Kleine Klassikwanderung 34
Neujahrskonzert 2007
In Wien ist derzeit ein weiteres, dem traditionellen Neujahrskonzert vergleichbares Event unter dem Titel „Frühling in Wien“ aktuell, das bei uns weniger geläufig ist. Dies ist auch nur ganz am Rande der Anlass, das „Neujahrskonzert 2007“ vorzustellen, denn Musik der Wiener Walzerkönige kann man übers ganze Jahr zu vielen Gelegenheiten genießen. Der aus dem indischen Bombay stammende Zubin Metha, dienstältester Dirigent der Wiener Philharmoniker, hat jetzt bereits zum vierten Male den Taktstock geführt. Zu hören ist nicht ein derart straffes Musizieren wie z. B. unter Nikolaus Harnoncourt, aber dafür ein heiteres und entspanntes, das der Wienerischen Tradition vielleicht sogar eher entspricht. Über die insgesamt rund 100 Programmminuten gibt es dabei beileibe nicht nur das immer Gleiche zu hören. Nein, dieses Mal stand sogar überwiegend seltener zu Hörendes und außerdem eine Reihe von Novitäten auf dem Programm: wie der Walzer „Flattergeister“ und die „Matrosen-Polka“ von Josef Strauß oder der Marsch „ivio!“ von Johann Strauss Sohn, dessen Titel (Prosit!) zum Anstoßen auf nicht nur ein Neues Jahr geradezu einlädt. Und wie alle Jahre wieder fehlen natürlich auch die zwei absoluten Repertoire-Klassiker, der berühmte „Donauwalzer“ sowie der „Radetzky-Marsch“ nicht. Einen erfrischenden Eindruck von der Lockerheit des diesjährigen Neujahrskonzerts erhält der Hörer bei „Erinnerungen an Ernst“. Als in dieser Konzertfantasie das berühmte „Mein Hut der hat drei Ecken“ erklingt, wenn Metha und seine Mannen das Publikum zum Mitsingen animieren, gerät alles zum köstlichen Publikumsspaß.
Erfreulicherweise bekommt der Interessent nicht nur beim Kauf der DVD, sondern seit einigen Jahren generell auch beim Kauf des CD-Albums das komplette Programm (als Doppel-CD zum Preis von einer) zu hören und nicht bloß einen Torso von ehedem maximal 70 Minuten. (Weitere Infos und Anregungen zum Thema unter „Neujahrskonzerte — unkonventionell und ebenso traditionell“.)
Johann Strauss Vater auf Marco Polo
Der Johann-Strauss-Vater-Zyklus auf Marco Polo hat seit dem in Klassikwanderung 28 vorgestellten achten Album Zuwachs bekommen: mittlerweile sind die Alben Nr. 9 und 10 der Reihe lieferbar. Diese repräsentieren Werke mit höheren Opuszahlen, nahe und oberhalb der 100er Marke, komponiert in den Jahren zwischen 1834 und 1842. Die vertretene Musik spricht für sich selbst. Sie belegt, dass auch die Musik des Strauß Seniors über den berühmten „Radetzky-Marsch“ Op. 228 hinaus viel Schönes zu bieten hat. Da ist z. B. der durch die mit der Flöte imitierten Rufe der Nachtigall geprägte „Philomelen-Walzer“ als reizendes Sinnbild der Biedermeier-Romantik oder das abwechslungsreiche Potpourri „Musikalischer Telegraph“, das zündende Melodien aus bekannten Opern mit Zitaten aus eigenen Werken geschickt verbindet, quasi eine Hitparade seiner Zeit darstellt. Man vermag sich vorzustellen, wie seinerzeit der Gag mit dem eine längere Passage solistisch bestreitenden Xylophon, begleitet von Pizzicati der Streicher, die Aufmerksamkeit eines noch nicht mit Tonkonserven versorgten Publikums erregt haben vermag.
Durchweg heitere, sehr melodiöse und mit Geschick instrumentierte feinsinnige Unterhaltungsmusik steht auf dem Programm. Neben dem Hören der Musik bereitet das Lesen der von Franz Mailer und Thomas Aigner sorgfältig verfassten Kommentare zu jedem Stück einigen Spaß. Vermitteln diese doch häufiger Originelles zur Entstehung der einzelnen Piècen, wobei der Leser garantiert mehr als einmal zum Schmunzeln verleitet werden dürfte.
Die Slowakische Sinfonietta ilina unter den Dirigenten Christian Pollack und Ernst Märzendorfer bietet sehr ambitionierte Interpretationen. Dabei ist auch die Ensemble-Größe gegenüber den Frühwerken hörbar gewachsen. Sie bleibt aber nach wie vor sehr schlank, freilich ohne, dass von dünnem Klang die Rede sein kann, man kann vielmehr von elegant-durchsichtig sprechen. Die fein durchhörbare Staffelung des Orchesters ist aber auch ein Verdienst der Toningenieure, denen hier einiges Lob gebührt.
Die Fledermaus, „Gala-Performance“
Karajans Wiener Fledermaus-Studioeinspielung aus dem Jahre 1960 ist in der Reihe „The Originals“ preiswert wiederveröffentlicht worden. Die so genannte „Gala Performance“ ist dabei allerdings ein Kuriosum, das offenbar an der Metropolitan Opera New York (Met) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mode gekommen ist. Geben sich da doch auf dem Ball des Prinzen Orlofsky diverse Ehrengäste über mehr als eine halbe Stunde ein Stelldichein mit musikalischen Einlagen, die mit der Straußoperette nichts zu tun haben. So singt z. B. die für „Stahl in der Stimme“ eher geläufige Birgit Nilsson „I could have danced all Night“ aus dem Musical „My Fair Lady“ oder Jussi Björling „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehárs „Das Land des Lächelns“. Längst nicht alles dabei erscheint mir zum Charakter des jeweiligen Interpreten als vollkommen glücklich gewählt. Der Auftritt von Leontyne Price mit „Summertime“ aus Gershwins „Porgy und Bess“ zählt dabei für mich zu den stimmigeren Interpretationen. Nun denn, wen diese Gala-Einlagen irritieren, der kann sie problemlos teilweise oder komplett herausprogrammieren.
Die Gala-Einlagen gehen übrigens auf Kosten der bei einer Aufführung von Die Fledermaus immerhin rund 40 Minuten umfassenden Dialoge. Diese dürften heutzutage wohl in erster Linie eingefleischten Operetten-Fans als noch ausreichend frisch, manch anderen dafür eher als angestaubtes Relikt ihrer Zeit erscheinen.
Im Übrigen wartet die Einspielung mit einer guten Sängerriege auf, die außerdem von einem energiegeladenen Orchesterspiel der Wiener Philharmoniker begleitet wird, das die Bezeichnung bravourös verdient. Das sehr präsente und dynamische Klangbild belegt den führenden Rang der Decca-Aufnahmetechnik jener Zeit.
Pancho Vladigerov für Orchester auf cpo
Im Rahmen des Wiener Neujahrskonzerts 2007 hieß Zubin Metha Bulgarien und Rumänien im Klub der Europäischen Union willkommen. Dazu, und auch zum unterhaltsamen Gestus der traditionsreichen Wiener Konzerte mit ihrer edlen Unterhaltungsmusik, passt auch das kürzlich von cpo in Zusammenarbeit mit „Deutschlandradio Kultur“ vorgelegte Album mit Orchesterwerken von Pancho Vladigerov (1899-1978). Über fast volle 80 Minuten präsentiert dieser aktuelle Streich des renommierten Osnabrücker Klassiklabels ein dank vorzüglicher Orchestrierung und Einrichtung für großbesetztes Orchester sowohl klangsüffiges wie unterhaltsames Programm klingender bulgarischer Impressionen. Dabei bilden die bulgarische Rhapsodie „Vardar“ sowie die auf Volksweisen basierenden „Bulgarische(n) Tänze“ ein an breitorchestral farbig ausmusiziertem Temperament reiche Zusammenstellung. Hier steht Vladigerov den volkstümlich-folkloristisch gehaltenen Rumänischen Rhapsodien George Enescus nahe, die beim Konzertpublikum breiten Anklang finden.
Dazu bildet die aus sechs Sätzen bestehende „Traumspielsuite“ einen hochinteressanten, ebenfalls unmittelbar zugänglichen musikalischen Kontrast. Dabei hat Vladigerov das Wichtigste aus der Theatermusik für August Strindbergs „Traumspiel“ in den Konzertsaal hinübergerettet. Die surrealistische Atmosphäre des Stückes spiegelt sich bereits in der Bezeichnung des Vorspiels als „Sphären und Weltmusik“. Eckhardt van den Hoogen, Verfasser des inspirierten Einführungstextes, attestiert dem leidenschaftlichen, in vielfältigen impressionistischen Farben schimmernden Orchesterklang einen deutlichen Schreker-Touch (siehe dazu Entartete Musik, 2. Folge). Bei der Satzbezeichnung „Epilog: Das brennende Schloss“ fühlt man sich auch ein wenig an Schrekers Opern „Irrelohe“ und ebenso an „Das Spielwerk und die Prinzessin“ erinnert. Nun, das dürfte nicht zu weit hergeholt sein, hat doch der junge Komponist nicht nur zwischen 1912 und 1918 an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin studiert, sondern bis 1932 immer wieder Kontakt zur deutschsprachigen Musik-Szene gepflegt. Es ist also höchstwahrscheinlich, dass er Schrekers Musik gekannt hat.
Dies alles wird überzeugend dargeboten vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Horia Andreescu, dem diese Musik nicht allein spürbar nahe steht und dem es gelingt, die Berliner Musiker sowohl angemessen temperamentvoll als auch einfühlsam agieren zu lassen. Die CD bereitet beim Hören keine Probleme, ist unterhaltsam, mitreißend und macht schlichtweg Lust auf mehr. Diese virtuose und klangschöne Reise durch das orchestrale Œuvre des Bulgaren wendet sich also an breiteste Schichten von Klassikhörern, nicht ausschließlich an diejenigen, die beim CD-Kauf extrem risikobereit und wagemutig sind. Mit fast vollen 80 Minuten Spieldauer ist das Album außerdem ein preiswertes Schnäppchen. Und auch so mancher Freund breitorchestraler Filmmusik dürfte sich für dieses musikalische Programm erwärmen, ja geradezu begeistern können.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2007.
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