Marco Polo
Die zu Weihnachten und Neujahr 1983/84 in der ARD als Vierteiler und bereits rund ein Jahr zuvor im DDR-Fernsehen in sieben Teilen gezeigte Serie entstand 1982. Synchron zur ARD-Ausstrahlung erschien eine LP im Klappcover mit Ennio Morricones edler Filmmusik. Neben dem darauf exzellent zusammengestellten, in 20 Tracks unterteilten Schnitt besaß die für eine der schwarzen Vinyl-Scheiben außergewöhnlich lange Spielzeit von knapp 56 Minuten geradezu absoluten Seltenheitswert – üblich waren zwischen 30 und 40 Minuten.
Morricones Musik für die Abenteuer des titelgebenden jungen venezianischen Kaufmannssohnes im Reiche des Kublai Khan ist zwar für ein recht groß besetztes Orchester und Chor geschrieben. Trotzdem wirkt die Musik zur epischen Abenteuer-TV-Serie insgesamt eher dezent und ruhig, nur vereinzelt werden alle Kräfte aufgeboten. Über weite Strecken ist die Musik zum TV-Event Marco Polo ein eher subtil-elegischer, von Instrumentalsoli, z. B. neben diversen Holzbläsern von der Violine und der Viola durchsetzter, dabei von einer Reihe schöner Themen getragener romantisch-exotischer Score. Das einprägsame Hauptthema wird zu Beginn von mit Harfe umspielter Solo-Violine vorgetragen und anschließend treten vokalisierender Chor und die Streichersektion des Orchesters hinzu. Diese dem titelgebenden Charakter zugeordnete Melodie durchzieht die Komposition in unzähligen Varianten. Hinzu treten weitere Themen, bei denen die oftmals eingesetzten Blockflöten der Musik ein charmant-archaisierendes Flair verleihen.
Überhaupt nähert sich Morricone dem Mittelalterlichen und auch dem Exotischen des Stoffes kaum im Sinne einer musikhistorisch angelegten Musikarchäologie, vergleichbar der eines Miklós Rózsa. Vielmehr setzt er auf die von ihm gewohnt ungewöhnlichen, mitunter ausgefallenen (eher modernen) klanglichen Lösungen. Ausgefallenere Instrumente werden dabei hier nur partiell verwendet. Eine besonders wichtige Rolle spielen neben aus alter Musik entlehnten Färbungen ungewöhnliche Spielweisen der konventionellen Instrumente. Und hierbei, wie auch bei den Einsätzen des Chors, kommen neben traditionellen, moderne und gelegentlich auch avantgardistische Mittel und Effekte zum Einsatz (CD-2: „Verso La Grande Muraglia“).
Das klanglich Ausgefallene ist hier allerdings nicht derart unmittelbar auffällig wie in mancher Morricone-Westernmusik der 1960er – und natürlich bleiben dieses Mal die oftmals auffälligen Pop-Elemente ausgespart. Dafür tritt ein anderes wichtiges Merkmal, das (zumindest partiell) viele Morricone-Scores sympathisch macht, umso deutlicher hervor: die starke melodische Inspiration. Ebenso bemerkenswert ist aber auch die (hörbare) handwerkliche Souveränität des italienischen Maestros, dem hier eine stärker klassisch geprägte eindrucksvolle TV-Vertonung gelang. Eine, die sich vor ihren Kino-Pendandts keinesfalls verstecken muss und teilweise den historisierend angelegten Vertonungen George Delerues nahe steht.
Schon seinerzeit hinterließ der hervorragende, sehr abwechslungsreiche LP-Schnitt einen erstklassigen Eindruck. Zusammen mit The Mission (1986) zählt Marco Polo zu den Morricone-Highlights der 1980er Jahre. Kurioserweise ist der LP-Schnitt dieser Musik erstmalig während der 90er Jahre (nur in Japan) auf CD erschienen und ist 2003 in den USA nochmals als so genannte Promo-Version erhältlich gewesen. Im September 2004 ist nun endlich bei Intermezzo Media in Italien eine sogar auf knapp 140 Minuten erweiterte Fassung der Musik als Doppel-CD-Album erschienen.
Zur Tonqualität der neuen Edition gibt es im WorldWideWeb verschiedentlich sehr enttäuschte und herb kritische Anmerkungen zu lesen: nicht vollauf zu Recht, wie ich meine. Ganz klar! Die Intermezzo-Edition ist sicher nicht ganz das geworden, was das heutzutage in besonderem Maße klangverwöhnte Sammlerherz begehrt. Zweifellos kann man ihr eine gewisse Lieblosigkeit in der Machart attestieren. Allerdings findet sich in den kritischen Feststellungen zu viel Pauschalierendes. So ist es nicht korrekt, wenn der Eindruck erweckt wird, sämtliche gegenüber dem LP-Schnitt hinzugekommenen Musikstücke klängen gleichermaßen schlecht. Vielmehr schwankt die Qualität (besonders einiger Teile) des neuen Musikmaterials deutlich, andere wiederum liegen allerdings mit den bereits von der LP bekannten Stücken sehr dicht auf. In jedem Fall sind aber insgesamt rund 100 Minuten Musik in solider Tonqualität vorhanden: hier schwankt das Gebotene eher leicht, zwischen Sehr Gut und immerhin einem knappen Gut. Vom Rest kann man mit etwas gutem Willen bis zu 25 Minuten als „noch“ Befriedigend durchgehen lassen. In wirklich enttäuschendem Zustand befinden sich „nur“ etwa 10 bis 15 Minuten Musik. Hier klingt es infolge deutlichen Höhenverlusts der zugehörigen Mastertapes und zum Teil merklichen Pegelunterschieden zwischen den Stereokanälen schon recht bescheiden: mitunter besonders dumpf und mulmig. Und vereinzelt hinzukommende Unsauberkeiten und Verzerrungen sind auch nicht gerade dazu angetan, die Laune des Hörers zu heben. (Nicht sämtliche LP-Tracks sind übrigens 1:1 auf der Doppel-CD zu finden, einige sind anders geschnitten – mit anderem Material kombiniert – worden.)
Ich denke schon, dass man mit Hilfe ausgefeilter Klang-Restaurationstechniken so manche der vorhandenen Mängel hätte reparieren, annähernd ausgleichen oder doch zumindest in Teilen noch Verbesserungen hätte erreichen können. Dass derartige Bemühungen offenbar unterblieben sind – im Booklet findet sich keinerlei Hinweis – ist wie auch das komplette Fehlen erläuternder Texte zu TV-Serie und Musik schon sehr bedauerlich. Darüber hinaus sollte eine derartige auf einen weltweit verstreuten Interessentenkreis abzielende CD-Veröffentlichung heutzutage internationaler aufgemacht sein, Texte und Hinweise neben der Landessprache Italienisch zumindest noch in Englisch enthalten.
Mit diesen klaren Einschränkungen verbleibt unterm Strich nun sicher kein Produkt, das Begeisterungsstürme hervorzurufen vermag. Für den allerdings, der mit einigen Kompromissen leben kann, ist es doch noch eine insgesamt willkommene und auch das Morricone-Repertoire letztlich doch bereichernde Veröffentlichung. Über die rund 137 Albumminuten wird so mancher Hörer allerdings auch einen individuell unterschiedlichen Anteil an Redundanz feststellen. Besonders das Hauptthema begegnet einem doch recht häufig in allzu ähnlichem Klanggewand und kaum variierter Form wieder und einige Tracks wirken ohne das zugehörige Bild in voller Länge etwas langatmig und monoton. Aber ebenso bekommt man auch manch schöne Variante des bereits vom LP-Schnitt bekannten Materials sowie einige sehr hübsche ergänzende Musikstücke zu hören, wie das reizende „Festeggiamentia a Palazzo“.