stummfilme ist auch Metropolis zwangsläufig durchgehend mit Musik unterlegt und da liegt abseits des Gesamterlebnisses Kinofilm oftmals auch die Crux: Gerade beim Wall-to-Wall-Underscoring ist (wie auch beim Tonfilm) praktisch nie die gesamte Musik vom Filmbild gelöst, also im Sinne eines reinen Höralbums, funktional. Durch zu viele Wiederholungen oder Musikteile, die ohne Bild kein Eigenleben besitzen, wird der Hörfluss gestört. Das Gesamtergebnis wirkt entsprechend redundant und ermüdend. Strobels Zusammenstellung beschränkt sich auf rund 50 Prozent der Gesamtmusik, was ein sehr gut fließendes, abwechslungsreiches und daher überzeugendes Höralbum ergibt.

Eine Parallele liefert die Musik von Dmitri Schostakowitsch zu Das Neue Babylon (1926). Auch hier ist die vollständige Einspielung in erster Linie ein interessantes Studienobjekt. Als reines Höralbum funktioniert die von Gennadi Roschdestwenski 1975 eingerichtete, rund 45-minütige Suitenfassung (erhältlich auf Chandos) eindeutig besser, liefert ein abwechslungsreiches und damit sehr lebendiges Musikerlebnis ohne Durchhänger. Und das gilt eben auch entsprechend für Frank Strobels Metropolis-Album. Für die meisten Besucher des Films dürfte dieser beim Hören des vielschichtigen, auch dank erstklassiger Aufnahmetechnik klangprächtigen Albums wieder lebendig werden, indem zur Musik in weiten Teilen prompt Bildeindrücke aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Huppertz’ Musik zu Metropolis ist zwar kein Meisterwerk, aber zweifellos eine sehr beachtliche, mit beträchtlichem Gespür für Bild-/Musikdramaturgie sehr talentiert ausgeführte, effektvolle Filmkomposition. Und das zu einer Zeit, als Originalkompositionen für den (Stumm-)Film keineswegs selbstverständlich, sondern vielmehr eine Ausnahme waren. Die Musikbegleitungen erfolgten in der Regel landauf wie landab völlig unabhängig voneinander. Das gilt nicht nur für unterschiedlichste, vom Piano bzw. der Kinoorgel bis zum Orchester reichende Besetzungen, sondern auch für die meist „nur“ mehr oder weniger geschickt aus Standardmaterialsammlungen, z. B. aus Guiseppe Becces berühmter Kinobibliothek (Kinothek), beliebig kompilierte Musikbegleitung.

Peter Moormann vermutet in seinem kurzen Essay zum Komponisten im Begleitheft der CD, die Metropolis-Musik von Huppertz dürfte berühmten Tonfilmkomponisten wie Max Steiner (1888–1971), Erich Wolfgang Korngold (1897–1957) und Franz Waxman (1906–1967) als Vorbild gedient haben. Ob und inwieweit der Wiener Korngold und erst Recht der bereits vor dem 1. Weltkrieg in die USA ausgewanderte Max Steiner überhaupt Notiz von Huppertz’ monumentaler Stummfilmsinfonik genommen haben, dazu scheint nichts überliefert. Und ob der junge Waxman (der damals noch Wachsmann hieß) bereits rechtzeitig zum Metropolis-Flop in Berlin war, erscheint mir ebenso eher unwahrscheinlich. Die Feststellung merklicher Nähe zur Hollywooder Kinosinfonik des so genannten Golden Age drängt sich aber in jedem Fall auf. Diese erklärt sich m. E. in erster Linie durch die sehr ähnlich gelagerte europäische bzw. europäisch geprägte Ausbildung, welche jene Komponisten genossen haben, deren Stil insbesondere die ersten zwei Dekaden der Tonfilmmusik Hollywoods so unverwechselbar geprägt hat. Dazu zählen entsprechend eben auch „waschechte“ Amerikaner wie Alfred Newman (1901–1972).

Die schwelgerische, sinnliche Melodik (z. B. in den Themen für Maria oder den Sinnspruch) und auch die Einbindung musikalischer Formen wie des Walzers („Die Ewigen Gärten“) prägen in sehr ähnlicher Form insbesondere die Filmpartituren Steiners, aber auch die Newmans oder Korngolds, wenn auch gerade bei Letztgenanntem in noch ausgefeilterer, komplexerer Form. Und Franz Waxman? Zumindest einen Hauch seiner, gegenüber der seiner vorstehend genannten Kollegen in der Regel bereits spürbar moderneren, Tonsprache spüre ich am ehesten in der tonmalerischen Schilderung des Feuersturms in „Scheiterhaufen“ — welche der musikalischen Lösung in „Manderley in Flames“ aus Hitchcocks Rebecca (1940) ähnelt. Die in „Das Stadion“ unüberhörbaren, auf den „Till Eulenspiegel“ oder den „Don Juan“ verweisenden Strauss-Anklänge wiederum sind bei allen der Genannten an passenden Stellen in sehr ähnlicher Art und Weise spürbar.

Gerade zur Musik des mit Huppertz fast gleichaltrigen (!) Steiner lassen sich dafür einige besonders deutliche Gemeinsamkeiten feststellen. Das betrifft bereits den klanglich so besonders ausgeprägt wagnerianischen Duktus der Metropolis-Musik und ebenso den in der Regel so betont auf das Bild komponierten, die Handlungsmomente unterstreichenden und damit akustisch verdeutlichenden Vertonungsansatz. Und bereits ein wenig zur Collage tendierende Klangschichtungen wie in „Der Tanz“ finden sich ebenfalls besonders bei einigen Steiner-Kompositionen.

Auf der Cover-Rückseite ist von vollständiger Neuaufnahme der rekonstruierten Originalpartitur die Rede. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Fehlübersetzung aus dem sehr unglücklich formulierten englischsprachigen Hinweis „from the complete new recording of the original score“.

Ernsthafte Zweifel an der lauteren Absicht hinterlässt dagegen der aktuelle Metropolis-Trailer von Warner Brothers, der fälschlich mit „Jetzt in der Urfassung von 1927“ bewirbt. Derartige Marketing-Gags sind so bedauerlich wie ärgerlich. Ziehen sie doch nur eines nach sich: x-fach überflüssige Falschinterpretationen, die kaum wieder vollständig aus dem Bewusstsein eliminiert werden können.

Fazit: Frank Strobels Metropolis-Album ist eine sehr gelungene, runde Sache. Über rund 77 Minuten bekommt der Hörer in Form eines in sich stimmigen Musikflusses ohne Durchhänger alles Wichtige der Filmmusik von Gottfried Huppertz geboten. Beim Anhören der farben- wie abwechslungsreichen und von eingängigen Themen geprägten Filmmusik werden in Teilen wohl auch die zugehörigen Bilder wieder lebendig. Damit erfüllt das Album natürlich optimal das für derartige Produkte Gewünschte: nämlich für den Käufer ein willkommenes Souvenir zum Film zu sein.

Zur CD gibt’s ein dreisprachiges Begleitheft hinzu, dessen solide Texte zum Großteil aus bereits anderweitig zum Thema veröffentlichten Artikeln stammen. Im Sinne einer Albumwertung verdient dieses Capriccio-Produkt volle fünf Sterne.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2011.

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Erschienen:
2011
Gesamtspielzeit:
77:06 Minuten
Sampler:
Capriccio
Kennung:
C5066
Zusatzinformationen:
Rundfunk-SO Berlin, F. Strobel

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