Hush… Hush, Sweet Charlotte

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. April 2006
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Intrada Special Collections

Wertvolle musikalische Ausgrabungen aus dem Archiv der 20th Century Fox sind bereits seit einiger Zeit eine Domäne von Intrada (siehe auch The Enemy Below).

Vol. 26 der Reihe „Intrada Special Collection“ ist der Musik Frank DeVols zum für seine Zeit mit harten Schockeffekten versehenen Psychothriller Hush…Hush, sweet Charlotte• Wiegenlied für eine Leiche (1964, Regie: Robert Aldrich) gewidmet; Vol. 27 vereint die Scores zu Edward Dmytryks Edelwestern Warlock (1959, Musik: Leigh Harline) und Richard Fleischers überdurchschnittlichem Krimi-Drama Violent Saturday • Sensation am Sonnabend (1955, Musik: Hugo Friedhofer) und Vol. 28 setzt dem B-Komponisten-Duo Paul Sawtell und Bert Shefter ein klingendes Denkmal mit den Musiken zu Irwin Allens The Lost World • Versunkene Welt (1960) und Five Weeks in a Ballon • Fünf Wochen im Ballon (1962).

Sämtliche Musiken werden durchgehend in Stereo, in leicht schwankender Qualität präsentiert. Insgesamt fehlt dem recht klaren Klangbild (typisch für viele Fox-Aufnahmen der Magnetton-Ära) ein spürbares Quäntchen Frische und gelegentlich hört man kleine irreparable Reststörungen von dem, was der Zahn der Zeit angerichtet hat: einzelne Knackser und leichte Tonhöhenschwankungen. Unterm Strich ist die Bilanz aber trotz kleiner Einschränkungen sehr positiv: kann der Klangeindruck zwischen einem fetten Befriedigend und einem eindeutigen Gut (mit Pluszeichen versehen) eingestuft werden.

Die Begleithefte sind ebenfalls sehr ordentlich geraten. Neben solide aufbereiteten Infos findet sich auch gutes Bildmaterial. Der herausragende Standard von FSM wird allerdings nicht ganz erreicht.

Intrada Special Collection, Vol. 26

Hush…Hush, sweet Charlotte von Regisseur Robert Aldrich ist nicht nur ein auch heutzutage noch sehr ansehnlicher Krimi der Gattung Psycho-Thriller, sondern ist zugleich mit einer überaus beachtlichen Musik des Bandleaders und Komponisten Frank DeVol (1911-1999) ausgestattet — siehe auch Flight of the Phoenix (1965).

Der Film ist mit Bette Davies (Charlotte) und Olivia De Havilland (ihre Kusine Miriam) sowie Joseph Cotten stark besetzt und besitzt auch im Schauplatz, einem heruntergekommenen Herrensitz im „Alten Süden“, pittoreske Reize. Wie das Begleitheft treffend anmerkt, besitzt der Südstaaten-Psychokrimi einen geisterhaften Touch von Gone with the Wind, was auch auf De Havilland zurückgeht, die praktisch jeder aus dem 1939er Opus als warmherzige Melanie in Erinnerung hat.

Die Vertonung von Frank DeVol zeigt den melodischen Charme und die handwerkliche Eleganz des Golden Age, anknüpfend bei Max Steiner. Für Charlotte gibt es ein lyrisch-warmes Wiegenlied, das sowohl als Song als auch als sorgfältig gestaltetes Leitmotiv dient. Es ist möglich, dass sich hier Remineszenzen an den Zeitgeschmack widerspiegeln: das Cembalo erinnert an die Musik zu Tom Jones (1963, Komponist: John Addison) und der Song an die Pop-Ära der Filmmusik. Selbst im gesetzten Fall kann man hier aber nicht von aufgesetzt sprechen. Das Cembalo spielt vielmehr eine gewichtige Rolle. Das Schrullige der alternden, etwas weltfremd anmutenden Charlotte wird durch dieses altertümlich klingende Instrument ebenso vorzüglich eingefangen, wie das ihr zugeordnete Thema sie perfekt charakterisiert, indem es als wandlungsfähiges Leitmotiv vielerlei Stimmungen durchläuft. Dieses besitzt nicht nur den nostalgischen Charme eines Wiegenlieds, es wird in einer Szene von der Davis (stimmig) höchstpersönlich intoniert und ebenso von einem Kinderchor als hänselndes Spottlied dargeboten.

Miriam, die Charlotte mit Hilfe des Doktors (Joseph Cotton) in den Wahnsinn treiben will, wird durch ein anfänglich ebenfalls warm erscheinendes Thema eingeführt. Sobald beim Voranschreiten der Handlung ihre Verschlagenheit offenbar wird, verkehrt sich die Stimmung der ihrem Charakter zugeordneten Tonfolge zunehmend ins Düstere.

DeVols Musik lässt in Teilen nochmals gekonnt den orchestralen Glanz vergangener Tage aufschimmern. Die Musik knüpft im romantisch warmen Tonfall bei Max Steiner an und erinnert in einigen Passagen auch an das „Warschauer Konzert“ Richard Addinsells. Das ist aber noch längst nicht alles: Vielmehr greift der Komponist in Teilen seiner Musik zu klanglichen Verfremdungen und neben flüsternden Vocal-Effekten auch zum Einsatz synthetischer Klänge. Wie DeVol z. B. in „The Storm“ mit Charlottes Thema umgeht und ebenso wie er die Walzer-Variante verfremdet, das wirft schon ein wenig die Schatten von Goldsmith’ und Poltergeist voraus.

Nicht nur, dass Frank DeVols Filmmusiken bislang auf Tonträger kaum repräsentiert sind, verleiht dieser Veröffentlichung einige Bedeutung. Was hier an Experimentellem geboten wird, ist in Teilen für seine Zeit eher ungewöhnlich. Und letztlich entscheidend: Das Nebeneinander von Tradition und zukunftsweisendem Experiment besitzt auch als Höralbum beträchtlichen Charme.

Intrada Special Collection, Vol. 27

Leigh Harline als Komponist für Western ist Cinemusic-Lesern bereits durch die vorzügliche Musik zu Broken Lance • Arizona (1954) geläufig. Der herbe (fast schon Spät-)Western Warlock ist bei einer Lauflänge von knapp zwei Stunden mit seinen insgesamt nur rund 35 Minuten Musik sehr ökonomisch, ist also keineswegs wie gerne mit dieser Ära gleichgesetzt wird von „Wall to Wall“ vertont. Entsprechend des recht düsteren und brutalen Scenarios hat Harline dieses Mal einen deutlich strengeren Tonfall gewählt. In weiten Teilen der Komposition wähnt man sich beim oftmals sperrigen Hugo Friedhofer. Am insgesamt eher spröden Gesamteindruck vermögen letztlich auch einige stärker lyrisch und westerntypisch gefärbte, an Broken Lance gemahnende Stücke im Mittelteil der Komposition nur wenig zu ändern. Vermutlich liegt dies daran, dass das Warlock-Hauptthema längst nicht so einprägsam ist wie das zu Broken Lance.

Für den rund 90-minütigen Violent Saturday komponierte Hugo Friedhofer nur knapp 21 Minuten Musik. Dieser äußerst knappe Musikbeitrag spart das letzte Filmdrittel und damit die Actionhöhepunkte und die Gewaltmomente fast komplett aus. Die überaus kühle Musik ist fast durchweg rein atmosphärisch angelegt. Neben einigen jazzigen Momenten fällt die modernistisch-dissonanzreiche, dabei praktisch nichtthematische Schreibweise ins Ohr. Selbst eine dezent romantische Szene zwischen „Shelly und Steve“ (Track 22) bleibt stark unterkühlt, lässt die warme Americana von The Best Years of Our Lives (1946) nur schwach erahnen. Insofern ist diese Friedhofer-Musik weitab von der klangsinnlichen Üppigkeit angesiedelt, die landläufig für das Golden Age als typisch erachtet wird. Violent Saturday ist vielmehr ein enger Verwandter von Leonard Rosenmans aus demselben Jahr stammender Komposition zu The Cobweb und ist nur marginal ähnlich mit Max Steiners ebenfalls sehr harscher Musik zu White Heat (1950). Trotz der vorherrschenden Sprödigkeit gewinnt der Komponist einigen Passagen faszinierende Klangwirkungen ab.

Alles in allem ist dies ein Album, das für den Einsteiger in Sachen Golden Age unmittelbar weniger wichtig ist. Für alle, die hier mehr ins Detail gehen möchten, stellt es aber eine hochwillkommene Ergänzung ihrer Kollektion dar.

Intrada Special Collection, Vol. 28

Zusammen mit der FSM-Veröffentlichung zu Voyage to the Bottom of the Sea • Unternehmen Feuergürtel (1961) erhält der Interessierte mit The Lost World (1960) und Five Weeks in a Balloon (1962) Gelegenheit, die Irwin-Allen-Reihe zu ergänzen. Paul Sawtell (1906-1971) komponierte Five Weeks in a Ballon, und zusammen mit Bert Shefter (1904-1999) entstand The Lost World. Unterm Strich liegen die Dinge ähnlich wie bereits zur FSM-CD Voyage to the Bottom of the Sea geschrieben. Auch The Lost World und Five Weeks in a Balloon sind als Filme heutzutage etwas altbackene Reliquien einer vergangenen Ära, besitzen aber sicherlich einiges Nostalgiepotenzial. Die von zwei Veteranen der B-Garde stammenden Kompositionen wirken mittlerweile ebenfalls etwas altmodisch. Was es hier zu Hören gibt, reflektiert solide handwerkliche Standards des Golden Age (in Themenverarbeitung und Mickey-Mousing) und steht dabei in Teilen Max Steiner recht nahe. Aber auch die heraufdämmernde Popära lässt in Form einzelner Songeinlagen grüßen.

Alles in allem ist dies sicher keine Veröffentlichung der Kategorie „Meilenstein“, aber auch nicht einfach belanglos. Das recht liebevoll editierte Doppel-CD-Album besitzt zweifellos einigen Repertoirewert für versierte Sammler, die ihrer Sammlung ein nettes und unterhaltsames Kuriosum einverleiben möchten.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
De Vol, Frank

Erschienen:
2005
Gesamtspielzeit:
70:58 Minuten
Sampler:
Intrada Special Collection
Kennung:
Vol. 25

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