Kleine Klassikwanderung 47: Krzysztof Penderecki

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
22. Mai 2010
Abgelegt unter:
Special

Kleine Klassikwanderung 47: Krzysztof Penderecki

Zu Andrzej Wajdas Spielfilm Katyn • Das Massaker von Katyn wird Krzysztof Penderecki als Komponist der Filmmusik gelistet. Da bot es sich an, der Musik des berühmten Polen, Aushängeschild einer eigenständigen nationalen Musik, einen komplett eigenen Artikel zu widmen.

Das Filmopus zum Andenken an die Opfer des im Frühjahr 1940 durch die Sowjets erfolgten Massenmords polnischer Offiziere bei Katyn verfügt allerdings nicht über eine speziell komponierte Filmmusik. Die insgesamt eher sparsame Untermalung ist vielmehr aus dem ŒŒŒuvre Krzysztof Pendereckis (•1933) entlehnt wurden. Penderecki hat es Regisseur Wajda offenbar ausdrücklich angeboten (Wajda-Interview im Bonusmaterial von Blu-ray- und DVD-Edition).

Neu ist das freilich nicht: Von Der Exorzist (1973) bis zum aktuellen Scorsese Shutter Island (2010) finden sich diverse Beispiele, bei denen Musik des zeitgenössischen Komponisten eingesetzt worden ist. Mit einigen der frühen Kompositionen, die sich durch ihre radikale Kompromisslosigkeit auszeichnen, galt der Pole geraume Zeit sehr breiten Schichten des Abonnenten-Publikums als Bürgerschreck. Pendereckis Musik allerdings hat sich seitdem beträchtlich gewandelt und ist längst nicht mehr nur etwas für Spezialisten. Trotzdem ist bis heute die aus den Kompositionen der späten 1950er und frühen 1960er Jahre geprägte ablehnende Haltung vieler Klassik-Freunde längst nicht überwunden.

Bereits mit dem „Stabat Mater“ (1962) begann eine schrittweise Besinnung auf die tonale Tradition, insbesondere die des frühen 20. Jahrhunderts. Diese Rückbesinnung mag zuerst noch überhört werden, z. B. in der „Lukas-Passion“, die trotz ihrer vielfach avantgardistischen Klanggesten zugleich eine enge formale Bindung an die Bach’schen Passionen inklusive der barocken Kontrapunktik aufweist. (Auch die späterhin so betont traditionellen Werksbezeichnungen geben darauf einen Hinweis.) Aber spätestens seit der zweiten Hälfte der 1970er (1. Violinkonzert) wird der Tonfall unüberhörbar lyrischer.

Auf Cinemusic.de ist Penderecki seit 2004 kein Unbekannter mehr. In der Klassikwanderung 12 sind die seinerzeit verfügbaren orchestralen Teile des Naxos-Zyklusses vorgestellt, u. a. die Sinfonien Nr. 2—4, von denen Auszüge in Wajdas Film verwendet wurden. Inzwischen hat der nicht nur preiswerte, sondern auch interpretatorisch fast durchweg hochkarätige Naxos-Zyklus gewichtigen Zuwachs erhalten.

Im zweiteiligen Oratorium „Utrenja“ (1969—1971) kommt die Bewunderung Pendereckis für die altrussische orthodoxe Liturgie zum Ausdruck (NX 8.572031). Das Werk reflektiert die Grablegung und Auferstehung Christi effektvoll in zum Teil faszinierenden modernen Klangfarben und traditionell liturgisch gehaltenen Passagen. Dies zu empfinden, dürfte allerdings bei weniger mit Neuer Musik Vertrauten schon ein gewisses Maß an Einhörarbeit erfordern, ähnlich wie die „Lukas-Passion“, an die „Utrenja“ im Übrigen direkt anknüpft, den zweiten und dritten Teil bildet.

Das zwischen 1980 und 1984 entstandene „Polnische Requiem“ (NX 8.557386-87) vereint betont Lyrisches, wie das als Keimzelle des Werkes fungierende „Lacrymosa“, mit den herberen Klängen aus der Frühphase des Komponisten. Am Schluss des Wajda-Films ist, im Anschluss an die Szenen des Massakers, ein kurzer Auszug aus dem „Agnus Dei“ zu hören. Der übliche Abspann folgt auf die verstörenden Bilder übrigens erst nach einer wie eine kleine Ewigkeit erscheinenden Schwarzfilm-Pause.

Während die 6. Sinfonie derzeit noch ein „Work in Progress“ ist, hat der Komponist bereits die vokalen Sinfonien Nr. 7 (1996) und Nr. 8 (2004—2005) fertiggestellt. Die groß angelegte (Oratoriums-)Sinfonie Nr. 7 „Die sieben Tore von Jerusalem“ gebärdet sich keineswegs als verkappter Bürgerschreck. Das 1997 uraufgeführte Werk ist eher von Wohlklang geprägt. Zum Außergewöhnlichen in dieser Musik zählen der Einsatz der selten zu hörenden Basstrompete als Stimme Gottes sowie ein ungewöhnliches Schlaginstrument, das neue und noch rare Tubaphon. Hierbei handelt es sich um batterieähnliche Anordnungen handelsüblicher PVC-Röhren deren Länge (und damit die Tonhöhe) genau organisiert ist. Zum Klingen gebracht werden diese durch Schläge auf die Rohröffnungen mit filzüberzogenen Klatschen. „Die sieben Tore von Jerusalem“ wurden übrigens im Sommer des vergangenen Jahres 2009 im Rahmen der „Klassik-Tournee in Nordrhein-Westfalen“ im Dom zu Münster unter der Leitung des Komponisten gegeben (NX 8.557766).

Eine Alternative zum Naxosalbum bildet die WERGO-Aufnahme mit dem Nationalen Philharmonischen Orchester Warschau & Chor unter der Leitung von Kazimierz Kord. Hierbei handelt es sich um einen tadellosen im November 1999 entstandenen, klanglich vorzüglich ausbalancierten Live-Mitschnitt aus dem Großen Saal des Wiener Musikvereins. Unmittelbar auffällig ist das neben der CD im Pappschuber mit enthaltene sehr umfangreiche Begleitheft. Dieses wartet übrigens auch mit den deutschen Texten der (Oratoriums-)Sinfonie auf. Darüber hinaus enthält es zur Einführung den lesenswerten Beitrag Wolfram Schwingers mit dem Titel: „Auf dem Weg nach Jerusalem — Wandlungen im Komponistenleben des Krzystof Penderecki“.

Die Sinfonie Nr. 8 „Lieder der Vergänglichkeit“ (2004—2005) ist ein sinfonischer Liederzyklus, interessanterweise auf in der Originalsprache belassene Texte Deutscher Dichter. Hier ist von der Radikalität des frühen Penderecki überhaupt nichts mehr zu spüren. Vielmehr erinnert die Musik in ihrem lyrisch-melancholischen wie meditativen Gestus ein wenig an Mahler, Zemlinsky und auch an Schostakowitsch. Damit kontrastieren auf dem Naxos-Album (NX 8.570450) zwei Kompositionen aus der frühen Schaffensperiode: „Aus den Psalmen Davids“ (1958) sowie das besonders schroffe „Dies Irae“ (1968), komponiert zum Gedächtnis der Opfer von Auschwitz.

Den Weg, Werke der Spätzeit des Komponisten mit früheren zu kombinieren, beschreiten auch die beiden letzten an dieser Stelle vorgestellten Naxos-Alben:

NX 570509 bildet eine bemerkenswerte Kollektion von Orchesterwerken mit obligatem Violoncello, dem erklärten Lieblingsinstrument Krzysztof Pendereckis. Das „Concerto Grosso Nr. 1 für drei Celli“ (2000—2001) und das dreisätzige, an ein Cellokonzert gemahnende „Largo“ (2007) bieten praktisch durchweg reinrassigen romantischen Wohlklang. Dieser kontrastiert deutlich mit der merklich schrofferen „Sonate für Cello und Orchester“ aus dem Jahr 1964.

Auf NX 8.557980 bilden die beiden Sakralkompositionen, das dem polnischen Papst, Johannes Paul II., gewidmete, groß besetzte „Te Deum“ (1979—1980) sowie die besonders innige „Hymne an den Heiligen Daniel“ (1997) einen scharfen klanglichen Gegensatz zu dem radikal neutönerischen Orchesterstück „POLYMORPHIA für 48 Streichinstrumente“ (1961). Den Abschluss dieses Albums bildet ein Ruhepunkt „Polnisches Requiem: Chaconne“, ein Stück das teilweise zum Vorspann von Das Massaker von Katyn erklingt. Dieses wiederum keineswegs provokant anmutende Stück für Streicherensemble entstand im Jahr 2005 als ein Nachruf auf Papst Johannes Paul II. und bildet zugleich einen Nachtrag zum zwischen 1980—1984 entstandenen „Ein Polnisches Requiem“ (1980—1984) (s.o.).

Krzysztof Penderecki, dereinst als einer der radikalsten Neutöner geltend, hat sich trotz diverser Anfeindungen von den Dogmen der Avantgarde abgekehrt. Die erfolgreiche Kontaktsuche zum Publikum sollte aber nicht mit Anbiederung und Opportunismus verwechselt werden. Sie erfolgte nämlich nicht im Sinne eines blassen Nachahmens erprobter spätromantischer Klangschemata. Vielmehr in Form eines wiederum experimentellen Kombinierens verschiedener Stile bei Kompositionen, in denen Verbindlichkeit im Ausdruck bei Bedarf mit den avantgardistisch gefärbten Effekten der Frühphase kombiniert wird. Dies wird nun eher im Sinne von wohlkalkuliert dosierten klanglichen Überraschungen praktiziert anstelle von auf äußerlichen Effekt abzielender Provokation durch eher „kuriose Klang-Gags“ — so hatte Penderecki später selbst das immer ausgefallener bis zur Geräuschgrenze gehende Credo der Avantgarde bezeichnet. Ich meine schon, dass der seinerzeit für die „Klassikwanderung 12“ gewählte Slogan „Preiswerte musikalische Schätze entdecken bei NAXOS“ auch hier Gültigkeit besitzt. Ob das auch für ihn gilt, mag nun jeder vielleicht neugierig Gewordene für sich austesten.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2010.

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