Zum dritten Mal nimmt Alhambra Records uns mit auf eine klingende Zeitreise: zu den aufwändigen und seinerzeit auch hierzulande sehr populären Dokumentarfilmen der 1950er Jahre in CinemaScope, in Ferraniacolor und 4-Kanal-Magnetstereoton, die damals als Kulturfilm vermarktet wurden. Nach L’impero del sole • Auf der Spur der weißen Götter (US-Titel Empire of the Sun) (1956) und Continente perduto • Der vergessene Kontinent (US-Titel The Lost Continent) (1955) folgt nun L’ultimo paradiso • Das letzte Paradies (US-Titel The Last Paradise) (1957).
L’ultimo paradiso erlebte am 6. April 1957 in Italien seine Uraufführung und ist im Juni desselben Jahres als italienischer Beitrag auf der Berlinale gezeigt und mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden. Die Zeitschrift „Film Echo“ titelte dazu auf dem Deckblatt des dem Film gewidmeten Heftes vom Juli 1957: „Eine Sensation im Programm der VII. Internationalen Filmfestspiele in Berlin“, und vermerkte darüber hinaus den überaus blumigen Werbetext des Constantin-Verleihs: „Unvergänglicher Zauber der Südsee in einem Farbfilm von einmaliger Schönheit, mit nie gesehenen Bildern vom Leben und Lieben traumschöner Frauen und todesmutiger Männer auf den Inseln der Glückseligkeit.“ Dazu gab’s dann das Bild einer barbusigen Schönen als Plakatmotiv, etwas, dass gerade in der prüden Adenauer-Ära zusätzlich locken sollte. Aber nicht nur eine kleine Prise Sex lenkte seinerzeit ab vom alltäglichen Einerlei, das man sich durch ein paar schöne Stunden im Kino erträglicher gestalten sollte. Derartige Reiseberichte weckten auch die Lust der Deutschen auf Urlaubsreisen ins nähere wie ferne Ausland.
„Der Spiegel“ vermerkte, Regisseur Folco Quilici habe sich bei seiner Südsee-Expedition nicht allein auf Austernfischer und Hochzeitspaare, Breitwand und Ferraniacolor verlassen: „Er dachte sich vier kleine Eingeborenen-Dramen aus, die den Kulturfilm aufregender machen sollen. Aber die Mut- und Liebesprobleme, die der Film abhandelt, und die mimischen Bemühungen der schönen Inselmenschen wirken nicht nur angemessen primitiv, sondern auch recht gezwungen.“
Wie in seiner Musik zu L’impero del sole bekommt der Hörer auch dieses Mal vom Komponisten Lavagnino „eins gepfiffen“, nämlich das sehr eingängige und im Umfeld der Kinoauswertung zum Hit avancierte Thema von „Sunrise at Papeete“. Einmal mehr erweist sich Lavagnino als begabter Schöpfer unmittelbar ins Ohr gehender, zum Mitsummen tauglicher, liedhafter Melodien. Und natürlich fehlt auch das 50er-Jahre-Südseeflair inklusive der so typischen, etwas süßlichen Chorvokalisen nicht. Es wird direkt im Main Title „Song of the South Sea“ beschworen, und auch die zugehörigen träumerisch schwebenden Musikpassagen sind ausgiebig vertreten, z. B. in „Shells/Children’s Idyll“, „The Lagoon“, „When the Day Was Over“ oder auch in „Oiseau des Isles“. Und zwischendurch klingt es in „The Festival of July 14th“ nicht nur nach französischer Marschmusik, es gibt auch jazzige Einsprengsel. Und in „Cutting the Coconut Palms“ erhält die berühmte Marseillaise ihren Auftritt.
Zwar ähneln sich die folkloristisch gefärbten Kompositionen für alle drei o.g. Dokumentarfilmmusiken schon auffällig, was aber nicht schlicht klingende Einheitssoße bedeutet. In der Verwendung der jeweiligen Folklore hat Angelo Lavagnino schon gewisse unterschiedliche Akzente gesetzt. Allerdings war es dem Komponisten dieses Mal nicht vergönnt, das Aufnahmeteam zu begleiten und sich so vor Ort musikalische Impressionen zu holen. Das mussten in diesem Fall mitgebrachte Schallplatten erledigen.
Die ausgeprägte Verwandtschaft dieser Scores, besonders in den naturalistisch und bildhaft auskomponierten Meeresstimmungen, sind mehr in der zeitlichen Parallele der Entstehung der Musiken und natürlich auch in den gemeinsamen impressionistischen Stilvorbildern begründet — Debussy („La Mer“, „Nocturnes“) und Ravel („Daphnis und Chloë“). Verwandte maritime Klänge finden sich z. B. in Beneath the 12-Mile Reef (1954, Musik: Bernard Herrmann), Boy on a Dolphin (1957, Musik: Hugo Friedhofer) oder auch in Western Approaches (1944, Musik: Clifton Parker).
Der Filmmusikfreund verdankt diese feinen Lavagnino-Alhambra-CD-Veröffentlichungen einer Reihe glücklicher Zufälle. Im Nachlass des am 21. August 1987 verstorbenen Komponisten fanden sich erfreulicherweise gut erhaltene Kopien der Originalmasterbänder. Dass zwei dieser Kopien seinerzeit bereits in Stereo angefertigt worden sind, ist eine kleine Sensation, galt doch bis dahin sämtliches Material aus der italienischen Magnet-Stereo-Ton-Ära der 1950er als verloren. Infolge der Bemühungen von Stefan Schlegel, der einen guten Kontakt zu den Erben des Komponisten aufgebaut hat, steht nun auch das derzeit dritte, wiederum feine Alhambra-Lavagnino-Album zum Kauf bereit. Schlegel hat auch hierzu den kompetenten Begleithefttext verfasst.
Bis auf zwei fehlende sowie ein irreparabel beschädigtes Stück stammt der rund 55 Minuten umfassende komplette Score von besagter stereofoner Masterbandkopie. Die drei fehlenden Stücke konnten erfreulicherweise von einer seinerzeit in Deutschland erschienenen Polydor-Mono-LP abgenommen werden, die 1983 nochmals als japanisches Reissue erschienen ist. Trotz des Bemühens, die aus anderer (Mono-)Quelle stammenden Teile dem Rest klanglich anzupassen, merkt man schon deutlich, wie wattiert, relativ schwammig und damit recht bescheiden das alte LP-Master zum im Verhältnis fast durchgängig recht knackigen Stereo-Sound aus Lavagninos Privatarchiv klingt. Eine Feststellung, die übrigens auch anhand der der deutschen 1957er LP-Ausgabe zweifellos presstechnisch überlegenen Japan-LP von 1983 belegbar ist.
Leichte Qualitätsschwankungen sind zwar auch in den Stereo-Tracks spürbar, hier und da sind für einen Moment geringe Gleichlaufschwankungen merklich. Alles in allem ist die Tonqualität aber sehr zufriedenstellend und lässt das, was dem LP-Konsumenten bislang zugänglich war, weit hinter sich. Abgesehen davon, dass gerade Filmmusik aus Italien auf Schallplatten bis etwa Mitte der 1960er fast generell eher mau klang, zeigt dies ein weiteres Mal, welche erheblichen Verbesserungen eben auch der technische Fortschritt der CD-Ära den Filmmusiksammlern seit damals beschert hat.
Dank einer rund 20-minütigen Boni-Sektion ist die Spieldauer der CD auf rund 76 Minuten erweitert. Darunter finden sich ein paar Source-Musiken sowie das ungekürzte, hier nun mit einem längeren Solo exotischer Percussions eingeleitete Finale. Ebenfalls vertreten sind ungekürzte Versionen der rein atmosphärischen Untermalung zur Perlentaucher-Sequenz, wobei es sich um eine vom Komponisten zu den Bildern weitgehend improvisierte Klangfarbenkombination handelt. Da dürften für die meisten Hörer die verknappt editierten Fassungen im Scoreteil besser funktionieren.
Fazit: Ein weiteres klingendes Denkmal für die zum Teil üppige italienische Kinosinfonik der Fifties setzt Alhambra mit dem wiederum liebevoll produzierten Album zu Angelo Francesco Lavagninos L’ultimo paradiso. Die wiederum in Stereo vorliegende feine Musik markiert zugleich den Schlusspunkt von Lavagninos inoffizieller Reisetrilogie. Bereits von der Cover-Illustration betrachtet macht das aktuelle Album besonders viel her.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2011.
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