Farbig-feurige Klänge aus Aserbeidschan: Kara Karajew auf Chandos
Der aus Baku stammende Kara Karejew (1918–1982) studierte zunächst am Staatskonservatorium Aserbaidschans und ab 1938 am Moskauer Konservatorium. Zwischen 1942 und 1946 war er ein Schüler von Dmitri Schostakowitsch. Sein kompositorischer Erstling, eine Kantate, wurde in Anwesenheit Stalins in Moskau uraufgeführt. Für die patriotische Oper „Vaterland“ erhielt er einen aserbeidschanischen Staatspreis und auch späterhin geriet er nie ins Fadenkreuz der selbst nach Stalins Tod (1953) immer noch restriktiven sowjetischen Kulturpolitik. Das macht ein Arrangement mit der Doktrin des Sowjetischen Realismus zumindest wahrscheinlich, eventuell auch weil Karajew sich in seinem Spätwerk doch noch Schönberg’scher Techniken bedient haben soll. Karajew hat den klaren Einfluss der aserbeidschanischen Volksmusik auf seine Musik nicht nur stets hervorgehoben, sondern dazu auch betont, dass er sich von ihrem Einfluss weder losreißen könne noch wolle. Damit dürfte es ihm also, wie auch einigen seiner Komponistenkollegen, etwa dem Armenier Aram Chatschaturjan oder dem aus Kiew stammenden, deutschstämmigen Reinhold Glière von vornherein wohl erheblich leichter gefallen sein, sich der vom roten Diktator verordneten Volkstümlichkeit und Massentauglichkeit im Tonfall anzuschließen. Das schützte allerdings nicht zwangsläufig vor Anfeindungen und Verurteilungen, etwa in der berüchtigten 1948er Formalismus-Debatte.
Inwieweit man Karajew und sein Schaffen nun als von der stalinistischen Kunstdoktrin zwangsweise beeinflusst ansehen mag oder nicht, von volkstümelndem Kitsch kann hier ganz gewiss nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Das ist unüberhörbar glutvolle, inspiriert strukturierte und äußerst farbig instrumentierte, gehaltvolle Musik, die klar an die russische Tradition (Borodin, Mussorgsky, Tschaikowsky und Rimski-Korsakow) anknüpft und diese überaus elegant weiterführt, ohne dass gelegentlich anklingende Ähnlichkeiten, etwa zu Prokofjew oder auch Schostakowitsch es erlauben würden von Nachahmen zu sprechen.
Die 12-sätzige Balletsuite „Die sieben Schönheiten“ spielt in den tonmalerisch-illustrativen Charakterisierungen der den Titel gebenden Schönheiten, z. B. in „Die byzantinische Schönheit“ oder „Die indische Schönheit“ derart elegant mit exotischen Färbungen, dass einem auch Filmmusik, etwa von Miklós Rózsa oder auch Basil Poledouris in den Sinn kommt.
Die auf ihre Art vergleichbar eingängige und effektvolle Orchestersuite „Don Quixote“ ist dann sogar aus einer Filmmusik zur Verfilmung von Grigori Kosinzew aus dem Jahr 1957 entstanden. Im Jahr 1960 formte der Komponist daraus eine achtsätzige Suite „sinfonischer Stiche“, bei denen der dreimal in variierter Form wiederholte Abschnitt „Reisen“ eine Art verbindender Promenade dieser ganz speziellen ,Bilder einer Ausstellung’ darstellt.
Für die sinfonische Dichtung „Laila und Majnun“ erhielt Karajew 1947 den Stalin-Preis. Das programmatische Stück fasst eine Art von Romeo und Julia des Ostens in wiederum ausdrucksstarke, eindrucksvolle Töne. Das Wiegenlied aus dem Ballett „Der Pfad des Donners“ bildet einen ruhigen und betont lyrischen Abschluss dieser sehr eingängigen, abwechslungsreichen und kurzweiligen CD, die neugierig auf mehr macht.
Das Bournemouth Symphony Orchestra zählt zu den Top-Orchestern des Vereinigten Königreichs. Sein hochpräzises, sowohl seidiges als auch wuchtiges Spiel unter Kirill Karabits, welcher seit 2008 den Posten des Chefdirigenten innehat, ist von der Tontechnik erstklassig in luftig-transparentem und zugleich sattem Sound eingefangen worden. Die Akustik des Aufnahmeortes, des Kunstzentrums „Leuchtturm“ in Poole, Dorset, England, ist offenbar vorzüglich.
Das dreisprachige Begleitheft wartet dazu mit einem sehr informativen Text von Andrew Burn auch in Deutsch auf. Die sich auf der ersten Innenseite findende Bemerkung „Ersteinspielungen“ ist freilich inkorrekt. Die auf dem Chandos-Album vorgelegten Stücke sind sämtlich bereits zuvor auf zwei Naxos-Alben aus den Jahren 2008 und 2013 erschienen. Auch wenn sich diese Veröffentlichung nicht als die Nummer eins einer Karajew-Reihe ausweist, so bleibt dennoch zu hoffen, dass sie noch längst nicht das letzte Wort des CHANDOS-Labels zu diesem aserbeidschanischen Tonsetzer und gern auch seinem Umfeld sein möge.
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