Als John Williams nach dem Tod Arthur Fiedlers im Jahr 1980 Chefdirigent des Boston Pops Orchestra wurde, resultierte daraus letztlich eine Win-Win-Situation. Durch das Engagement von Williams beim 1885 gegründeten und von Fiedler über fast ein halbes Jahrhundert geleiteten Klangkörper – siehe dazu auch Living Stereo, Die 2. Staffel – verbesserte sich die mittlerweile unbefriedigend gewordene Archiv-Situation des Orchesters nachhaltig, weil dank Williams in großem Stil neue Musikmaterialen sowie frische Arrangements Einzug hielten. Und Maestro Williams, der ursprünglich eigentlich nie vorgehabt hatte, Live-Konzerte zu dirigieren, ist dabei nachhaltig auf den Geschmack gekommen. Ansonsten hätte es vielbejubelte Events wie etwa „John Williams in Vienna“ (Die Konzerte vom 18./19. Januar 2020) oder auch das brandaktuelle, erste Konzert mit den Berliner Philharmonikern, „John Williams – The Berlin Concert“ zwangsläufig nie gegeben. Ob Williams’ außerordentliche Popularität ohne seine Konzertauftritte vergleichbar groß wäre, kann man durchaus bezweifeln.
Am 8. Februar 2022 begeht der Maestro nun seinen 90sten Geburtstag, und Universal Music bringt aus diesem Anlass jetzt alle seinerzeit auf Philips erschienenen John-Williams-Alben mit dem Boston Pops als Gesamtedition auf Decca heraus. Das Box-Set wartet mit 21 CDs in besonders dicken, mit originalen Frontcovern versehenen Papptaschen auf – so dick, dass der daraus resultierende etwas breitere Rücken den Aufdruck von Alben-Infos ermöglicht. Darüber hinaus enthält es auch noch ein ordentliches Begleitheft, in dem die gesamte Kollektion in Form eines Übersichtsartikels (auch in Deutsch) kurz vorgestellt wird. Die Box umfasst im Kern die zwischen 1980 und 1990 entstandenen Orchesteraufnahmen. Darüber hinaus ist auch noch eine besonders intime Zugabe enthalten, ein Pendant zum 1984er Jessye-Norman-Williams-Album „With a Song in My Heart“: Das 1992 produzierte Songalbum „Lucky to Be Me“ (CD 17, s. u.) mit Jessye Norman, begleitet von John Williams am Klavier. Im Jahr 1990 wechselten das Boston Pops und John Williams übrigens zum Sony-Label – siehe dazu auch das Alben-Duo „Cinema Serenade“ und zum Philips Nachfolgeprojekt „John Mauceri – The Sound of Hollywood“. Die von 1990 bis 2017 währende Sony-Ära von John Williams (mit dem Boston Pops und anderen Orchestern) erschien bereits im Jahr 2018 als 20-teiliges Box Set „John Williams: Conductor“ (Sony Masterworks 88985 41779-2).
Zwar dürfte wohl fast jeder (insbesondere der schon etwas reiferen) Leser bereits mindestens eines der Alben besitzen. Bei einem Preis von nur 3,33 € pro CD sind aber die bei derartigen Gesamt-Veröffentlichungen zwangsläufig anfallenden Dubletten kaum ein ernstes Thema. Dabei hat es mir beträchtlichen Spaß bereitet auch längst in der heimischen Kollektion Vertretenes jetzt nochmals zusätzlich mit dabei zu haben, etwa die unverwüstlichen klassischen Konzert-Piècen in „Pops a la Russe“, „Peter und der Wolf“, die „Nussknacker-Suite“ oder die Holst’schen „Die Planeten“. Derartiges erklingt dargeboten von Maestro Williams und dem Boston Pops ebenfalls in tadelloser, aber eben doch nuanciert anders gelagerter Interpretation. Darüber hinaus ist bemerkenswerterweise etwa ein Drittel der Alben hierzulande erstmalig direkt verfügbar, und generell besitzt jedes auf recht unverwechselbare Art zugleich seinen eigenen Charme. Diese Aussage gilt letztlich nicht bloß für die für manch einen vielleicht doch etwas allzu amerikanisch-patriotisch angehauchte Kompilation „America – The Dream Goes On“, z.B. mit „America the beautiful“. Jedoch auch dieses besitzt eine so edle wie schöne Melodie und wird keinesfalls triefig dargeboten.
Der Verfasser hat übrigens zu einem dieser Alben ein ganz besonderes Verhältnis. Die bereits 1981 auf LP erschienene, absolut schmissig-hinreißend interpretierte Ouvertüren-Zusammenstellung „Pops Around the World (Digital Overtures)“ wurde nämlich im Anschluss an eine Klang-Demo im Einführungsjahr der CD, 1983, die allererste CD in meiner Sammlung. Bis heute besetzt dieses besonders spritzige Album einen hohen Rang unter anderem durch die seinerzeit noch eine besondere Rarität darstellende, im Sinne eines Ouvertüren-Potpourris zusammengestellte, sehr beachtliche, nämlich immerhin knapp 9-minütige Filmmusik-Suite aus The Cowboys * Die Cowboys (1972). Wenig später gesellten sich dann noch hinzu: das so abwechslungsreiche wie gelungene „We Wish You a Merry Christmas“, welches seitdem alle Jahre wieder seine Auftritte erhält, sowie „Aisle Seat: Great Film Music“, „That’s Entertainment“ und „On Stage“. Für mein Empfinden gehören die Alben dieser Reihe zum Besten was man seinerzeit unter dem Etikett „Digital-Recording“ kaufen konnte. Auch heute gibt es am sehr präsent-durchsichtigen, ein breites Stereopanorama ergebenden, sowohl plastischen als auch dynamischen Klang, eindrucksvolles Bassfundament inklusive, kaum etwas zu bemängeln. Diese Aussage gilt, obwohl Digitalaufnahmen bis etwa 1990 „nur“ im CD-Standard (16 Bit, 44,1kHz) produziert wurden.
Spielzeitmäßig hätten die vorstehend genannten Alben zwar liebend gern 25 oder auch 30 Minuten länger sein dürfen, aber insbesondere in den ersten anderthalb Jahren der digitalen Silberlinge wurde von verschiedenen Anbietern streng darauf geachtet, dass LP- und CD-Editionen desselben Produktes auch identische Anzahl an Tonträgern enthielten. Insofern waren CDs mit Lauflängen um und oberhalb 60 Minuten anfänglich noch Mangelware. Pop-LPs erreichten nur im Ausnahmefall die 40-Minuten-Marke. Klassik-LPs wurden infolge der systemimmanenten, nichtlinearen Klangreproduktion (Innenrillenproblematik) in aller Regel auf etwa 23 Minuten pro Seite und maximal nur wenig oberhalb 50 Minuten Gesamtspieldauer geschnitten.
Dies spiegelt sich auch im vorliegenden Box-Set wieder, wo Album Nr. 9 (s. u.), „With a Song in My Heart“, mit einer Spieldauer von knapp 37 Minuten die Untergrenze markiert. Das m.E. etwas zu konsequent angestrebte Ziel, auf doppelt veröffentlichte Titel innerhalb der Reihe zu verzichten ermöglichte es problemlos, das mit nur fünf neuen (von insgesamt 16) Tracks aufwartende „By Request…“ mit „Pops Britannia“ auf einer Scheibe (Nr. 21, s. u.) mit knapp 73 Minuten Spieldauer zu kombinieren. Dafür fehlt jetzt aber leider auf der feinen Leonard-Bernstein-Kompilation „Bernstein by Boston“ (mit Hinweis auf dem Backcover) die aus den bereits genannten „Pops Around the World“ übernommene, peppige „Candide-Ouvertüre“. Auch das erste Album, „Pops on the March“, kommt ausgedünnt um „Orbs and Sceptre“ daher, welches hier nun ausschließlich auf „Pops Britannia“ als Eröffnungsstück vertreten ist. Und die zuerst auf „Pops In Love“ vertretene „Fantasia On Greensleeves“ fehlt dafür jetzt wiederum auf „Pops Britannia“ (dieses Mal ohne Hinweis auf dem Backcover). Das ist ähnlich unglücklich wie im Fall der „Candide-Ouvertüre“. Immerhin wäre bei den genannten, jeweils zu nur etwa 50 bis 65 % ihrer Kapazität ausgelasteten CD-Alben ja das Unterbringen der jeweiligen Dublette völlig problemlos machbar gewesen.
Insgesamt kann der Interessierte mit dem hier Versammelten sehr zufrieden sein und dürfte beim Stöbern durch die anzutreffende Vielfalt praktisch durchgehend sehr eingängiger, kurzweiliger Musik aus Film, Musical und populärer Klassik auch manch willkommene Entdeckung machen. Darunter etwa die absolut feine knapp viertelstündige Suite aus der frühen Williams-Filmmusik zu Jane Eyre ∗ Jane Eyre – Eine Frau sucht ihr Glück (Britische TV-Produktion, Deutschlandpremiere im ZDF, 1970) enthalten auf „Pops Britannia“ oder die pfiffige, knapp 8-minütige Suite aus dem Film-Musical Fiddler on the Roof ∗ Anatevka (1971), wo Williams die Originalmusik von Jerry Bock für die Filmadaption eingerichtet hat. Eine spezielle Reihenfolge beim Abhören der einzelnen Alben gibt es nicht. Man kann auch problemlos „auf gut Glück“ in die Box hineingreifen. Meine persönliche Empfehlung wäre allerdings mit „Alpha und Omega“ (Nr. 1 & Nr. 21) zu beginnen.
Bisher ist der Jubilar ja erfreulicherweise immer noch recht fit und auch aktiv geblieben. So hat er bei Steven Spielbergs erst jüngst auf die Kinoleinwände gelangtem Remake der 1962er Verfilmung (Produzent und Regie: Robert Wise) von Leonard Bernsteins legendärem Musical-Hit West Side Story noch als Musikberater mitgewirkt. Auch wir von Cinemusic.de wünschen John Williams weiterhin alles Gute.
Der Youtube-TRAILER zum Williams-Box-Set.
Übersicht: „John Williams and The Boston Pops Orchestra: The Complete Philips Recordings“
CD 1: Pops on the March (Philips 6302 082, 1980)
CD 2: Pops in Space (Philips 9500 921, 1980)
CD 3: That’s Entertainment (Pops on Broadway) (Philips 6302 124, 1981)
CD 4: We Wish You a Merry Christmas (Philips 6302 125, 1981)
CD 5: Pops Around the World (Digital Overtures) (Philips 6514 186, 1981)
CD 6: Aisle Seat: Great Film Music (Philips 6514 328, 1982)
CD 7: Out of This World (Philips 411 185-1, 1983)
CD 8: Prokofiev: Peter and the Wolf | Tchaikovsky: Nutcracker Suite (Philips 412 516-1, 1984)
CD 9: Jessye Norman, With a Song in My Heart (Philips 412 625-1, 1984)
CD 10: Swing, Swing, Swing (Philips 412 626-1, 1985)
CD 11: America – The Dream Goes On (Philips 412 627-1, 1985)
CD 12: On Stage (Philips 412 132-1, 1984)
CD 13: Bernstein by Boston (Philips 416 360-1, 1986)
CD 14: Pops in Love (Philips 416 361-1, 1987)
CD 15: Holst: The Planets (Philips 420 177-1, 1987)
CD 16: Digital Jukebox (Philips 422 064-1, 1988)
CD 17: Jessye Norman, Lucky to Be Me (Philips 422 201-2, 1992)
CD 18: Salute to Hollywood (Philips 422 385-2, 1989)
CD 19: Pops a la Russe (Philips 426 247-2, 1990)
CD 20: Pops by Gershwin (Philips 426 404-2, 1990)
CD 21: By Request… (Philips 420 178-1, 1987) | Pops Britannia (Philips 420 946-2, 1988)
© aller Logos und Abbildungen bei Universal Music. (All pictures, trademarks and logos are protected by Universal Music.)